12-Ton - Butter bei die Fisch - Hans Werner Henze

  • Keine Ahnung, ob allein der Titel des Thread richtig ist, aber die bisherige Diskussion zwischen den Anhängern des "Schiefen" ("das schiefe Zeugs aus dem letzten Jahrhundert", KSM) und des "Linearen" krankte ja wohl unter anderem daran, daß von seiten der Schiefen immer wieder auf Stücke referenziert wurde, die die Linearen gar nicht haben.


    Der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift fono-forum liegt eine CD bei, die vermutlich genug beispielhafte Schiefe aufweist (Werke von Hans Werner Henze), um den Linearen mal eine volle Breitseite geben zu können. Und da diese CD unter uns wohl auch ordentlich verbreitet sein wird, kann man mal so richtig in medias res diskutieren.


    Also, liebe Schiefe, schreibt fono-forum zu Recht von dem "großen" Hans Werner Henze ?

  • Lieber m-mueller!


    Keine Ahnung. Aber apropos schief: erkundige ich Dich mal über die Herkunft des Wortes "Barock" und darüber wie diese Musik bei ihrem Auftreten damals aufgefasst wurde.....


    LG
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    Keine Ahnung. Aber apropos schief: erkundige ich Dich mal über die Herkunft des Wortes "Barock" und darüber wie diese Musik bei ihrem Auftreten damals aufgefasst wurde.....


    Der größere Mißbrauch trifft indes "linear"...;)


    Es gibt hier schon eine ganze Latte von threads zu verwandten Themen:


    Henze zum 80.


    Wichtigste Komponisten des 20. Jhds.
    Schlüsselwerke der Neuen Musik
    Lieblingswerke der Moderne
    Ohrenschmaus des 20. Jhds....
    Sinn und Zweck...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Genau das wuerde ich bezweifeln, naemlich dass Henze genuegend "schief" oder "schraeg" ist. Henzes Musik finde ich sueffig und konsumierbar. Ich denke, das war Henze selbst bewusst und auch so von ihm beabsichtigt. Er hat sich ja selbst in seinen Essays immer wieder ueber die "Hermetisten" ausgelassen, die nur noch "fuer sich selbst" schreiben. Henze war ja ein engagierter Sozialist und Demokrat - auch im musikalischen Sinne.
    Henzes Musik habe ich immer gern gehoert, aber sie hat mich auch nur selten wirklich gepackt. Ich bin ihm aber dankbar fuer sein Engagement fuer die Oper, fuer das Schreiben singbarer und vor allem auffuehrungsfaehiger Opern. Seine Groesse haengt natuerlich von dem Massstab ab, vor dem man ihn misst (eine Binsenweisheit, ich weiss). Vergleichen wir ihn mit Mahler, Berg, Bartok, Massiaen und anderen wuerde ich nicht vom "grossen" Hans Werner Henze sprechen, mit anderen gemessen hingegen schon. Also, man muesste die Frage mal ein bisschen praezisieren.
    Henzes unermuedliches politisches Engagement hat mich hingegen stets begeistert, und in dieser Hinsicht gehoert er fuer mich zu den "Grossen".


    Viele Gruesse! :hello:

  • Soll das jetzt eigentlich heißen, daß Henze "linear" komponiert. Also gerade Henze, meine ich...?


    Und ob Henze verdient, "groß" genannt zu werden? - Unabhängig von meinem persönlichen Geschmack: Eine No-na-Frage...


    :hello:

    ...

  • ok, Eingangsfrage nicht präzise genug gestellt, mea culpa.


    Wollte weniger über Henze selbst hören als Eure Beurteilung der der fono-forum beiliegenden CD (Edition Klavier-Festival Ruhr), da aufgrund der Verbreitung dieser Zeitschrift eine gewisse Chance besteht, daß wir hier das Thema "schief" vs. "linear" mal an einem konkreten Beispiel packen und sich dann doch einige Nichtspezialisten beteiligen können.


    Also z.B. nach einem Fragenkatalog wie:
    - Einordnung in das Kontinuum zwischen linear und schief
    - Qualität der Interpretation
    - was will uns der Komponist damit sagen (wenn überhaupt etwas)
    - löst die Musik Assoziationen und Gefühle aus
    - würden wir es als "gute" Musik bezeichnen


    Alle Spezialisten, die jetzt verzweifelt die Augen verdrehen, werden jedenfalls um Geduld und Nachsicht gebeten...

  • Die genannte Henze-CD habe ich bis jetzt erst einmal gehört, dann aber sogleich wieder zur Seite gelegt, weil mich die Musik irgendwie nicht gepackt hat. Erklären kann ich dies jedoch (noch) nicht. Darum bin ich für diesen Thread sehr dankbar.


    Eigentlich hatte ich mich über die CD sehr gefreut, da mir die (wenigen) Werke von Henze, die ich bisher kennengelernt habe, ausnahmslos sehr gut gefallen. Trotzdem ist der Funke auf mich nicht übergesprungen.


    Bevor wir mit der Diskussion über die CD anfangen sollten wir für alle, die die Scheibe nicht kennen, zunnächst einmal erklären, was darauf eingespielt ist:
    Es handelt sich um einen Konzertmitschnitt vom Klavier-Festival Ruhr 2006. Die Pianisten Siegfríed Mauser und Christian Chamorel spielen Klavierwerke von Hans Werner Henze.
    - Sarabanda pianistica für zwei Klaviere,
    - Nocturnal Serenade (Bearb. für zwei Klaviere)
    - Lucy Escott Variations,
    - Sechs Stücke für junge Pianisten aus "Pollicino"
    - Toccata mistica,
    - Präludien zu "Tristan",
    - Kammersonate für Klavier, Violine und Violoncello,
    - Adagio Adagio.


    Zitat

    Original von m-mueller
    Also z.B. nach einem Fragenkatalog wie:
    - Einordnung in das Kontinuum zwischen linear und schief


    Mit diesem Begriffspaar kann ich noch nichts anfangen, weil ich zwischen linear und schief keine Gegensätze finde. Spontan würde ich die Musik als "linear" bezeichnen, weil sie klar aufgebaut, leicht zugänglich und nachvollziehbar ist.


    Zitat

    Original von m-mueller
    - Qualität der Interpretation


    Darüber kann ich nichts sagen, da ich weder Vergleichsaufnahmen noch Notenmaterial habe.


    Zitat

    Original von m-mueller
    - was will uns der Komponist damit sagen (wenn überhaupt etwas)


    Das interessiert mich eigentlich bis jetzt nicht. Ich möchte eigentlich nicht nach Inhalten suchen solange sich diese mir sich nicht aus der Musik selbst heraus aufdrängen.


    Zitat

    Original von m-mueller
    - löst die Musik Assoziationen und Gefühle aus
    - würden wir es als "gute" Musik bezeichnen



    Das sind für mich die maßgeblichen Fragen, bei denen wir ansetzen müssen. Assoziationen und Gefühle sind für mich sehr wichtig, damit mir die Musik überhaupt etwas bedeutet.


    Zitat

    Original von m-mueller
    Alle Spezialisten, die jetzt verzweifelt die Augen verdrehen, werden jedenfalls um Geduld und Nachsicht gebeten...


    Ja, ich bitte ebenfalls um Nachsicht falls der Eindruck entstehen sollte, es würden hier zwei Blinde vom Licht reden...


    Vorerst viele Grüße
    Frank

  • Ich kenne die CD nicht, wohl aber die Werke (mit Ausnahme von "Adagio Adagio").
    Henze auf diese Weise "beschreiben" käme einer Mozart-Einsteiger-CD gleich, die ein paar Divertimenti bietet, einer Haydn-CD mit Cassationen, einer Beethoven-CD mit den Märschen und einer Wagner-CD mit den Klavierwerken.


    Wenn man Henze, den ich für einen der bedeutendsten Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts halte, wirklich kennelernen will, dann sollte man es mit diesen Werken versuchen:
    - 3. Symphonie (früher Henze - Anstreben apollinischer Schönheit)
    - "Tristan" (mittlere Periode, zentrale Themen Mitleid, Schmerz, Auflehnung)
    - 7. Symphonie (Henzes Spätstil - luxuriöse Klangschönheit, Neuromantik)
    - "Floß der Medusa" (politisches Engagement)
    - "Elegie für junge Liebende" (Kammeroper mit einer Palette von Komik, Absurdität und Tragödie)
    - "Die Bassariden" (große Oper mit schwelgerischen Klängen)


    :hello:

    ...


  • Ich möchte ja gerne entgegenkommen (zumal auch FP um "Nachsicht" bittet), aber ich fürchte, wir werden uns kaum verständigen können.


    "Schief" war von mir zitathaft gemeint. So nennen Musikhörer, die irgendetwas an einer Musik verstörend anders finden, ebendiese Musik. Bei jedem Hörer, der dieses Wort zur Charakterisierung von Musik verwendet, wird eine andere Menge von Musikstücken so genannt werden. Oft ist Musik mit unaufgelösten Dissonanzen gemeint, sicher kommt auch außereuropäische Musik mit anderen Tonleitern in Frage. "Linear" ist eine komplett verunglückte Gegensatzkonstruktion, da das eher etwas über den Verlauf der Musik in der Zeit sagen könnte (keine Rückbezüge auf frühere Stellen => linear?), es wird meines Wissens kaum verwendet zur Charakterisierung von Musik.


    Die Frage "Was will uns der Komponist damit sagen" verstehe ich sowieso nicht. Wenn man damit etwaige vertonte Handlungen meint, dann informiere man sich (Smetana Moldau, Strauss Till Eulenspiegel, etc.) oder lese die Texte mit. Wenn was anderes gemeint ist, bitte präzisieren, was das sein soll.


    "Löst die Musik Assoziationen aus?" ist auch eine sehr vielschichtige Frage. Außermusikalische Assoziationen wirst Du eventuell selber bemerken, hier haben die in Neuer Musik nicht zu Hause seienden in der Regel viel mehr, als die, die sich wirklich dafür interessieren. Assoziationen im Sinne von Anspielungen auf andere Werke/Stile sind schon eher interessant, diese Frage ist aber freilich bei Bach ebenso zu stellen wie bei Henze. "Löst die Musik Gefühle aus?" - ich weiß nicht, ob es so gewinnbringend ist, über von Musik ausgelöste Gefühle zu sprechen?


    "Ist Henze gut?"
    gehört in den Henze-Thread.
    :hello:

  • Zunächst muss ich einen peinlichen Tippfehler richtig stellen: Das erste Stück auf der Henze-CD heißt "Scorribanda pianistica", anstelle von "Sarabanda" (möglicherweise bin ich heute früh noch zu sehr verschlafen gewesen).


    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    "Schief" war von mir zitathaft gemeint. So nennen Musikhörer, die irgendetwas an einer Musik verstörend anders finden, ebendiese Musik. Bei jedem Hörer, der dieses Wort zur Charakterisierung von Musik verwendet, wird eine andere Menge von Musikstücken so genannt werden.


    Wenn wir den Begriff "schief" in dem Sinne verstehen, dass wir damit alles bezeichnen, was nicht unseren Hörgewohnheiten entgegen kommt, dann können wir uns tatsächlich nicht mit Hilfe von m-muellers Begriffen dieser Musik annähern.
    Ich habe mir die CD soeben (aus Zeitgründen nur auszugsweise) nochmals angehört, und für mich sind die Stücke darauf alles andere als "schief". Vielleicht wäre es besser, über die Musik anstatt über Begriffe zu diskutieren.


    Viele Grüße
    Frank

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  • Irgendeinen Grund wird ein Komponist ja dafür haben, ein Werk zu komponieren, er will ggf. eine konkrete Botschaft mitteilen oder dem Hörer ein Gefühl oder eine Assoziation verständlich machen - es mag noch mehr Gründe geben, der Fürst hat es in Auftrag gegeben, das Orchester muß beschäftigt werden, vielleicht will der Komponist ja auch nur Geld verdienen, aber solch (niedere) Motivationen wollen wir hier gar nicht unterstellen...


    "Was will uns der Komponist damit sagen" ist eine in der Musik außerdem durchaus gängige Fragestellung, wenn z.B. der Verästelung wagnerscher Motivationslagen nachgespürt wird. Auch wenn die Fragestellung selbst vielleicht allzu sehr nach Gedichtinterpretation im Deutschunterricht schmeckt, ist sie in Bezug auf Musik - zumal Programmusik - sicherlich nicht illegitim.


    Und auch Henze ist ja grundsätzlich dem Verdacht nicht fern, etwas "sagen" zu wollen, sein soziales Engagement wurde ja bereits hervorgehoben.


    Insofern kann man durchaus auch beim ersten Titel auf der CD die Frage stellen: will er etwas sagen? Hat er eine Botschaft? Oder nimmt er uns mit auf einen Hexentanzplatz, der musikalisch dargestellt wird?


    Sicherlich ist nicht jedes Musikstück derart zu charakterisieren, bei der h-moll-Messe fiele mir noch ein Generalmotiv ein wie "Gott ist groß, wir wollen ihn verherrlichen", bei der Kunst der Fuge geht es um das Ausloten abgründiger Tiefen der Komplexität, aber z.B. bei den Brandenburgischen Konzerten ist zumindest mir eine unmittelbare Botschaft nicht bekannt.


    Aber zurück zu Henze - das erste Stück auf der CD heißt soviel wie: "pianistischer Raubzug" (Scorribanda pianistica, wie ja Frank schon ausgeführt hat), und da liegt ja nun schon titelmäßig ein wenig Programmusik in der Luft.


    Schaunmama, was denn da so geraubt wird.


    Das Stück beginnt mit einer schnellen, beunruhigenden Tonfolge, vorwiegend auf den Baßtasten, ab ´´25 kommt die rechte Hand (resp. die Hände, es wird von zwei Klavieren ausgeführt) mit Einsprengseln dazu, die ab ´´46 dominieren. Ein Thema im klassischen Sinne etwickelt sich um 1´20 herum, ab ca. 1´37 verlangsamt sich die Baßsequenz und auch die Sequenz der linken Hand, das Stück wird ruhiger und fließender. Ab 2´22 erscheint ein zunächst fugenartig angedeutetes Thema, das sich dann ab 2´40 in beinah Marsch-Strukturen entwickelt. Ab 3´40 überlagen sich die letzten 2Teilthemen, der Marsch wird allmählich zum Lauf, ab 4´55 haben wir dann wieder stakkatoartige Baßfolgen, die von der rechten Hand übernommen werden. Ab 5´30 fließt das Stück in eine ruhige Phase ein, ab 6´34 haben wir wieder die Tasten im tiefen Baßkeller, alles scheint sich auf einen Showdown hinzuentwickelt, der sich aber um 7´04 in eine beinah tonal-melodieartige Tonfolge ergießt; so langsam wird es aber wieder stakkatoartig, was mit dem Schlußakkord um 8´36 gipfelt und endet.


    Einen gewissen Raubzug-Anklang wird man dem Stück nicht absprechen wollen, Wölfe und Bären kann man sich im tiefen Baßkeller schon vorstellen. Aber konkrete Motive irgendwelcher Art (der Wolf, der Bär, das Lamm etc.) sind nicht erkennbar.


    Damit endert zunächst einmal die eher dürftige Interpretation, fußend auf Geschwindigkeit Tonlage und grober Abschätzung der Anzahl gleichzeitig angeschlagener Tasten.


    Kann man mehr rausholen ?

  • Zitat

    Original von m-mueller
    Aber zurück zu Henze - das erste Stück auf der CD heißt soviel wie: "pianistischer Raubzug" (Scorribanda pianistica, wie ja Frank schon ausgeführt hat), und da liegt ja nun schon titelmäßig ein wenig Programmusik in der Luft. Schaunmama, was denn da so geraubt wird.
    Einen gewissen Raubzug-Anklang wird man dem Stück nicht absprechen wollen, Wölfe und Bären kann man sich im tiefen Baßkeller schon vorstellen. Aber konkrete Motive irgendwelcher Art (der Wolf, der Bär, das Lamm etc.) sind nicht erkennbar.Kann man mehr rausholen ?


    Inwieweit kannst Du Dir bei Deiner Vorgehensweise sicher sein, nicht nur Deine eigenen Gedanken in das Stück hineinzuprojezieren?


    Abgesehen von der Frage, ob Henze überhaupt Programmmusik abliefern wollte, sollte IMHO eine Untersuchung a la "Was will uns dem Stück sagen? Da stelle mer uns janz dumm..." mit schriftlichen und mündlichen Äußerungen des Komponisten beginnen.


    Sonst endet das alles nur in sinn- und fruchtlosem Hineingeheimnissen, jeder schiebt sozusagen in freier schöpferischer Rechtsfindung den Noten eine Aussage unter, die niemand überprüfen kann.

  • "Scorribanda" ist von Henze mit ziemlicher Sicherheit nicht programmatisch gemeint. Vielmehr hat er seine eigenen Stücke geplündert und verarbeitet dieses "Diebsgut" zu einem neuen Werk.


    Daß Henze "etwas sagen will", ist offensichtlich. Zwar ist sein Frühwerk einem "apollinischen Denken" verpflichtet. Aber mit Beginn des politischen Engagements werden Henzes Werke zu "musica impura", also zu (mit außermusikalischen Bezügen) "befleckter Musik".
    Echte Programmusik hat Henze am ehesten in "Heliogabalus Imperator" komponiert, programmatische Bezüge gibt es natürlich in der "Barcarola" (Übersetzen des Flusses Styx), aber auch in der Siebenten Symphonie, deren letzter Satz eine Umsetzung von Hölderlins "Hälfte des Lebens" darstellt.
    Auch das "Tristan" benannte Klavierkonzert verweist auf einzelne Momente der Tristan-Handlung und hat programmatische Überschriften ("Tristans Wahnsinn"), aber die musikalische Umsetzung erfolgt nicht nachzeichnend (wie bei Strauss), sondern klangsymbolisch (wie bei Beethoven).


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von m-mueller
    "Was will uns der Komponist damit sagen" ist eine in der Musik außerdem durchaus gängige Fragestellung, wenn z.B. der Verästelung wagnerscher Motivationslagen nachgespürt wird.


    Was meinst Du? Antisemitismus oder so? Und das ist dann sehr aussagekräftig für das Kunstwerk und wichtig für mich als Musikhörer? Eine zentrale Frage? Nein, sicher nicht. Dann reduziert sich - wie Du schriebst - Barockmusik auf: Gott und Herrscher Verherrlichen und ähnliches und man müsste zum Schluss kommen, dass man heute keine Barockmusik mehr zu hören braucht.


    Ich habe zwar schon oft sagen gehört: "Was will uns der Künstler damit sagen?" - aber immer von denen, die nichts damit anfangen können. Die Frage ist daher in meinen Ohren gleichbedeutend mit: "Ich kann nichts damit anfangen, und da Du das auch nicht ändern kannst, ist der Komponist Schuld und eine Flasche", denn in der Regel schwingt eine gewisse spöttisch-angriffslustige Note mit, im Sinne von: "Du weißt die Antwort: Nichts". Und was ist somit (zwingend) meine Antwort? Diese: "Die Frage ist sinnlos". Man könnte natürlich sagen: "Wenn der Künstler etwas hätte sagen wollen, hätte er was gesagt und kein Musikstück geschrieben."
    :hahahaha:
    (Das gilt jetzt natürlich für die Musik aller Stile und Zeiten.)

  • Edwins kurze Erklärung halte ich für schlüssig und einleuchtend. Ich denke auch, dass der "Raubzug" nicht allzu wörtlich zu nehmen ist. Mehr braucht man (als Zuhörer) meiner Meinung nach zu diesem Stück nicht zu wissen.


    Viele Grüße
    Frank

  • Ja, ist eine einleuchtende Erklärung.


    Ok, ok, meine Kategorien sind anscheinend (scheinbar ?) nicht die richtigen, um dieses Stück zu beurteilen oder zumindest zu analysieren - welches sind die richtigen ?

  • Zitat

    Original von m-mueller
    welches sind die richtigen ?


    Hallo,


    das ist natürlich ein zentraler Diskussionsstoff dieses Forums. Die einen lehnen Musik ab, wenn sie ihnen epigonal erscheint, andere lehnen Musik ab, wenn sie nicht ins Ohr geht, etc. Ich habe dazu natürlich sehr wohl eine Meinung, maße mir aber nicht an, hier festzusetzen, welche die richtigen Kriterien zur Beurteilung von Musik sind.


    Ich glaube, man erkennt ohnehin recht gut, welche Anforderungen welcher Forumsteilnehmer an Musik stellt, wenn er zu irgendeinem Stück etwas lobendes oder tadelndes sagt. Z.B. würde ich "sperrig" nie als negatives Charakteristikum verwenden (ich verwende das Wort gar nicht), andere würden nie "Anbiederung an das Publikum" als negativen Zug ansehen, so wie Edwin das bei einem aktuellen Penderecki-Stück tat, was ich wiederum gut nachvollziehen kann.


    Wenn Du Zugang zu einer Art von Musik suchst, die Dir bislang nichts "sagte", ist es nicht unbedingt nötig, dieselben Kriterien anzuwenden, die jemand hat, der begeistert von der Musik ist. In jedem Fall ist es aber sinnvoll, seine bisherigen Kriterien (oder die Art ihrer bisherigen Anwendung) zu hinterfragen - oder einfacher gesagt, offen zu sein, auch wenn es einem erst mal gegen den Strich geht. Ich muss mich da auch immer mal wieder überwinden, und manche Dinge brauchen ihre Zeit. Zwei Beispiele für Musik, die ich bis vor kurzem ablehnte, sind Gershwin und Pärt, jetzt schätze ich beide, wenn auch nicht besonders hoch.


    Wenn Du keinen Zugang suchst und Dich nur damit beschäftigst, um nachher begründen zu können, warum es Mist ist, dann lass es besser.
    :hello:

  • na ok, es gibt zwar anscheinend keine allgemeingültigen Kriterien zur Beurteilung einer 12-Ton-Musi, aber immerhin weiß ich, meine sind die falschen - gg


    Schwarze Milch der Frühe - vielleicht ist Atonales sowas ähnliches wie ungereimte Gedichte, die ja nun auch erstauliche Qualitäten entwickeln können, der "Zugang" ist halt schwierig.


    Hab die Henze-CD jetzt vielleicht insgesamt 7-8 mal gehört, keine Änderung in Bezug auf den Status, daß sie mir vorher wie nachher nichts sagt. Aber ich kann mir zumindest nicht vorwefen, es nicht versucht zu haben.

  • Zitat

    Original von m-mueller
    Hab die Henze-CD jetzt vielleicht insgesamt 7-8 mal gehört, keine Änderung in Bezug auf den Status, daß sie mir vorher wie nachher nichts sagt. Aber ich kann mir zumindest nicht vorwefen, es nicht versucht zu haben.


    Bitte nicht aufgeben! Es wäre schade, wenn Du deswegen künftig einen Bogen um Henzes Musik machen würdest. Edwin hat bereits einige andere Werke von Henze genannt, die für den Einstieg empfehlenswert sind.


    Viele Grüße
    Frank

  • Und da fällt mir auch noch ein Einstiegs-Henze ein: Das Ballett "Undine". Ein echter Reißer voller Romantizismen und richtig süffiger Instrumentierung. Ich persönlich rümpfe fast etwas die Nase, weil die Musik für mich fast etwas zu ungebrochen schön ist - aber wenn man eine erste Bekanntschaft mit Henze machen will, ist dieses Werk sicher extrem geeignet.
    Wie gesagt: Ein Henze-Einstieg über die Klavierwerke entspricht einem Wagner-Einstieg über die Symphonien...
    :hello:

    ...

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  • Was heißt hier Einstieg ? Wenn man sich auf 12-Ton-Musik
    einlassen will ,muß man auch damit einsteigen.
    Bei Schönberg kann man auch nicht mit"Verklärte Nacht"
    einsteigen.Entweder 12-Ton-Musik spricht einen an ,oder
    man kann ihr nichts abgewinnen ,dann nützt auch der
    sanfteste Einstieg nichts.Das ist meine subjektive Meinung.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.


  • Der Einstiegstip bezog sich auf Henze an sich, nicht auf die 12-Ton-Musik.


    m-mueller kann ja mit 4-Ton Musik einsteigen und sich dann langsam hocharbeiten :untertauch:

  • Hallo Herbert,


    freilich nützt der sanfteste Einstiegsversuch nichts, wenn es nicht funktioniert hat. Andererseits ist es aber möglich, vom Zwölftonkopfschüttler zum begeisterten Hörer zu mutieren, durch irgendein Hörerlebnis. Dass hier ein "sanfter" Einstieg besser gehen soll als der Srung ins total Ungewohnte, bezweifle ich aber auch. Am Besten wird sein, völlig unterschiedliche 12-Tonwerke anzuhören, dann ist die Chance, dass es irgendwo "Klick" macht, am größten.


    Andererseits verstehe ich nicht ganz, wieso es gerade 12-Ton-Musik sein soll, wenn man z.B. weder frei atonalen früh-Webern noch Strawinskys Sacre mag oder kennt, diese Sachen halte ich für geeignete Einstiege über die "ganz anders, neu und mitreißend"-Tour für Leute, die irgendwo bei Mahler ihren bisherigen Hör-Schlusspunkt gesetzt hatten. Oder gleich elektronische Musik von Xenakis, frühen Minimalismus von Reich oder Cages Klavierkonzert.
    :hello:

  • Zitat

    Original von m-mueller



    Schwarze Milch der Frühe - vielleicht ist Atonales sowas ähnliches wie ungereimte Gedichte, die ja nun auch erstauliche Qualitäten entwickeln können, der "Zugang" ist halt schwierig.


    Das trifft es meiner persönlichen Erfahrung nach ziemlich gut dahingehend, dass es in der Regel nicht der erfolgversprechenste Weg ist, in einem ungereimten Gedicht zwanghaft nach einen Reim zu suchen, damit es einem gefällt. (nebenbei auch ein treffliches Beispiel dahingehend, dass der Reim ebenso wenig notwendig für ein Gedicht ist, wie die "Tonalität" für ein Klavierkonzert. Das ästhetische Material ist vorhanden, man muß es nur annehmen (können). Aber eine Offenheit für das Neue und eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Materie ist doch ein sympatischer Weg. Wenn es dann doch nicht klappt, sprich das in der Regel weder gegen das Werk, noch gegen den Hörer.


    Gruß
    Sascha

  • Wenn es nicht um 12-Ton-Musik gehen soll,


    ist aber der Threadtitel falsch.


    Außerdem ist Henze ein schlechtes Beispiel,


    da er nur in seiner frühen Zeit 12-tönig komponiert hat.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von m-mueller
    na ok, es gibt zwar anscheinend keine allgemeingültigen Kriterien zur Beurteilung einer 12-Ton-Musi, aber immerhin weiß ich, meine sind die falschen - gg


    Schwarze Milch der Frühe - vielleicht ist Atonales sowas ähnliches wie ungereimte Gedichte, die ja nun auch erstauliche Qualitäten entwickeln können, der "Zugang" ist halt schwierig.


    Hab die Henze-CD jetzt vielleicht insgesamt 7-8 mal gehört, keine Änderung in Bezug auf den Status, daß sie mir vorher wie nachher nichts sagt. Aber ich kann mir zumindest nicht vorwefen, es nicht versucht zu haben.


    Ich finde deine anschaulich-gestische Beschreibung oben gar nichtmal so verkehrt (allerdings in Unkenntnis der Musik). Warum die Musik dennoch nichtssagend bleibt, naja, was erwartest Du überhaupt?
    KSM hat völlig recht, wenn er schreibt:


    Zitat

    Man könnte natürlich sagen: "Wenn der Künstler etwas hätte sagen wollen, hätte er was gesagt und kein Musikstück geschrieben."


    (Das gilt jetzt natürlich für die Musik aller Stile und Zeiten.)


    Wobei ich zwar aufrecht erhalten möchte, dass ein Stück eine "Aussage" hat, man diese "Aussage" aber eben nur dadurch machen kann, dass man das Stück musiziert. Es gibt keine vollständige Übersetzung oder Abkürzung, sonst wäre das Musikstück bestenfalls eine umständliche Weise, etwas auszudrücken, was man anders viel klarer und knapper haben könnte.
    (Das gilt natürlich nicht nur für Musik. Sonst könnte man alle Roman und Dramen durch Zusammenfassungen aus Kindlers Literaturlexikon ersetzen.)


    Könnte sich jemand, der diese Stücke kennt, mal äußern, ob es sich bei diesen Klavierstücken überhaupt um Zwölftonkompositionen handelt (ich vermute eher nicht).


    Und ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass es spezifischen Kriterien zur Beurteilung von "12-Ton-Musik" gibt, die sich nicht auf andere Musik anwenden lassen. Von technischen Details, die wir Laien eh nicht beurteilen können mal abgesehen. Hier unterstelle ich aber mal, dass den meisten Laien hier wie mir, fast alle harmonischen und satztechnischen Details eines Stücks von Palestrina, Bach, Beethoven oder Brahms für alle praktischen (Hör-)zwecke ebenso fremd sind wie bei Stücken von Schönberg oder Henze. Warum sollte die Technik auf einmal wichtig werden, wenn wir sie bei anderer Musik, die man ebenso "technisch" betrachten könnte, ignorieren?
    Wenn man sich mal von der Pumuckl-Betrachtungweise "was sich reimt, ist gut" löst, wird man doch auch einräumen, dass man ein ungereimtes Gedicht von Sappho, Ovid oder Celan nicht nach grundlegend anderen Gesichtspunkten beurteilt als ein gereimtes von Goethe oder Mörike. (Man muß, sofern man eine technische Analyse vornimmt, eben einmal u.a. auch Reimschemata untersuchen, im anderen Fall nicht, aber nehmen wir normalerweise, wenn wir Gedichte hören, solche Analysen vor?)


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Zitat Herbert Henn
    Henze (...) da er nur in seiner frühen Zeit 12-tonig komponiert hat.


    Ein weit verbreiteter, vor allem in Opernführern wiedergekäuter Irrtum. Die Basis dieses Irrtums ist, daß man es nicht für möglich hält, daß Zwölftonmusik so schön klingen kann.
    Tatsächlich hat Henze einige Werke komponiert, die nicht zwölftönig sind: "Der junge Lord", "Musen Siziliens", "Moralitäten" etwa.
    In der weit überwiegenden Mehrzahl seiner Werke gibt es aber einen zwölftönigen Ausgangspunkt. Nur nimmt sich Henze große Freiheiten im Umgang mit dem Material und handhabt seine Reihenformen dermaßen virtuos, daß die Musik nach "frei erfunden" klingt - was sie eigentlich auch ist, nur wird diese freie Erfindung in ein zwölftöniges Geflecht eingepaßt.
    Eine der verblüffendsten Stellen ist die Mittenhofer-Arie "Von allen Dichtern dieser Zeit" in der "Elegie für junge Liebende": Man glaubt, einen freitonalen Satz am ehesten in Nachfolge des neoklassizistischen Strawinskij zu hören - erst ein Blick in die Partitur enthüllt die Reihenstruktur.
    (Der nicht beabsichtigte Reim könnte fast als Merksatz für Henze und diverse andere Spät-Zwölftöner dienen.)


    :hello:

    ...

  • Ja Edwin,du hast natürlich mit Henze recht.Ich habe da etwas
    aus dem Gedächtnis geschrieben .Im "Riemann" habe ich jetzt
    noch einmal nachgeschaut ,da heißt es: "Tonalität ,freie Atonalität ,
    serielle u.a.Methoden verwendet Henze ebenso ,wie die Klangwelt
    des effektvoll instrumentierten spätromantischen Orchesters".


    (Henze-Partituren besitze ich leider nicht ,also muß ich mich darauf
    verlassen ,was da so geschrieben steht.)


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich habe diesen Thread wieder nach vorne geholt, weil ich finde, dass bedenkenswerte Aussagen darin gemacht werden.


    m-mueller hat diesen Thread 2007 eröffnet. Er bezieht sich auf eine CD, die der Zeitschrift "Fono Forum" beigelegt war. Es handelt sich um einen Konzertmitschnitt vom Klavier-Festival Ruhr 2006. Die Pianisten Siegfríed Mauser und Christian Chamorel spielen Klavierwerke von Hans Werner Henze. Es ist Scheibe Nr. 5 aus dieser nicht mehr beim Werbepartner erhältlichen Box.



    Da die wenigsten der Taminomitglieder und Leser die CD mit den darauf enthaltenen Werken Hans Werner Henzes besitzen, seien sie hier gepostet, soweit sie auf You Tube abrufbar sind.


    - Scorribanda pianistica für zwei Klaviere,

    - Nocturnal Serenade (Bearb. für zwei Klaviere)

    - Lucy Escott Variations,

    - Sechs Stücke für junge Pianisten aus "Pollicino"

    - Toccata mistica,

    - Präludien zu "Tristan",

    - Kammersonate für Klavier, Violine und Violoncello,

    - Adagio Adagio



    Scorribanda pianistica /(Anmerkung moderato: leider nur in dieser Version zu finden)




    Lucy Escot Variations




    Toccata mistica




    Präludien zu Tristan


    I. -




    II. Allegretto




    III. Lento




    IV. Ruhig, fliessend, meditativ




    Kammersonate für Violine, Cello und Klavier




    Adagio Adagio für Violine, Cello und Klavier


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Zwischen den Anhängern des "Schiefen" und des "Linearen" eine Diskussion zu ermöglichen, ist die Absicht des Thread Eröffners m-mueller. Es scheint damals, als der Thread eröffnet wurde, eine Spaltung im Forum gegeben zu haben. Ist in den 14 Jahren seither eine Annäherung geschehen? Haben sich Hörgewohnheiten verändert?


    Ob in den Musikbeispielen die im Titel erwähnte 12-Ton Musik die Grundlage bildet, lässt sich wohl ohne Analyse der Partitur nicht zweifelsfrei sagen. Es geht eher um die Zugänglichkeit einer Tonsprache, so wie sie in der Musik Hans Werner Henzes den Hörer oder Hörerin begegnet.

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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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