Die Bachkantate (090): BWV184: Erwünschtes Freudenlicht

  • BWV 184: Erwünschtes Freudenlicht
    Kantate zum Pfingstdienstag (Leipzig, 30. Mai 1724)




    Lesungen:
    Epistel: Apg. 8,14-17 (Ausbreitung des Heiligen Geistes in Samaria)
    Evangelium: Joh. 10,1-11 (Jesus als der rechte Hirte)



    Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 25 Minuten


    Textdichter: unbekannt
    Choral: Anarg von Wildenfels (1526)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor; Coro: SATB; Traversflöte I + II, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Recitativo Tenor, Traversflöte I + II, Continuo
    Erwünschtes Freudenlicht,
    Das mit dem neuen Bund anbricht
    Durch Jesum, unser’n Hirten!
    Wir, die wir sonst in Todes Tälern irrten,
    Empfinden reichlich nun,
    Wie Gott zu uns den längst erwünschten Hirten sendet,
    Der uns’re Seele speist
    Und unser’n Gang durch Wort und Geist
    Zum rechten Wege wendet.
    Wir, sein erwähltes Volk,
    Empfinden seine Kraft;
    In seiner Hand allein
    Ist, was uns Labsal schafft,
    Was unser Herze kräftig stärket.
    Er liebt uns, seine Herde,
    Die seinen Trost und Beistand merket.
    Er ziehet sie vom Eitlen, von der Erde,
    Auf ihn zu schauen
    Und jederzeit auf seine Huld zu trauen.
    O Hirte! so sich vor die Herde gibt,
    Der bis ans Grab und bis in Tod sie liebt.
    Sein Arm kann denen Feinden wehren,
    Sein Sorgen kann uns Schafe geistlich nähren,
    Ja! kömmt die Zeit, durch’s finst’re Tal zu gehen,
    So hilft und tröstet uns sein sanfter Stab.
    Drum folgen wir mit Freuden bis ins Grab.
    Auf! Eilt zu ihm, verklärt vor ihm zu stehen.


    2. Aria Sopran, Alt, Traversflöte I + II, Streicher, Continuo
    Gesegnete Christen, glückselige Herde,
    Kommt, stellt euch bei Jesu mit Dankbarkeit ein!
    Verachtet das Locken der schmeichelnden Erde,
    Dass euer Vergnügen vollkommen kann sein!


    3. Recitativo Tenor, Continuo
    So freuet euch, ihr auserwählten Seelen!
    Die Freude gründet sich in Jesu Herz.
    Dies Labsal kann kein Mensch erzählen.
    Die Freude steigt auch unterwärts
    Zu denen, die in Sündenbanden lagen,
    Die hat der Held aus Juda schon zuschlagen.
    Ein David steht uns bei.
    Ein Heldenarm macht uns von Feinden frei.
    Wenn Gott mit Kraft die Herde schützt,
    Wenn er im Zorn auf ihre Feinde blitzt,
    Wenn er den bitter’n Kreuzestod
    Vor sie nicht scheuet,
    So trifft sie ferner keine Not,
    So lebet sie in ihrem Gott
    Erfreuet.
    Hier schmecket sie die edle Weide
    Und hoffet dort vollkomm’ne Himmelsfreude.


    4. Aria Tenor, Solo-Violine, Continuo
    Glück und Segen sind bereit,
    Die geweihte Schar zu krönen.
    Jesus bringt die güld’ne Zeit,
    Welche sich zu ihm gewöhnen.


    5. Choral SATB, Traversflöte I + II, Streicher, Continuo
    Herr, ich hoff’ je, du werdest die
    In keiner Not verlassen,
    Die dein Wort recht als treue Knecht’
    Im Herz’n und Glauben fassen;
    Gibst ihn’ bereit die Seligkeit
    Und lässt sie nicht verderben.
    O Herr, durch dich bitt’ ich, lass mich
    Fröhlich und willig sterben.


    6. Chorus SATB, Traversflöte I + II, Streicher, Continuo
    Guter Hirte, Trost der Deinen,
    Lass uns nur dein heilig’ Wort!
    Lass dein gnädig’ Antlitz scheinen,
    Bleibe unser Gott und Hort,
    Der durch allmachtsvolle Hände
    Unser’n Gang zum Leben wende!





    Wie zu den anderen beiden großen Kirchenfesten Weihnachten und Ostern war zu Bachs Zeiten auch das Pfingstfest mit gleich drei Feiertagen versehen... daher gibt es von ihm natürlich auch Kantaten zum heute bei uns nicht mehr begangenen Pfingstdienstag.


    Wie schon die Kantate, die Bach zu Pfingsten 1724 einen Tag vor der hier besprochenen aufführte (BWV 173), ist auch BWV 184 offenbar unter Zeitnot (?) als Parodie einer weltlichen Glückwunschkantate (BWV 184 a) aus Bachs Köthener Zeit entstanden.
    Im Gegensatz zur Pfingstmontagskantate BWV 173, deren weltliches "Urbild" erhalten blieb, ist von BWV 184 a jedoch weder Text noch Partitur überliefert, so dass man leider nur auf Rückschlüsse und Vemutungen hinsichtlich ihrer ursprünglichen Gestalt angewiesen ist.


    Jedenfalls ist mit dieser Kantate für den Pfingstdienstag 1724 nun auch das dritte Werk für dieses hohe Kirchenfest (außer BWV 173 ist das noch die Pfingstsonntagskantate BWV 59) von Bach in jenem Jahr irgendwie etwas stiefmütterlich bedacht worden.
    Entweder litt er zu der Zeit tatsächlich unter großer Zeitnot und griff deshalb auf relativ einfach zu verfertigende Parodien älterer weltlicher Kantaten zurück, oder das Ganze war von ihm durchaus Teil eines geplanten "Wiederverwertungsprojektes" dieser älteren Musiken.
    Schließlich hat Bach immer wieder gezeigt, dass er auch Jahre später seine älteren Werke nach wie vor sehr geschätzt und immer wieder einmal aufgeführt hat.
    Gerade bei solchen typischen Gelegenheitswerken, wie es die erwähnten Glückwunschkantaten nun einmal waren, bot sich hier allerdings keine zweite Aufführung derselben in unveränderter Form, so dass er sicherlich nicht ungern auf das Parodieverfahren zurückgriff, um der Musik durch eine Versetzung in "geistlich-religiöse Gefilde" quasi eine überzeitliche Existenzberechtigung zu verschaffen.


    Und dabei fällt auf, dass er anscheinend gerade im Jahr 1724 gezielt auf seine Köthener Glückwunschkantaten zurückgegriffen hat - zu Ostern desselben Jahres hatte er unter anderem mit den Kantaten BWV 66 und BWV 134 dieselbe Praxis angewendet - und auch diese Kantaten entstanden anlässlich eines hohen Kirchenfestes!


    Was es also auch immer gewesen sein mag, das Bach 1724 zum verstärkten Parodieren veranlasste - die hier besprochene Kantate ist uns, wie ihr Pendant BWV 173 vom Vortag, erst in Gestalt ihrer Wiederaufführung zu Pfingsten 1731 überliefert.
    Daher lässt sich nicht feststellen, ob sie bereits 7 Jahre zuvor in der uns heute bekannten Gestalt aufgeführt wurde.
    Der im weltlichen Original sicher nicht enthaltene Choral (Nr. 5) könnte beispielsweise erst anlässlich der Wiederaufführung 1731 in die Kantate eingefügt worden sein - die Kantate BWV 173 hat interessanterweise keinen erhalten, obwohl das Verfertigen eines vierstimmigen Chorals sicherlich zu Bachs leichtesten Aufgaben gehört haben dürfte...


    Da es im Evangelium des heutigen Feiertags um das beliebte Thema des "guten Hirten" geht (dies war zuletzt vor einigen Wochen zum Sonntag Misericordias Domini der Fall gewesen), ist die geistliche Umdichtung der weltlichen Vorlage sicher nicht allzu schwer gewesen (vermutlich handelt es sich um denselben, leider nicht namentlich bekannten Dichter, der auch schon den Text zu BWV 173 geschickt umgearbeitet hatte):
    In den fürstlichen Glückwunschkantaten wird ja oft in schönster barocker Hirtenpoetik vom Landesherrn als "gutem Hirten" gesprochen und gesungen, worauf die Musik dann auch entsprechend Bezug nimmt.
    So gesehen passt zum Beispiel der neue Text von der "glückseligen Christenherde" im als Aria Nr. 2 bezeichneten Duett zwischen Sopran und Alt ideal zur beschaulich wiegenden Musik im pastoraltypischen 3/8tel-Takt. Man kann sich also ungefähr vorstellen, welchen Inhalts der Originaltext zu diesem Duett einst gewesen sein dürfte.


    Wie BWV 173 beginnt auch diese Kantate untypischerweise mit einem Rezitativ.
    Auch dieses (und das Rezitativ Nr. 3) wurde offenbar größtenteils unverändert (lediglich neu getextet) aus der weltlichen Kantate übernommen. Genau wie das zweite Rezitativ dieser Kantate ist es ziemlich textreich - ein Umstand, den Bach beispielsweise ein Jahr später seiner weitaus weniger weitschweifigen Textdichterin Mariane von Ziegler nicht durchgehen ließ. Hier jedoch hat es anscheinend keine Kürzungen gegeben... ;)


    Zur Hirtenthematik passend hat der unbekannte "Umdichter" in dieses erste Rezitativ Anklänge an den bekannten und beliebten "Der-Gute-Hirte"-Psalm 23 einfließen lassen, wo ja auch vom "finst'ren Tal" und von "Stecken und Stab" die Rede ist - ein sehr geschickter Verweis, den sich unser Poet da erlaubt hat :yes:


    Nach der Arie Nr. 4, die mit einer mit dem Tenor duettierenden Solo-Violine aufwartet, ist nun also ein Choral eingefügt worden, wo im Original der Glückwunschkantate wohl das nächste Rezitativ gestanden haben dürfte (und in BWV 173 ebenfalls noch an 5. Stelle steht).


    Der Schlusschor der Kantate scheint in der Urfassung ein Duett gewesen zu sein (einige Passagen daraus sind noch unverkennbar zu hören) - genau wie im Fall der Kantate BWV 173!
    Bach hat diesen heiter-tänzerischen Satz für die Leipziger Aufführung also noch vierstimmig ausgearbeitet.


    Mit dem Picander-Text "Lust der Völker, Lust der Deinen" versehen, hat Bach diesen Satz 1733 übrigens erneut wiederverwendet - und zwar als Schlusschor seiner Glückwunschkantate "Herkules auf dem Scheidewege" BWV 213.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von MarcCologne
    BWV 184: Erwünschtes Freudenlicht
    Kantate zum Pfingstdienstag (Leipzig, 30. Mai 1724)



    Mit dem Picander-Text "Lust der Völker, Lust der Deinen" versehen, hat Bach diesen Satz 1733 übrigens erneut wiederverwendet - und zwar als Schlusschor seiner Glückwunschkantate "Herkules auf dem Scheidewege" BWV 213.


    Ein seltenes Beispiel von der Parodierung von Teilen aus einer Kirchenkantate in eine weltliche Glückwnuschkantate (Geburtstagskantate) bei Bach :yes:


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Wie schon erwähnt, würde diese Kantate mit ihrer Hirtenthematik auch zu Misericordias Domini passen. Das Eingangsrezitativ und auch die Arie "Gesegnete Christen" sind bereits tolle Sätze, noch mehr gefällt mir aber das Ende der Kantate, bestehend aus dem Choral "Herr ich hoff je" und dem Schlusschor "Guter Hirte Trost der Deinen". Der Choral gehört zu denjenigen Choralsaätzen Bachs, die zwar einfach gebaut sind und auch kein eigenständiges Ritornell haben, denen aber dennoch ein Zauber innewohnt. Der begleitende Streicherklang und die schön gesetzte Choralmelodie lassen eine leicht entrückte und beseelte Stimmung entstehen.

    Dem entgegengesetzt folgt ein schneller Schlusschor. Der Text („Guter Hirte, Trost der Deinen, lass uns nur dein heilig Wort“ ) versteht den Heiligen Geist in Analogie zu Christus als Träger und Überbringer des Wortes. Die freudige Musik im Stile einer Gavotte besingt froh die Tröster (Guter Hirte und Heiliger Geist). Es ist letztlich kein Wunder, dass Bachs Pfingst- und Adventskantaten so gut zueinander zu passen scheinen. Verbinden sich doch hier die beiden Feste des Jahreskreises, an denen Gottes Erscheinen unter den Menschen gefeiert wird, als Sohn und als Geist. Trinitarisch verstanden gehören Pfingsten und Weihnachten zusammen, Bach hat diesen Zusammenhang auch musikalisch (siehe BWV 173) mehr als einmal überzeugend hergestellt.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Was soll ich sagen, fehlt mir auch noch, aber nicht mehr lange.......


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    ^^

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Läuft gerade, wunderbare Aufnahme - bisher finde ich an allen Solisten großen Gefallen. Auch Tempo ( eher moderat ) und Durchsichtigkeit sund sehr gut. Und BWV 173 ist ja auch noch dabei.


    Danke !