Klassische Musik stagniert?

  • Wikipedia schreibt:


    Sie ist Voraussetzung für die seit dem 19. Jahrhundert zunehmende Verehrung des Komponisten als „Genie“, für die Überlieferung eines wachsenden Kanons an „Meisterwerken“ und schließlich für die immer striktere Trennung und Spezialisierung von Komponist und Interpret. Paradoxerweise führten aber gerade diese Entwicklungen im 20. Jahrhundert zu einer abnehmenden Bedeutung des Komponisten gegenüber dem Interpreten, da jener auf den Kanon an allgemein anerkannten „Meisterwerken“ zurückgreifen kann, zu denen der zeitgenössische Komponist in Konkurrenz treten muss. „Klassische Musik“ bedeutete damit zunehmend die Wandlung von historisch überlieferter Musik in ein aktuelles Musikgeschehen und der Interpret wurde ihr eigentlicher Träger. Die Komponisten fanden ihre Nischen nur noch im sich vom historischen Material immer weiter unterscheidenden Experiment (die auch die o. g. Merkmale es „Komponierens“ betrafen und gelegentlich in Frage stellten), waren damit aber in spezialisierte Konzertreihen und Festivals abgedrängt. Als Folge davon hat sich auch das Publikum in Hörer „Klassischer„ und „Neuer Musik“ aufgespalten (vgl. Musikgeschichte). Da die Schallaufzeichnung wiederum einen „Kanon“ an „Meisterinterpretationen“ überlieferbar macht, sehen sich die Interpreten heute in einer den Komponisten vergleichbaren Situation, welche die gesamte „Klassische Musik“ in eine Stagnation führt, von der fraglich ist, ob sie sich daraus befreien kann.


    Eine sehr wichtige Frage, die man sich heute stellen muss: hat die klassische Musik Überlebenschancen außerhalb des bloßen Konsums? Zwar wird uns die Musik ewig begeistern - aber weder Komponisten noch Interpreten werden eine Chance auf Bedeutung haben, wenn es so weitergeht wie bisher. In der Komposition wird nur noch experimentiert, die begrenzte Anzahl der wirklichen klassischen Meisterwerke wurde zuhauf aufgenommen, so dass für jedes Werk bereits eine Meisterinterpretation vorhanden ist und so auch neue Interpreten unnötig werden.


    Zur Interpretation schreibt Wikipedia auch:


    In den nachfolgenden Generationen kam es nicht mehr zu solchen alles überragenden Karrieren, da sich der Entfaltungsraum jüngerer Interpreten immer mehr einschränkte: Einerseits liegt dies an einer gewissen Stagnation im Repertoire - die Werke der zeitgenössischen Komponisten etablierten sich ebensowenig in den Konzertprogrammen wie die "Entdeckung" weniger bekannter Komponisten früherer Epochen (z.B. Muzio Clementi) - andererseits an der unbegrenzten Verfügbarkeit mustergültiger Interpretationen als Schallaufzeichnung, die ihrerseits gewissermaßen in den Rang von "Meisterwerken" erhoben wurden (z.B. Einspielungen von Artur Schnabel (Klavier) oder Arturo Toscanini (Dirigent). Die historische Aufführungspraxis, (Harnoncourt, John Eliot Gardiner), die es sich zur Aufgabe machte, in einer Interpretation auch die zu einer entsprechenden Epoche gehörenden stilistischen und spielpraktischen Bedingungen zu rekonstruieren, sorgte da nur vorübergehend für einen neuen Anschub.


    Wie finden wir einen Ausweg aus dieser Misere? Eins steht fest: es ist Aufgabe der Komponisten. Es muss ein neuer Weg zu komponieren gefunden werden, der künstlerischen Anspruch und Gefälligkeit miteinander verbindet - die klassisch-romantische Kompositionsweise liefert ein Musterbeispiel dafür.
    Bei diesen Überlegungen gelangt man selbstverständlich wieder zu der Frage zurück, ob es wirklich richtig ist, musikalischen Fortschritt dadurch zu erzielen, dass die Fundamente der Musik (Kadenzharmonik, Rhythmik, Melodik) aufgegeben werden. Aber dann wären wir wieder im anderen Thread...

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • servus rappy


    Zitat


    die begrenzte Anzahl der wirklichen klassischen Meisterwerke wurde zuhauf
    aufgenommen, so dass für jedes Werk bereits eine Meisterinterpretation
    vorhanden ist und so auch neue Interpreten unnötig werden.


    diese aussage lässt die live-aufführung vollkommen ausser betracht. sie gilt nur
    für konserven-musik. mir ist jede "nicht meisterinterpretation" frisch zubereitet
    sehr viel lieber, als die beste tiefkühlkost. ich besitze auch meist nur eine
    einzige einspielung als konserve.



    Zitat


    Es muss ein neuer Weg zu komponieren gefunden werden, der künstlerischen
    Anspruch und Gefälligkeit miteinander verbindet


    gefälligkeit kommt wohl von gefallen und ist eine rein subjektive angelegenheit.
    mit gefallen derzeit (momentaufnahme) neuere und zeitgenössische werke im
    durchschnitt besser, als das traditionell klassisch-romantische repertoir.
    ich habe letztes jahr einige uraufführung (lebender und teilweise anwesender)
    komponisten erlebt, die mir allesamt gefallen haben.


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

  • So wie es derzeit aussieht - das kann sich allerdings jederzeit wieder ändern - ist die "klassische Musik" - zumindest was neue Werke anlangt am Ende ihrer Entwicklung angekommen.


    Das was heute als "Klassische" oder E- Musik angeboten wird - ist IMO keine mehr - ich sage das möglichst wertfrei - weil einige "Grundpfeiler" dessen was diese Musikrichtung ausmacht aufgegeben wurden.


    Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt ist: Ende der Entwicklung oder Nachdenkpause ? wobei ich eher ersteres annehme....


    Den zweiten Teil sehe ich allerding eher optimistischer.
    Der Interpretenmarkt teilt sich ja in den der LIVEKONZERTE und TONAUFNAHMEN. Mindestens für den ersten Teil sehe ich in absehbarer Zeit keine Gefahr - Livekonzerte können DERZEIT noch nicht verlustfrei aufgezeichnet und wiedergegeben werden - ein Hauch von Konserve bleibt - auch mit teuerstem Wiedergabe -Eqipment.


    So wird auch in Zukunft Bedarf an Interpreten bestehen. Und das schönste: JEDER Interpret ist individuell - ober nun will oder nicht. Zudem will in der Regel das Publikum auch aufnahmen von "ihrem" Liebklingsinterpreten - Egal wie oft das Werk nun schon auf CD existiert....



    Aber auch im Bereich Aufnahme:


    Soeben sind ZUMINDEST VIER Zyklen mit Beethoven-Klaviersonaten im Entstehen. Kaum jeamnd wird behaupten wollen, sie seine überflüssig - sie unterscheiden sich teilweise gravierend voneinander - und natürlich von den Vorgängeraufnahmen ebenso......


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • wenn hier etwas stagniert, ist es die Gesellschaft!


    Ich verstehe den Anlass zur Frage. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht über Begriffe wie Zeitgeist auslassen. Das ist alles irrelevant.


    Es gibt eine Menge guter Musik. Erfreuen wir uns an dieser!


    PS: bei mir "stagniert" gerade Mozart KV 499 :D

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von rappy
    Wie finden wir einen Ausweg aus dieser Misere? Eins steht fest: es ist Aufgabe der Komponisten. Es muss ein neuer Weg zu komponieren gefunden werden, der künstlerischen Anspruch und Gefälligkeit miteinander verbindet


    Nö, es braucht ein neues Publikum, das ohnehin stark im Wachsen ist. Die Lösung findet also bereits statt. Das alte konservative Publikum (eine Erfindung des 20. Jahrhunderts) mag ja weiter existieren, es spielt aber im Grunde keine Rolle.

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  • Man darf Wikipedia nicht überbewerten. Hier kann sich Jedermann/frau austoben und niemand kontrolliert / korrigiert das Geschriebene.
    Es ist also sinnvoll, sich noch einer anderen Quelle zu bedienen.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von rappy
    Die Komponisten fanden ihre Nischen nur noch im sich vom historischen Material immer weiter unterscheidenden Experiment (die auch die o. g. Merkmale es „Komponierens“ betrafen und gelegentlich in Frage stellten), waren damit aber in spezialisierte Konzertreihen und Festivals abgedrängt.


    Das klingt ja so, als ob die "Experimente" eine Folge des musealen Klassikbetriebes wären. Das kann ich nicht so recht glauben. Schließlich ist die bildende Kunst auch von "Experimenten" geprägt obwohl der Kunstmarkt für moderne Kunst mindestens so gut blüht wie der für die "alten Meister" - wer will sich schon so düstere Schinken ins Wohnzimmer hängen?


    Ich finde den Aufsatz schon ziemlich unseriös. Um Wikipedia gewinnbringend zu nutzen, muss man sich schon ein wenig auskennen um beurteilen zu können, ob der Artikel, den man gerade liest, brauchbar ist oder nicht.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Nö, es braucht ein neues Publikum, das ohnehin stark im Wachsen ist. Die Lösung findet also bereits statt. Das alte konservative Publikum (eine Erfindung des 20. Jahrhunderts) mag ja weiter existieren, es spielt aber im Grunde keine Rolle.


    Da bin ich absolut deiner Meinung!
    Große Veränderungen, vorallem im Repertoire werden auf uns zukommen! Und da ich mich zu diesem neuen Publikum zähle, freue ich mich schon unheimlich auf den Tag, an dem das alte konservative Publikum verschwunden ist und endlich der Weg frei wird für längst fällige Veränderungen!

  • Zitat

    Nö, es braucht ein neues Publikum, das ohnehin stark im Wachsen ist. Die Lösung findet also bereits statt. Das alte konservative Publikum (eine Erfindung des 20. Jahrhunderts) mag ja weiter existieren, es spielt aber im Grunde keine Rolle.


    Das halte ich für ein Gerücht, für frommes Wunschdenken.


    Das Gegenteil ist der Fall.


    Auch junge Menschen fühlen sie wieder zu konservativen Werten hingezogen, damit meine ich das Bewahren von Traditionen und Kulturgut.


    Es mag sein, daß es ein Publikum für "Neue Musik" gibt - es ist aber gesellschaftlich weit weniger relevant, wie die Vertreter der "Klassischen Musik"
    und wird eigentlich von niemend so richtig geliebt.
    Das Bürgerliche Publikum macht einen großen Bogen um dieses Richtung - und das seit nunmehr über 50 Jahren. Schon als ich 20 war - und das ist immerhin schon ein paar Monate her :P - hat man meine Generation mit "zeitgenössischer Musik" zu ködern versucht - erfolglos, wie man sieht.


    Wenn es irgendwo ein Festival mit "Moderner Musik" gibt - und es kommen Besucher - pro jahr etwa so viele wie eine Woche in "normalen Konzerten" - dann bricht in den Reihen der Vertreter der Moderne ein ungeheuerlicher Jubel aus - man meint der Durchbruch wäre geschafft.


    Ich sähe es lieber, würde man bei Beethoven erneut an - und fortsetzen.
    Aber auch solchen Bemühungen wäre kein Erfolg beschieden (siehe Ries !!!)
    Die Kritik - und sie ist tatsächlich in den Händen der Modernisierer . würde jeden Ansatz im Keim ersticken und Komponisten, welche sich sowas getrauten zu Epigonen und Kitschfabrikanten abstempeln....


    So gibt es NACH der "Klassischen Musik" - ich setze deren Ende -äusserst großzügig - bei Schostakowitsch an - wohl eine neue Richtung von nicht - U-Musik, aber ich würde sie nicht mehr zur Klassik reihen. Damit hat sie in etwa soviel zu Tun, wie ein heutiges Musical mit der Oper.....



    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Auch junge Menschen fühlen sie wieder zu konservativen Werten hingezogen, damit meine ich das Bewahren von Traditionen und Kulturgut.


    z.B. das Kulturgut der letzten 50 Jahre ...


    Ich halte es für Wunschdenken, dass Schostakowitsch nicht zur "Neuen Musik" gehört. Und wer bereit ist, Schostakowitsch als Kulturgut zu bewahren, sollte sich im Klaren sein, dass das mit Stockhausen auch früher oder später von einem größer werdenden Teil des Publikums so gesehen werden wird.


    Aber vielleicht wird das auch nicht so sein - wie auch immer - der Prozentsatz der "Neue-Musik-Hörer" an der Gesamtbevölkerung ist ja ebenso irrelevant wie der Prozentsatz der "klassisch-romantisches Repertoire"-Hörer.

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  • Wenn ich mich einmischen dürfte: mir gefällt das Lagerdenken nicht, mit dem man von einem alten, konservativen Publikum und im Gegenzug von einem neuen Publikum redet. Dieses "konservative" Publikum gibt es generationsübergreifend, ebenso wie es Liebhaber der neuen Musik generationsübergreifend gibt. Wie bei der alten gegenständlichen Kunst würde ich auch bei der Musik die Frage stellen wollen, ob der Erfolg der "klasischen" Musik tatsächlich aus ihrer Qualität her rührt. Das plus einer Komposition von Mozart oder Beethoven liegt ja oftmals in der vordergründig schönen Melodie ("kann man nachpfeifen"). Will heißen, daß auch der wenig Musikgebildete kein Problem haben wird, an "Freude schöner Götterfunken" oder dem Es-dur Konzert seine Freude zu haben. Hier trifft also ein breiter gesellschaftlicher Konsens auf Musik, die eben diesen bedient. Die musikalische Meta-Ebene, die den Werken innewohnt (man lese nur die vielen klugen Threads und Beiträge in diesem Forum) dürfe wohl der Mehrzahl der Konzertbesucher und Plattenkäufer verborgen bleiben.


    Ähnliches widerfährt einem ja auch regelmäßig in Kunstmuseen: Besucher, die verlauten lassen, daß ein Bild aussähe "wie photographiert" und für die die Bildbetrachtung damit abgeschlossen ist. Und damit endet die Erkenntnis. Bei der ungegenständlichen Kunst unterhält stets der unvermeidliche Gruppenclown die Umgebung mit Kommentaren wie: "Nee, was für ein Geschmiere, hähä, das kann mein kleiner Enkel auch; Kunst, das kommt von Können (beifallsheischender Blick ins Rund)". Kapiert haben beide nichts. So einfach ist das.


    Bei der Musik ist das ähnlich gelagert. Und ich frage mich ernstlich, ob Alfred tatsächlich die Gemeinschaft derer sucht, die sich alle auf die sogenannte klassisch-konservative Musik verständigen könne (gilt übrigens auch für den Liebhaber neuer Musik, der ja auch nicht ernsthaft die Gesellschaft derer suchen wird, die aus Selbstdarstellungs- und Abgrenzungslust behaupten, daß ihnen diese neue Ästhetik etwas sage (pardon, dieses Asterix-Zitat war jetzt unvermeidlich).


    Immerhin Alfred, wäre tasächlich ein Gedanke daran zu verwenden, ob Du den Begriff "Klassik" nicht vielleicht allzuweit fasst. Als Epochenbegriff ist er ja hilfreich. Als Gattungsbegriff steht er für mich eher als Abgrenzung zur U-Musik. Und da würden dann die Nach-Schostakowitsch-Musik reingehören, oder?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Santoliquido
    Bei der Musik ist das ähnlich gelagert. Und ich frage mich ernstlich, ob Alfred tatsächlich die Gemeinschaft derer sucht, die sich alle auf die sogenannte klassisch-konservative Musik verständigen könne (gilt übrigens auch für den Liebhaber neuer Musik, der ja auch nicht ernsthaft die Gesellschaft derer suchen wird, die aus Selbstdarstellungs- und Abgrenzungslust behaupten, daß ihnen diese neue Ästhetik etwas sage (pardon, dieses Asterix-Zitat war jetzt unvermeidlich).


    Eben, man möge davon Abstand nehmen, das Publikum als zu bedienende Gruppe anzusehen, der man sich zugehörig fühlt. Wir sehen ja hier im Forum wie extrem unterschiedlich jeder von uns denkt und hört. Gruppen bilden sich hier nicht im Sinne einheitlichen Geschmacks (m-mueller wollte sowas konstruieren um gezielteren Empfehlungsfluss zu ermöglichen - ich glaube, er hat uns bereits verlassen).
    :hello:

  • Zitat

    Soeben sind ZUMINDEST VIER Zyklen mit Beethoven-Klaviersonaten im Entstehen. Kaum jeamnd wird behaupten wollen, sie seine überflüssig - sie unterscheiden sich teilweise gravierend voneinander - und natürlich von den Vorgängeraufnahmen ebenso......


    Das klingt aber ein wenig nach Regietheater. So etwa nach dem Motto "wir führen zwar seit 100 Jahren immer dieselben Stücke auf, aber wen kümmert's, die Inszenierung ist eh wichtiger als das Stück." Mag ja sein, dass das alles grossartige Einspielungen sind, aber wenn man sich auf immer neue Aufnahmen derselben Werke beschränkt, würde ich schon von Stagnation sprechen. Ist aber glücklicherweise nicht so. Es gibt ja den Boom der "alten Musik." Da muss man sich allerdings fragen, wie es kommt, dass das Publikum einerseits durchaus etwas "neues" will, dies aber anscheinend nicht in wirklich neuer Musik findet.

  • Lieber Beckmesser,


    auch der x-te Zyklus der Beethoven-Sonaten muss kein Zeichen von Stagnation sein, denn künstlerische Weiterentwicklung kann schließlich nicht nur auf der Komponisten-, sondern auch auf der Interpretenseite stattfinden.


    Und wenn dann ein Künstler wie Ronald Brautigam eine sehr eigenständige und überzeugende Gestaltung der Beethovenschen Sonaten auf einem wunderbaren Fortepiano vorlegt, die tontechnisch über jeden Tadel erhaben ist, dann füllt er damit eine zumindest von mir schmerzlich empfundene Lücke.


    Zum Problem der Alten Musik: ich frage mich das auch oft, weil ich nämlich selbst gerne für mich Neues im Alten suche, gelegentlich aber denke, dass es schon ein bisschen seltsam ist, nur rückwärts zu blicken und sich nicht um die Gegenwart zu kümmern.


    Mein Problem: ich höre Musik nicht aus musikalischem Interesse, sondern aus emotionalem Bedürfnis - und da hat das einfacher zugängliche Werk eben die Nase vorn, zumal ich ganz geschmäcklerisch-eskapistisch nicht auf der Suche nach weltentiefen Großdramen und existenzieller Erschütterung bin, sondern einfach nur Schönheit erleben will in meiner Freizeit. Und da kommen mir die Subtilitäten alter Instrumente sehr entgegen, was eine Präferenz für das entsprechende Repertoire in sich schließt.


    Ich hatte schon einmal in einem Post um Empfehlungen zeitgenössischer Musik für dieses mein Hörerprofil gebeten, aber ich wurde nicht erhört - vielleicht ist diese Hörerhaltung nicht kompatibel mit dem Anspruch moderner Musik, ich weiß es nicht.


    In der Summe glaube ich übrigens auch nicht daran, dass "die Klassik" in irgendeiner Form stagniert, denn aus meiner Konsumentenperspektive heraus erlebe ich, dass an allen Ecken mehr und immer mehr geboten wird so dass ich nicht mal ansatzweise Schritt halten kann. Ich kann beim besten Willen keine Krise entdecken - mir soll mal einer eine Zeit zeigen, in der mehr Kulturgut diversester Faktur mehr Menschen einfacher zugänglich war!


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Zitat

    Original von Barockbassflo
    Ich hatte schon einmal in einem Post um Empfehlungen zeitgenössischer Musik für dieses mein Hörerprofil gebeten, aber ich wurde nicht erhört - vielleicht ist diese Hörerhaltung nicht kompatibel mit dem Anspruch moderner Musik, ich weiß es nicht.


    Also ganz eventuell Morton Feldman. Abgesehen von ein paar Ausnahmen im Frühwerk sind das leise, ruhige, langsame und subtile Sachen. Hör aber mal rein, nicht blind kaufen und dann mit mir schimpfen.
    :untertauch:

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  • Lieber KSM,


    Morton Feldman - ich werde bei nächster Gelegenheit in der Barbican Library nach Aufnahmen suchen.


    Vielen herzlichen Dank für die Empfehlung - und ich würde NIE mit Dir schimpfen weil mir eine Empfehlung nicht gefällt!


    LG,
    der
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • noch ein paar ratschläge:


    achte darauf, dass du nicht zu laut abhörst! in der regel sind die feldman-stücke lautstärkenmäßig nur knapp über dem publikumsgeräuschpegel angesiedelt, also viel leiser, als man eventuell denken könnte.


    nimm vielleicht nicht unbedingt ein 80-minuten-stück, da kann es sein, dass der anfang nicht das interessanteste ist.


    so, zurück zum thema ... :untertauch:

  • Hallo zusammen,
    ein Aspekt kam bisher kaum zur Sprache. Die Weiterentwicklung der Aufnahmetechnik und den entsprechenden Abspielgeräten.



    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Livekonzerte können DERZEIT noch nicht verlustfrei aufgezeichnet und wiedergegeben werden - ein Hauch von Konserve bleibt - auch mit teuerstem Wiedergabe -Eqipment.


    Wenn DIE ZEIT gekommen ist, werden wir dankbar sein, wenn wir auf fähige Interpreten zurückgreifen können. Man denke an den Boom nach Einführung der CD. Alfred genügt die CD. Doch wie sähe dies die Klassikhörerschaft ansich, wenn eine nahezu vollkommene Reproduktion zu bezahlbaren Preisen möglich wäre, der hauch von Konserve bei Neueinspielungen verschwände ?


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Zitat

    Lieber Beckmesser,


    auch der x-te Zyklus der Beethoven-Sonaten muss kein Zeichen von Stagnation sein, denn künstlerische Weiterentwicklung kann schließlich nicht nur auf der Komponisten-, sondern auch auf der Interpretenseite stattfinden.


    So war das auch nicht gemeint. Wenn sich aber die Weiterentwicklung auf Neueinspielungen der Beethoven-Sonaten beschränkt, dann ist das zuwenig. (Alfred's Post weiter oben schien ja zu unterstellen, die Existenz dieser Neueinspielungen widerlege die These von der Stagnation.) Es muss sich auch ab und zu mal etwas beim Repertoire tun.

  • servus GalloNero


    Zitat

    Original von GalloNero
    Wenn DIE ZEIT gekommen ist, werden wir dankbar sein, wenn wir auf fähige Interpreten zurückgreifen können. Man denke an den Boom nach Einführung der CD. Alfred genügt die CD. Doch wie sähe dies die Klassikhörerschaft ansich, wenn eine nahezu vollkommene Reproduktion zu bezahlbaren Preisen möglich wäre, der hauch von Konserve bei Neueinspielungen verschwände ?


    ich bin techniker - zumindest für die nächsten 100 jahre ist diese
    "vollkommene" aufnahme nicht möglich. mit vollkommen meine ich 100%.


    wenn man bedenkt, dass ein und derselbe interpret keine zwei aufführungen
    identisch hinbekommt, dann ist logisch gefolgert eine vollkommene illusion
    nur einmal anhörbar. schon beim zweiten mal hören wäre sie kein vollkommene
    illusion mehr.


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

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  • Oh soviel worauf zu antworten wäre, aber ich will mich auf einige wichtige Statements beschränken


    Therma Schostakowitsch und Moderne:


    Er dürfte einer der Letzten sein, der "Klassische" Musik zumindest in Zitaten verwendet, ebenso wie Strawinsky - somit gerade noch "Klassische Moderne"


    Zitat


    Das klingt aber ein wenig nach Regietheater. So etwa nach dem Motto "wir führen zwar seit 100 Jahren immer dieselben Stücke auf, aber wen kümmert's, die Inszenierung ist eh wichtiger als das Stück."


    Dem Vergleich mit dem Regietheater kann und will ich nicht folgen.
    Es ist ja lediglich eine Unterstellung der Vetreter des "Regietheaters" VOR ihrer Zeit wäre alle Stücke immer gleich inszeniert worden - Zahlreiche Bild- und Tondokument belegen, daß dies nicht stimmt.


    Natürlich war zwischen Carusos "Rigoletto", jenem von Gigili Jahre später und einem Darsteller der 70er Jahre große Unterschiede - kaumwahrnehmbar spielte der Zeitgeist mit. JEDOCH wurde immer die Einheit von Zeit und Raum gewahrt mit dem Versuch das Geschehen so realistisch wie irgend möglich auf die Bühne zu bringen.


    Genauso ist es heute mit verschiedenen Beethoven Zyklen:


    Im Idealfall klingen sie anders OHNE daß ihnen künstlich Gewalt angetan werden muß - Es gibt theoretisch so viele Interpretationsmöglichkeiten von beispielsweise der "Waldsteinsonate" wie es menschliche Stimmen gibt.
    JEDER Künstler empfindet anders, interpretiert anders....



    Zitat

    Mag ja sein, dass das alles grossartige Einspielungen sind, aber wenn man sich auf immer neue Aufnahmen derselben Werke beschränkt, würde ich schon von Stagnation sprechen. Ist aber glücklicherweise nicht so. Es gibt ja den Boom der "alten Musik." Da muss man sich allerdings fragen, wie es kommt, dass das Publikum einerseits durchaus etwas "neues" will, dies aber anscheinend nicht in wirklich neuer Musik findet.


    Das ist ganz einfach - Erkennbare - angenehm klingende Themen waren früher keine Schande, "gefällig" war ein Positivbegriff. Die Menschen haven sich nicht geändert - lediglich die Versuche sie zu manipulieren.


    Ja auch ich bin ein Hamster von "unbekannten" Werken vergangener Jahrhunderte....


    faun


    Wir sind uns nur selten einig - aber der Aussage, daß eine ädiquate Konservierung eines Musikerignisses auch binnen 100 Jahen nur unbefriedigend sein wird - der schließe ich mich vollinhaltlich an.



    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Therma Schostakowitsch und Moderne:


    Er dürfte einer der Letzten sein, der "Klassische" Musik zumindest in Zitaten verwendet, ebenso wie Strawinsky - somit gerade noch "Klassische Moderne"


    Nö, Alfred, so einfach geht das nicht
    ;)
    Zitiert wird nach Schostakowitsch (also in den 80ern und 90ern etc.) in alter Frische und was das Zeug hält. Und zwar wörtlich (z.B. Ruzicka) oder stilistisch (z.B. Rihm).


  • Ist das so einfach? Ich persönlich empfinde "gefällig" nicht als negativ. Auch war nicht alles,was vor Jahrhunderten geschrieben wurde "gefällig". Gefällig, das sind für mich die Wiener Operetten, die Walzer von Strauß, Lanner, Komczak. Es gibt auch einiges "Gefälliges" in der Musikliteratur zuvor. Erkennbar an diversen Musiksammelprogrammen wie "100 Klassik-Hits" oder wie sie alle heißen. Merkwürdig, daß von Tschaikowskys b-moll Konzert stets nur die Introduktion im 1. Satz auftaucht, von Bruchs g-moll Konzert nur das Adagio usf. Für die meisten Hörer ist es schon eine Herausforderung, diese Werk zur Gänze zu hören. Und, wie auf einem Plattencover las, war für Mozarts Zeitgenossen der Anfang der großen g-Moll Sinfonie befremdlich und düster. Und gar das Dissonanzen-Quartett?


    Und ein Wort zum Hamstern von Musik vergangener Jahrunderte: Alles, was mir bis zum Zeitpunkt des ersten Hörens unbekannt ist, empfinde ich als "Neu", völlig unabhängig, ob das Stück nun tausend Jahre alt ist oder nicht. Meine Sammlung fängt im 10.Jh an (eine Ostermesse) und endet im 20. Jh. mit Pärt als jüngestem Musikstück.


    Und, noch eines: über Generationen hinweg verändern sich Hörgewohnheiten, eine Binsenweisheit; doch immerhin: war es nicht Hanslick, der das Violinkonzert von Tschaikowsky als Verabreichung von billigem russischen Fusel bezeichnet hatte, im Vergleich zu dem klaren Trunk Wasser, den ein nämliches von Mozart böte? Nicht, daß ich jetzt Mozart und Tschaikowsky miteinander vergleichen wollte, aber in der langfristigen Einschätzung hat Hanslick hier schwer daneben gelegen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hier im Forum sind laut Voting die Freunde der Musik des 20. Jh. am größten an der Zahl, dann kommen Klassik, Romantik und Barock ...


    Zumindest hier stagnierts also nicht ...


    Und die beiden Sinfoniker, die man momentan offenbar am liebsten aufnimmt, dürften Mahler und Schostakowitsch sein, zwei Komponisten des 20. Jahrhunderts.


    Edit: Pardon, ich hab das falsch im Gedächtnis gehabt: Romantik (36) kommt vor dem 20. Jahrhundert (33).
    :untertauch:

  • Nicht ganz richtig: Romantik hat die Nase um drei Stimmen vorn :angel:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Hallo faun,


    Du schreibst:

    Zitat

    Original von faun
    ich bin techniker - zumindest für die nächsten 100 jahre ist diese
    "vollkommene" aufnahme nicht möglich. mit vollkommen meine ich 100%.


    Ich bin auch Techniker. Deswegen schrieb ich ja auch nicht vollkommen, sondern nahezu vollkommen ;) :P.


    Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass es nicht auszuschließen ist, dass Ton- bzw. Datenträger und Vertriebswege der Zukunft, in Verbindung mit neuen Aufnahmeverfahren und Abspielgeräten, eine nicht zu vernachlässigende Qualitätssteigerung bei gleichzeitiger Kostenreduktion mit sich bringen könnten. Geschähe dies (und ich sage, es wird passieren), kann ich mir nicht vorstellen, dass die Breite Klassikhörermasse Alfreds Standpunkt, "Mir reicht die CD!", einnehmen würde.


    Ob es so kommen könnte, haben wir ja auch ausführlich hier diskutiert:
    Ende der CD?


    Wenn es so käme, könnte dies m.E. einer Stagnation entgegenwirken.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Ich hab's vor kurzem in einem anderen Thread geschrieben und wiederhole gerne hier nochmal: wie oft ich im Laden die Begriffe SACD und DVD-Audio erläutern muß, kann ich nicht mehr zählen. Die "besseren" Formate sind da, aber kaum einer meiner Kunden ist bereit, sich auch nur den entsprechenden Player zuzulegen (ich übrigens auch nicht), geschweige denn eine Aufnahme nochmal in einem anderen Format. Hybrid wird gerne mitgenommen, aber erst, nachdem ich dieses ominöse "neue Format" erklärt habe.
    Uns wurde so lange von der Tonträger-Industrie eingehämmert, daß die CD das ultimative Hörerlebnis bietet, daß die wenigsten ihre Sammlung nochmal neu aufbauen möchten.


    :hello:Jürgen

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Nö, Alfred, so einfach geht das nicht
    ;)
    Zitiert wird nach Schostakowitsch (also in den 80ern und 90ern etc.) in alter Frische und was das Zeug hält. Und zwar wörtlich (z.B. Ruzicka) oder stilistisch (z.B. Rihm).


    Zitieren und Montieren ist eigentlich fast schon eher charakteristisch für die Postmoderne. Warum sollten die gelegentlichen Zitate bei Strawinsky oder Schostakowitsch deren Musik "klassischer" machen als die von Schönberg? Zumal es bei Schostakowitsch häufig Zitate von "Widerstandsliedern" u.ä. sind, nix klassisches.
    Ist Berg klassischer, wenn er im Violinkonzert oder in der Lyrischen Suite Zitate einbaut als in Stücken, in denen er das nicht tut?
    Zitieren kommt zu häufig vor und kann zu so unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden (mindestens so häufig wie ein "respektvolles" dürfte ein verfremdendes Zitieren sein), als das man es irgendwie als Kriterium für Modernität oder Konservatismus verwenden könnte.


    Ich finde allerdings nachvollziehbar, dass man Schostakowitsch als "klassischer" ansieht als z.B. Messiaen, nicht jedoch aufgrund von Zitaten oder "Gefälligkeit" (Messiaen "zitiert" Vogelstimmen und ist auch nicht gerade ungefällig), sondern weil die Formen in Sinfonie und Streichquartett vergleichsweise traditionell sind.


    Das ändert aber nichts daran, dass die Einteilung in "Klassische Moderne" und Moderne noch viel angreifbarer ist als andere solche Einteilungen...



    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Alfred schrieb:


    Thema Schostakowitsch und Moderne:


    Er dürfte einer der Letzten sein, der "Klassische" Musik zumindest in Zitaten verwendet, ebenso wie Strawinsky - somit gerade noch "Klassische Moderne"


    Zitat

    JR schrieb:
    Ich finde allerdings nachvollziehbar, dass man Schostakowitsch als "klassischer" ansieht als z.B. Messiaen, nicht jedoch aufgrund von Zitaten oder "Gefälligkeit" (Messiaen "zitiert" Vogelstimmen und ist auch nicht gerade ungefällig), sondern weil die Formen in Sinfonie und Streichquartett vergleichsweise traditionell sind.


    Die Tatsache, dass Schostakowitsch auch bei vielen modernophoben Hörern Gnade findet, würde ich ebenfalls nicht auf das bloße Zitieren "klassischer Musik" reduzieren.


    In der Tat habe ich mir aber auch schon darüber Gedanken gemacht, was das Besondere an dieser Musik ist, dient sie doch manchem als "Sprungbrett" in die jüngere Moderne. Bei mir war’s auch so, ich konnte anfangs mit einigen Werken von Schostakowitsch etwas anfangen, aber nicht mit allen. Umso mehr ich mich allerdings reinhörte, umso weiter erschloss sich mir dieses Schaffen und damit auch die weitere "Moderne". Ich führe das jetzt mal - mangels Fähigkeiten abseits aller kompositionstechnisch fundierten Analysen - auf im wesentlichen 2 Punkte zurück. Erstens gibt es bei Schostakowitsch sowohl im gesamten wie auch im einzelnen Werk ein Nebeneinander von teils sehr "konservativer", teils sehr "moderner" musikalischer Sprache. Weiterhin ist oft eine Struktur des Werkes auch für denjenigen erkennbar, der abseits von Sonatenhauptsatzform und melodieseliger thematischer Arbeit noch keinen musikalischen Kompass ausgebildet hat. Das war mir, glaube ich, rückblickend sehr hilfreich.


    Denn, als ich anfing, mich mit "moderner" Musik zu beschäftigen, zerfiel vieles einfach in klangliche Einzelereignisse. Die Struktur des Werkes auch in ihrer primitivsten Form war nicht erkennbar, weil ich noch nach Orientierungshilfen suchte, die es nicht mehr gab, und mangels Erfahrung noch nicht nach anderen strukturellen Elementen Ausschau hielt.


    Bezeichnenderweise erschloss sich mir einiges der Musik von Ligeti sehr schnell. Bei Werken wie Atmosphères oder Lontano konnte ich auch ohne viel Hörerfahrung ziemlich gut nachvollziehen, was im Verlauf des Werkes passiert (zumindest auf einer oberflächlichen Ebene, wie es mir auch bei einer Brucknersinfonie gelang. ) Ähnlich dürfte der Fall beim Sacre von Strawinsky liegen, wo der Rhythmus die Orientierung bietet, welche die tonale Sprache vorenthält.


    Insofern halte ich Schostakowitsch für einen Komponisten, an den man seine Sinne für die Moderne schulen kann. Eine "Hürde" stellt allerdings die emotionale Intensität dieser Musik dar, denn dadurch eignet sich seine Musik absolut nicht fürs nebenbei hören. (Eigentlich eignet sich keine große Musik dazu, allerdings ermöglicht manche zumindest eine Oberflächliche Betrachtung. Meine Freundin bemerkte neulich, sie könne sogar die scheinbar harmlos daherkommenden Jazzsuiten nicht nebenbei hören...)


    Wie gesagt: Ein mögliches Sprungbrett in die "radikalere" Moderne. Natürlich gibt es auch viele, die Angst vor dem tiefen Wasser haben und deshalb lieber nicht springen. :D


    Gruß
    Sascha