ZitatI believe that I try to touch the fundamental essences of the struggle of existence that are timeless and universal, so that I can reach through the proscenium arch and sort of gather the audience into my arms and bring them into the stage and say, "You feel these things with me; you feel these emotions with me. You put yourself into these situations and when you go out of here and you wrestle with those thoughts and emotions, you might go out of here a better person."
Dieses Zitat aus einem Interview aus den 80er Jahren gibt eine Ahnung des künstlerischen Selbstverständnisses einer Ausnahmeerscheinung des letzten Jahrhunderts. Ein Thread über Jon Vickers fehlt bisher bei Tamino, sein 80ter Geburtstag im Oktober des letzten Jahres ging leider, vom Forum unbemerkt, vorüber. Dennoch findet er sich unter den Lieblingssängern 2006 im entsprechenden Thread immerhin auf Platz 22, muss bei vergleichbarem Repertoire nur Melchior den Vortritt lassen (womit aus meiner Sicht die beiden herausragenden „Ereignisse“ des dramatischen Tenorgesangs im 20 Jahrhundert genannt wären)
Vickers hat sich, wie das Zitat verdeutlicht, nie als Entertainer begriffen. Als Künstler wie als Mensch von großer Eigenart, schwierig und kompromisslos, lehnte er Rollen wie den jungen Siegfried (fraglich, ob er die hohe Tessitura bewältigt hätte) und Tannhäuser aus moralischen Gründen ab, andererseits gab es immer wieder zahlreiche Anekdoten mit zwiespältiger Wirkung. Fest steht, dass uns dieser Künstler Rollenportraits hinterlassen hat, die aus dem Rahmen treten. In erster Linie sind hier wohl Peter Grimes, Aeneas, Otello und Tristan zu nennen. Aber auch als Florestan, Don Jose oder Siegmund hat er eindringliche Darstellungen abgeliefert.
Derart eloquente dramatische Darstellungskunst ist schnell geeignet, die Zuhörerschaft zu spalten. Was den einen fasziniert, nervt den anderen. Hinzu kommen bei Vickers stimmliche und gesangliche Charakteristika, die sehr unterschiedliche Wirkung bei den Menschen erzielt haben. Die Stimme war von großer Eigenart, eher rau und heiser im Klangcharakter. Sie strahlte in Verbindung mit dem schier unerschöpflichen Volumen nicht tenoralen Glanz, sondern eher pure Kraft und Energie aus. (Man höre beispielsweise das „Esultate“ in der Aufnahme unter Serafin). Vickers machte jedoch auch von der Fähigkeit, dieses mächtige Organ subtil einzusetzen, häufig Gebrauch. Auch an dieser Stelle ist wieder eine Eigenart festzustellen, denn unabhängig davon, ob die künstlerische Absicht bisweilen nicht in einem perfekt gestützten Mezza Voce, sondern eher in einem merkwürdigenden Säuseln mündete, schien der Klang irgendwie nie organisch mit dem Charakter der Vollstimme verbunden.
Dennoch, selbst der gestrenge Jürgen Kesting urteilt fasziniert , dass die Kunst von Vickers nicht mit normalen Maßstäben zu messen sei, schon gar nicht mit rein vokalen. Ich persönlich habe immer den Eindruck, das der Mann tatsächlich um sein Leben singt, finde auch den Stimmklang im Bezug zu den dargestellten Charakteren durchaus passend – eben stimmig.
Fast wäre die Bühne an Vickers vorbeigegangen, er hatte sich schon selbst eine Frist gesetzt, seine sängerischen Pläne zu begraben, da es mit der Karriere nicht recht voran ging, als dann doch der Ruf nach Covent Garden kam und die Weltkarriere beginnen konnte. Die Opernwelt wäre ärmer gewesen ohne Ihn. Zum Glück ist er in vielen seiner besten Rollen gut dokumentiert. Sogar ein Video von seinem Tristan existiert und obwohl es qualitativ locker mit einer der gerade ach so modischen Handy-Kameras aufgenommen sein könnte, teilt sich die Ausnahmeerscheinung Vickers mit (Nilsson als Isolde!)
Gruß
Sascha