Nur eine Kette von Zufällen führte zu diesem Thread.
In einem Sängerforum fühl(t)en Mitglieder sich nicht wohl: viel Streit, weniger Konsens und keine Moderation. Darum haben einige Mitglieder von dort die "Sängerfraktion" bei uns verstärkt. Und danach schrieb "Großmoderator" Alfred einen Beitrag darüber "Drum singe wem Gesang gegeben". Darüber war ich, Liebhaber von Operette, Oper und Lied, sehr erfreut. Und ich hatte sofort einige Vorschläge. Nebenbei schrieb ich "Obwohl... ein eigener Thread können jene Bearbeitungen von Haydn, Beethoven, Kozeluch und wer es noch mehr bearbeitet hat m.E. auch bekommen".
Dieser Satz brannte in meinem Gedächtnis, und kurzentschlossen schickte ich eine Nachricht an dem "Haydn-Institut" in Köln. Und bekam sofort eine sehr liebenswürdige Antwort von Herrn Dr. Andreas Friesenhagen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Haydn-Instituts. Er schrieb mir u.a.
ZitatIch füge dieser Mail einen kurzen Vortrags-Text von mir über Haydns Bearbeitungen schottischer Lieder bei, der für ein Konzert mit dem Haydn-Trio Eisenstadt geschrieben wurde.
Als ich jenen Beitrag gelesen hatte, war ich wirklich komplett baff. Darum fragte ich Alfred Zustimmung, Dr. Friesenhagens Beitrag publizieren zu dürfen. Vorausgesetzt, daß Dr. Friesenhagen damit einverstanden war. Alfred gab ein d'accord, und ich fragte Dr. Friesenhagen um Erlaubnis seinen Beitrag hier in toto als Beitrag publizieren zu dürfen.
Dr. Friesenhagen antwortete mir u.a.
ZitatPrinzipiell habe ich nichts dagegen, wenn Sie meinen Text veröffentlichen, sofern Sie mich als Autor nennen. Es wäre auch sehr schön, wenn Sie in diesem Rahmen noch einmal besonders darauf hinweisen könnten, daß sämtliche 429 Volksliedbearbeitungen jetzt in "Joseph Haydn Werke" vorliegen, in einer zuverlässigen, historisch-kritischen Edition, durch die auch zahlreiche zuvor nie veröffentlichte Lieder erstmals zugänglich werden. Ich bin sicher, daß diese Information vor allem viele Sänger interessieren wird.
Ich bin Dr. Friesenhagen sehr erkenntlich für seine freundliche Zustimmung.
LG, Paul
Wie kam Haydn, der Vater des Streichquartetts und der Sinfonie, der berühmte Komponist der „Schöpfung“, eigentlich dazu, sich gegen Ende seiner glanzvollen Karriere mit der Bearbeitung schottischer Volkslieder zu beschäftigen?
Blicken wir zurück in die Jahre 1791/92, als Haydn zum ersten Mal nach England kam. Seine Biographen berichten, daß er in dieser Zeit den Londoner Verleger William Napier kennenlernte. Napier stand mit seinem Verlagsgeschäft vor dem Konkurs. Um ihm zu helfen, arrangierte Haydn einhundert schottische Volksweisen für Singstimme mit Begleitung von Violine und Generalbaß. Napier veröffentlichte diese Bearbeitungen im Juni 1792, und der Band fand so guten Absatz, daß die Probleme des Verlegers mit einem Schlag gelöst wurden.
Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß schottische Lieder zu dieser Zeit auf den britischen Inseln, besonders aber in England, Hochkonjunktur hatten. Allenthalben erschienen Sammlungen solcher Lieder in Arrangements für unterschiedlichste Besetzungen. Die dort veröffentlichten Melodien und Texte waren jedoch längst nicht immer durch Alter und Tradition geadelt. Oft wurden beispielsweise altüberlieferte Melodien mit neu gedichteten Texten veröffentlicht, die auf aktuelle politische Ereignisse Bezug nahmen. Manchmal waren auch die Melodien Neukompositionen.
Bei seinem zweiten Englandaufenthalt 1794/95 schrieb Haydn noch einmal fünfzig Bearbeitungen schottischer Lieder für William Napier. Die so entstandenen insgesamt einhundertfünfzig Napier-Lieder zogen ihre Kreise, auch als Haydn längst wieder nach Wien zurückgekehrt war.
In Edinburgh versuchte in diesen Jahren der Volksliedenthusiast George Thomson, alle bisherigen Volksliedsammlungen durch seine eigene Veröffentlichungsreihe zu übertreffen. Er gab sich nicht mit einheimischen Arrangeuren zufrieden. Er verhandelte gleich mit den berühmtesten kontinentalen Komponisten seiner Zeit. Zunächst gab er Bearbeitungen bei Leopold Kozeluch und Ignaz Pleyel in Auftrag, 1799 wandte er sich auch an Haydn. Später kamen Beethoven, Hummel und Weber zum Kreis seiner „Mitarbeiter“ hinzu.
Die Zusammenarbeit zwischen Thomson und Haydn war erfolgreich und fruchtbar: Bis 1804 gingen mehr als zweihundert schottische, walisische und irische Lieder aus ihr hervor. Alle diese Bearbeitungen sind für Singstimme mit Klavier, Violine und Violoncello gesetzt, und sie haben instrumentale Vor- und Nachspiele. Damit sind sie weitaus attraktiver als Haydns Bearbeitungen für Napier, ein Umstand, auf den Thomson besonderen Wert legte. Denn die Konkurrenz zwischen den Verlegern der Liedsammlungen war groß.
William Whyte war der dritte Verleger, der Haydn mit der Bearbeitung schottischer Volkslieder beauftragte. Er trat im November 1802 just zu einem Zeitpunkt an Haydn heran, als dieser mit Arbeit für Thomson noch gut eingedeckt war. Und etwas merkwürdiges passiert: Haydn läßt die noch ausstehenden Lieder für Thomson von einem Schüler bearbeiten – was ihn nicht daran hinderte, sie unter seinem eigenen Namen an Thomson zu verkaufen – und wendet sich selbst sofort dem neuen Auftrag zu. Den Grund verrät Haydn in einem Brief: Whyte zahlte ihm für ein Lied doppelt so viel wie Thomson, und Thomson honorierte Haydn ohnehin schon fürstlich für seine Arbeit.
Im folgenden Jahr bearbeitete Haydn fünfzig der insgesamt fünfundsechzig Lieder für Whyte. Dadurch kamen die Lieferungen an Thomson ins Stocken, der sich darüber auch gleich bei Haydn beschwerte und von ihm sogar forderte, die Arbeit für Whyte unverzüglich einzustellen. Haydn gelang es, mit seinen beiden Auftraggebern ins Reine zu kommen und weiterhin für beide tätig zu sein. Er konnte Thomson sogar dazu bewegen, ihm genausoviel zu zahlen wie Whyte.
Woran Thomson sich auch gestoßen hatte: Der von ihm als „obscure music seller“ – also als dubioser Musikalienhändler – abgekanzelte Konkurrent Whyte gab die Lieder in derselben Form heraus wie er selbst, mit Vor- und Nachspielen und mit einem Begleitsatz für Klaviertrio. Da auch Whyte Haydn als Bearbeiter aufbieten konnte, war Thomsons „Monopol“ dahin. Und wirklich stehen die Whyte-Lieder in keiner Weise hinter denen für Thomson zurück, sie haben aussagekräftige Vor- und Nachspiele, einen ausgeklügelt-schlichten, die Singstimme zur Geltung bringenden Satz und fangen die Atmosphäre der Lieder ideal ein.
Die meisten dieser Lieder werden jetzt erstmals seit Haydns Zeit wieder veröffentlicht, und zwar im jüngsten Band der vom Joseph Haydn-Institut Köln herausgegebenen Haydn-Gesamtausgabe Joseph Haydn Werke. Mit dieser Veröffentlichung wird gleichzeitig die fünf Bände umfassende Reihe der Volksliedbearbeitungen in der Gesamtausgabe abgeschlossen. Die Reihe macht insgesamt 429 Lieder in einer historisch-kritischen Ausgabe der Musikwelt zugänglich und wirft damit Licht auf einen wenig beachteten, doch sehr interessanten Bereich des Haydn’schen Spätwerks.
Andreas Friesenhagen