Werke, für die sich Komponisten besonders viel Zeit ließen

  • Es geht mir hier um Werke, die besonders lange auf ihre Fertigstellung, oder schöner formuliert, Vollendung, warten mussten.
    Vielleicht können wir hier einiges sammeln, da es mich und eventuell auch andere sehr interessiert, für welche Kompositionen in der Vergangenheit am meisten Zeit aufgewendet wurde.
    Gegenbeispiele wären auch sehr interessant, also Werke, die besonders schnell fertig komponiert wurden.
    Hier fällt mir jetzt auf die schnelle nur die Linzer Symphonie ein, die Mozart ja erstaunlicherweise in nur ein paar Tagen fertig komponiert haben soll, für die Haydn-Quartette wiederum hat er aber angeblich auch noch nach Jahren immer wieder was verändert und verbessert.


    Wie lange hat eigentlich ein Bruckner, Mahler oder Tchaikowsky im Schnitt für eine Symphonie gebraucht?
    Und wie lange schrieb Mozart eigentlich an seiner Jupiter?
    Fragen über Fragen ...



    mit Grüßen
    Christoph


  • Bei vielen Komponisten früherer Zeiten weiß man nicht genau, wie lange sie benötigten; es fehlen oft einfach die relevanten Informationen. Mozart hat die 6 Haydn-Quartette über einen Zeitraum von etwa 3 Jahren komponiert, aber er hat in dieser Zeit ja noch einiges mehr geschrieben, nämlich die meisten der gut 70 Köchelnummern zwischen 387 und 465, u.a. die Linzer und 9 Klavierkonzerte ;)
    Brahms komponierte meines Wissen z.B. die 2. Sinfonie innerhalb eines Sommers; bei sorgfältigen und sonst eher langsamen Komponisten wie Beethoven oder Brahms scheinen also, wenn es glatt läuft, 2-6 Monate für eine Sinfonie oder ein Quartett, wobei evtl. mehrere kleinere Stücke nebenher geschrieben wurden, realistisch. 1805/06 schrieb Beethoven die Appassionata, die 3 Quartette op.59, die 4. Sinfonie, die Konzerte op.58 und 61. Die 5 letzten Quartette schrieb er in etwa 2 1/2 Jahren 1824-26.


    Die Komposition der Missa solemnis zog sich dagegen über ca. 4 Jahre hin.


    Schnelle (und recycelnde) Komponisten wie Händel oder Rossini schrieben dagegen in 4-6 Wochen eine dreistündige Oper.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Als Sonderfälle sind hier auch Werke zu nennen, deren Komposition unterbrochen und erst nach längerer Zeit wieder aufgenommen wurde (nein, ich meine nicht Bruckners Neunte... :D).


    Bekanntestes Beispiel ist wahrscheinlich Wagners "Siegfried" (und somit natürlich der "Ring" insgesamt): Beginn der Komposition 1857 (die ersten beiden Akte), Unterbrechung im gleichen Jahr, Wiederaufnahme und Vollendung erst wieder 1869 (3. Akt: in merklich anderem Stil komponiert). In der Zwischenzeit wurden "Tristan" und Meistersinger" geschaffen. Gründe für die Unterbrechung: die biographische Krise Wagners, die Sogkraft des Tristan-Projekts, aber offenbar auch die Unsicherheit über den Stil der Ring-Komposition.


    Mindestens ebenso frappierend der Fall der zweiten Kammersymphonie Arnold Schönbergs. 1906-1908 Niederschrift einer fragmentarischen Fassung, 1911 und 1916 Überarbeitungen, aber erst 1939 Wiederaufnahme der Arbeit und Fertigstellung der Endfassung - sodass Schönberg, der sich schon längst in seiner Zwölftonphase befand, als op. 38 noch einmal ein tonales Werk (in es-moll) veröffentlichte.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Dazu fällt mir nur die mir liebste Symphonie von Brahms ein: sein 1. Klavierkonzert :D


    Wenn ich die Daten richtig in Erinnerung habe, fuhrwerkte Brahms an dem Werk ganze 22 Jahre rum - von 1854 bis 1876.



    :hello:
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    Dazu fällt mir nur die mir liebste Symphonie von Brahms ein: sein 1. Klavierkonzert :D


    Wenn ich die Daten richtig in Erinnerung habe, fuhrwerkte Brahms an dem Werk ganze 22 Jahre rum - von 1854 bis 1876.


    Da muß eine Verwechslung vorliegen. Das Konzert hatte bereits 1859 Premiere. Die 4-5jährige Entstehungszeit des Stücks beruht u.a. darauf, dass es zunächst als Sinfonie geplant war und dann überarbeitet wurde.
    An der 1. Sinfonie soll dagegen von 1862-76 gearbeitet worden sein, immerhin 14 Jahre. Aber natürlich hat Brahms auch zwischendurch alle möglichen anderen Sachen gemacht.
    Brahms war anscheinend nicht nur in seiner Jugend mitunter selbstkritisch bis zum Exzess. Er soll dutzende von Werken vernichtet haben (meist Kammermusik), u.a. angeblich sogar solche, die weitgehend oder völlig fertiggestellt waren und bei Joseph Joachim oder Clara Schumann durchaus Beifall gefunden hatten, weil sie ihm letzlich nicht gut genug waren.


    :hello:


    JR

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  • Salut,


    Mozart hat prinzipiell sehr schnell gearbeitet: Auch z.B. die Oper 'La Clemenza di Tito' ist in etwas mehr als nur drei Wochen entstanden [zur Diskussion verweise ich auf den entsprechenden Thread]. Bei den Haydn-Quartetten ist das etwas anderes: Hier gab es keinen Zeitdruck, denn es sollte ja ein Geschenk werden, für das es keine Kohle gab.


    Zitat

    Und wie lange schrieb Mozart eigentlich an seiner Jupiter?


    Wann genau die Komposition begonnen wurde, lässt sich leider nicht mehr feststellen. Lediglich das Vollendungsdatum ist bekannt. Man kann aber grob sagen, dass Mozart in der Zeit vom 26. Juni 1788 bis 10. August 1788 KV 550 [vollendet 25.07.88] und KV 551 [vollendet 10.08.88] komponiert hat. Dazwischen noch ein Klaviertrio und die beiden Sonate facile 545 und 547. Vier Wochen scheint mir für eine solche Sinfonie beinahe schon zuviel an Zeit...


    Brahms ist überhaupt so einer mit 'ner extrem langen Leitung... :rolleyes: auch sein von mir sehr geschätzes Klarinettenquintett hat er zumindest über etliche Jahre hinweg immer wieder geändert... in der Zeit hätte er 20 davon schreiben können. ;) In eine ganz ähnliche Kategorie fällt auch der geschätzte Bruckner: da hat Marthé noch einiges an Jährchen vor sich :D


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Die dritte Sinfonie Bruckners ist auch so ein Kandidat, obwohl Bruckner mit seinen Überarbeitungen sicherlich sowieso eine Ausnahme ist. Bis kurz vor seinem Tod bastelte Bruckner an der Dritten herum. Dies bremsten ihn sogar hinsichtlich der Fertigstellung der Neunten aus. Das ist sehr tragisch, denn möglicherweise hätte er die Neunte ja fertigstellen können, wenn ihm nicht immer noch die Dritte im Sinn gewesen wäre.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Sagitt meint:


    ZUm cis-moll Quartett von Beethoven, op. 131, gibt es Hunderte von Seiten Skizzen.Wahrscheinlich ist sein Wuehlen anderer Qualitaet als die Schaffensdauer bei Brahms. Brahms war wirklich sehr kritisch, und wenn man mal die beiden Versionen von op. 8 vergleicht, kann man schreiben, mit Recht. Ist die Ueberarbeitung deswegen so ueberzeugend, weil wir diese Fassung kennen ?


    Beethoven kaempfte mit dem Stoff, Brahms war sich selbst ein scharfer Kritiker.

  • Wenn hier also auch die Aufzählung solcher Kompositionen gestattet ist, die in einer extrem kurzen Zeit stattfanden, dann sei an dieser Stelle das Weihnachtsoratorium von Saint-Saens genannt. Wenn ich diesmal richtig liege (komishc, woher habe ich nur diese 1854 - 1876?? ?( ), dann hat S.-S. das Werk mal eben in 10 Tagen geschrieben.

  • Hallo.


    Gabriel Fauré bastelte an seinem Requiem, op.48 annähernd 12 Jahre herum, bis es in seiner heutigen Fassung vorlag. Der UA im Januar 1888 folgte eine zweite Bearbeitung, bis er ein drittes Mal Eingriffe vornahm und es im Sommer 1900 zur Aufführung der uns auf Schallplatten bekannten Version kam. Dieses ist zwar eher eine Geschichte der Revisionen - das konnte Herr Bruckner ja auch ganz gut - gehört für mich dennoch zur Entstehungsgeschichte.


    Gruß
    B.

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  • Zitat

    Original von Wulf
    Wenn ich diesmal richtig liege (komishc, woher habe ich nur diese 1854 - 1876?? ?( )


    Vermutlich hast Du die komplexe Entstehungsgeschichte des Konzerte mit der langen Entstehungszeit der Sinfonie vermengt und dann den Zeitraum vom frühestmöglichen zum spätesten Datum (Premiere der Sinfonie) genommen.


    sagitt: Beethoven arbeitete allerdings "nur" ca. ein halbes Jahr an op.131: durch Krankheitspausen mehrmals unterbrochen von Ende 1825 bis Juli 1826.


    20 Jahre früher war er trotz aller Mühsal und der Vielzahl ans Skizzen kein wirklich langsamer Komponist. Lt. Indorfs Buch zu den Streichquartetten stammen alle Skizzen zu op.59 von 1806. Bis in den April hinein hatte er aber noch Ärger mit der ersten Umarbeitung von Leonore/Fidelio (inkl. Komposition von Leonore III), die Quartette entstanden von Ende Mai bis zum Ende des Jahres (Indorf gibt für das F-Dur-Quartett 26. Mai bis Anfang Juli, also 5-6 Wochen an). Das Violinkonzert wurde ebenfalls in der 2. Jahreshälfte 1806 geschrieben, die 4. Sinfonie beendet.


    Das trägt zwar alles nicht zu besonders schnell oder besonders langwierig komponierten Werken bei, aber ich finde eh interessanter, wie lange ein Komponist normalerweise für ein Stück benötigte.


    viele Grüße


    JR

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  • Ralph Vaughan Williams (1872-1958): The Pilgrim's Progress 1909-49


    Ein Werk, das mir zur Themenstellung dieses Threads sofort einfiel, ist die Morality-Oper 'The Pilgrim's Progress' 1921-49 meines Lieblingskomponisten Ralph Vaughan Williams 1872-1958).
    Sicher ist die lange Entstehungszeit des Werks nicht nur mit einem langsamen Arbeitsprozeß zu erklären, sondern resultiert außerdem aus dem Jahrzehnte andauernden Interesse des Komponisten an John Bunyans gleichnamiger Allegorie.
    Insgesamt vier Werke sind aus der intensiven Beschäftigung Vaughan Williams' mit dem Stoff hervorgegangen (eine Schauspielmusik, zwei Opern und eine Hörspiel-Fassung):


    The Pilgrim's Progress - Zwölf Episoden / Bühnenmusik für S, A, gemischten Chor und Streichorchester 1909
    The Shepherds of the Delectable Mountains - Eine pastorale Episode in 1 Akt für 6 Soli, kleinen gemischten Chor und Kammerorchester 1921/22
    The Pilgrim's Progress - Eine Bunyan-Sequenz (Hörspiel-Fassung) für 3 Sprecher, Sopran, gemischten Chor und Orchester 1942
    The Pilgrim' s Progress - Eine Moralität / Oper in 1 Prolog, 4 Akten und 1 Epilog 1921-49 (rev. 1951/52)


    Sowohl die Schauspielmusik von 1909 als auch die pastorale Episode von 1921/22 hat Vaughan Williams zu größten Teilen in die vieraktige Oper (1921-49), die ihm so sehr am Herzen lag, eingearbeitet.
    Desgleichen verwendet die Hörspiel-Fassung von 1942, jedoch auch die 1936-43 komponierte Symphonie Nr. 5 D-dur etliche musikalische Themen aus der Oper.



    Arnold Schönberg (1874-1951): Gurrelieder - Oratorium 1900-11


    Nicht ganz so lange, aber immerhin über etwa ein Jahrzehnt erstreckte sich die Entstehung von Arnold Schönbergs riesig besetztem Oratorium 'Gurrelieder'.
    Bereits 1900/01 in der Klavierfassung fertig komponiert, wurde die Orchestrierung der Oratoriumsversion 1901-03 begonnen und - nach langer Unterbrechung - 1910/11 vollendet.
    Die ausgedehnte Entstehungszeit hat in diesem Fall also nichts mit einem langwierigen Kompositionsprozeß zu tun, sondern erklärt sich aus der aufwändigen Orchestrierungsarbeit sowie der Notwendigkeit, sich zwischenzeitlich anderen Projekten widmen zu müssen.



    Ferruccio Busoni (1866-1924): Doktor Faust - Dichtung für Musik 1914-24


    Für die Arbeit an den ersten Opern 'Sigune', 'Die Brautwahl', 'Arlecchino' und 'Turandot' benötigte Busoni im Durchschnitt zwei bis drei Jahre. Demgegenüber erstreckte sich die Schaffensphase seines wichtigsten und unvollendet gebliebenen Opernprojektes 'Doktor Faust' über des Komponisten letztes Lebensjahrzehnt.
    Der Wunsch, eine Faust-Oper zu schreiben, geht auf das Jahr 1906 zurück - doch erst 1914 beginnt Busoni mit den ersten Aufzeichnungen.
    Besonders auffällig und interessant ist die extreme Diskrepanz zwischen der kurzen Entstehungszeit des Librettos - Busoni schreibt seinen eigenen Text Ende Dezember 1914 innerhalb weniger Tage wie in einem Rausch nieder - und des langen (mehrmals unterbrochenen) Prozesses der Vertonung bis zu seinem Tod im Jahre 1924. Die fehlenden Passagen ergänzte Busonis Schüler und Freund Philipp Jarnach, so daß das Werk ein Jahr später in Dresden uraufgeführt werden konnte.



    Charles Koechlin (1867-1950)


    Den langsamen Entstehungsprozeß einer Vielzahl von Koechlins Werken hatten wir in diesem schönen Thread über den elsässischen Komponisten bereits erörtert:


    Charles Koechlin, der unbekannte Franzose
    Charles Koechlin, der unbekannte Franzose


    Schöne Grüße
    Johannes