André Caplet: Le miroir de Jésus

  • Zu einen der wichtigen und leider um so mehr vergessenen Vokalwerke des 20. Jahrhunderts gehört "Le Miroir der de Jésus".
    Vielen gilt es als das bedeutendste Werk des in unmittelbarer Debussy-Nachfolge stehenden Caplet (1878-1925).


    Die anfänglich starke Beeinflussung des großen Meisters zu Beginn der Laufbahn sorgte für Unbehagen und Mißmut unter Kritikern.
    Im Laufe der Zeit fand Caplet zu einem ganz eigenen Stil, der Debussy zwar nie leugnet, jedoch aus einer ganz anderen Wurzel entspringt als die des großen Vorbilds: einer religiösen. Caplet war zutiefst gläubiger Katholik und auch in seinen weltlichen Werken weht ein Hauch von Spiritualität. Das halb-geistliches Cellokonzert Epiphanie, fresque musicale d'après une légende éthiopienne (1924) legt davon ebenso Zeugnios ab wie die
    Soante pour voix, violoncelle et piano.
    Der tiefe Glaube mag eine Ursache dafür sein, daß Caplets Werk meist jegliche Ironie fehlt, die Debussys auszeichnet.


    Der Musiker und Schriftsteller F. Goldbeck bemerkt, daß die meisten Kritiker übersehen haben, daß Caplet v.a. in seinen Reifewerken nicht etwa an den Debussy eines "Claire de lune" sondern an den Debussy des "Le Matyre de Saint Sébastien" anknüpft: kein Wunder, wenn man bedenkt, daß Debussy Caplet mit der Vollendung seines Fragment gebliebenen Werkes beauftragt hat!


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    zum Werk:


    Das Oratorium nach den (schlichten) Gedichten des Freundes
    Henri Ghéon kommt mit knapper Instrumentierung daher: Mezzo-Sopran, Frauenchor, Streichquartett/Streichorchester und Harfe. Es entstand im Sommer 1923 binen drei Wochen und wurde am 1. Mai 1924 unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt.
    Der genaue Titel des Werkes lautet: Le miroir de Jésus - Mystères du Rosarie Quinze petits poèms sur les saints mystères du rosarie qu'Henri Ghéon composa et qu'Andre Caplet de musique illustra.
    (15 kleine Gedichte auf die heiligen Mysterien des Rosenkranzes, die Henri Ghéon komponiert und André Caplet mit Musik illustriert hat)


    Den mittelalterlichen Mysterienspielen gleich erzählen die 15 Sonette von Ghéon die wichtigsten Stationen im Leben Jesu aus der Perspektive der heiligen Jungfrau Maria. Die Dichtung weist eine dreiteilige Anlage auf, die dem Rosenkranz nachgebildet ist:
    I. Miroir de joie
    II. Miroir de peine
    III. Miroir de gloire.


    Diese drei Teile handeln von der freudenreichen Berufung Mariä drch den Engel des Herrn (I), den Gedanken an das Leiden Christi und den Kreuzestod auf Golgotha (II) und schießlich von Auferstehungsjubel und Lobpreisung der im Himmel gekrönten Jungfrau.


    Caplets Vertonung greift mittels impressionistischer Techniken auf das Mittelater, auf die Sprache der "Ars antiqua" und der ersten "Organa" zurück.
    Sie besteht aus einer Reihe unabhängiger, kurzer Stücke, die gleichsam den Seiten eines einzelnen Buches eine Einheit bilden.
    Jeder Instrumentengruppe wird eine Funktion zugedacht: der Mezzosopran singt die Sonette, die drei Solisten des Chores stellen jedem Sonett eine Überschrift voran und der Chor schließt Teil I und III mit einer lateinischen Sentenz ab während die Streicher jeden der drei Teile mit einem Präludium einleiten und die Vokalszene begleiten.
    Die Instrumentierung gehorcht dem Ziele nach höchst möglichem Ausdruck keiner vorgegebenen Form, jedes der einzelnen Sonette bildet eine Welt für sich.
    Caplet erreicht dies durch bahnbrechende Techniken der Singstimme (Singen, Sprechgesang und rhythmische Deklamation) als auch der Harfe - wie in einigen früheren Werken Caplets (Le Conte fantastique z.B.) und der Streicher.


    Zusammenfassend lässt sich sagen, daß Caplet eine bemerkenswerte Synthese alter und moderne Techniken gefunden hat, die in der Solesmesschen Tradition der Erneuerung der geistlichen Musik stehen.


    "...eine Komposition von funkelnder Härte und seltener Vollkommenheit" charakterisiert Goldbeck das Werk.


    Schließen möchte ich jedoch mit den Worten Peter Noelkes, der den deutschen Text für das Booklet der unten abgebildeten Einspielung verfasst hat: "Vollkommene Akkorde, modale Melismen und tonale Harmonien stehen in perfekter Harmonie nebeneinander und erreichen eine ungewöhnliche Expressivität, in der der christliche Glaube in seiner ganzen Ernsthaftigkeit zum Ausdruck kommt."



    :hello:
    Wulf

  • Hallo Wulf,


    ganz wunderbar informativ und ausführlich, Deine Werkvorstellung von Caplets 'Le Miroir de Jésus'! :jubel: Vielen Dank dafür!
    Ein Beitrag, den ich nun endlich zum Anlaß nehme, mir etwas von Caplet zuzulegen. Das 'Conte Fantastique' hattest Du mir ja auch schon sehr ans Herz gelegt. :]
    Die beiden CDs stehen hiermit an vorderster Stelle meiner Bestellliste. :yes:


    LG
    Johannes

  • Hallo Johannes,


    freut mich sehr, daß meine Vorstellung des Werkes ein Anstoß für Dich ist. :]
    Ich hoffe, daß es Dir genau so gefällt wie mir.

    :hello:
    Wulf.