Liebe Musikfreunde,
zusammen mit drei anderen späten Streichquartetten gehört für mich dieses Werk zum Größten, was in der mir bekannten Musikliteratur existiert. Es entstand als drittes der vom Fürsten Galitzin an Beethoven in Auftrag gegebenen und diesem gewidmeten Quartette. Das Werk wurde in der zweiten Jahreshälfte 1825 geschrieben und im März 1826 vom Schuppanzigh-Quartett aufgeführt.
Der Satzaufbau ist folgender:
1. Adagio, ma non troppo – Allegro (B-Dur)
2. Presto (b-moll)
3. Andante con moto, ma non troppo (Des-Dur)
4. Alla danza tedesca – Allegro assai (G-Dur)
5. Cavatina. Adagio molto espressivo (Es-Dur)
6. Grande fugue (Allegro) (B-Dur)
Ersatzweise komponierte Beethoven Ende 1826 anstatt der großen Fuge ein neues Finale (übrigens den letzten vollendeten Satz vor seinem Tod). Die Erstaufführung der geänderten Version fand erst nach dem Tod Beethovens statt. Die „Große Fuge“ wurde isoliert als op. 133 herausgegeben (s. entsprechenden Thread).
Wie kam es zu der Veränderung des Schlussatzes? Erst einmal lassen sich folgende Fakten zusammentragen:
- Die Musiker des Quartetts der Erstaufführung, des Schuppanzigh-Quartetts, waren von der Fuge technisch überaus gefordert, anfangs vielleicht fast überfordert.
- Das Publikum der Erstaufführung nahm die ersten fünf Sätze gut auf, hatte aber mit der Schlussfuge sowohl als eigenem Satz wie auch im Zusammenhang mit den anderen Sätzen immense Verständnisprobleme.
- Der Verleger Artaria, der die Originalversion mit der Großen Fuge bereits bezahlt und gestochen hatte, zweifelte wegen der Schwierigkeit der Fuge am Verkaufserfolg des op. 130. Er bat Karl Holz, den zweiten Geiger des Schuppanzigh-Quartetts, der Beethoven besonders in den letzten Jahren freundschaftlich wie künstlerisch sehr nahe stand, den Komponisten zum Verfassen eines neuen, leichter verständlichen Finales zu überreden oder zu überzeugen. Artaria stellte in Aussicht, den neuen Satz ebenfalls zu den üblichen Konditionen bezahlen und die Große Fuge mit einer eigenen Opusnummer isoliert veröffentlichen zu wollen.
Beethoven willigte, vermutlich nach mühevollem Abwägen, schließlich ein, und so verliefen die Dinge wie geplant. Welches die entscheidenden Gründe für die Zusage waren, ist nicht eindeutig. Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorstellen, dass er sich damit durch das neue Finale eine künstlerische Aufwertung seines Quartetts versprach; so kann ich nicht anders, als nur äußerliche wie z.B. materielle Gründe zu vermuten.
Meine persönliche Einstellung zu dem Problem ist eindeutig: Das gesamte op. 130 wirkt nur mit der Großen Fuge als Schlussatz optimal. Das alternative Finale hält dem Niveau und dem Wesen der vorhergehenden Sätze nicht stand. Die „Große Fuge“ selbst wirkt andererseits als Einzelwerk weniger denn als Teil des gesamten Quartetts. Somit wird für mich durch die originale Satzzusammenstellung des B-Dur-Quartetts die optimale Wirkung erzielt.
Die Diskussion um das „richtige“ Finale scheint bis heute nicht beendet; Befürworter wie Gegner gibt es auf beiden Seiten. Auf Konzerten sind (für mich: leider) beide Versionen anzutreffen, auf CDs meist die von Beethoven geänderte Satzwahl. Allerdings gibt es in der Regel ebenfalls eine isoliert eingespielte Große Fuge des Ensembles, die ich dann zusammen mit den fünf Sätzen zu einem Quartett, wie ich es wünsche, zusammenstelle und brenne.
Mit dieser eher äußerlichen Problematik möchte ich natürlich nicht von den Inhalten all dieser wunderbaren Sätze ablenken.
Schöne Grüße,
Uwe