Bin ich eigentlich der einzige Wunderlich - Skeptiker/Verächter ?

  • Hehe... hiermit gebe ich ein neues Schlachtfeld frei:


    Meine Frage ist vielleicht etwas überzeichnet, da ich selbst meine Wunderlich-Aufnahmen nicht missen möchte, aber ich habe Probleme mit ihm. Geht das einigen von Euch auch so? Gibt es Bücher, Aussagen, Kritiken, die mit Wunderlichs Stime und sängerischer Intelligenz ins Gericht gehen?


    Erstes Beispiel:
    Alle Welt will unbedingt Wunderlichs Interpretation der Tenorpartie des Lieds von der Erde als unübertreffbar anpreisen, scheint mir.


    Greift doch bitte mal zu dieser CD und "dreht" den dritten Satz.


    "Mitten in dem kleinen Teiche steht ein Pavillon aus grünem und aus weißem Porzellan"


    Gefällt mir ja im Prinzip alles recht gut, aber bei "Porzellan", Porze-lan stellen sich mir die Nackenhaare auf. Es gibt für diese Gesangstechnik des Anjaulens und drauf trillerns bestimmt einen wohlklingenden Fachbegriff, den ich momentan nicht kenne, aber ich finds scheusslich schmalzig. Und schon sehe ich Wunderlich wieder als Schwiegermutterliebling und Operettentenorkarikatur vor meinem geistigen Auge. Ausser Ben Heppner trillern ja alle Tenöre meiner Aufnahmen auf dem "lan" von "Porzellan", das ist ja nicht schlimm und hat wahrscheinlich so zu sein, aber dieser operettentenorale Gestus zieht einem ja die Schuhe aus bei Wunderlich. René Kollo machts ähnlich in seinen beiden Aufnahmen, aber da stellt sich bei mir kein unbehagliches Gefühl ein. Kann man des schmalzig schönen Schmelzes von Wunderlichs Stimme genau so überdrüssig werden wie wenn einem berüchtigte Dirigenten mit zu einem Zuviel des Schönklangs ihres Orchesters traktieren?


    Na dann viel Spaß. Und: Helm auf auf dem Schlachtfeld... wird bestimmt gleich scharf geschossen...

  • :motz: :no: X( :D


    Ähm, ist das die einzige Stelle, die du bemängelst?
    Das negativste, was ich jemals über Wunderlich gelesen habe, war, das er eben auch nicht ganz perfekt war, ansonsten kann man ja nur positives lesen.
    Aber ich denke mal, wenn man sein Timbre nicht mag, dann kann er einem wohl mit der Zeit auf den Keks gehen (aber ich bin großer Wunderlich-Fan, hat aber nicht nur was mit seiner tollen Stimmführung/Gesangstechnik zu tun)

  • Sagitt meint:


    Die Stimme war schön,sehr schön.Wenige könnte es geben, die sie nicht schätzen,aber sie war die Basis seines Erfolgs. Frühe Aufnahmen haben gelegentlich Aspirations-H....Liiihebe. Technisch war Wunderlich sicher.
    Ich schätze ihn als Interpreten nicht so sehr. In meinen Augen hatte er eine Stimme für italienische Oper, Alfredo,Rodolfo, dieses Genre. Als Mozart-Tenor wird er hochgelobt,ich finde die Stimme zu stark,nicht lyrisch genug.Gleiches gilt für Liedgesang, wenn die Lieder nicht viel Stimme verlangen. Ich grolle nicht..sehr in Ordnung, hör ich das Liedchen klingen...das war nicht seine Welt.
    Das sehen natürlich alle Fans dieses Tenors ganz anders!

  • Lieber Sagitt,


    im italienischen Repertoire kenne ich von ihm bisher nur einen Mitschnitt des Verdi-Requiems von 1960 - und da forciert er sich durch seine Partie dass es nicht mehr schön ist.


    Seine Dichterliebe mag ich sehr - aber ich habe Deine Ausführungen über "echte" lyrische Tenöre fest im Hinterkopf und werde bei nächster Gelegenheit entsprechende Anschaffungen tätigen.


    Außerdem kann ich die Hand heben als ein Wunderlich-Normalfall in Deinem Sinne: mich macht das Timbre so hin dass ich über Gestaltung gar nicht mehr nachdenke...


    Auch eine Lösung.


    :hello:
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard
    René Kollo machts ähnlich in seinen beiden Aufnahmen, aber da stellt sich bei mir kein unbehagliches Gefühl ein.


    Da hast Du aber sehr schön einen grundätzlichen Unterschied der Stimmen von Wunderlich und Kollo herausgearbeitet: die eine besitzt den tenoralen Schmelz, den die andere völlig vermissen lässt. :D


    Natürlich kann man sich auch an Wunderlichs Stimme "überfressen" wie an zuviel Buttercremetorte. Kritisieren kann man gelegentliche sentimentale Drücker und Schluchzer, aber so geschmacklos wie manche italienische Tenören hat er es in dieser Hinsicht nie getrieben. Einige Kritik hat es an seiner noch ausbaufähigen Gestaltungsfähigkeit bei seinen Liederabenden gegeben, er war aber kurz vor seinem Tod wohl auf dem richtigen Weg, wie die erhältlichen Mitschnitte belegen. Und er war ja erst 36 Jahre alt, als er starb, hatte also noch nicht einmal den Zenith seiner Karriere erreicht. In interpretatorischer Hinsicht war er ein noch nicht völlig eingelöstes Versprechen.


    Aber für mich ist und bleibt er der bis jetzt vom Material her prächtigste deutsche Tenor der Nachkriegszeit und ich lass mir von ihm gern "Granad(t)a" um die Ohren orgeln und das bitte mit genügend Öl in der Kehle.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

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  • Zitat

    Original von Barockbassflo
    mich macht das Timbre so hin dass ich über Gestaltung gar nicht mehr nachdenke...


    Lieber Flo,


    DAMIT sagst Du ja das wichtigste. Ich habe - sehr selten - Momente gehabt, wo die Augenbrauen hochgezogen wurden. Aber das sind eh Nebensachen. :jubel:


    LG, Paul

  • [quote]Original von ThomasBernhard
    Bin ich eigentlich der einzige Wunderlich - Skeptiker/Verächter ?


    Bis jetzt konntest du noch keine Mitstreiter gewinnen :D

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich wäre zumal vorsichtig, die Wunderlich-Kritik gerade am "Lied von der Erde" festzumachen. Das erscheint mir denn doch als eine seiner weniger geglückten Aufnahmen, zumal er die Stilsicherheit vermissen läßt und zu operettig singt.
    Aber das halte ich eigentlich für einen seiner ganz wenigen Ausrutscher.
    :hello:

    ...

  • Tatsächlich? Nicht zu viel der Schluchzer? Ich meine: Die Stimme klingt schon fulminant, aber es gibt da eine gewisse Sentimentalität im Vortrag, die an meinem Geschmack vorübergeht.


    :hello:

    ...

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  • Zitat

    Nicht zu viel der Schluchzer?


    Habe ich noch nie so empfunden, aber macht ja nichts-die Geschmäcker sind ja verschieden.

    Zitat

    aber es gibt da eine gewisse Sentimentalität im Vortrag, die an meinem Geschmack vorübergeht


    Ist völlig in Ordnung, kann ich nachvollziehen.
    Mir gefällt eine gewisse Sentimentalität :D
    :hello:


    Michael

  • Das einzige wirklich wichtige Tenorlied im LvdE ist das erste und da ist Wunderlich grandios. Ich finde die genannte Stelle in "Von der Jugend" unproblematisch, die wäre mir ohne den Hinweis gar nicht aufgefallen.


    Mir geht es eigentlich eher wie Bassbarockflo und Giselher, dass mich die Stimme so hinreißt, dass ich sogar Operettenschnulzen mit ihm anhöre, die mir sonst nicht ins Haus kämen.


    Es mag sein, dass er sich manchmal zu sehr auf die Stimmschönheit verläßt und man in den großen Zyklen wie Müllerin und Dichterliebe mitunter eine etwas differenziertere Gestaltung wünschte (und einen spannendere Begleiter sowieso). Daher würde ich zB diese Aufnahmen nicht als einzige und überragende Referenzen nennen. Aber nichtsdestoweniger sind sie sehr gut.
    (Und außerdem bin ich ohnehin der Ansicht, dass Lieder auch "natürlich" klingen dürfen und nicht nur mit starker Tendenz zur Überinterpretation wie von Fi-Di :rolleyes: oder Schwarzkopf :kotz: zu gestalten sind)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Gerade auch im "Lied von der Erde" gefällt mir Fritz Wunderlich sehr gut. Mich stört das, was hier als "sentimental" angesprochen wurde, überhaupt nicht. Allein, wie er das "Trinklied vom Jammer der Erde" singt, verdient grossen Respekt. Nachdem ichs gerade nochmal gehört habe, würde ich doch sagen, dass sich, wenn man denn so will, gewisse Unarten, wie das "anschluchzen" von Tönen sehr in Grenzen hält. Ich finde, dass so eine sehr direkte, aber doch persönliche Interpretation, wie die von Wunderlich gut zu dem Breitwandsound von Klemperer passt. Und: da mir auch Christa Ludwig sehr gut gefällt, würde ich sagen, die Aufnahme sollte in keiner Sammlung von "LvdE"-Aufnahmen fehlen.

  • Ich mag seine Stimme sehr,auch seine Interpretationskunst ("Palestrina"/"Tamino").
    Das, was ich zu bemängeln habe, ist sein Anschluchzen vieler Töne und sein mangelhaftes Italienisch, was mir die Traviata aus München etwas verleidet.
    Warum schluchzt er sich durchs Trinklied ?
    Alfred sollte nicht heulen, sondern sich freuen, dass ihm Violetta eine Chance gibt.


    :hello:Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • @ TB


    Zitat

    „da ich selbst meine Wunderlich-Aufnahmen nicht missen möchte“


    Da bin ich mir bei dir aber nicht so sicher, wenn ich deine Fortsetzung lese! :rolleyes:


    Zitat

    „…aber bei "Porzellan", Porze-lan stellen sich mir die Nackenhaare auf. … diese Gesangstechnik des Anjaulens und drauf trillerns … ich finds scheusslich schmalzig. … Ausser Ben Heppner trillern ja alle Tenöre meiner Aufnahmen auf dem "lan" von "Porzellan", … aber dieser operettentenorale Gestus zieht einem ja die Schuhe aus bei Wunderlich. René Kollo machts ähnlich … aber da stellt sich bei mir kein unbehagliches Gefühl ein.


    Ich vermute, du hast dir selbst die beste Diagnose für oben geschilderte „Pein“ gestellt:


    Zitat

    Kann man des schmalzig schönen Schmelzes von Wunderlichs Stimme genau so überdrüssig werden wie wenn einem berüchtigte Dirigenten mit zu einem Zuviel des Schönklangs ihres Orchesters traktieren?“


    Ich kann dir nur eines raten: Vollkommene Wunderlich-Abstinenz bis sich der Anfall legt - und wenns chronisch wird, dann tröste dich mit anderen Sängern. Ich glaube fast, dein Zustand ist schon in einem sehr fortgeschrittenem Stadium, denn wenn du dich an dieser Stelle schon wegen „Jaulern“ und „Trillern“ abquälst :kotz: , dann … naja, ich würde sagen, schone dich und überlasse es den anderen, sich diese Stelle (das Porzel-lan kommt übrigens 2x vor – bei etwa 0:30 und 3:10) unvoreingenommen anzuhören. Und jetzt bitte überspringe den nächsten Absatz, um deine Nerven zu schonen!


    Mein - natürlich auch subjektives - Urteil zu dieser Stelle (mir entgeht normalerweise kein „Anjaulen“ an eine bestimmte Tonhöhe!!):
    Nichts von dem oben Beschriebenen zu hören, sauberer und Gott sei Dank nicht zu „harter“ Übergang zwischen den Tönen, wunderschöne gesangliche Linie. Tut mir leid, so sieht eben meine Wahrnehmung aus! :yes:


    @ HB:

    Zitat

    „Das, was ich zu bemängeln habe, ist … sein mangelhaftes Italienisch…"


    Dem ist nichts hinzuzufügen, vermutlich hätte er es verbessert, aber du weißt ja … die Stiege …! ;(



    Zitat

    „Warum schluchzt er sich durchs Trinklied ?
    Alfred sollte nicht heulen, sondern sich freuen, dass ihm Violetta eine Chance gibt.“


    Freuen? Bist du dir da wirklich so sicher? :rolleyes: Jetzt ist der Lebemann wahrscheinlich das erste Mal in seinem Leben wirklich verliebt und wünscht sich nichts sehnlicher, als von Violetta ebenso geliebt zu werden, weiß aber zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, ob er diese Liebe je bekommen wird … in Wunderlichs Interpretation ist für mich diese Sehnsucht stark herauszuhören.


    Es gibt aber auch noch eine zweite, allerdings deutschsprachige Trinklied-Aufnahme von Wunderlich aus ebendieser Zeit (Querschnitt mit DIFI und Güden), die dir vielleicht eher zusagen könnte, da er auf dieser ein etwas anderes Rollenverständnis zum Ausdruck bringt (mehr einer, der beim Loblied auf die Liebe unbedingt seine neue, berauschende Erfahrung an die anderen, v. a. Violetta weitergeben will – siehe dt. Text:“… wie gern belehrt ich Euch!“).
    Aber, wie dem auch sei, es gibt ja auch noch viele andere herrliche Alfredos, du hast ja bestimmt noch mehr davon. :angel:


    Übrigens war die italienischsprachige Aufführung am Münchner Nationaltheater, von welcher der erwähnte Mitschnitt erstellt wurde, ein Riesenerfolg mit Ovationen des Publikums und enthusiastischen Kritiken. :jubel: :jubel: :jubel:


    Noch einige Details zu dieser Aufnahme vom 28. März 1965:
    Regie führte August Everding, der großen Wert auf Belcanto und starke Zeichnung der Charaktere legte (erklärt auch einiges!), Dirigent war Giuseppe Patané, neben Wunderlich agierten in Bestform Teresa Stratas, und Hermann Prey, aber auch noch Brigitte Fassbaender, Siegfried Lenz, usw. Eine beachtliche Liste, würde ich sagen.

    :hello: Weiße Rose


    Man h ö r t nur mit dem Herzen gut!

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  • Hallo ThomasBernhard!


    Zitat

    Vollkommene Wunderlich-Abstinenz bis sich der Anfall legt ...[/COLOR][/B].


    Heute würde ich das anders formulieren. :no: ".... bis sich der Zustand der Übersättigung wieder gelegt hat ..."


    Ich habe so etwas übrigens auch schon erlebt, damals wars eine Aufnahme aus Flotows "Martha" ("Mag der Himmel euch vergeben" gesungen von ... tut nichts zur Sache! :stumm: ), die in mir das Gefühl von zuviel Buttercremetorte auf einmal - wie es hier so schön formuliert wurde - entstehen ließ. :kotz:


    Es war auf einer Musikkassette, die ich dann einfach überspielte. Bei mir hat sichs nicht gelegt, ich würde diese Aufnahme heute noch nicht hören wollen. Allerdings mag ich diesen Sänger sonst nicht ungern, nur diese aufgesetzten Schluchzer fand und finde ich eben scheußlich.


    :hello:

    :hello: Weiße Rose


    Man h ö r t nur mit dem Herzen gut!