Künstlerimage - Vorurteile gegenüber Interpreten

  • Liebe Forianer,


    Inspiriert zu diesem Thread wurde ich durch einen Beitrag Sagiits in einem anderen Thread, den ich hier ungekürzt übernehme




    Zunächst zu den Vorurteilen:


    Die Charaktereigenschaften Böhms und Karajans waren Insidern von jeher bekannt, wurden aber zu jeder Zeit anders beleuchtet, je nachdem ob sie in Mode waren oder nicht.


    Böhm, der eigentlich Grazer war, avancierte schnell zum "typischen Wiener", ein wenig grantelnd, aber mit weichem Kern. Viele kennen sein Bild nur als 80Jähriger und darüber. Tatsache ist, daß Böhm ein kühler, klug disponierender Analytiker war, der genau jenen Klang zustandebrachte, den "sein" Publikum wünschte, trotzdem nahe an den Intentionen des Komponisten. Man kann sein "Charisma" und seinen eisernen Willen heutigen Generationen am besten dadurch nahebringen, indem man ihnen Böhms Mozart- und Schubert- Interpretationen, die er mit den Berliner Philharmonikern gemacht hat: Sie klingen wie die Wiener Philharmoniker. Böhm hat hier, ähnlich wie Karajan, (und heute Norrington ) einen Orchesterklang ganz auf sein Interpretationsideal hingetrimmt, vom "Kapellmeister" ist da keine Spur.


    Dieses Cliché prägten seine Feinde posthum, weil sie ihm zu Lebzeiten nicht ans Leder konnten: Zu einflußreich waren seine Freunde.


    Ähnlich verhält es sich mit Karajans "Arroganz", die in Wirklichkeit ein Kunstprodukt war. Karajan war im tiefstenm seines Herzens eher introvertiert. Anfangs verbot er sogar Fernsehaufnahmen, "weil sie die Konzentration störten" Er war zwar auf allen Partys anwesend, allerdings nie lang. Innerlich waren sie ihm ein Greuel. Er hatte ein Interpretationsideal und er fand schließlich "sein" Publikum um das durchzusetzen. Und dabei war er nicht zimperlich.


    Aber natürlich haben wir alle Vorurteile, oft auch durchaus positive.
    Die Resultieren oft aus Erfahrungen die man in frühester Jugend gemacht hat. Menschen die mit Orangenjuice aus der Pappbox großgeworden sind, empfinden frisch gepressten Orangensaft oft als "zu sauer" oder "eigenartig" ,-)


    Dennoch sollte man "Vorurteile " nicht verteufeln, lediglich sehr sorfältig und sparsam mit ihnen umgehen:
    Ein Vorurteil (das ist meine Auslegung) ist lediglich eine grobe Orientierungshilfe, um eine erste Einschätzung (die jedoch nicht stimmen muß) vorzunehmen .


    Wenn man mich vor die Wahl stellt, ein Konzert unter Rattle und den Berliner Philharmonikern oder das gleiche Programm mit der Abschlußklasse einer Musikhochschule unter einem völlig unbekannten Dirigenten zu besuchen, dann habe ich schon gewählt, auch wenn ich das Schülerorchester vorher noch nie gehört habe. Daß meine Entscheidung natürlich auch trotzdem ein Fehlgriff sein könnte sei unbestritten....


    Sehr interessante Bemerkungen zu diesem Thema macht auch Joachim Kaiser in den insgesamt 3 Vorworten (jeweils zu den verschiedenen Auflagen seines Buches)
    Und hier sind wir schon beim Thema im Thema:
    Wenn ich hier (und anderswo) mit Kaiser konfrontiert werde, so gewinne ich bei oberflächlicher Betrachtung den einDruck eines (angeblich!!!) dogmatischen Kritikers, befallen von Altersstarrsinn, im gestern verharrend - Lese ich jedoch die Vorwörter seiner "Pianistenbibel", dann ist mein Eindruck ein völlig anderer: Ein sehr menschlicher, hochgebildeter und sprachgewandter Kritiker, bar jeder persönlichen Eitelkeit, der ganau die Grenzen jeder Kritik kennt, und sie schon im Vorwort beim Namen nennt, die Profilierungssüchte, junger "Kritikerlehrlinge", die kleinen Feindseligkeiten zwischen Interpreten und Kritikern, die Eitelkeiten der "alten Garde", die Inponderabilitäten der Tagesverfassung von Pianisten (und auch Kritikern) Als das bringt er, wenn auch manchmal nur angedeutet, aus Tapet.
    Dazu (schon 1996) die Erkenntnis, die neueste Pianistengeneration nicht mehr so sehen zu können, wie es (wahrscheinlich) der Zeit entspricht. Noch dazu die Relativierung jeder Kritik, bezogen auf die Zeit in der sie gemacht wurde. Kaiser weiß, daß vor 30 Jahren gemachte Aussagen, die damals vielleicht zwar richtig waren, heutigen geschmacklichen Maßstäben (und um nichts anderes handelt es sich -Geschmack !!) eventuell nicht mehr standhalten mögen


    Da bleibt nicht mehr viel übrig, von jenem Bild, das das (kollektive) Vorurteil von ihm zeichnet.


    So sehe ich auch als eine der Aufgaben dieses Forums darin, vieles althergebrachte andauernd zu hinterfragen, und das Neue, so wertvoll ,u fördern.


    Auch ich bin mir bewusst, daß ich in manchen Fällen nicht in der Lage bin gerecht zu urteilen (so ist meine Abneigung gegen "Shooting Stars"- von PR gepusht, derartig ausgeprägt - daß ich wahrscheinlich übersähe, wenn sich wirklich mal (selten genug) ein Ausnahmekünstler darunter befände)
    Und genau da - sind die anderen gefragt...



    Ein Mammutbeitrag -Hoffentlich wird ein Mammutthread draus. :D



    Beste GRüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein Mammutthread ist es ja noch nicht geworden!
    Dem werde ich ein wenig nachhelfen ;)


    Ich sehe das mit den Vorurteilen so ähnlich wie du, Alfred.
    Es handelt sich um eine erste Einschätzung,welche nicht zwangsläufig stimmen
    muß. Aber viele Vorurteile basieren auch auf Erfahrungen dritter (sofern man nicht selbst vorurteilt).
    Deshalb kommen sie nicht von ungefähr.
    Natürlich ist es dann widerum eine subjektive Sicht; deshalb muß man ja nicht direkt gleicher Meinung sein.
    Aber durch die (schlechteren,kritischeren) Vorurteile sehe ich eine Gefahr darin, daß sich der "- Ich möchte den mal hören -" Mensch sich von dem Interpreten distanziert.
    Vielleicht sagt er sich dann auch noch "der war mir schon am Anfang unsympathisch" und hört ihn dann nicht.
    Er verpasst vielleicht was. Er wird es bereuen. Aber vielleicht kann er nicht alles hören und MUß verzichten?!


    Wie auch immer. Ich persönlich lasse mich nicht zu den Vorurteilen hinreißen.
    Charaktereigenschaften von Karajan und Co.
    Mag sein, daß er ein arroganter Schnösel war.
    Mag sein, daß er supergeizig und ein schwieriger Mensch war.


    Aber mich interessiert seine Interpretation,seine Musik mehr als sein Charakter (Ausnahme: es sei denn,er hat was schlimmes getan).

  • Vorurteile? Jede Menge!
    Um z.B. bei Karl Böhm zu bleiben: Die Tatsache, dass er in der Nazizeit zum Anfang eines Konzertes gelegentlich ohne äußeren Druck den Hitlergruß entbot, stört mich einfach, so dass ich seine Interpretationen innerlich ablehne, wenn ich weiss, dass er dirigiert. Weiss ich' s nicht, finde ich seine Interpretationen einfach großartig!
    Um noch ein aktuelleres Thema, das in anderen threads bereits ausgiebig behandelt wurde und wird, als Hinweis auf jede Menge Vorurteile anzuführen, sei nur das Stichwort genannt: Anna Netrebko
    Gruß
    lohengrin

  • Ja - auch ich stecke voller Vorurteile.
    Bezüglich Böhm und Karajan sind da noch Reste von negativen vorhanden (Gründe wie bereits genannt), wobei ich früher sogar mal eher Karajan-Fan war, als ich noch dachte, es gibt nur zwei Dirigenten auf der Welt, die es drauf haben: Bernstein und Karajan :rolleyes:
    Danach befasste ich mich intensiver mit klassischer Musik und Karajans Aufnahmen enttäuschten mich so oft (ich erwartete jeweils Referenzaufnahmen und bekam stattdessen nichts Besonderes), dass es ins Gegenteil umschlug...
    Gegenüber vielen modernen Komponisten hegte ich auch viele Vorurteile, die teilweise ad acta gelegt wurden (Extrembeispiel: Schostakowitsch, der von ":kotz:" nach ":jubel:" wanderte...)
    Die Antisemiten Chopin und Wagner sind mir immer noch teilweise suspekt.
    Andererseits gibt es natürlich auch mangelnde Subjektivität in die andere Richtung: Erst in letzter Zeit wurden einige vergötterte Komponisten, Interpreten, Werke oder Aufnahmen etwas relativiert - nachdem man mehr Einblick und Vergleichsmöglichkeiten hatte...


    Meine "Vorliebe" für gehypte Stars ist ja auch mittlerweile forenbekannt :D - ein bissiges Wort A.N., Kurz Kurz etc. betreffend kann man sich des öfteren halt nicht verkneifen :pfeif:


    Der Mensch benötigt scheinbar Vorurteile, da ihm eine Komplexitätsreduktion und Systematisierung der Welt evolutorisch gesehen Vorteile verschafft hat...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Sagitt meint:


    Es ist sicher richtig, dass Vorurteile Orientierungshilfen sind und dadurch zu schnelleren Entscheidungen oder Urteilen führen. Hätten wir nicht Prägungen, wäre das Leben sicher unendlich mühsam. Das ist die " Sonnen"seite, die Schattenseite ist, dass die Wahrnehmung dadurch kanalisiert wird, man nicht mehr offen ist, eine Erfahrung zu machen , eine unbefangene Bewertung zu finden.Wenn man einen Künstler für verlogen hält, wird man ihm keine wahrhaftige Interpretation zutrauen. Man lehnt den Menschen ab und kann sich nicht mehr seiner Kunst widmen. Dabei ist Kunst auch die Kunst des Als-ob. Die Bedeutung eines Künstlers ist geradezu daran zu messen, wie sehr es ihm/ihr gelingt,etwas zu erzeugen, dass von uns als " wahr" empfunden wird. Callas " ist" eine Medea,Fischer-Dieskau erzeugt religiöse Empfindungen, wenn er Matthäus-Passion singt usw.
    Auch wenn man also die Unausweichlichkeit von Vorurteilen anerkennt, ist damit nicht gesagt, dass diese deswegen beachtet werden müssten. Man könnte sich selbst überlisten,indem man " blind" hört. Alles auf eine Festplatte, dann abrufen, sich überraschen lassen und erst später schauen, wer was das denn. Das würde ein Urteil zu Musik sicher in einen neuen Kontext stellen.

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  • Aktuell sind zwei Threads aktiv, die recht viel Gemeinsamkeiten haben: Hörpsychologie und Künstlerimage.


    Wie Alfred eingangs äußerte, geht es ja um Vorurteile, m.E. in beiden Fällen. Ein bestimmtes Image weckt bestimmte Erwartungen, mit denen man ans Hören herangeht. Da unser Hörsinn und die cerebrale Verarbeitung akkustischer Reize nun mal nicht digital funktionieren sondern mit Erfahrungen, Stimmungen, auch Reizen anderer Qualität integriert werden, kommt ein stets subjektiver Gesamteindruck zustande, der über die Wahrjehmung des rein akkustischen Signals weit hinausgeht. Da unsere Erfahrungen auch in einem - ich möchte es mal gesellschaftlichen - Kontext stehen, fällt es schwer, das, was eine Bezugsgruppe großartig findet schlecht zu finden (noch schwerer natürlich, lau oder nur so lala zu finden), es sei denn es dient dem eigenen narzistischen Selbstbild, sich gerade darüber aus der breiten Masse herauszuheben. Umgekehrt ist es in der Bezugsgruppe durchaus opportun, bestimmte Interpreten abzulehnen (hier ist sicher Herbert von Karajan ein gutes Beispiel).


    Seien wir ehrlich: ähnlich wie beim Biervergleich oder beim Pepsitest sind die Unterschiede ab einem gewissen technischen Niveau objektiv (wenn das denn geht) eher marginal. Das Image eines Künstler ist oft auch wirkllich "künstlich" aufgebaut, die wenigsten werden einen Karajan, Böhm oder Harnoncourt persönlich kennen und dann auch meist nur in bestimmten vielleicht alltagsfernen Situationen. D.h., die "wirkliche" Persönlichkeit kennen wir nicht. Wieviel davon bei einem wahren Profi in die Interpretation einfließt, ist darüberhinaus auch noch eine völlig andere Frage. Trotzdem prägen all diese Dinge unsere Hörwerwartung. Alles kein Problem, wenn wir unsere Vorurteile als solche identfizieren und ggf. modifizieren können. Auch kein Problem, wenn wir mit ihnen glücklich sind.


    Grüße aus Lübeck
    Dieter

  • Zitat

    D.h., die "wirkliche" Persönlichkeit kennen wir nicht. Wieviel davon bei einem wahren Profi in die Interpretation einfließt, ist darüberhinaus auch noch eine völlig andere Frage.



    Dazu eine interessante Erinnerung. In kurzem Abstand erlebte ich zwei Livekonzerte folgender Pianisten: Zuerst Alfred Brendel, danach folgte Krystian Zimerman. Beide spielten unterschiedliches Repertoire. Gänzlich unterschiedlich dann aber auch das Auftreten der Beiden: Der ungemein nervös wirkende Brendel , kauzig, eher ein verwirrter Wissenschaftler als ein Pianist; auf der anderen Seite dann Zimerman, der immense Selbstsicherheit ausstrahlte, der in sich ruhende, kompromisslose Künstler. Ich hatte einen guten Blick auf die Pianisten und in der Tat "hörte" ich diese beiden Stereotypen aus der Musik heraus. Brendels Spiel klang mir tatsächlich (zu) nervös, bei Zimerman genoß ich die Ruhe, welche das Werk ausstrahlte. Zu bemerken ist, das Zimerman sicherlich zweifelsohne der technisch stärkere ist, mein Eindruck bezieht sich aber auf das künstlerische Gesamtbild, technische Unzulänglichkeiten spielten keine Rolle.


    Fraglich nun, wie ich das selbe Konzert im Blindtest empfunden hätte.
    Weiterhin ist es kein Geheimnis, dass ich an Zimerman deutlich höhere Erwartungen hatte, als an Brendel.




    Die zweite Erinnerung bezieht sich auf das *PIIIIIIIEEEEEEEEEEEEEEP*-Forum, in dem ich vor Tamino postete.


    Irgendjemand nannte Solti einen musikalischen Selbstdarsteller, woraufhin ein anderer in vollem Ernst anfragte, ob er da nicht was verwechsle, er dachte, Karajan sei doch der Selbstdarsteller. Eine kurze Diskussion entspann sich, deren Ausgang ich nicht mehr im Kopf habe. :D



    Gruß
    Sascha

  • Hallo Alfred!!


    Vielen Dank für diesen interessanten thread!!


    Ich muß gestehen, daß ich vom Image aber auch vom äußeren Erscheinungsbild eines Interpreten manchmal durchaus in meiner Beurteilung beeinflusst bin.



    Da ich in jungen Jahren einmal den Wunsch hegte, Dirigent zu werden, habe ich stets ein besonderes Auge auf Dirigenten gerichtet.
    Viel früher achtete ich weniger auf Interpretation (ich kannte ja auch nicht viele Vergleichsmöglichkeiten) als auf das Erscheinungsbild - auf das Gesamtkunstwerk - Dirigent. Hier schwingt schon mt, daß ich die Person umso interessanter fand, je mehr mich ihr Auftreten und die Ästhetik des Dirgats gefangen nehmen konnte. An oberster Stelle waren da Bernstein und Karajan. Aber auch Aufnahmen von Muti fand ich beeindruckend. Wenn Mimik und der Stil des Dirigierens die Musik quasi unterstrichen, sagte mir das mehr zu als zurückhaltende Dirigenten.


    Heute habe ich das etwas relativiert, bin aber ehrlich gesagt immer noch begeistert, wenn auch ein Dirigent Emotionen zeigt....


    Ich war mal vor paar Jahren in einem Konzert mit Janowski. Das Programm war interessant.
    Doch als ich den Menschen sah und dann sein in meinen Auge unästhetischen Dirigierstil hat das das gesamte Konzert ein wenig überschattet....


    Übrigens:
    Zum Thema Karajan wurde hier im Forum mal die Anmerkung gemacht, die Anschuldigungen gegen Karajan seien untragbar. Er sei in den Gesprächen stets ein so zurückhaltender und ruhiger, ja bedachter Mann gewesen.
    Nun ja. Das halte ich erhlöich gesagt für etas naiv (ich kenne die Gesprächem it Karajan auch...)Es soll um Gottes Willen kein Vergleich sein., aber: viele Despoten sind scheue Männer, die sich öffenlichkeitswirksam je nach Gutdünken präsentieren können....


    :hello:
    Wulf.

  • Zu den im Verborgenen blühenden Aspekten von Tamino, die ich erst sehr spät in meiner inzwischen einjährigen Mitgliedschaft kennen und schätzen gelernt habe, gehört die Neugier der Gäste, die immer wieder interessante Threads aus der Versenkung holen, zum Beispiel diesen hier. Ich bin deshalb schon fast ein "Wer ist wo online?" Junkie geworden. :untertauch:


    Angesichts vieler Endlosthreads, in denen - auch - Vorurteile fröhliche Urständ feiern (ich nenne mal keinen um nicht aus falschen Gründen anzuegken), wundert es mich etwas, warum dieser hier erst ein Jahr Sprachlosigkeit erzeugt hat und auch danach so verstümmelt geblieben ist. Fehlen da Selbstkritik, Einsicht, oder sind wir einfach angesichts des etwas beschämenden Tatbestands sprachlos? Um da mal nachzuhaken, hole ich ihn mal wieder nach vorne. Dabei würde ich gar nicht unbedingt zwischen Vorurteil und Urteil unterscheiden wollen, denn ich bestreite, dass Letzteres frei von ersterem sein kann.


    In ein solches Urteil fließen ja viele Dinge ein, die man oft gar nicht so bewusst wahrnimmt. Beispielsweise die Urteile oder Erzählungen anderer, auf die man sich gerne verlässt. So weiß ich, dass ich gegenüber Frau Netrebko viel unbefangener war, bevor ich hier die ihre gewidmeten Threads und Kommentare las.


    Ein anderes Beispiel ist Riccardo Muti. Den fand ich ursprünglich ziemlich gut, bis mir eine Summe aus eigenen Hörerfahrungen und Kritiken sowie Anekdoten von seinen Auftritten den Eindruck eines gern aufbrausenden, eitlen Autokraten vermittelt haben, den ich plötzlich auch aus seinen Aufnahmen zu hören vermeinte. Mag sein, dass da noch viel Urteil einfloss, aber dass ich Aufnahmen von ihm heute automatisch in die hinteren Positionen meiner Hörprioritäten versetzt habe (ähnlich wie, s.o., Alfred Simon das aus ganz anderen Gründen bei Rattle zu tun scheint), sitzt schon einem waschechten Vorurteil auf, über das ich nicht einmal darum wissend hinweg komme.


    Dass andere Karajan grundsätzlich zu glatt, Harnoncourt grundsätzlich zu eigenwillig, Sutherland oder Caballé grundsätzlich zu glatt und die Callas grundsätzlich toll finden, auch wenn sie sie gar nicht so oft hören, hat offenbar ähnliche Wurzeln. Von braunen Wurzeln (manchmal auch deren Gegenteil) mal ganz zu schweigen. Manchmal genügt schon eine glamouröse Verkaufe um massive Abwehrinstinkte zu mobilisieren. So bin ich zwar nicht erst, aber definitiv seit dem Back cover der jüngsten FONO FORUM (Zitat:" DIE OPER IST SCHROTT-REIF!" ) gegen jede Neugier auf die Stimme von Erwin Schrott gefeit. Das ist höchst ungerecht, denn ich habe ihn nie mit Bewusstsein gehört (allerdings schon einige geringschätzige Kommentare gelesen). Trotzdem ist es so, und das hat garantiert nichts im Geringsten mit einer etwaigen Eifersucht auf diesen Giovanni wegen dessen Donna Anna zu tun.


    All das, und was Ihr berichtet (oder andere), und zwar je pauschaler, um so wirkungsvoller, beeinflusst unser Hörempfinden - manchmal natürlich auch im Widerspruch - , ob wir wollen oder nicht. Ich behaupte jedenfalls mal, dass ich nicht der Einzige bin, der dafür empfänglich ist, denn wer von uns hört schon in der Regel blind, d. h. ohne zu wissen, wer gerade interpretiert? Und selbst dann, z. B. bei einer zufällig erwischten Radiosendung, wird der Eindruck manchmal noch "korrigiert", sobald man einen Widerspruch zwischen Urteil und Vorurteil bemerkt.


    Mich würde interessieren, wie frei oder beeinflussbar Ihr Euch von solchen Dingen haltet, und ob Ihr ähnlich schrottige Mutis habt. Eine Medizin dagegen gibt es wohl auch nicht, oder?


    :hello: Jacques Rideamus



  • Lieber Rideamus,


    danke für die Wiederbelebung dieses threads, das Thema verspricht, interessant zu werden.


    Musikalisch hatte ich sehr lange gegen zwei der von Dir genannten erhebliche Vorurteile (interessant aus heutiger Sicht, dass ich die gegen beide gleichermassen hatte), wobei beide Male die (Vor-) Urteile auf eigenem Hören beruhten.


    Der eine glich für mich jahrelang der Schnecke, als die ihn Matthias karikierte. Inzwischen lausche ich vielen seiner Interpretationen zumindest interessiert, wenn auch nicht immer zustimmend.


    Und der andere war für mich Jahrelang die Inkarnation eines taktschlagenden preußischen Beamten, obwohl er weder das eine noch das andere war. Auch hier ließ ich mich durch wiederholtes Hören eines besseren belehren.


    Und nicht umsonst bemühte ich den "Beamten": seit ich mit vielen Vorurteilen gegen diese Berufsgruppe tagtäglich zu kämpfen habe, mühe ich mich zumindest redlich, eigene Vorurteile lieber zu hinterfragen.....
    :untertauch:



    LG, Elisabeth

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  • Der Threadtitel beschäftigt sich zwar mit Interpreten, aber ich denke, dasselbe gilt auch für Komponisten, deren Gesamtwerk nur zu häufig auf Grund bestimmter und womöglich untypischer Eindrücke vorbeurteilt wird.


    Gegen manche dieser Urteile hilft Tamino (bei mir im letzten Jahr besonders in Richtung Frühklassik und Barock). Manchmal ist es wirklich jammerschade, dass wir hier keine kurzen Hörbeispiele einstellen können.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ur - Teile vorher und nachher


    Hallo zusammen, lieber J. Rideamus,


    vielleicht ist es für Euch interessant wie ein Anfänger wie ich, mit den Urteilen und Vorurteilen umgeht.


    Bevor ich zu Tamino kam, kannte ich ein paar Klavierkonzerte, einige Operetten, noch weniger Opern und fast keine Sinfonien. Selbstverständlich fand ich alle meine Einspielungen sehr schön, da ich ja nicht wusste, dass es bessere geben könnte und selbst wenn ich es gewußt hätte, hätte ich mir zu dem Zeitpunkt auf keinen Fall ein Werk doppelt gekauft. Wie sagen meine Kollegen doch gleich kopfschütteln wenn ich ihnen mit leuchtenden Augen von meinen neusten Errungenschaften erzähle. "Ist doch alles das Gleiche" :no:


    Genau wie ich noch vor etwas über einem Jahr verstehen sie nicht wie man so verrückt sein kann.


    Doch nun zu den Vorurteilen. Ich bin also vollkommen vorurteilsfrei in Punkto klassische Musik gewesen, bis ich auf Tamino traf. Endlich fand ich Menschen die wie ich von der Stimme Nicolai Geddas fasziniert waren, also die gleichen Urteile über diesen Sänger fällten wie ich. Dann gab es Taminos die über Einspielungen xy :no: diesen Kommentar abgaben. Meine Frage war warum den nur. Also habe ich gelesen und mir Vergleichseinspielungen gekauft um die Beweggründe zu verstehen. So manches kann ich mittlerweile nachvollziehen und schließe mich :no: an. Aber viel schwerer ist es, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch zu vertreten, wenn man wie ich noch am Anfang des Kennenlernen ist. Die Taminomitglieder sind mir Lehrer denen ich sehr vertraue. Meine CD Sammlung hat sich um ca. 300 CDs vergrößert und 90% davon gehen auf das Konto von Taminos. Ihr seht ich schätze Eurer Urteil sehr. Natürlich sind darunter auch Vorurteile. Zum Beispiel halte ich mich mit Einspielungen unter Karajan etwas zurück, obwohl ich den rein musikalischem Wert seiner Einspielungen nicht in der Lage bin einzuschätzen. Meine Zurückhaltung sind reine Vorurteile deren Ursache ich sicher nicht weiter erklären muss.
    Ich habe gelernt was HIP heißt und das es mir sehr gefällt, ich lese erst alle Postings zu einer Einspielung und haben die Taminos meines Vertrauen :yes: geschrieben, habe ich bald darauf eine weitere CD im Schrank. Interessant vielleicht, ich besitze nur eine CD Box unter Rattle. Warum wohl?



    Ich bin nach wie vor nicht wirklich in der Lage das Dirigat einen Dirigenten von dem eines anderen zu unterscheiden, aber dennoch ziehe ich die Brahms Sinfonien unter Chailly allen anderen vor, weil ich weiß das er die Wiederholungen mitspielen läßt. Das sind Dinge die auch ein Anfänger hört. Natürlich fand ich Taminos die mir halfen zu diesem Urteil zu kommen. In diesem Fall also kein Vorurteil sondern eine Tatsachenfeststellung.
    Nichtsdestotrotz sind auch die Einspielungen unter anderen Dirigenten schön, aber ich bevorzuge jetzt die Vollständige weil das Urteil der Taminos mich überzeugte.


    Ich glaube, wir Taminos müssen mit unseren Urteilen und Vorurteilen in unseren Postings sehr gewissenhaft umgehen, da Tamino nun einmal kein unbekanntes Forum ist. Hier lesen sehr viele klassikmusikinteressierte Gäste mit, die sich möglicherweise durch unsere Urteile und Vorurteile in ihren Kaufabsichten leiten lassen. Wenn wir einen Sänger oder eine Sängerin, ein Dirigat oder eine Instrumentaleinspielung negativ oder positiv beurteilen, sollte das auch immer vom musikalischem Aspekt aus korrekt sein und und nicht aus persönlichen Abneigungen oder Fanverhalten heraus geschehen. Wenn man seine persönlichen Gefühle nicht außen vor lassen möchte und kann, so sollte man zumindestens darauf hinweisen, dass es sich um reine Gefühlsurteile handelt. Ich glaube so gibt man dem Leser kein Gefühl des vorverurteilen, sondern eher ein "probiere es selbst" mit auf den Weg.


    Für mich sind nach wie vor die Taminos Lehrer denen ich vertraue und auf deren Urteilskraft ich baue. Vorurteile wird es immer geben und es wird mir eine Freude sein diese abzubauen oder aber in Urteile umzuwandeln. Doch all dies braucht seine Zeit. Selbstverständlich bin auch ich nicht mehr vorurteilsfrei und daher wird es sicher nie langweilig Unbekanntes in Bekanntes zu verwandeln und Vorurteile in Urteile.


    LG


    Maggie

  • Ja, ich habe ganz entschiedene Vorlieben und Abneigungen gegenüber diversen Interpreten. Insbesondere in dem Bereich, in dem ich mich ein bisschen besser auskenne, dem Gesang.


    Was mich da beeinflusst sind weniger die Urteile von Zeitschriften oder von diversen Taminos(das nur bei Sängern, die ich noch nciht kenne) sondern Mechanismen, die sehr viel mit Empathie und Antipathie zu tun haben, die sich aus hier schwer zu erklärenden Quellen speist.
    Warum finde ich z.B. Sutherland oder Elisabeth Schwarzkopf so furchtbar künstlich und kalt, obschon sie hervorragend singen können?


    Sicher nciht, weil Paul sie gut findet oder der Grande Inquisitore sie auch nciht mag. :D
    Ich mochte diese Damen schon lange vor meinem Taminoeintritt nciht und daran hat sich hier nicht das Geringste geändert.


    Wo ich mich allerdings von Tamino serh beeinflussen lasse, sind Bereiche, in denen meine eigenen Kenntnisse geringer oder gar nciht vorhanden sind und ich genau weiss, dass von mir in ihrer Urteilsfähigkeit udn Kompetenz geschätzte User sich damit intensiv befasst haben.
    Es gibt durchaus einige Taminos, denen ich in ihrem Bereich blind vertraue (siehe Edwin und Werner Egk....) und genau weiss, dass mich ihr Urteil selten bis nie enttäuschen wird. Dafür entwicklet man mit der Zeit ein Gespür. Genauso für das Gegenteil.
    Ähnliche Wellenlängen kristallisieren sich früher oder später heraus und helfen sehr bei der Rationalisierung der eigenen Hörzeit und einer Kaufentscheidung weiter.
    Es gibt auch manch "Stillere" im Lande, deren Wertungen grossen Eindruck auf mich machen und die das nciht einmal wissen. Zum Beispiel (er ist sowieso verreist und wird deshalb jetzt nciht rot werden ;)) Caesar. Seine unverzichtbaren Klassikaufnahmen kann ich Alle blind kaufen und genau wissen, dass ich da absolut richtig liege. Das hat vielleciht auch etwas mit Instinkt zu tun, ich weiss es nciht.


    Resumée: je besser ich mich selbst in einem Bereich auskenne, desto geringer der Einfluss von aussen und so prägnanter mein eigenes Urteil.
    Je unsicherer meine eigenen Kenntnisse werden, desto mehr vertraue ich dem Urteil mir seelenverwandter und vertrauenswürdig erscheinender Mit-Taminos.


    Da ich weder TV noch sonstige gängige Medien frequentiere sind die Einflûsse da äusserst gering.


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ja, ich habe ganz entschiedene Vorlieben und Abneigungen gegenüber diversen Interpreten. Insbesondere in dem Bereich, in dem ich mich ein bisschen besser auskenne, dem Gesang.


    Liebe Fairy Queen,


    ich versuche die Sprache eines Interpreten zu verstehen, seinen eigenen Zugriff auf das Werk. Dabei geht es mir in der Regel mehr um das Werk als um den Interpreten.


    Allerdings hat, das gebe ich gerne zu, da eine singende Dame Einfluss auf mein Urteil in Sachen Gesang gewonnen und mir Ohren geöffnet, wo ich es nicht vermutet hätte.


    Vielen Dank Peter

  • Hallo zusammen!


    Bei mir gibt es verschiedene Varianten von Vorurteilen Interpreten gegenüber, die ich einfach nicht ablegen kann und auch offensichtlich gar nicht ablegen will:


    1) Sobald eine Mega-Marketing-Strategie einen Interpreten zu pushen versucht, bin ich bereits nicht mehr vorurteilsfrei (Netrebko, Schrott, Lang Lang) und beurteile diesen interpreten besonders streng, und wehe, ihm passiert nur der kleinste Fehler, das ist für mich sofort die Bestätigung meines Vorurteils, meistens zeigt sich dann allerdings im Laufe der Zeit, dass ich mit meiner Meinung bei dem einen oder anderen Interpreten doch Recht hatte, was mein Vorurteil wieder einzementiert.


    2) Wenn ein Klassik-Interpret zuviele oder schlechte Cross-over-Platten aufnimmt, festigt sich bei mir ebenfalls bald ein Vorurteil, dass sich nicht mehr sehr leicht abbauen lässt.


    3) Wenn mir einmal eine Interpretation nicht gefallen hat (Stadtfeld z.B.), bedeutet dies meistens, dass ich um diesen Interpreten für alle Zukunft einen grossen Bogen mache, er bekommt bei mir selten eine zweite Chance.


    4) Wenn Jemand in Interviews zu verstehen gibt, dass seine Sichtweise die allein seligmachende ist, und dass alle, die dies nicht goutieren, Idioten sind, und alle, die über eine Gesangsleistung aus vergangenen Tagen, mit einem für die heutige Zeit befremdlichen Stil, vielleicht lachen, ebenfalls Dummköpfe sind, dann wars das für ewige Zeiten für mich, von diesem Dirigenten besitze ich eine einzige CD, und dabei bleibt es auch.


    Ihr seht also, ich habe Vorurteile und stehe dazu, aber ich bin nicht in der Lage, sie zu revidieren.

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  • Bevor ich meinen Senf hier dazugebe vorerst ein Zitat:


    Zitat

    Manchmal ist es wirklich jammerschade, dass wir hier keine kurzen Hörbeispiele einstellen können.


    Indirekt können wir das schon -indem wir mittels Partnerlink ein CD-Cover hier einstellen. Bei Klick darauf hat man in der Regel die Möglichkeit die 60 Sekunden Musikbeispiele von jpc aufzurufen.


    -------------------------------------------


    Und nun zum persönlichen:


    Persönlich vertraue ich NIEMANDEM blind,
    weil ja die Abneigung gegen einen Interpreten nicht unbedingt sachliche- sondern oft auch subjektive Gründe haben kann.


    Aber natürlich habe auch ich Vorurteile.


    Und mit dem Blindvergleich ist das so eine Sache.
    Letzlich spielt da auch der Herr Tontechniker eine entscheidende Rolle
    ob ein Orchester füllig, durchsichtig, spritzig, odr nur spröde und bissig klingt. In der guten alten Zeit hat man das auch einkalkulieren können, weil jede Plattenfirme ihren "hauseigenen Klang" besaß und man wusste was die aufnehmen konnten - und was nicht.


    So besaßen etwa die knackenden und rauschenden CBS Aufnahmen der sechziger Jahre (heute Sony) mehr Wärme, Musikalität und Natürlichkeit, als die wesentlich geräuschärmeren, schlankeren und verzerrungsärmeren der DGG, welche auf mich immer recht zweidimensional und trocken wirkten, was aber gewissen Musiksparten und Instrumenten (Cembalo) zugute kam....


    Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Interviews, wo der Künstler sein Credo vertreten kann (so er denn eines hat) den Zugang erleichztern können, desgleichen wenn man beispielsweise beim Dirigieren SIEHT.
    Das macht auch das Phänomen erklärbar, daß ein Künstler der zweiten Garnitur im Konzert sofort in die erste Reihe "aufsteigt" - während eine CD mit dem gleichen Künstler hausbacken klingt.


    Ich habe persönlich eine Aversion gegen "Shooting Stars", gegen "Kumpel" und gegen "sexy Interpretinnen" - ich habe immer den Eindruck sie würden nicht wegen ihrer Musikalität engagiert, sondern des optischen Eindrucks wegen.
    Ich mag auch keine allzu jungen Interpreten -zumindest nicht auf CD. Natürlich beginnt eine Karriere in der Jugend. Aber es braucht IMO Jahre bis eine gewisse Reife eintritt, die eine intellektuelle Deutung des Werkes ermöglicht. Ich habe in meiner eigenen Jugend zahlreiche heute längst vergessene junge Interpreten gehört - aber ich habe nur von bekannten Künstlern Aufnahmen erworben, im der (irrigen) Annahme, daß es sich um zeitlos gültige Einspielungen handeln möge.
    Die Zeit hat mich eines besseren belehrt, aber dennoch wurde ich von einer völlig anderen Musikergeneration geprägt (ich zog schon als ich 20 war 70 Jährige Musiker den Gleichaltrigen vor.


    Ähnlich wie Erna - gebe ich einem Interpreten keine zweite Chance, wenn ich ihn mal asbgelehnt habe. Andrerseits - Wenn ich einen Interpreten erst mal für mich entdeckt habe, dann versuche ich möglichst viele Aufnahmen mit ihm zu erwerben - bevor sie von den Plattenfirmen aus dem Katalog genommen werden...


    Es gab eine Zeit, da befürchtete ich, daß mich heute lebende Interpreten überhaupt nicht interessieren könnten - aber es gibt erfreulicherweise einige, die das doch tun...


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Bevor ich meinen Senf hier dazugebe vorerst ein Zitat:



    Indirekt können wir das schon -indem wir mittels Partnerlink ein CD-Cover hier einstellen. Bei Klick darauf hat man in der Regel die Möglichkeit die 60 Sekunden Musikbeispiele von jpc aufzurufen.


    Liebe Alfred,


    leider musste ich aus Zeitgründen mein entsprechendes Posting abschleßen, bevor ich es deutlicher formulieren konnte.


    Die von Dir angesprochene Möglichkeit ist mir natürlich vertraut und nutze ich auch oft. Sie betrifft aber in aller Regel nur die ersten Takte bestimmter Tracks der jeweils angesprochenen cd, wenn jpc oder AM die entsprechenden Samples geladen haben. Worum es mir ging, war eher die Möglichkeit, eine bestimmte Passage anzuspielen. Manchmal will der Zufall, dass mit einem Trackbeginn genau die richtige Stelle angesprochen wird, meist aber eher nicht, denn die interessanten Dinge finden meist erst in der weiteren Entwicklung statt.


    Mir ist klar, warum das unmöglich ist und wohl auch bleiben wird, und dass Ihr schon wiederholt Tolles erreicht habt, wenn es, wie beim letzten Adventsrätsel, um bestimmte Aktionen geht.


    Wenn ich aber zum Beispiel mit einer bestimmten Stelle für ungewöhnliche Qualitäten einer Strauss-Oper werben will, dann geht das eben nicht, weil ein Texthinweis nur für Leute funktioniert, welche schon das Werk haben oder gar einen KV lesen können. Gerade bei der Beseitigung von Vorurteilen zu bestimmten Aufnahmen und Interpreten, um aus dem OT zum Threadtthema zurück zu kehren, wäre das hilfreich.


    Ansonsten hilft es ja schon, wenn man sich über die Existenz solcher Vorurteile bewusst ist oder wird. Diese sich einmal sich selbst bewusst zu machen, ggf. aber auch für andere zu formulieren, war die Absicht meines Aufgreifens dieses Threads. Es freut mich, dass alle bisherigen Poster/innen das auch richtig verstanden zu haben scheinen.


    Auch mein Vertrauen hat natürlich Grenzen. Ich behaupte aber, dass man durchaus auch unbewusst beeinflusst werden kann, wenn man bestimmte (Ab-)Wertungen und Kennzeichnungen häufig genug liest, zumal dann, wenn das auf einen bereits latent vorhandenen Eindruck trifft.


    Natürlich ist auch die Skepsis gegenüber neuen Shooting Stars in der Regel angebracht (wenn ich z. B. an den einstigen Rummel um Pogorelich denke... :rolleyes: ). Andererseits ist auch sie erst einmal ungerecht, selbst wenn ich z. B. überrascht wäre, wenn mein zitiertes Vorurteil gegenüber Schrott beim ersten bewussten Hören nicht bestätigt würde. Nur würde ich eben schon nicht mehr vorurteilsfrei hören.
    Etc. etc.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Ich mag auch keine allzu jungen Interpreten -zumindest nicht auf CD


    Bei mir ist das genau umgekehrt, ich habe oft mit der stilistischen Interpretation früherer Zeiten Probleme, es gibt allerdings doch einige, in meinen Augen zeitlose Aufnahmen älterer Interpreten, die mir gefallen, ausserdem bin ich neugierig auf neue Interpreten, da gibt es doch auch viele gute, die oft gar nicht so beworben werden, offensichtlich keinen guten PR-Agenten haben (wollen), quasi fast im Verborgenen blühen, deren Entdeckung sich aber für mich gelohnt hat (z.B.Martin Fröst), da verdanke ich auch dem Tamino-Forum viel Anregung, aber nun bin ich leicht o.t. Auch das ist wohl ein Vorurteil von mir, dass ich bei CD´s seltener zu "alten" Interpreten greife. (Ausnahmen bestätigen die Regel: von Gulda, Brendel, Siepi, Wunderlich, London z.B. habe ich in letzter Zeit CD's gekauft.

  • wie heißt es bei un so schön: "Steh zu Deinen Vorurteilen" :D


    Ich glaube es gibt niemanden der irgendwelche Vorurteile hat.
    Auch sogenannte sehr weltoffene Leute sind auch nur Menschen und haben ihre Vorurteile.
    Denn wer behauptet er wäre auf allen Seiten offen, der kann nicht ganz dicht sein :stumm:



    Ich habe z.B. gleich eine ganze Reihe Vorurteile.



    1.) Besonders stark vermarktete Künstler, mit Designer Photos und bedeutungsschwangeren Gesten - da hab ich schon kein Interesse mehr.
    Denn es ist nicht ihre Musik, sie spielen/singen sie nur - und das darf man niemals vergessen, von dieser Einstellung werde ich auch nicht abkommen.
    Sicher soll man was eigenes in die Interpretation mit einbringen, aber wenn der Name Karajan auf dem Cover größer ist als der des Komponisten, dann finde ich das pervers.


    2.) Interpretationen / Sänger vor 1980 finde ich im allgemeinen furchtbar.
    Es gibt immer mal Ausnahmen, aber dass ich mir soetwas anhöre, dazu muss man mich mitlerweile prügeln.


    3.) Asiatische Künstler
    Damit hier kein falsches Bild ensteht hole ich etwas weiter aus.
    Auf der Akademie haben wir sehr viele Asiatische Künstler, allerdings ist das ein seltsames Völkchen - das auch lieber unter sich bleibt. die Kunst lässt mich (und auch viele andere) emotional und auch geistig völlig kalt. Das gleiche fällt mir auch immer wieder bei der Musik auf - da ist nichts eigenes, einfach nur eine perfekte uninteressante Wiedergabe der Noten.
    Die Musiklehrerin meiner Mutter hatte da einige Radikale ansichten: Asiaten hätten werder die physische noch die psychische Veranlagung für europäische Musik, sie meinte die Stimmen eignen sich überhaupt nicht.
    Soweit würde ich nicht gehen - aber würde man es umdrehe: wieviele Europäer singen in der Peking Oper oder spielen historische Asiatische Musik ?


    Was mich eher stört ist das "maschinelle" das immer gleiche, das emotionslose.
    Zumindest empfinden das sehr viele Leute so.
    Dazu kommen noch sehr fragwürdige Erlebnisse mit asiatischen (bzw. chinesischen) Künstlern. So erzählte einer der Dokumenta Redakteure (ein chinesischer Künstler) Mao Tse Tung wird nicht als Politiker und Rote Armee Führer in die Geschichte eingehen, sondern als großer Philosoph.
    Als wir dann fragten, "und wie philosophiert man die Millionen Ermordeten und Toten weg ?" da verbot man uns den Mund......
    Diese Einstellung sollte man sich mal mit unserm Ex-Führer erlauben, von wegen als Maler in die Geschichte..... :no: :kotz: :kotz: :kotz: :kotz:


    Deshalb kaufe ich keine CD's mit asiatischen Interpreten.


    4.) Barockmusik auf modernen Instrumenten.
    Ich weiß dass ich das nicht mag und die ganzen Kammerorchester und Star - Trompeter können noch so toll spielen (was bisher aber nicht der Fall ist) , es ändert nichts daran, dass es nicht passt - ich kaufe es nicht.




    so, alle anderen Vorurteile betreffen dann wohl eher Musik und Kunstgattungen.



    :pfeif:

  • Sagitt meint:


    Die Liste der Aspekte, die uns beeinflussen können, ist wirklich lang.
    Und das Ausmaß der Beeinflussung ist wahrscheinlich hoch individuell.


    Die einen haben die Schwarzkopf in einer bestimmten Lebensituationen gehört, ihnen kamen die Tränen, sie wahren berührt und finden die Sängerin dann hinreissend, die anderen haben sich bei einem Programm von ihr entsetzlich gelangweilt und finden, dass sie ausgesprochen maniriert singe, dritte kennen sie als Lehrerin, haben viel von ihr gelernt und vergöttern sie, andere sind von ihr, wie die meisten, erheblich gedemütigt worden und lehnen jeden Ton von ihr ab.


    Das Spektrum der Beeinflussbarkeit ist unendlich breit.
    Keiner ist dagegen gefeit. Vorurteilsforscher meinen sogar, wie bräuchten Vor-Urteile, um uns einigermassen im Leben zu orientieren.


    Interessant ist sicher, wie selbstverständlich unser musikalisches Urteil ist, wenn wir keinerlei Informationen über die Interpreten haben ?


    Würde mir die Wassermusik von Händel in der Interpretation von Harnoncourt ebenso gefallen, wenn ich nicht wüsste, dass er sie eingespielt hat.


    Ich behaupte vorsichtig; Ja, aber wissen tue ich es nicht.

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  • Lieber Lullist, schön, dass du zu deinen Vorurteilen so offen stehst-ich mag Leute mit Zivilcourage in grossen und kleinen Dingen besonders gerne. ;)


    Nun musst du Dir aber auch gefallen lassen, dass diese teilweise doch ziemlich provokanten Statements nciht unwidersprochen bleiben. Aber wie ich Dich einschätze, war das ohnehin nciht nur erwartet sondern sciher auch erwünscht :D


    zu 1) Wenn z.B. der Name Callas auf dem Cover grösser ist als Alles Andere, finde ich das nur gerechtfertigt und kaufe die CD desween nciht weniger. Und das heisst keinesfalls, dass diese Künstlerin die Musik nciht absolut ernstgenommen hat und sich als ihre Dienerin betrachtete. Im Gegenteil.
    Du solltest auch nie vergessen, dass es einen gewissen Exhibitionismus bracuht, sich als darstellender Solo-Künstler einem Publikum auszuliefern. Wer das per se und a priori ablehnt, sollte besser nur Orchester oder Chöre hören. Und schon gar keine Sängeri/nnen.


    Zu 2) Leute die vor 1750 gelebt und sogar zu komponieren gewagt haben, fidne ich ganz grässlich und die müssten eigentlich unter Quarantäne kommen...... Und Solche, die sich auch noch danach benennen... igitt!!!! :faint:


    Dass das in meinem Fall NICHT zutrifft, weisst du, aber es soll eine gewisse Absurdität Deiner These zeigen. ;)


    Oder wolltest du vielleicht sagen: Aufnahmen von Barockmusik vor 1980 finde ich grässlich???????
    Das könnte ich viel besser nachvollziehen........ :pfeif:


    Zu 3) das finde ich mehr als heikel, denn hier wird eine ganze "Rasse" als Künstler abgewertet.
    Ich unterstelle Dir wahrhaftig ncihts Böses und
    ich kann dich in gewisser Weise verstehen, habe aber auch Gegenbeispiele und diese Pauschalisierung finde ich nicht angemessen.


    Auch ich kenne asiatische Piano-Automaten, dei nur Töne ausspucken. Ich habe schon bei Gesangswettbewerben die geläufigsten Gurgeln aus Asien mit halsbrecherischen und leblosen Koloraturen erlebt-sie haben tatsächlich meistens diese Mega-Virtuosität angedrillt bekommen.


    Andererseits aber gibt es solche bewegenden Künstler wie die hervorragende Liedsängerin Mitsuko Shirai. es gibt das sehr beachtliche Japanische Bachkollegium, es gibt gerade in neuerer Zeit hervorragenden Sängernachwuchs aus Korea und in meinem engsten Umkreis gibt es eine enge chinesische Pianistenfreundin und meine japanische Gesangsprofessorin, die deine Worte Lügen strafen.


    Von den herausragenden Filmemachern aus Asien, deren Filme uns schon seit Jahren viel mehr faszinieren und emotional anrühren als viele europäischen oder amerikanische Produkte, mal ganz abgesehen!


    Asiaten werden normalerweise eher dazu erzogen sich als Teil eines Ganzen zu betrachten und nciht so sehr als Individuum, wie wir das tun.
    Sie haben oft gelernt, ihre Gefühle zu disziplinieren und zu beherrschen-was aber nciht heisst, dass sie keine starken Gefûhle haben oder diese nciht ausdrücken können.
    Dahinter steckt einfach eine andere Weltsicht und philosophische Grundhaltung zum Leben, von der (nicht nur) jemand wie ich wahnsinnig viel lernen und profitieren kann.
    Die subtieln Ausdrucksmöglivhekiten die auc hin so formellen Dingen wie Ikebana oder Teezeremonien stecken, sind faszinierend!


    Nur mal ein plastisches Beispiel: da wo manch ein Europäer nackte Oberkörper oder noch mehr braucht, reicht einem Asiaten ein hochgestecktes Haar das den Nacken freigibt- ist das etwa keine spezielle ästhetische(und beneidenswerte!) Qualität, die sich auch in der Kunst zeigt?
    Vielleciht haben wir einfach verlenrt, diese Signale zu verstehen und empfinden Dinge als unterkühlt, die das gar nciht sind?



    Zu 4 sag ich nun ncihts mehr, da bin ich zu 80% eh mit dir einig.


    Salut de la France


    Fairy Queen

  • Ihr Lieben,


    zum Abbau von Vorurteilen kann eine Diskussion durchaus beitragen, wenngleich auch anders, als von einigen Diskutanten beabsichtigt. Daß ich den Karajan wiederentdeckt habe, nachdem ich ihn zuvor bis auf wenige Reste aus meiner Plattensammlung entsorgt hatte, danke ich den hitzigen Tamino-Debatten, der Egk hätte auch weiter in meiner Sammlung geschlummert, ohne daß ich die Platte aufgelegt hätte (bei Karajan waren allerdings einzelne seiner Verteidiger schuld; solche Fans hat er nun auch nicht verdient).


    Die Netrebko hätte ich mir ohne die hiesigen Attacken wahrscheinlich auch nie angehört, da mir der gegenwärtige Werbe-Glamour mit Werbesprüchen aus unberufenem Schwätzermund auch zuwider ist.


    Anders als der Lullist lege ich größte Skepsis bei allen Aufnahmen an den Tag, die nach 1980 entstanden sind, bemühe mich aber nach Kräften, meine Vorurteile nicht zu Ausschlusskategorien werden zu lassen. Man ist ja noch lernfähig.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Deshalb kaufe ich keine CD's mit asiatischen Interpreten.
    :pfeif:


    Du hast recht, Matthias - das ist ein Vorurteil!


    Das Bach Collegium Japan unter Masaaki Suzuki gehört zu den renomiertesten Ensembles ihrer Art und ist so manchen europäischen weit überlegen - ich empfehle mal Monteverdis "Marienvesoer" oder Bach unter Suzuki zu hören - Du wirst staunen!! :yes:


    :hello:
    Wulf


  • Hallo zusammen,


    ich würde für eine vorurteilsfreie Beurteilung eines Künstlers einen Blindtest schon für eine mögliche Lösung halten.
    Nehmen wir zum Beispiel Lang Lang und Alfred Brendel.
    Hören wir uns gleiche Stücke (blind) an und sagen dann, wer hat besser gespielt.
    Käme es jetzt zum Ergebnis, Lang Lang hätte es besser gekonnt, dann wird dies häufig nicht den Erwartungen/Vorurteilen entsprechen.
    Sollte man dieses Ergebnis dann mit der Aufnahmetechnik "entschuldigen" ?
    Ich meine grundsätzlich nicht. Vielleicht sollte man einfach für Überraschungen offen sein.


    Anmerkung: Natürlich liegt schon in meiner Auswahl der Interpreten ein Vorurteil :D.


    Erna:
    Deiner Listung stimme ich in jedem Punkt zu :).
    Vermutlich pflege ich meine Vorurteile auch deswegen, weil es für mich dadurch einfacher ist, in der Menge des zu vergleichenden Materials eine zeit-, nerven- und geldschonende Vorauswahl zu treffen.


    Grüsse
    Achim :hello:

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Persönlich vertraue ich NIEMANDEM blind,
    weil ja die Abneigung gegen einen Interpreten nicht unbedingt sachliche- sondern oft auch subjektive Gründe haben kann.


    Aber natürlich habe auch ich Vorurteile.


    Ich bin immer mal wieder in der Situation, jemandem blind zu vertrauen. Wenn man eine Konzert- oder Opernkarte kauft, so weiß man auch noch nicht, was einen erwartet.


    Aber erst recht bei unbekannten Werken und Aufnahmen helfen mir Empfehlungen, denen ich "taub" und "blind" folge, weil ich es auch gar nicht anders kann. Und wenn Edwin etwa eine mir unbekannte Britten-Aufnahme empfiehlt, ordere ich sie. Dieses blinde Vertrauen ist natürlich nicht grenzenlos, es ist fokussiert und zeitlich begrenzt. Es wächst aus der Tatsache, dass ich bei Edwin häufig Werke und Aufnahmen hoch geschätzt fand, die ich selbst hoch schätze. Aus der Luft kommt dieses "blinde" Vertrauen nicht. Man könnte eben sagen, wir haben nicht nur ähnliche sachliche Ausgangspunkte, sondern auch ähnliche subjektive Beurteilungsperspektiven.


    Vor-Urteile zu haben, ist das eine, sie immer erneut zu befragen, das andere. Vor-Urteile sind eine Summe der Erfahrungen und eine notwendige Voraussetzung der Orientierung. Aber wer sich zu sehr auf seine Vor-Urteile verlässt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er mit seinem Navi im falschen Neustadt landet ...

    Zitat

    Original vom Lullisten
    2.) Interpretationen / Sänger vor 1980 finde ich im allgemeinen furchtbar.
    Es gibt immer mal Ausnahmen, aber dass ich mir soetwas anhöre, dazu muss man mich mitlerweile prügeln.


    Das scheint mir eben eine solche Fehlanzeige des Navis zu sein. Wenn man die historische Rückschau ausschaltet, wird man den Stellenwert des Gegenwärtigen nicht begreifen können. Für jeden Bachfreund wird nicht nur die Horenstein-Einspielung der Brandenburgischen Konzerte ein Muss sein, sondern selbstverständlich wird er die Auffassungen von Ramin und Mengelberg kennen lernen wollen.


    Ich bin da nur sehr zuversichtlich, dass diese Einsicht von alleine kommen wird, früher oder später. Solange da kein Funke überfliegt, sollte man diese Einspielungen links liegen lassen. Man begibt sich damit allerdings der historischen Dimension, was immerhin erstaunlich ist, wenn man sich gerade für historische Musik interessiert.


    Zitat

    3.) Asiatische Künstler
    Damit hier kein falsches Bild ensteht hole ich etwas weiter aus.
    Auf der Akademie haben wir sehr viele Asiatische Künstler, allerdings ist das ein seltsames Völkchen - das auch lieber unter sich bleibt. die Kunst lässt mich (und auch viele andere) emotional und auch geistig völlig kalt. Das gleiche fällt mir auch immer wieder bei der Musik auf - da ist nichts eigenes, einfach nur eine perfekte uninteressante Wiedergabe der Noten.
    [...]
    Was mich eher stört ist das "maschinelle" das immer gleiche, das emotionslose.


    Ich halte dies für ein ungerechtfertigtes Vor-Urteil, meine Erfahrungen mit konkreten Russen haben mich etwa nie in meinem Urteil über russische Musik und russische Künstler beirrt.


    Die Urteile "lässt mich [...] emotional und auch geistig kalt" würde ich doch noch einmal überprüfen. Es kommt sicher auf Komponisten und Genre, auf den einzelnen Interpreten oder das einzelne Ensemble an. "Perfektion" und "Maschinenmäßiges", "Emotionsloses" mag man bei allen Herkunftsländern finden. Wie viele Wunderkinder sind nicht zu solchen mechanischen Puppen erzogen worden? Mir geht es so wie Alfred, dass es mich schaudert, wenn ich einen jungen Künstler ein Werk technisch perfekt spielen höre, ohne dass ich eine Spur der Reflexion spüre, die das Werk bei den großen Interpreten zu einem Markstein der Rezeptionsgeschichte macht.


    "Asiatische Künstler" ist mir auch ehrlich gesagt, ziemlich unbestimmt. Gehören da türkische und israelische, iranische und indische Künstler dazu? Ober sind hier (wie im Beispiel Chinesen) nur die Asiaten aus Fernost gemeint? Viele sind in der westlichen Kultur und in der westlichen Musik - oder ohnedies im Westen - aufgewachsen, so dass sie mindestens ebenso an der westlichen Kultur teilnehmen wie Du und ich. Und Komponisten wie Dun werden auch hier im Westen begeistert rezipiert.


    Es ist immer eine große Herausforderung und intensive Begegnung, Haltungen des Zen-Buddhismus zu begegnen. Nicht wenige westliche Künstler sind von dieser Begegnung geprägt worden.



    Liebe Grüße Peter

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  • Ich spiele mit einer japanischen Geigerin Streichquartett und mit einer japanischen Pianistin Duo.


    Es gibt übrigens auch unsäglich langweilige und roboterhafte "Langnasen" unter den Musikern.


    In jedem Kulturkreis gibt es solche und solche und meiner Meinung nach sollte man seine Vorurteile nicht pflegen sondern versuchen abzubauen.


    Das gelingt mir auch nicht immer, soviel ist sicher.


    Aber von der Bescheidenheit und Aufgeschlossenheit japanischer Musiker, wie ich sie immer wieder erlebe (auch vor Ort in Japan), können sich viele andere eine Scheibe abschneiden.


    Gruß,
    Michael

  • Am liebsten ist es mir, wenn sie nur Blödsinn oder gar nichts reden. Dann kann ich nämlich mein - positives - Vorurteil über sie beibehalten :D


    :hello:

  • Wenn ich meine Neugier und meine Beschaffungslisten durch andere, z.B. hier im Forum, erweitere, deren Musikgeschmack und Kennerschaft ich schon etwas kennengelernt habe, dann würde ich das noch nicht als Vorurteil bezeichnen. Erst wenn es mir zur stereotypen Verhaltensweise wird, z.B. keiner CD überhaupt eine Chance zu geben, weil Edwin sie niedergemacht hat, sind wir m.E. beim Vorurteil.
    Mit anderen Worten, jede noch nicht selbst geprüfte Vororientierung, ohne die ich kaum handlungs- und orientierungsfähig wäre, würde ich noch nicht als Vorurteil bezeichnen.
    Werden solche Orientierungen aber zum Stereotyp oder übernehme ich Stereotypen, wie "die" Altstars, "die" Newcomer, "die Reklamefuzzis", "die Asiaten" taugen nix, dann ist das zwar, wenn es nur um privates Musikhören geht, relativ harmlos, in anderen sozialen Beziehungen jedoch wohl weniger.


    Nun trägt eine weit überdehnte political correctness, die verhindert, dass Vorurteile überhaupt ausgesprochen werden können und damit überhaupt auch erst bearbeitet werden können, sicher gerade nicht zur Bekämpfung von Vorurteilen bei. Und die Vorurteile, die in einer Diskursgemeinschaft als Ungedachtes weitgehend allgemein geteilt werden, wird sie wohl erst recht im selbstgerechten Sich-Gegenseitig-auf-die-Schultern-Klopfen auch weiterhin im Unreflektierten lassen.


    Dennoch sollte m.E. nicht daraus, dass wir wohl alle Vorurteile haben, geschlossen werden, dass dies, da vielleicht unvermeidlich, auch o.k. ist.
    Deswegen finde ich auch meine anfängliche Unterscheidung wichtig.


    Zu "den Asiaten": Nun ist es wohl unvermeidlich, dass in einer Aneignungsphase die meisten Kunstwerke und Interpretationen eher epigonal, weniger originell und eher an Meßbarerem, wie technischer Virtuosität, ausgerichtet sind. Zusätzlich spielte in Ostasien noch eine Rolle, dass die gelungene Reproduktion des Meisters viel höher geschätzt wird. Akademische Bewertungsmaßstäbe sind z. B. in der Hinsicht anders als im "Westen". Das hat wahrscheinlich schon mit dem Schrifttyp, der Bedeutung der Kalligraphie zu tun, weiter mit traditionellen Rekrutierungsformen der "Eliten" und den damit zusammenhängenden Ideologien.
    Erstaunlich finde ich da eher, wie schnell es ging, dass diese Aneingnungsphase nicht nur in Bezug auf westliche Musik eigenschöpferisch in Japan, dann in Südkorea überwunden wurde und gegenwärtig ähnlich Prozesse in China und anderen Ländern zu erleben sind.
    Beispiele im klassischen Bereich wurden in diesem Thread schon genannt. Ich schätze noch besonders Mitsuko Uchida und Nobuko Imai. Dass viele dieser KünstlerInnen Teile ihrer Ausbildung noch im Westen erhalten haben, bzw ergänzt haben, gehört wohl zu der normalen Übergangsphase.
    Im Jazz-Bereich ist auffällig, dass sich in Japan eine hochoriginelle, lebendige Jazzszene sogar gleichzeitig mit der in Deutschland und vielen anderen Ländern Westeuropas entwickelte. Waren es in den 50er/frühen 60er Jahren nur sehr wenige, die, noch weitgehend in den amerikanischen Mustern verbleibend, zumindest einen eigenen Personalstil entwicklten, so bildete sich in der zweiten Hälfte der 60er fast explosionsartig eine viel eigenständigere Szene, die sich erheblich von vorgegebenen amerikanischen Mustern löste, bzw sehr eigenständig mit ihnen spielte.


    Mein Jazz-Beispiel zeigt, dass insofern wohl auch kulturelle Unterschiede der Aneignung nicht überbewertet werden sollten. Insofern wäre ich auch - Thema: Vorurteile - mit solchen Aussagen sehr vorsichtig:


    Zitat

    Fairy Queen:Asiaten werden normalerweise eher dazu erzogen sich als Teil eines Ganzen zu betrachten und nciht so sehr als Individuum, wie wir das tun


    Fairerweise möcht ich für den eiligen Leser hinzufügen, dass dies auch von Fairy Queen im Kontext iherer weiteren Ausführungen wieder sehr relativiert wird. Mir jedenfalls schienen viele Japaner und Koreaner, die ich näher kennenlernen konnte, neben dem offiziösen Gruppengesicht auch eine geradezu anarchistische Lust am Ignorieren und Übertreten von Regeln zu haben. Aber das ist zugegeben auch schon nah an der Stammtisch-Völkerkunde: "Der Japaner an sich...." Ausgeprägte Individuen jedenfalls habe ich unter ihnen ebenso viele kennengelernt, wie Menschen, bei denen schon, frei nach Adorno,"Ich"-Sagen eine Lüge ist. Das ist, glaube ich, nicht anders, als bei uns, sieht auf den ersten Blick wohl nur etwas anders aus.


    :hello: Matthias

  • Hallo Fairy Queen,


    bei einem Punkt hast Du mich in der Tat falsch verstanden.
    Ich mag mitlerweile die Aufnahmen nicht mehr die in den 50er bis 70er Jahren aufgenommen wurden. Wenn dann hat das nur noch historisches Interesse für mich.


    Heute wird anders musiziert und gesungen, eben Zeitgemäß (für uns jetzt)
    Das auch das irgendwann veraltet ist, ist mir klar.
    Und vielleicht werde ich dann dieser Zeit dieser Interpretationen nachhängen...wer weiß.


    Vielleicht hätte ich Beispiele nennen sollen, wie die z.B. die Mozart- Interpretationen von Böhm oder Bach von Karl Richter.


    Punkt 4 unterscheidet sich nur in so weit, dass ich es nicht brauche, wenn man die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts wie vor 30 Jahren spielt.
    Also konsequent die Erkenntnisse der HIP Bewegung ignoriert, wie es Güttler, Rilling, Zedda, Müller-Brühl, oder Formationen wie die Capella Istropolitana etc. betreiben.
    Da gibt es auch einen Kundenkreis für, ich jedoch will so etwas nicht mehr hören.




    Der Punkt mit den Asiatischen Künstlern ist natürlich heikel, das weiß ich.
    Es hat jedenfalls nichts mit "Rassischen Vorurteilen" zu tun, ich hoffe das man mir das zutraut, dass ich über solches "Gedankengut" erhaben bin.
    So einen Primitivismus würde ich niemals von mir geben, weil mir der Blödsinn solcher Thesen voll bewust ist.


    Mir geht es hierbei um eine andere sinnliche Wahrnehmung - denn gerade im Studium merke ich wie sehr sich allein Symbole in unseren Kulturen unterscheiden und wie anders die emotionale Welt der Chinesen ist.
    Durch das Studium kenne ich natürlich auch viele Chinesen und bin mit einigen befreundet.
    Die sind dann aber wieder so in der westlichen Kultur verankert, dass es da wieder etwas anderes ist.
    Ich will auch nichts über die Qualität sagen, mir geht es darum, dass mich das eben kalt läßt, egal wie gut das eben gemacht sein mag.
    Und Matthias hat ein Kriterium angesprochen dass es wohl sehr gut trifft, die Kopie, das Imitat eines großen Meisters wird höher geschätzt als die eigene Schöpfung - und das sorgt bei uns auf der Akademie für ziemliches Unverständnis auf beiden Seiten.
    Vor allem das die Fähigkeit des Imitierens so dermaßen eisern durchgezogen wird, diese Disziplin beängstigt....



    Und gerade beim angesprochenen Bach Collegium Japan unter Masaaki Suzuki finde ich meine Vorurteile bestätigt.


    Nein ich mag das Ensemble überhaupt nicht, keine der Aufnahmen die ich habe, bzw. hinein gehört habe, hat mich berührt. Es gibt ja auch relativ bekannte Japanische Lautenisten, z.B. Yasunori Imamura oder Toyohiko Satoh.
    Tut mir leid, aber das ist für meinen Geschmack leidenschaftslos, gegen José Miguel Moreno, Konrad Junghänel oder Paul O'Dette nicht die geringste Chance.
    Ich habe die Aufnahmen gekauft bevor ich diese Vorurteile(?) hatte, denn durch diese Aufnahmen kam ich ja erst dazu.


    Aber es gibt natürlich auch langweilige westliche Lautenisten - aber um es einfacher auszudrücken:
    Noch habe ich bei fernöstlichen Interpreten niemanden gehört der mich wirklich überzeugt und berührt hat.

  • Hallo zusammen!


    Ich bin froh, dass ich nicht die Einzige bin, die bei Aufführungen asiatischer Interpreten, speziell der jüngeren Generation aus China, Japan z.B. das Gefühl hat, technisch perfekte Musikmaschinen ohne den emotionalen Hintergrund und ohne das Wissen um den traditionellen europäischen Hintergrund der Aufführungspraxis, der Komposition, des Komponisten und seiner Zeit, zu hören. Ich wollte dies zuerst nicht äussern, um nicht den Anschein zu erwecken, rassistisch eingestellt zu sein. Damit hat das wirklich nichts zu tun, aber für mein Empfinden sind die beiden Welten so grundverschieden, dass diese Interpreten, die offensichtlich in ihrer Tradition verhaftet sind, so wie ich in der meinen, meine Seele nicht erreichen. Ich bewundere ihre Technik, aber mir fehlt die Interpretation, und nur beides zusammen ergibt für mich den wahren Hörgenuss. Natürlich gibt es auch da Ausnahmen (Nein, Lang Lang gehört nicht zu ihnen!) und natürlich gibt es auch europäische Künstler, die mich nicht berühren, aber bei den asiatischen tritt dieses Gefühl bei mir deutlich häufiger auf.

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