Ich ignoriere einmal diesen neuerlichen Versuch, Zwist zu säen, für den es keinen Grund gibt und versuche, eine vernünftige Diskussion in Gang zu bringen - wert ist es diese Sängerin ja auf jeden Fall.
Ich reduziere die Biographie auf ein paar Eckdaten: 1965 in Frankfurt Rödelheim als Tochter eines Fleischhauers (Metzgers) geboren; Schulzeit am Lyzeum der Ursulinen in Königstein im Taunus 1984 abgebrochen, das Interesse für zeitgenössische Opern war so groß, daß Christine Schäfer als deren Interpretin auf der Bühne stehen will; studiert in Berlin bei Ingrid Figur und Arleen Augér; besucht Liedklassen von Aribert Reimann und Dietrich Fischer-Dieskau.
Durchbruch 1988 - mit einem Liederabend, in dessen Verlauf sie einen Liederzyklus von Reimann singt.
Wesentliche Förderer ihrer Karriere: Reimann, Harnoncourt, Boulez, Abbado.
Das Repertoire der Schäfer umfaßt Alte Musik ebenso wie zeitgenössische.
Christine Schäfer und Pierre Boulez
Was ist nun das Besondere an Christine Schäfer? - Rein klanglich ist ihre Stimme nichts gar so Besonderes: Silbrig, etwas fahl, nicht sehr sinnlich. Was die Schäfer aber daraus macht, ist in meinen Augen ziemlich einzigartig.
Sie besitzt vier Gaben, deren Kombination sie über das Gros der Sänger weit hinaushebt: Sie ist intelligent, sie verfügt über eine makellose Intonation, eine beispiellose rhythmische Sicherheit und über große Wortdeutlichkeit in Sprachen, die ihr liegen (französisch dürfte eher dazugehören als englisch).
Durch diese Tugenden ist sie nicht nur als Interpretin Alter Musik gefragt, sondern vor allem auch als Interpretin Neuer Musik. Es war kein Zufall, daß sie ihren Durchbruch als Opernsängerin als Alban Bergs Lulu hatte. Wer will, kann es dank der DVD mit der Partitur überprüfen: Sie intoniert die aberwitzigsten Kantilenen völlig sicher - und läßt sie obendrein natürlich klingen.
Eine ähnliche Meisterleistung ist die Interpretation des Sopranparts von "Pli selon Pli" von Pierre Boulez: Selbst die vierteltönigen Intervalle sind sogar dann makellos intoniert, wenn es extrem kleine Notenwerte sind. Und die Tondauern sind minutiös beachtet.
Ebenfalls unter Boulez hat die Schäfer Schönbergs "Pierrot lunaire" aufgenommen: Als einer der ganz wenigen Interpretinnen gelingt ihr eine sichere Balance zwischen Sprechen und Singen, die Tonhöhen werden präzise angesprochen, aber eben nicht angesungen. Die eigentümliche surreale Atmosphäre des Werks wird dadurch ideal wiedergegeben.
Diese brillant intelligente, vielleicht aber auch etwas kühle Präzision macht sie offenbar für intellektuelle Musiker (und Zuhörer) zu einer extrem interessanten Sängerin: Daß Boulez sie für seine Einspielung der Zweiten Symphonie Mahlers als Sopransolo besetzte, ist sicherlich kein Zufall, bei beiden Künstlern ist der Interpretationsansatz primär von einem intellektuellen Zugriff auf die Partitur bestimmt und weniger von einem gefühligen Schwelgen in Tönen.