Die Kraft der Imagination oder das enttäuschende Hörerlebnis

  • Kennt ihr das?


    Seit Tagen spukt mir C. Francks Les Eolides durch den Kopf. Gestern abend raffte ich mich dann endlich auf und hörte mir das Werk an.


    Ich wartete auf das gute Gefühl, das mich in den Tagen begleitete, als mir das Werk nicht aus dem Kopf wollte. Aber es kam nicht. Wollte einfach nicht.


    Nun gut, es ist eine Aufnahme unter Kurt Masur. Trotzdem. Durch sie habe ich das Werk ja erst kennengelernt.


    Geht es euch manchmal auch so? Daß die Musik im Kopf mehr bewegt als "tatsächliche" Hörerlebnis? Gibt es bestimmte Werke, bei denen das zutrifft und solche, bei denen weniger??


    Verwirrte Grüße
    Wulf

  • Zitat

    Original von Wulf
    Geht es euch manchmal auch so? Daß die Musik im Kopf mehr bewegt als "tatsächliche" Hörerlebnis?


    Hallo Wulf,


    das kommt bei mir öfter vor und ist meiner Meinung nach einfach zu erklären. Wenn ich ein besonders intensives Hörerlebnis hatte, dann erinnere ich mich nicht nur an die Musik, sondern an das Erlebnis insgesamt. Wenn ich die Musik dann wieder real höre, wiederholt sich das Erlebnis nicht, und ich bin enttäuscht, wenn ich genau dies erwartet habe.


    Die Musik als objektives akustisches Ereignis ist dank CD identisch und beliebig oft wiederholbar, nicht aber das Hörerlebnis an sich, das von zahlreichen Faktoren abhängig ist (Stimmung, Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit und so weiter). Anders formuliert: Der wichtigste Teil des Hörens findet im Kopf statt und ist vom objektiven akustischen Ereignis unabhängig - das Hören mit dem "inneren Ohr" reicht aus und übertrifft in seiner Intensität oft genug das reale Hören.


    Zitat

    Gibt es bestimmte Werke, bei denen das zutrifft und solche, bei denen weniger??


    Da kann ich zumindest bei mir keine durchgehende Systematik erkennen.


    :hello: Andreas

  • Hallo,


    Bei mir ist das immer mehr bei der sogenannte "Kinderklassik" oder der "gängigen Kost" der fall...Wilhellm Tell Ouvertüre, Kleine Nachtmusik, An der schönen blauen Donau, Can Can und wie sie alle heissen...


    Ich hatte (wie viele) wenn man so möchte meinen "Start" damit in die Klassiksche Musik. Wenn ich heute, wo ich viele andere Werke kenne, manchmal morgens aus unerklärlichen Gründen einen Ohrwurm von diesen "Schlagern" habe und dann "Nachhöre", dann ist das ergebniss doch oft ernüchternd: Langweilige, Flache, Kitschige, Asugelutschte Musik...


    Das Beispiel ist zwar etwas anders als bei dir, geht aber denke ich in die Richtung...


    LG
    Raphael


    PS: Ein Werk bei dem es noch NIE vorgekommen ist, auch wenn ich es mittlerweile sicher 100mal gehört habe ist "Sace du Printemps"...die verkappte Rhytmik, die vielen Ebenen und Episoden der Musik, die Instrumentierung und daher rührenden Klangfarben...ich bin immre wieder aufs neue überrascht und überwältigt!!! :D

  • Habt ihr Marcel Proust gelesen?
    Dort wird genau beschreiben, wie ein Urerlebnis(das Eintauchen der Madeleine(Kuchen, nicht Frau!) in den Tee) eine ganze Imaginationskette hervorrufen kann und damit eine ganze Rezeptionsästhetik begründet.
    In der Musik gibt es in seinem gigantischen Werk"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" da eine Viloinsonate von Cesar Franck ,die als solch ein Vehikel dient, gefühle und Imaginationen zu aktivieren.
    Aber es klappt ncht immer gleich, das ist wohl war, zumindest erfahre ich das auch so. allerdings gibt es bei manchen Stücken die ich mit serh besonderen Glückseligkeitsmomenten verbinde, schon wirklich so etwas wie eine neur-ästhetische Programmation.
    Selbst wenn die Intensität je verschieden ausfällt, das Grundgefühl wird unweigerlcih heraufgespült und das ist dann gleichzeitig eines meiner besten Medizinen gegen allerlei Bûrden des Lebens. :angel:


    Fairy Queen

  • Ich riskiere mal einen etwas kühne These: Wenn Ihr Euch das Werk im Kopf besser vorstellen könnt, dann sind die Aufnahmen, die Ihr habt, wahrscheinlich ziemlich schlecht! Schade, daß Ihr keine Dirigenten seid! Darauf wäre ich gespannt! Denn genau das ist es ja, was eine neue, interessante Interpretation eines auch noch so "abgelutschten" Werkes hervorbringen könnte!


    :hello:
    M.

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  • Zitat

    Ich riskiere mal einen etwas kühne These: Wenn Ihr Euch das Werk im Kopf besser vorstellen könnt, dann sind die Aufnahmen, die Ihr habt, wahrscheinlich ziemlich schlecht!


    So würde ich das nicht sehen - es wäre auch möglich, daß lediglich der Geschmack von Dirigent und Rezipient nicht übereinstimmt.


    Aber eher bin ich der Ansicht, daß musikalische Ersteindrücke "verkärt" werden, die Realität beim Wiedersehen jedoch nicht mit der idealisierten Erinnerung mithalten kann. Die Erinnerung hat ein idealisiertes Zerrbild geschaffen, das es sooo gar nicht gibt.


    Und selbstverständlich würde man es selbst auch nicht besser dirigieren.
    Es ist ähnlich unmöglich wie den geschriebenen Satz: "
    ...stand, nein schwebte ein überirdisch schönes Wesen, engelsrein und erotisch zugleich......"


    zu verfilmen. Sowas muß scheitern, weil jeder eine andere Vorstellung hat - zumeist eine recht diffuse. Je mehr man sich bemüht siesen Satz als Regieanweisung in einem Film wortgetreu darzustellen, desto abstruser, lächerlicher, peinlicher und irdischer wird das Ergebnis sein.......



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Mengelberg
    Ich riskiere mal einen etwas kühne These: Wenn Ihr Euch das Werk im Kopf besser vorstellen könnt, dann sind die Aufnahmen, die Ihr habt, wahrscheinlich ziemlich schlecht!


    Wenn man ein Werk sehr gut kennt, ist das sogar nicht ungewöhnlich. Wenn du dafür Beispiele haben willst, schau mal in Kaisers Buch zu Beethovens Klaviersonaten hinein. Da könnte man sich aus den besprochenen Interpretationen eine neue, die verschiedensten Erkenntnisse zusammenfassende Neuinterpration zusammenstellen - und natürlich geht es nicht, weil es über die Interpretation von Einzelnoten oder Phrasen auch der übegreifenden Interpretationsidee des Klavierspielers bedarf. Hört man dann aber eine einzelne Interpretation, so wird man die neuen Lösungen bewundern und immer wieder etwas anderes vermissen - und sich über jeden neuen Versuch, in der Vielzahl der Lesarten den eigenen Weg zu finden, freuen.

    Zitat

    Schade, daß Ihr keine Dirigenten seid! Darauf wäre ich gespannt!


    Nun, zu wissen, dass es besser geht, heißt nicht, dass man es selbst besser machen kann. Dafür brauche ich aber nicht zu vergessen, dass es besser geht ...


    Zitat

    Denn genau das ist es ja, was eine neue, interessante Interpretation eines auch noch so "abgelutschten" Werkes hervorbringen könnte!


    Es ist so ungewöhnlich nicht, dass aus den Ideen des einen die Neuheit des anderen resultiert ...


    LG Peter

  • Interessant, daß mein eigentlich eher verständnisvoll-aufmunternd gemeinter Beitrag gleich auf so viel Ernst stößt.


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    So würde ich das nicht sehen - es wäre auch möglich, daß lediglich der Geschmack von Dirigent und Rezipient nicht übereinstimmt.


    Richtig. Deshalb steht da in meinem Beitrag auch "wahrscheinlich".


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Aber eher bin ich der Ansicht, daß musikalische Ersteindrücke "verkärt" werden, die Realität beim Wiedersehen jedoch nicht mit der idealisierten Erinnerung mithalten kann. Die Erinnerung hat ein idealisiertes Zerrbild geschaffen, das es sooo gar nicht gibt.


    Der Meinung bin ich nicht. Der von Dir beschriebene Fall ist einer von vielen. Es ist bei weitem nicht immer so. Es ist außerdem immer so, daß der Interpret von seiner "besseren" Idee des Stückes ausgeht, sonst bräuchte er gar nicht erst spielen.


    Zitat

    Original von Alfred_SchmidtUnd selbstverständlich würde man es selbst auch nicht besser dirigieren.
    Es ist ähnlich unmöglich wie den geschriebenen Satz: "
    ...stand, nein schwebte ein überirdisch schönes Wesen, engelsrein und erotisch zugleich......" zu verfilmen. Sowas muß scheitern, weil jeder eine andere Vorstellung hat - zumeist eine recht diffuse. Je mehr man sich bemüht siesen Satz als Regieanweisung in einem Film wortgetreu darzustellen, desto abstruser, lächerlicher, peinlicher und irdischer wird das Ergebnis sein.......


    Daß jeder von irgendetwas eine andere Vorstellung hat, gilt für alles in der Kunst und für vieles, was außerhalb dieses Bereiches liegt. In der Kunst gibt es keine Objektivität. Wenn man nach Objektivität streben würde, gäbe es keine Kunst mehr.


    :hello:
    M.

  • Servus Wulf,


    auch in meinem Kopf wird die Musik teilweise modifiziert bzw. die Interpretation "verbessert" und dann so abgespeichert; wenn man dann das Original hört, kann man schon mal verwundert oder enttäuscht sein - die Konstruktivsten hatten doch recht: Wir konstruieren uns sogar die musikalische Wahrheit im Kopf :beatnik:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Barezzi
    auch in meinem Kopf wird die Musik teilweise modifiziert bzw. die Interpretation "verbessert" und dann so abgespeichert; wenn man dann das Original hört, kann man schon mal verwundert oder enttäuscht sein.
    Stefan


    ist ja erstaunlich, genau das gleiche wollte ich auch gerade schreiben.
    bei mir besonders problematisch, wenn man eine andere interpretation kaufen möchte und denkt, ach, die ist ja nicht so gut wie meine zuhause...und dann stellt man fest, daß die zuhause noch schlechter als die zweite war. merkwürdig.... :wacky: ?( :(


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

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  • Hallo Jörg,


    auch schon alles erlebt... ?(


    :hello:
    Stefan


    PS: Zum Glück hat man manchmal noch gute Tage, an denen man auch nicht nur seine "Kopfinterpretationen" schätzt :pfeif:

    Viva la libertà!

  • tja, anscheinend wäre ich doch der beste dirigent aller zeiten gewesen. was ist der welt nur verloren gegangen :D :stumm::D


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von Mengelberg
    Ich riskiere mal einen etwas kühne These: Wenn Ihr Euch das Werk im Kopf besser vorstellen könnt, dann sind die Aufnahmen, die Ihr habt, wahrscheinlich ziemlich schlecht! Schade, daß Ihr keine Dirigenten seid! Darauf wäre ich gespannt! Denn genau das ist es ja, was eine neue, interessante Interpretation eines auch noch so "abgelutschten" Werkes hervorbringen könnte!


    :hello:
    M.


    Zitat

    Original von Barezzi


    Servus Wulf,


    auch in meinem Kopf wird die Musik teilweise modifiziert bzw. die Interpretation "verbessert" und dann so abgespeichert; wenn man dann das Original hört, kann man schon mal verwundert oder enttäuscht sein - die Konstruktivsten hatten doch recht: Wir konstruieren uns sogar die musikalische Wahrheit im Kopf :beatnik:


    Ich sag ja - eine Einspielung unter Kurt Masur. Würde zumindest Danieles (darf ich das so schreiben?) These untermauern :stumm::D


    Auch würde ich die Zerrbild-These von Alfred nicht ganz verneinen wollen. VIelleicht ist es von jedem etwas (oh gott, wie diplomatisch :wacky: )


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Wulf
    oh gott, wie diplomatisch :wacky:


    Entwickelst Du grad Deinen ausgleichenden Altersstil? :stumm: :D :angel: :untertauch:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

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