Mir fällt kein Threadtitel ein...

  • Salut,


    mir fällt für ein Thema, das mich lange schon beschäftigt, tatsächlich kein passender Titel ein. Sollte also ein passender gefunden werden, so habe ich nichts dagegen, den Platzhalter zu ersetzen. Zum 'Problem':


    Seit vielleicht 15 oder 20 Jahren werden nach und nach Mozarts Zeitgenossen wiederentdeckt. Zunächst gefiel mir diese Musik nicht besonders, ich empfand sie als mittelmässig. Nach und nach empfand ich aber, dass die Musik als solche ganz hervorragend ist, wenn man sie nur anders - um nicht zu sagen mozärtlicher - spielt. Wer kann dieses Phänomen bestätigen?


    Es muß sich also meiner Meinung nach ein bestimmter Mozartstil entwickelt haben, in dem zwar alle Werke Mozarts, nicht aber die seiner Zeitgenossen gespielt wurden. Ob darin eine üble Absicht besteht [was ich nicht glaube, da Mozart keine Untergrabungen anderer komponisten nötig hat] oder ob dies ein Phänomen ist, das sich auf psychologischer Ebene der Interpreten abspielt [es ist eben kein Mozart!], bleibt für mich weitestgehend ungeklärt.


    Mittlerweile gibt es zwei Richtungen:


    a) Viele Interpretationen von z.B. Werken von Kraus, Martín y Soler usw. werden dem "Mozartstil" angeglichen und erklingen gleich sehr viel wertvoller.


    b) Mozarts Werke werden leicht verrotzt dargeboten und so auf eine ebene mit seinen Zeitgenossen gestellt.


    Mir kommt es jedenfalls oft so vor, dass manche Mozartzeitgenossen "mal eben so" vom Blatt gehudelt werden, als seien sie es nicht wert [und das unterstreicht die Sache ja noch!] - dabei könnte man doch Arien und Solowerke ebenso innig, komisch oder ernsthaft darbieten, wie Mozart selbst!?


    Beispiele möchte ich zunächst ersparen... aber vielleicht liesse sich ja über das Thema an sich reden?


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Lieber Ulli,


    Da hast Du ein schweres Thema beim Kragen.
    Was Dir jetzt bewusst geworden ist, galt fuer mich vermutlich schon eine laengere Zeit unbewusst. Ich entnehme aus meinem Profil: Am Liebsten "Wiener Klassik".
    Haydn ist bei mir immer hoeher gestiegen, und steht jetzt, zusammen mit Bach, an Stelle 2. Aber auch die sogenannten Kleinmeister Vanhall, Albrechtsberger und Dittersdorf zaehlten bei mir schon zwei, wenn nicht drei Jahrzehnten.
    Und inzwischen schaetze ich sowohl Paisiello und Salieri immer mehr. Und da sind dann noch Kraus und Soler hinzu gekommen. Wirklich Riesen, die fuer mich schon fast an Haydn reichen.


    Ich bin selbst noch unschluessig, denn ich habe noch mehr Komponisten kennengelernt. Aber von ihnen kenne ich nur ein Werk, dass ich dann sehr schaetze.
    Und eine Sonderstellung nehmen bei mir ein C. Stamitz, A. Rolla und J.C. Bach. Wo sie gehoeren, dass kann ich noch immer nicht sagen. Aber ihre Musik schaetze ich auch sehr.


    LG, Paul

  • Hallo Ulli,


    vor ein paar Wochen hat der Cellist Alban Gerhardt sich in einer Radiosendung, die eine CD mit unbekannten romantischen Cellokonzerten vorstellte, zu der Problematik des Engagements für Randrepertoire geäußert. Er hatte bei der Vorbereitung auf die Aufnahmesitzungen u.a. eine Einspielung gehört, bei der eines dieser Werke (ich glaube, es war das Konzert von Gernsheim) für ihn so abschreckend langweilig klang, dass er sich beinahe geweigert hätte, sich weiter mit dem Stück zu beschäftigen. Erst der Blick in die Partitur habe ihm dann gezeigt, dass an dem Werk doch mehr dran war, als er auf den ersten "Blick" gehört hatte. Gerhardt war der Meinung, dass man dieses Randrepertoire mit derselben Begeisterung und Überzeugung spielen müsse wie die etablierten Stücke, dann könne man als Solist auch das begleitende Orchester mitreißen, das sonst eher "Dienst nach Vorschrift" leisten würde.


    :hello:


    GiselherHH


    P.S.: Ab jetzt bin ich auch vierstellig! :]

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Dank u wel, Paul!

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

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  • Zitat

    bei der eines dieser Werke (ich glaube, es war das Konzert von Gernsheim) für ihn so abschreckend langweilig klang


    Ich tippe mal auf die Aufnahme des Volkmann-Konzertes mit Thomas Blees.

    Zitat

    dann könne man als Solist auch das begleitende Orchester mitreißen, das sonst eher "Dienst nach Vorschrift" leisten würde.


    Das stimmt schon, aber er sollte den Dirigenten nicht vergessen.
    Der und nicht der Solist ist für das Orchester zuständig.
    Davon einmal abgesehen kenne ich es eigentlich nicht anders, als daß an ein unbekanntes Werk eines unbekannten Komponisten erst einmal mit Interesse herangegangen wird und dabei vor allem die Probenarbeit des Dirigenten entscheidend ist.

    Zitat

    dass man dieses Randrepertoire mit derselben Begeisterung und Überzeugung spielen müsse wie die etablierten Stücke


    Natürlich, ansonsten sollte man es bleiben lassen, denn das nützt niemandem.
    LG,
    Michael

  • Zitat

    Original von Michael Schlechtriem


    Ich tippe mal auf die Aufnahme des Volkmann-Konzertes mit Thomas Blees.


    Hallo Michael,


    das kann natürlich auch sein, Du als Profi hast da sicher den besseren Überblick (ich hoffe mal, das Thomas Blees nicht mit Ulli verwandt oder verschwägert ist).


    Ansonsten meinte Gerhardt, wenn der Solist ein unbekanntes Werk mit großem Engagement in den Proben spielen würde, dann würde sich das Orchester sagen: "Wenn der sich dafür so einsetzt, dann muss da was dran sein" und entsprechend "auf der Stuhlkante sitzen".


    :hello:


    GiselherHH

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  • Hallo Ulli,


    alle Vergleiche hinken, aber dem Phänomen, das Du beschreibst, kommt man vielleicht näher, wenn man einen Vergleich zur Sprache bemüht. Ich probier's einfach mal. Also: Mozart ist ein Komponist, der viele unterscheidliche Einflüsse seiner Zeit in seine musikalische Sprache aufgenommen hat - er hat sozusagen aus vielen Dialekten seiner Zeit eine Hochsprache gemacht. Oder anders ausgedrückt: Da seine Musik zum Modell für spätere Generationen wurde, ist Mozarts Musiksprache wie eine Hochsprache behandelt worden. Irgendwann hat man dann geglaubt, nur die Hochsprache zähle und die Dialekte wären minderwertig - man vernachlässigte sie und verlernte sie dabei auch. Dadurch wurden alle Vorurteile die sich gegen die übrigen, zunehmend in Vergessenheit geratenden Komponisten ansammelten, in einem Teufelskreis fortlaufend weiter bestätigt: X Denn bekanntlich klingen Texte in Dialekten, wenn sie von jemandem vorgetragen werden, der nur Hochdeutsch gelernt hat, ziemlich flach und peinlich. Und genau so ist es auch mit musikalischen Dialekten! Inzwischen hat man aber begonnen, sich wieder für Dialekte zu interessieren und auch begriffen, dass man manche Dinge nur im Dialekt ausdrücken kann :) Es gibt sogar Leute (mich zum Beispiel), die meinen, dass manche Menschen im Dialekt so interessante Sachen gesagt haben, dass es sich allein dafür lohnt, den Dialekt zu lernen.


    Du sagst

    Zitat

    Viele Interpretationen von z.B. Werken von Kraus, Martín y Soler usw. werden dem "Mozartstil" angeglichen und erklingen gleich sehr viel wertvoller.


    Genau das glaube ich nicht. Vielleichst hast Du Mozart schon so zum Heiligen erhoben, dass eine intensive Interpretation für DIch schon automatisch "Mozartstil" ist. Aber die guten Interpreten von Kraus' Werken versuchen nach meiner bescheidenen Meinung :untertauch: gerade nicht, Kraus wie Mozart zu spielen, weil daraus in den meisten Fällen minderwertiger Mozart statt genialer Kraus entstünde. Ein guter Kraus-Interpret wird Kraus vielmehr von seinen Vorbildern her zu verstehen suchen: Gluck, Carl Philipp Emanuel Bach (auch wenn Kraus das so nicht zugegeben hätte), Holzbauer etc.


    Aber natürlich ist auch Mozarts Sprache nicht von Dialekten frei und besonders manche seiner frühen Werke klingen interessanter, wenn man bei der Interpretation diese Dialekte herausarbeitet. Idomeneo zum Beispiel wirkt am besten, wenn man ihn wie eine sehr sehr gute Gluck-Oper spielt statt wie ein noch nicht ausgereiftes Mozart/Da-Ponte-Werk.


    Mit dem Phänomen, das Du so beschreibst

    Zitat

    Mozarts Werke werden leicht verrotzt dargeboten und so auf eine ebene mit seinen Zeitgenossen gestellt.


    hat das allerdings nicht zu tun.


    Verrotzte Interpretationen sind nochmal ein ganz anderes Phänomen. Man hat entdeckt, dass man sich, wenn man bestimmte Eigenheiten der historischen Aufführungspraxis gnadenlos übertreibt, gut bei einem Publikum anbiedern kann, dem die herkömmliche Art Klassik zu spielen zu langweilig ist. Weil man aber natürlich trotzdem das Stammpublikum nicht ganz vergrätzen wollte, stürzte man sich besonders gerne auf Werke von Komponisten, die noch keiner kannte, verjazzte sie, spielte sie rauh und unangepasst :pfeif:Ein wenig verdankt sich der Erfolg von Concerto Köln diesem Trick, obwohl sie damit auch wiederum dazu beigetragen haben, manchen Unbekannten erst so bekannt zu machen, dass er jetzt auch von weniger extremen Interpreten gespielt wird.


    Das meint jedenfalls - ohne zu wissen, ob er Recht hat - der


    Amateur

    Dem Amateur ist nichts zu schwör.

  • Hallo Giselher,

    Zitat

    ich hoffe mal, das Thomas Blees nicht mit Ulli verwandt oder verschwägert ist


    Nein, ist er nicht!

    Zitat

    Wenn der sich dafür so einsetzt, dann muss da was dran sein" und entsprechend "auf der Stuhlkante sitzen


    Irgendwo hat er schon recht, aber ich z.B. sitze prinzipiell immer auf der Stuhlkante, und die Kollegen auch-woher kommt eigentlich immer dieses Vorurteil, daß ein Orchestermusiker immer erst mal gelangweilt herumhängt?


    Ist ja auch egal, Alban Gerhardt ist ein besonders toller Cellist-ich bewundere ihn sehr!
    LG,
    Michael

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    P.S.: Ab jetzt bin ich auch vierstellig! :]


    Auch von mir ein herzliches Willkommen im Club der 4-stelligen :yes:
    (ab jetzt wird´s aber schwer - nur Ulli knackt demnächst die nächste Schallmauer, wenn nicht schnell genug vorher Tritsch-Tratsch bereinigt wurde :stumm::D [wodurch ich auch wieder unter die 1.000 fallen würde])


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

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  • Lieber Michael,


    Auch fuer Dich gilt "gratuliert". Nur ist es ein nicht so schoener Zahl wie Giselhers 1.000 oder Gallos 500. Du bist "in between". :D


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Barezzi


    Auch von mir ein herzliches Willkommen im Club der 4-stelligen :yes:
    (ab jetzt wird´s aber schwer - nur Ulli knackt demnächst die nächste Schallmauer, wenn nicht schnell genug vorher Tritsch-Tratsch bereinigt wurde :stumm::D [wodurch ich auch wieder unter die 1.000 fallen würde])


    :hello:
    Stefan


    Hallo Stefan,


    Dank, Dank, tausendmal ( :D ) Dank! Die nächste Stufe dürfte für mich, jedenfalls bei meinem bedächtigen Tempo, erst in etwa 15 Jahren fällig sein. Wobei ich natürlich davon ausgehe, dass TAMINO dann noch existiert... :yes:


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Wenn dir kein zutreffender Name einfällt dürfte es schwer fallen einen zu finden.
    Vielleicht kommt man über den damiligen neuen Zeitgeist etwas weiter.
    Mit der Französichen Revolution 1789, entstand in Europa ein neuer Zeitgeist.In ganz Europa entstand ein neues Lebensgefühl und verhalf der mit der Renaissance einsetzenden Befreiung aus den veralterten geistlichen Zwängen zu entfliehen. Nicht nur die Menschen wurden befreit, sondern auch die Musik die bis dato, oft nur hinter verschlossennen Türen, Priviligierten, Adel und Klerus dargeboten wurde. Nach meinem Empfinden kann man ab 1789 auch eine Revulution in der Musik feststellen auch die Musik erfuhr eine gewisse Aufklärung.
    Padre

  • Salut!


    Danke für Eure interessanten Beiträge - ich hab's doch glatt jetzt erst bemerkt. :O


    Der "amateurhafte" Vergleich mit den Dialekten scheint mir schlüssig - ich will mich aber nicht davon abhängig machen. Auch das:


    Zitat

    Original von Amateur
    Aber die guten Interpreten von Kraus' Werken versuchen nach meiner bescheidenen Meinung :untertauch: gerade nicht, Kraus wie Mozart zu spielen, weil daraus in den meisten Fällen minderwertiger Mozart statt genialer Kraus entstünde. Ein guter Kraus-Interpret wird Kraus vielmehr von seinen Vorbildern her zu verstehen suchen: Gluck, Carl Philipp Emanuel Bach (auch wenn Kraus das so nicht zugegeben hätte), Holzbauer etc.


    stimmt ganz sicher. Nur: Ich meinte mit "Mozartstil" etwas anderes, als ich es beschreiben konnte. Ich meinte damit eigentlich die innige und vor allem überzeugte Beschäftigung mit solchen Randkomponisten. Vermutlcih wurde ja Mozart und Haydn damals bei den Uraufführugen auch nicht besonders toll gespielt, weil einfach die Praxis und die langjährige Beschäftigung mit den Komponisten fehlte. Demnach fehlte es aber damaligen wie heutigen Interpreten zeitweise an der notwendigen Intuition... :rolleyes:


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Einst hat Pius gemeint, ich solle wieder öfter zum Thema Mozart schreiben. Ich hab ihm damals geantwortet, ich hätte wenig Zeit, dies mache ohnedies Ulli. Pius meinte damals, es wäre ein interessanter Unterschied in den Auffassungen feststellbar, deshalb würde er gerne BEIDE lesen.


    Heute wurde mir bewusst, was er gemeint hat.
    Ich bin in dieser Angelegenheit in kaum einem Punkt mit Ulli d´accord.


    Zunächst mal: Was ist der "Mozart-Stil"
    Wenn ich mir die Interpretationen der letzten 50 Jahre anhöre, dann muß ich sagen: Es gibt ihn eigentlich nicht. Er wurde allenfalls von Musikern und Publikum "erfunden" - ähnlich wie man heutzutage jeder Puppe, der man eine weißgepuderte Perücke des 18. Jahrhunderts aufsetzt den Namen "Mozart zu geben versucht.


    Mozart sprach die Tonsprache des ausgehenden achzehnten Jahrhunderts - natürlich mit seiner eigenen Diktion und Dialekt, aber dennoch nicht unverwechselbar, wie zahlreiche Fehlzuschreibungen aus der Vergangenheit bezeugen.


    Mozart Zeitgenossen haben es insofern schwer, als daß sich einerseits die allerersten Interpreten von ihnen fernhalten, ein Alfred Brendel beispielsweise würde sowas gar nicht erst anschauen.


    Nehmen wir einen Komponisten als Vergleich, dessen Werke in Einzelfällen einst fälschlicherweise Mozart zugeschrieben wurden: Antonio Rosetti.


    Ich habe beispielsweise diesen Komponisten durch Concerto Köln kennengelernt - und wie die Pest gemieden. Spröde und aggressiv klang es da aus der Anlage. Mir stellte sich die Frage WER um Gottes Willen hat im 18. Jahrhundert solche Musik gehört ?


    Erst einige Jahre später gelangte die untenstehende CD in meine Hände - und ich war hingerissen. Die Aufnahme war sicher nicht "historisch informiert" - aber die Spielfreude, Musikalität und Eleganz schien mir näher am Rokkoko zu sein als die schrille kantige Interpretation des Concerto Köln



    Ab diesem Moment sammelte ich von Rosetti was ich bekommen konnte.Die Aufnahme sind von unterschiedlicher Qualitär, aber durschaus beachtlich.


    Inzwischen haben sich auch zahlreiche kleiner Orchester auf Mozart Zeitgenossen spezialisiert und eine Art Subkultur geschaffen.
    Besonders lobend erwähnen möchte ich an dieser Stelle die "London Mozart Players" unter Matthias Bamert.


    Kraus, da mögen andere sagen und schreiben was sie wollen, hat mich bis heute nicht begeistern können, seine Opern kenne ich allerdings nicht.


    Soler, Cimarosa, Salieri - ja das sind Komponisten nach meinem Geschmack. Keiner von Ihnen erreichte die Vielseitigkeit Mozarts, aber jeder war auf seinem Spezialgebiet ein Meister. Wenn man in Rechnung stellt, daß sie in der Regel nicht von Ensembles der ersten Garde interpretiert werden, so muß deren Leistung umso mehr bewundert werden.


    Aber letztlich geht es mir beim hören von Musik nicht darum, die Frage zu beantworten ob es sich um ein "Meisterwerk erster Güte" handelt, sondern darum "Spaß zu haben"


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Mit der Französichen Revolution 1789, entstand in Europa ein neuer Zeitgeist.In ganz Europa entstand ein neues Lebensgefühl und verhalf der mit der Renaissance einsetzenden Befreiung aus den veralterten geistlichen Zwängen zu entfliehen. Nicht nur die Menschen wurden befreit, sondern auch die Musik die bis dato, oft nur hinter verschlossennen Türen, Priviligierten, Adel und Klerus dargeboten wurde.



    Hallo Padre,



    da bist Du aber falsch informiert - seit dem 17. Jahrhundert standen die Theater und Opernhäuser jedermann offen. Soldaten hatten sogar freien Eintritt.


    Und gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurden überall öffentliche Konzerthäuser gegründet.
    In Paris gab es zuerst das "Concert Spirituel" und dann im Laufe der Zeit noch weitere wie z.B. "Concert de la Loge" das Haydns Pariser Symphonien aufführte.


    Diese Konzerthäuser standen auch dem Volk offen.
    Dass natürlich keine abgerissenen Bauern oder Tagelöhner da zu finden waren, versteht sich von selbst - aber das ist Heute ja genauso.


    Diese Zeit war weitaus weniger rückständig als immer behauptet wird.
    Ich will keine Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen, aber fast 70 % was in Schulbüchern über den Absolutismus zu lesen ist, oder was sonst so im Umlauf ist - ist reiner Blödsinn, basierend auf der Negativpropaganda des Kaiserreichs und den nachfolgenden Regime.


    So ist z.B. auch der Roman "Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters" von Stefan Zweig historisch gesehen der letzte Schund. Schlecht recherchiert und mit haarsträubenden Lügen gespickt um diesen Mist besser verkaufen zu können.


    Die Revolution selbst ist keinesfalls ein Auflehnen des Volkes gewesen, sondern ein Putsch des Herzog von Orlèans und seinem Zirkel von erfolglosen Anwälten, Ärzten und Schriftstellern – Er selbst wurde vom Hofe verbannt und stand seitdem in Opposition zur Monarchie. Ihm sind nur während der Revolte die Zügel aus der Hand geglitten...aber das führt zu weit.


    Aber soweit ich informiert bin gab es auch in Wien und anderen großen Städten öffentliche Konzerte nicht nur in Paris. In Deutschland selbst – da dürften allerdings wirklich noch Zustände geherrscht haben wie im finstersten Mittelalter.
    In Sachen und Bayern war das vielleicht nicht ganz so extrem – aber wenn man bedenkt das August der Starke noch diese „Recht der ersten Nacht“ nutzte kann man nur mit dem Kopf schütteln...aber wie sonst soll er auch auf 370 Kinder gekommen sein.... vielleicht auch alles nur Legende....


    Zu dem Problem das Ulli beschreibt.
    Ich habe das nie so empfunden, denn ich habe Mozarts Musik erst über die historisch informierte Aufführungspraxis kennen und lieben gelernt.
    Und vor allem habe ich erst seine Zeitgenossen gehört – und dann komme ich ja auch noch von der anderen Richtung.
    Ich arbeite mich ja nicht wie viele in der Musikgeschichte zurück – sondern vorwärts – ich glaube das ist auch spannender –zumal man viel eher hört was neu ist!
    Ich kenne auch einige ältere Mozartaufnahmen, aber ich empfinde sie häufig als langweilig und zu betulich. Eben glattgebügelt, damit man Sonntags beim Kaffeetrinken ja nicht geweckt wird.
    Concerto Köln spielt manchmal wirklich ruppig, aber ich glaube dass dieser Ansatz nicht so verkehrt ist. In gewisser Weise will jeder Künstler ja etwas neues revolutionäres Schaffen – das war schon immer so. Deshalb denke ich wenn da „Presto“ steht soll man das auch so spielen.
    Ich bin davon überzeugt, dass man dieser Musik die Effekte so entlocken soll – denn das 17. und 18. Jahrhundert legte ja auf Effekte sehr große Wert. Das schwelgerische, romantische ist bestimmt auch da, aber nicht so wie man es im 19. Jahrhundert verstanden hat.
    Deshalb finde ich die Rosetti Aufnahme des Concerto Köln auch richtig und gut.
    Während mir die London Mozart Players wieder viel zu langweilig sind. Das ist Interpretation im Geiste Böhms. Aber für viele Werke gibt es nun mal keine Alternative.


    Ich möchte diese Musik eigentlich nur noch in HIP hören, denn durch diese Interpretationen wurde mir erst die Schönheit dieser Musik so richtig bewusst.
    Wenn der ganze Kitsch des letzten Jahrhunderts erst mal weg ist, dann bleiben wirkliche faszinierende Werke.
    Die Concerti per Cembalo (wie Mozart schrieb) in der Interpretation von Jos van Immerseel und seinem Ensemble Anima Aeterna waren für mich eine Offenbarung.
    Das Orchester spielt ohne unnötiges Vibrato (denn meiner Meinung nach ist das Vibrato eine Verzierung wie auch z.B. der Triller – wie wäre es wenn man das jedem Ton antun würde ? )
    Immerseel spielt auf einem hervorragenden Pianoforte – einfach nur wunderbar.
    So wollte ich die Konzerte immer hören – da sind solche Aufnahmen wie von Brendel oder den etablierten Musikern chancenlos.



    Ob es einen Mozartstil gibt weiß ich nicht – ich empfinde es eher so das die HIP Bewegung sich nach und nach jedem Komponisten annimmt und zeigt was sie daraus macht.
    Ich bin wie so viele vollkommen begeistert wie René Jacobs den Mozart Opern neues Leben einhaucht – ich hoffe darauf, dass er alle Werke einspielen wird.
    Wenn ich mir dagegen Böhm anhöre, schlafe ich ein. Dann gibt es ja noch Östmann, aber er hat es so dermaßen eilig, dass die Sinnlichkeit flöten geht – und darauf kommt es nun mal an.


    Joseph Martin Kraus – ich halte ihn für genial – er ist wohl einer der besten Komponisten von Symphonien. Aber auch seine Opern sind fantastisch. Er komponierte eher im Stil von Gluck als von Mozart – somit ist es eigentlich nicht mehr ganz so tragisch, dass Gluck sich der Symphonie so gut wie gar nicht gewidmet hat.
    Leider gibt es von Kraus viele Einspielungen die nur mittelmäßig sind (Violinkonzert).
    Seine Symphonie in c-moll stellt für mich einen der Höhepunkte der klassischen Symphonie dar, auch wenn der Vorläufer in cis-moll durchaus seine Qualität hat.


    Ein Grund warum viele Musikhörer erst mal nichts mit Mozarts Zeitgenossen anfangen können, mag die Tatsache sein, dass man mit einer falschen Erwartungshaltung an die Werke herangeht. Man erwartet einen Ohrwurm nach dem andern – wie bei Mozart oder man erwartet einfach Werke die eine „Erweiterung“ von Mozart darstellen – da wird man natürlich enttäuscht.
    So wie man auch bei den großen Barockkomponisten nur Originale findet ist das auch in dieser Zeit nicht anders.


    Außerdem wird einem klar dass Mozart auch nur mit Wasser gekocht hat – natürlich war er genial, keine Frage, aber er hat die Musik nicht erfunden, genauso wenig wie Bach.
    Wenn man z.B. Salieris Opera buffa „La Grotta die Trofonio” oder sonstige Werke hört, dann weiß man plötzlich woher Mozart seine Einfälle für seine Da Ponte Opern herbezog.
    Oder die „Grande Messe des Morts“ von Gossec – die muß Mozart gekannt haben.


    Außerdem – man muss und darf es wohl sagen, nicht alles was Mozart geschrieben hat war unbedingt genial. Manchmal erreicht er auch nur mit knapper Not Mittelmaß.
    Aber auch er war nur ein Mensch – und es ist auch völlig ausgeschlossen immer Höchstleistungen zu vollbringen.


    Ich glaube wenn man jeden Komponisten erst mal gelten lässt und sich seine Musik anhört und nicht sofort mit Mozart vergleicht dann entdeckt man sehr schnell die Schönheiten dieser Musik.
    Mozarts Musik ist einfach anders – genauso wie das bei Bach ist.
    Aber hätte man zuerst Gossec aus dem Regal gezogen und ihn vermarktet würden wir Heute alles an Gossecs Musik messen......
    (aber der ist ja Franzose - das geht natürlich in Deutschland schon aus Prinzip nicht :stumm: )

  • Ich finde die "Relativierung" des Mozartschen Schaffens in den letzten Jahren sehr erholsam. Es ist eigentlich ein Unding, dass man ihn dermaßen aus seinem Kollegenkreis heraufgehoben hat, was aber m. E. vor allem daran lag, dass ihn die Aura des legendenbildenden frühen Tods unterstützt hat. Das soll nichts daran ändern, dass ich seine Musik sehr schätze, aber lange Zeit war er beinahe der einzige Repräsentant seiner Ära, wenn man Haydn außer acht läßt, der auch eher als museales Ausstellungsstück herhalten musste...

  • Dennoch glaube ich, dass Mozart einmalig ist. Auch verglichen mit Haydn.
    Keinen anderen Komponist kenne ICH, wobei ich kaum Atemruhe bekomme. Denn Motiv auf Motiv reiht sich an ein ander. So eine unglaubliche Fuelle an Schoenheit bietet er.


    Anderseits bedeutet das, dass ich bei ihm weniger das Bearbeiten des Motives finde als bei den anderen Komponisten. Ja, sogar manchmal vermisse. Aber sonst wuerden die Kompositionen von ihm ja Stunden dauern.


    Und noch was anders bei ihm "fuehle" ich: es ist ob sehr viel Musik von ihm, besonders die Konzerten fuer Soloinstrumenten + Orchester, eigentlich Opernarien sind. Schreibe mal einen Text dazu, und sie koennen gesungen werden.


    LG, Paul

  • Lullist,
    ich will dir garnicht wiedersprechen. Mit Renaissance meinte ich auch nicht die Musikepoche, denn die lag ja vor Mozarts Zeit, sondern den Begriff ansich.
    Der Begriff R.wurde meines Wissens von dem Maler Vasari bereits 1550 verwendet. R. bedeutet nach meiner Vorstellung sinngemäß die Wiedergeburt des Menschen.
    In Venedig eröffneten 1637 die beiden Römer Ferradi und Manelli mit dem Teatro S.Cassiano das erste " öffentliche Opernhaus". Weitere Opernhäuser folgten 1678, u.a.das große Teatro Grimani.
    Die Logen wurden an die Adligen und reichen Bürgerfamilien verpachtet.Das Parkett war zunächst unbestuhlt.
    Ich will das nicht weiter ausführen. Fest steht, dass der kleine Mann erst nach und nach Zugang erhielt und sich die Karten leisten konnten.Es war eine langsame Entwicklung, die ihren Höhepunkt mit den Volksopern fanden.
    Nach diesen Ausführungen sollten wir uns wieder der Frage, nach einen aussagekräftigen Titel zuwenden.
    Der Musikwissenschaftler Ulrich Michels,führt im dtv- Atlas Musik auf Seite 333 aus:"Der Wechsel vom Barock zur Klassik ( Bach 1750)verläuft vielschichtig"........
    und auf Seite 334 spricht er davon:" Der sich befreiende Mensch spricht sich auf allen Gebieten gleichzeitig aus. Im Jahr 1781, erstem Höhepunkt der Klassik, entstehen Hadys Streichquartte op.33, Mozarts Entführung, Schillers Räuber, Kants Kritik der reinen Vernunft.
    In diese Richtung gehend habe ich es gemeint, wenn ich von der Befreiung der Musik spreche.
    Padre :hello:

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  • Zitat

    Original von Ulli
    Es muß sich also meiner Meinung nach ein bestimmter Mozartstil entwickelt haben, in dem zwar alle Werke Mozarts, nicht aber die seiner Zeitgenossen gespielt wurden. Ob darin eine üble Absicht besteht [was ich nicht glaube, da Mozart keine Untergrabungen anderer komponisten nötig hat] oder ob dies ein Phänomen ist, das sich auf psychologischer Ebene der Interpreten abspielt [es ist eben kein Mozart!], bleibt für mich weitestgehend ungeklärt.


    Tut mir leid, ich kann das nicht bestätigen.


    Wenn ich Mozart mit Gardnier oder Pinnock höre, habe ich gar nicht den Eindruck, die würden das nun anders machen, als wenn Gluck oder Haydn am Pult lägen. Dass CPE Bach etwas ruppiger genommen wird, liegt an dessen Ästhetik und finde ich völlig OK. Und die weniger bedeutenden Zeitgenossen haben Gardiner und Pinnock leider nicht in großem Maßstab eingespielt, ich erinnere mich jetzt aber an ein Oboenkonzert eines Spätmannheimers namens Lebrun, das Pinnock ebenso "hochklassisch" (und eben nicht "mozärtlich") spielen läßt wie Mozart selbst.


    Concerto Köln finde ich oft zu ruppig für hochklassische Musik, die nehmen nur Randrepertoire auf (Kraus und ähnliche Kuriositäten) und könnten deshalb den Eindruck vermitteln, dass die weniger zentralen Komponisten nur "verrotzt" gespielt werden. Aber da es ja noch diverse andere Orchester und Dirigenten gibt, findet sich immer wieder sehr unverrotztes Randrepertoire (Mehul mit Capella coloniensis z.B.)
    :hello:

  • Wie typisch war Mozart denn eigentlich für seine Zeit? Wenn hier von der Tonsprache des 18. Jahrhunderts gesprochen wird, welche Periode in Mozarts Schaffen ist damit gemeint? Gilt das noch für den Don Giovanni und das Requiem? I denke, Mozart ist über 200 Jahre lang auf dem Spielplan geblieben, weil zumindest seine späteren Werke eben keine Musik des 18. Jahrhunderts mehr waren oder zumindest auch im Sinne des 19. interpretiert werden konnten. Ein Rosetti dagegen ist fest im 18. Jahrhundert verwurzelt. Mit wachsendem Interesse an "alter Musik" finden natürlich auch Mozarts Zeitgenossen mehr Beachtung, das finde ich nicht verwunderlich.

  • Zitat

    Original von beckmesser
    Gilt das noch für den Don Giovanni und das Requiem? I denke, Mozart ist über 200 Jahre lang auf dem Spielplan geblieben, weil zumindest seine späteren Werke eben keine Musik des 18. Jahrhunderts mehr waren [...]


    Warum soll das Requiem nicht Musik des 18. Jahrhunderts sein?


    Mozart ist ein typischer hochklassischer Komponist und keine totale Ausnahmeerscheinung.

  • Ist das wirklich so? Ich kann hier nicht fundiert widersprechen, dazu kenne ich die Musik der Periode nicht gut genug. Welche Werke von Zeitgenossen sind denn mit Mozarts Requiem vergleichbar? Und wie sieht es mit Opern und Sinfonien aus?

  • Zitat

    Original von beckmesser
    Welche Werke von Zeitgenossen sind denn mit Mozarts Requiem vergleichbar?


    Was heißt "vergleichbar"? Stilistisch ähnliche wird es zu Hauf geben in unterschiedlichstem Niveau, freilich qualitativ vergleichbar wohl eher nichts. Deshalb fällt das Werk aber nicht aus seiner Zeit heraus.


    Komponisten, die "zu früh" dran sind, sind oft eher weniger bedeutende Herren wie z.B. Sammartini oder Golyscheff.
    :hello:

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  • Zitat

    Original von beckmesser Ich denke, Mozart ist über 200 Jahre lang auf dem Spielplan geblieben, weil zumindest seine späteren Werke eben keine Musik des 18. Jahrhunderts mehr waren oder zumindest auch im Sinne des 19. interpretiert werden konnten. Ein Rosetti dagegen ist fest im 18. Jahrhundert verwurzelt. Mit wachsendem Interesse an "alter Musik" finden natürlich auch Mozarts Zeitgenossen mehr Beachtung, das finde ich nicht verwunderlich.



    Nicht nur Mozart hat Werke geschrieben, die auf die Zukunft vorauswiesen, sondern gerade auch viele seiner Zeitgenossen. Einige von ihnen waren dabei in Einzelzügen sogar viel radikaler :evil: : Der viel zitierte Kraus gehört dazu, aber auch der frühe Vanhal (der sich übrigens noch vor Mozart als freier Musiker in Wien betätigte und sogar Erfolg damit hatte :P), Carl Philipp Emanuel Bach oder Gluck. Etwas ganz Ähnliches ereignete sich in der Literatur: Dort ging der Klassik sowohl eine Phase des Sturm und Drang als auch der Frühromantik voraus. Als alleinige Grundlage für das sich entwickelnde bürgerliche Musikleben im 19. Jahrhundert waren diese radikalen Experimente aber wohl nicht geeignet. Mozart und Haydn haben es geschafft, ganz viele der unterschiedlichsten radikalen Ansätze so in ihre Musiksprache zu integrieren, dass das Ganze dabei nicht auseinanderfliegt - das macht ihre Größe aus. :angel: Trotzdem ist bei diesem Prozess auch etwas verloren gegangen: Auf dem Weg von C.P.E. Bach zum Expressionismus ist Mozart ein Umweg. :stumm:




    Zitat

    Original von beckmesser
    Welche Werke von Zeitgenossen sind denn mit Mozarts Requiem vergleichbar?


    Zum Beispiel das Requiem in c-moll von Michael Haydn. Da hat Mozart wenigstens ein paar Ideen für sein Requiem her.
    :pfeif:

    Dem Amateur ist nichts zu schwör.

    Einmal editiert, zuletzt von Amateur ()

  • Klar gibt es vergleichbare Werke zu Mozarts Requiem, mit gleicher Wucht, Qualität und Innigkeit.


    Ein Werk das aufgrund seiner Modernität und seiner Qualität ohne weiteres mithalten kann - vielleicht sogar übertrifft und eventuell das dierkte Vorbild war,
    ist die


    "Grande Messe des Morts" von Francois Joseph Gossec.
    Ganz klar ein Hauptwerk der gesamten Epoche.


    Und dieser Mann ist kein Kleinmeister, seitdem ich seine Werke entdecke gehört er für mich immer mehr zu den größten Komponisten überhaupt !
    Ich hoffe dass das bald auch andere Höhrer so sehen, denn wer Gossecs Musik nicht kennt hat was verpaßt.


    Besonders diese Totenmesse muss man kennen - das wirklich atemberaubende ist, dass dieses zukunftsweisende Werk schon 1760 entstanden ist.




    Und gerade wegen solcher Meisterwerke liegt die Vermutung sehr nahe, dass da noch mehr unbekanntes schlummert, das dem Wolferl durchaus den Rang ablaufen kann.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Besonders diese Totenmesse muss man kennen - das wirklich atemberaubende ist, dass dieses zukunftsweisende Werk schon 1760 entstanden ist.


    Ja eben, darum ist es ja nur bedingt "vergleichbar" weil einem früheren Zeitabschnitt zugehörig, drum habe ich Gossec auch nicht genannt. Er ist natürlich ein hervorragendes Beispiel dafür, dass nicht nur die Komponisten, die unstrittig der "ersten Reihe" angehören, den Eindruck erwecken, ihrer Zeit voraus zu sein (eine Formulierung, die ich eigentlich ablehne, sie sind einfach früher dran, sie bilden die "Speerspitze des Modernismus", oder sie sind, wie Du schriebst, zukunftsweisend.)


    Insofern kann ich dem Statement, dass Mozart "weit über seine Zeit hinausgekommen wäre" überhaupt nichts abgewinnen, andererseits bedingt Gossecs Modernität nicht, dass er gleichrangig mit Haydn oder Mozart wäre. Aber wenn jemand das so sieht, kann ich das gut nachvollziehen.
    :hello:

  • Zitat

    Blackadder
    Ich finde die "Relativierung" des Mozartschen Schaffens in den letzten Jahren sehr erholsam. Es ist eigentlich ein Unding, dass man ihn dermaßen aus seinem Kollegenkreis heraufgehoben hat, was aber m. E. vor allem daran lag, dass ihn die Aura des legendenbildenden frühen Tods unterstützt hat. Das soll nichts daran ändern, dass ich seine Musik sehr schätze, aber lange Zeit war er beinahe der einzige Repräsentant seiner Ära, wenn man Haydn außer acht läßt, der auch eher als museales Ausstellungsstück herhalten musste...


    Zitat

    KSM


    Es geht ja nicht in erster Linie, um ein zeitliche, sondern um eine qualitative Ausnahmeerscheinung.


    Und hier sehe ich heute teils die Gefahr als Reaktion auf die unkritische Heiligenverehrung zur anderen Seite herunterzufallen und den herausragenden Charakter einiger Komponisten entweder gar nicht anzuerkennen oder *nichtmusikalisch* zu begründen.


    Bis zum Beweise des Gegenteils glaube ich nicht, dass der frühe Tod Mozart bei der Rezeption der Zeitgenossen oder unmittelbaren Nachfolger irgendetwas genutzt hat, eher dürfte das Gegenteil der Fall gewesen sein. Denn seinerzeit war ein Komponist selbst fast immer noch als eigener Interpret ein zentraler Multiplikator seines Bekanntheitsgrades (sonst hätte der nun auch nicht mehr ganz junge Haydns einfach seine Partituren nach London schicken können). Mozart Situation von ca. 1776-82 zeigt doch recht deutlich, dass ihm der vielzitierte Wunderkindbonus überhaupt nicht geholfen hat, als Nichtmehrwunderkind eine aussichtsreiche Stellung zu finden.
    Glauben wir denn wirklich, dass sich Kenner und Komponisten wie Graf Waldstein, Beethoven oder ETA Hoffmann von irgendwelchen Legenden beeindrucken haben lassen und nicht von der Qualität der Musik, wenn sie Mozart, Haydn, Gluck hervorhoben und nicht Salieri, Vanhal und Kozeluch.
    Oder dass die Tatsache, dass einige Opern von Gluck und Mozart als erste der Geschichte über Jahrzehnte nach dem Tod ihrer Autoren im Repertoire geblieben sind? Natürlich hat das nicht nur mit ihrer absoluten Qualität zu tun (Cosi wurde im 19. Jhd. bekanntlich ignoriert), sondern auch damit, dass sie stärker den musikdramatischen Ansprüchen späterer Generationen genügten, als es die letzten Nachzügler der Seria (wie Idomeneo) taten


    Es gibt einen sehr schönen Essay von Charles Rosen, den dieser im Zuge einer Rezension eines Buches über Beethoven im New York Review of Books verfaßt hat. Leider sind gratis online nur die Leserbriefantwort der Autorin und Rosens Replik lesbar, aber einige wichtige Punkte werden in Rosens Antwort deutlich


    "http://www.nybooks.com/articles/1218"


    Zum Verhältnis von Zeitstil und Personalstil gibt es einige Anmerkungen im ersten Kapitel von Rosens "Der Klassische Stil".


    Schließlich muß ich, was den (angeblich zu ruppigen) *Aufführungsstil" betrifft, dem Lullisten zustimmen. Es ist kein Zufall, dass die meisten weniger bekannten Komponisten erst durch die "wilderen" HIP-Formationen in den Blickpunkt gerückt sind, obwohl es schon in den 70er gut gemeinte Einspielungen von Kammerorchestern (zB Leppard) gab. Man sollte sich nichts vormachen, ein gut Teil dieser Musik profitiert von kontrastreichen, "ruppigen" Interpretationen (ein anderer wird durch solche überhaupt erst erträglich :D).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Man sollte sich nichts vormachen, ein gut Teil dieser Musik profitiert von kontrastreichen, "ruppigen" Interpretationen (ein anderer wird durch solche überhaupt erst erträglich :D).


    Was heißt da "man soll sich nichts vormachen" - das ist doch eine Frage
    1) der Forschung und
    2) des Geschmacks
    wobei man seinem Geschmack ja wohl kaum was "vormachen" kann. Die Forschung wird sich eher hüten, detaillierte Äußerungen über Kratzen oder andere ruppige Effekte zu machen, da es sich nicht genau wird belegen lassen, mit welcher Sorgfalt man Kratzereien vermieden hat. Das Vokabular der Komponisten und Musiktheoretiker des 18. Jahrhunderts läßt mE eher darauf schließen, dass die ruppigen Kratz-Ensembles eher im Irrtum sind und die gemäßigtere Fraktion (Gardiner z.B.) eventuell doch etwas näher am Geschmack jener Zeit sind.

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