Im Schatten von Callas und Tebaldi - Italinische Primadonnen der 50er Jahre

  • Ich erlaube mir mal hier im Netrebko-, ähh Sängerforum einen neuen Thread zu eröffnen, der aller Voraussicht nach nicht ganz so viel Zuspruch erfahren wird wie der nimmermüde Netrebko-Dauerbrenner. Allerdings soll es auch hier um Starkult und seine Opfer gehen.


    Starkult um Opernsänger ist natürlich keineswegs ein Phänomen, das wir Anna Netrebko zu verdanken haben. Schon in den sonst ziemlich spröden 50er-Jahren wurde Maria Callas zur „Primadonna assoluta“ aufgebaut. Sie wurde dabei von der EMI für Gesamtaufnahmen sogar in solchen Partien eingesetzt, die sie nie oder nur sehr selten auf der Bühne gesungen hat, zum Beispiel als Santuzza, Nedda, Mimi, Butterfly oder Leonora (Forza del Destino). Aus der heutigen Perspektive wird als Alternative zur Callas im dramatischen Sopranfach wohl fast nur noch Renata Tebaldi wahrgenommen, die mindestens ebenso viele Aufnahmen wie die Callas machen durfte, allerdings für die Decca. Dass Callas und Tebaldi aber damals nicht überall sein konnten, liegt auf der Hand.


    In diesem Thread soll es daher um italienische dramatische Sopranistinnen gehen, die ihr Leben lang im Schatten von Callas und Tebaldi standen und deswegen, obwohl in der damaligen Zeit durchaus erfolgreich, heute praktisch vergessen sind. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit denke dabei an die folgenden Damen:


    - Anita Cerquetti
    - Maria Curtis Verna
    - Gigliola Frazzoni
    - Carla Gavazzi
    - Adriana Guerrini
    - Caterina Mancini
    - Clara Petrella
    - Marcella Pobbe
    - Antonietta Stella


    Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere zu einer oder mehreren der oben Genannten etwas beitragen könnte. Von allen Sängerinnen kenne ich nur einige wenige Aufnahmen italienischer Opern, meistens Rundfunkproduktionen oder Livemitschnitte, die beredtes Zeugnis über die lebendige Opernkultur der damaligen Zeit ablegen. Mir geht es dabei darum, einerseits Biographisches über diese fast vergessenen Sängerinnen zu erfahren, andererseits aber vor allem auch Anregungen über interessante Gesamtaufnahmen zu erhalten. Wer mag, kann die obige Liste auch ergänzen.


    Ich mache den Anfang mit:


    ANITA CERQUETTI



    Anita Cerquetti wurde am 13.04.1931 im italienischen Macerata geboren und verbrachte ihre Jugend in Florenz. Die Qualität ihrer Stimme wurde früh erkannt. Ihr erstes öffentliches Konzert gab sie als 17-Jährige im Jahr 1949. Ihr Bühnendebüt folgte 1951 als Aida. In den 50er-Jahren sang sie auf vielen großen italienischen Bühnen, für eine Saison auch an der Oper von Chicago. Am 29.11.1955 trat sie dort an der Seite von Jussi Björling und Tito Gobbi in einer Vorstellung von Verdis Maskenball auf, von der ich (und da bin ich sicher nicht der einzige) gerne einen Mitschnitt hätte. Decca produzierte eine Gesamtaufnahme von Bellinis Norma mit ihr, die aber, soweit ich weiß, nicht veröffentlicht wurde. Es existiert noch eine Gesamtaufnahme von La Gioconda mit Simionato und del Monaco aus dem Jahr 1957, die ich allerdings auch nicht kenne. Ihre Bühnenkarriere beendete Anita Cerquetti schon 1960, also vor ihrem 30. Geburtstag. Die Gründe ihres frühen Abschieds von der Bühne konnten nie völlig geklärt werden. Man vermutet gesundheitliche Probleme. Sie lebt derzeit in Italien.


    Ich halte sie für einen sehr vielseitigen Sopran, der sowohl lyrische als auch dramatische Qualitäten hatte. Ihre Stimme war schöner als die von Maria Callas und dramatischer als die von Renata Tebaldi. Die von ihr existierenden Live-Mitschnitte zeigen eine außerordentlich kraftvolle Stimme, ein lebhaftes Temperament, eine präzise Intonation. Außerdem beeindruckt die Breite ihres Repertoires, das von den großen Verdi-Rollen über die Norma bis zur Rezia aus Webers Oberon reichte. Allein ihr früher Bühnenabschied verhinderte wohl eine Weltkarriere.


    Viele spannende Aufnahmen erscheinen jetzt nach dem Auslaufen der Rechte zu günstigen Preisen. Da wären zum Beispiel:



    - Don Carlo unter Votto mit Lo Forese, Siepi, Bastianini, Barbieri, 1956.


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    - La Gioconda unter Tieri mit Poggi, Bastianini, Stignani, 1956.



    - Un Ballo in Maschera unter Tieri mit Poggi, Bastianini, 1957.
    Cerquetti ist fantastisch. Ich habe selten ein Publikum so ausrasten gehört.



    - Ernani unter Mitropoulos mit del Monaco, Bastianini, Christoff, 1957.
    Für mich die beste Aufnahme dieser Oper.



    - Oberon unter Rossi mit Picchi, Pirazzini, 1957.
    Mit einem etwas sonderbaren Erzähler, in italienischer Sprache.

  • Hallo Liebestraum,


    du hast natürlich Recht. Genau genommen, wurde sie sogar in New York geboren. Trotzdem ist Zentrum ihres künstlerischen Schaffens immer Italien gewesen, also eigentlich eine echte Weltbürgerin.

  • Hallo Zauberton,


    Ich lese Cerquetti, und da beginnt eine Saite zu klingen. Als ich noch in der Schule war (fünfziger Jahre) war die Name bei uns einen Begriff. Warum... das weiß ich wirklich nicht mehr.
    Etwas später übrigens überschattet von Tebaldi und Callas, denn fast nur noch die hörte man bei uns im Radio.


    LG, Paul

  • Maria Curtis Verna war eine großartige Tosca in einem Mitschnitt mit Jussi Björling und Cornell McNeill aus dem Jahre 1959 aus New York. Außerdem gibt es mit ihr einen Don Giovanni (in welchem Carla Gavazzi die Elvira ist), der zwar etwas unsauber gesungen ist, aber dafür mit viel stimmlichem Einsatz. Eine Aida (Venedig 1953) mit Curtis Verna kann ich nicht empfehlen. Interessant ist dabei aber der Amonasro von Ettore Bastianini.


    Carla Gavazzi habe ich als phantastische Minnie in einer Gesamtaufnahme von der Fanciulla del West in Erinnerung, ebenso als Nedda in einer Aufnahme von Pagliacci (mit Carlo Bergonzi, der 1951 - als die Aufnahme gemacht wurde - gerade frisch ins Tenorfach gewechselt hatte). Ich erinnere mich auch an eine eindrucksvolle Aufnahme von Il Tabarro mit Carla Gavazzi, die allerdings durch den Tenor (ein Komprimario als Luigi!) für mich etwas an Attraktivität eingebüßt hat.
    Sie hat soweit ich weiß durch Krankheit ihre Karriere sehr früh aufgeben müssen.


    Clara Petrella - eine Sängerin, die in vielen Besetzungen der beginnenden 1950er Jahre dabei war. U.a. in dem eindrucksvollen Otello mit Del Monaco und Taddei. Sie war eine tolle Manon Lescaut (an der Seite von Vasco Campagnano als Des Grieux. oder in einer anderen Aufnahme mit del Monaco, der aber nur brüllt) und eine gute Iris (mit Di Stefano).


    Gigliola Frazzoni ist mir hauptsächlich als Minnie aus La Fanciulla del West in Erinnerung. Da gibt es eine gute Aufnahme mit Franco Corelli und Tito Gobbi (Scala 1956), aber auch ein Video mit ihr als Minie an der Seite von Kenneth Neate als Johnson.


    Antonietta Stella hat unzählige Aufnahmen vorzuweisen. Viele davon allerdings live in nicht immer in bester Qualität. Ich habe mehrere Aidas (die beste ist von 1956 aus der Scala - es gibt allerdings eine aus demselben Jahr aus Tokyo in Stereo!), Il Trovatore (mit einem tollen Mario Filippeschi) und Madama Butterfly mit Flaviano Labò.


    Mit Marcella Pobbe konnte ich bis jetzt noch nicht warm werden. Habe mit ihr einige obskure Mascagni-Aufnahmen (Isabeau u.a.) und einen Otello (mit Di Stefano, der sich quält, es aber besser kann als Pavarotti). Eine Tosca (mit Gianni Raimondi) hat mich wenig begeistern können.


    Zu den anderen fällt mir jetzt spontan nichts ein. Außer, daß ich der Liste Luisa Malagrida hinzufügen würde, die ein heute fast vergessener und dennoch ausgezeichneter Sopran war.

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  • Vielleicht doch etwas aus Italien zur Oper und den italienischen Diven. Wer nicht in Italien zumindest einmal in einer Oper war, kann sich den Kult der Oper dort vielleicht gar nicht vorstellen: da symphonische und Kammermusik dort aus politisch/historischen Gründen nie wirklich zustande kam, zumindest von der Komposition her, und das Land ja als Ursprungsland der Oper gilt, hat Oper dort heute noch eine immense Bedeutung.
    Zur Callas und Italien: ich lese nicht nur, dass sie durch Heirat die italienische Staatsbürgerschaft erhielt, sondern auch die Gesangstechnik erheblich verbessert habe und mit diesem Land ja eng verbunden war, obwohl sie ja nicht von dort herstammt. Ferner sagte heute der deutsche Bariton Wolfgang Brendel in einem Interview im Fernsehen, dass es natürlich leichter sei, in seiner Muttersprache zu singen, und er zwar viele italienische Opern gesungen habe, und diese Sprache auch beherrsche, man aber dennoch immer heraushören könne, dass es nicht seine Muttersprache sei. Hier noch ein Link, in dem Antonietta Stella frei zu hören ist, bei mir ging es mit Quick Time.


    http://www.marjaleenapelho.com/site/mp3.html
    LG Micha:hello:

  • Ich möchte zur Callas, wenn man sie als Italienerin einstufen will, und wie auch immer man sie beurteilen mag hinzufügen, man sie laut einem Link, gemessen am Verkauf ihrer Einspielungen, als meistbekannte und meistgeliebte Opernsängerinnen aller Zeiten betrachten müsse. Dass sie eine Perfektionistin war, steht wohl außer Zweifel. Ihre Interviews in italienische Sprache sind auch schlicht perfekt ausgesprochen.
    Meines Wissens wurde ihre gutturale Singart oft kritisiert. Dazu ist vielleicht zu sagen, dass es Einspielungen von ihr gibt, wo sie mit einer Resonanz strahlt, die ihresgleichen sucht. Na ja sie gehörte wohl einer völlig anderen Generation von Sängerinnen an, würde ich mal meinen, die es so heute nicht mehr gibt. Wer singt heute auch noch so gut wie die Schwarzkopf?


    LG Micha:hello:

  • Eines liegt mir noch am Herzen, wofür ich um Nachsicht bitte: die angebliche Arroganz der Maria Callas ist schlicht nicht haltbar: sie hat in Wien sogar an der Volksoper gesungen, was so gesehen ein Haus weit unter ihrem Niveau gewesen wäre.
    LG Micha:hello:

  • Zu dieser Gruppe von Sängerinnen, die im "Callasschatten" standen


    kann man auch noch Leyla Gencer, Virginia Zeani und vor allem


    Magda Olivero zählen, der ich einen Thread widmete:


    "Die berühmte Stimme".er fand aber kein Echo.


    Magda Olivero,Königin des Verismo



    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Antonietta Stella ist vermutlich nicht so sehr vergessen, aber eben unterschiedlich dokumentiert. Als Partnerin von Bergonzi gefällt sie mir schon, aber ich kenne eher wenig.


    Leyla Gencer wurde schon von Herbert "nach"genannt; ich möchte noch Rosanna CARTERI (geb. 1930) anfügen, die 1948 den RAI-Wettbewerb gewann und eine Zeitlang sehr beliebt war. Die Karriere war m.W. nicht sehr lang, 1984 hat Carteri aber noch den Puccini-Preis erhalten. Ich habe sie auf der Platte als Adina. Die Partie geht sie fast ein bißchen Elsa-mäßig an (und sie hat 1949 auch in "Lohengrin" reüssiert), findet aber dann auch zu sehr berührenden Tönen, wenngleich ab und zu das Dramatische sehr mitschwingt. Insgesamt eine durchaus interessante Leistung (die Aufnahme stammt übrigens von 1958 und ist hochkarätig besetzt; Tullio Serafin ist einfach Klasse, Panerai als Belcore und Taddei als Dulcamara sind superb, Alva als Nemorino etwas ungleichmäßig) und eine bemerkenswerte Stimme, über die ich kein endgültiges Urteil habe. Unverdient scheint der Ruhm aber nicht gewesen zu sein.


    LG


    Waldi

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  • Hallo Freunde historischer Sopranstimmen,


    @ Waldi
    Rosanna Carteri höre ich auch sehr gerne und habe sie auch beim Voting als eine meiner Lieblingssängerinnen benannt. Ich habe sie hier nur nicht gelistet, weil sie ein wohl doch eher lyrischer Sopran war und ein anderes Repertoire abdeckte als Callas und Tebaldi. Nichtsdestotrotz kann hier natürlich auch über sie gesprochen werden. Für diejenigen, die La Boheme auf die sentimentale Art mögen, weise ich noch mal auf eine Gesamtaufnahme von 1952 unter Gabriele Santini hin, in der Carteri mit erst 21 Jahren eine mädchenhaft-unschuldige Mimi singt. Tagliavini als Rodolfo drückt auf die Tränendrüse, Taddei und Siepi als Marcello und Colline finde ich ausgezeichnet. Allein die piepsig-schrille Musetta dieser Aufnahme stört ein wenig.


    @ Herbert
    Olivero und Gencer waren ja beide noch bis weit in die 70er Jahre aktiv. Dass sie trotz der relativ langen Bühnenkarriere so wenige Aufnahmen machen durften, ist mir auch nicht einsichtig. Von Virginia Zeani kenne ich allerdings keine Aufnahmen. Welche empfiehlst du?


    @ Mengelberg
    Von den genannten Aufnahmen kenne ich einige, aber längst nicht alle.
    Du hast so viele genannt – ich will nur kurz auf die von Clara Petrella eingehen: Der Livemitschnitt der Iris gefällt mir ausgezeichnet, was aber nicht nur an Petrella, sondern auch an Giuseppe di Stefano liegt, der sich zwar die gesamte Partie vom Souffleur vorsagen lässt, aber was Stimmklang und Emphase angeht, wohl nur schwer übertroffen werden kann. Auch die Manon Lescaut mit Campagnano habe ich in bester Erinnerung. Etwas misslungen erscheint mir nur Petrellas Aufnahme der Butterfly von 1954 unter Angelo Questa mit Tagliavini und Taddei.


    Den Namen Luisa Malagrida habe ich allerdings noch nie gehört. Vielleicht kannst du (oder jemand anders) ja hier mal etwas über sie schreiben.

  • Hallo Zauberton,
    Virginia Zeani ist 1925, oder 1928 in Rumänien geboren.
    Ihr Repertoire war sehr vielfältig.(Lucia, Anina, Gilda,Violetta,
    Manon Lescaut, Tosca, Aida, bis in die Moderne)
    Ihre Glanzrolle aber war die Violetta in "La Traviata".
    Ich habe nur eine Ges.Aufn.von Traviata und eine vonTosca
    mit ihr.Beide Aufnahmen sind aus Bukarest.In beiden
    wirkt auch der großartige Bariton Nicolai Herlea mit.


    (Einiges steht auch bei Wikipedia,italienisch,mit Bild.)


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Zauberton,
    mit VIRGINIA ZEANI kann ich Dir Verdis "Alzira" empfehlen.
    Cornell Mc Neill, Carlo Cava und Gianfranco Cecchele sind mit von der Partie, Franco Capuana dirigiert (Rom 1967).


    :hello:Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB