Wie langlebig sind heutige Interpretationsansätze ?

  • Lieber Taminoianer


    Ich sammle nun schon ein parr Jahrzehnten Tonträger, etwa mit 15 habe ich angefangen - und es fasziniert mich heute noch genauso wie am Beginn...


    Seither ist jedoch eine Menge Zeit vergangen und der Geschmack hat sich gewandelt. Ich brauche nur die "großen" meiner Zeit aufzuzählen - und jeder weiß was ich meine: Karajan, Böhm, Bernstein, Klemperer, Karl Richter, das waren nicht nur meine "Hausgötter", nein sie prägten den Geschmack einer ganzen Generation. Heute sind sie nicht mehr jedem vertraut - natürlich kennt man ihre Namen, aber vielen haben sie heute gar nichts mehr zu sagen, ihr Stil ist "veraltet". Heute wissen wir besser, wie Mozart, Beethoven haydn Bach und Bruckner zu klingen hat- wie das alles zu interpretieren ist .


    Wissen wir das wirklich ?


    Ich erinnere mich gut an jene Zeit, als Wilhelm Kempf stolz drauf war die "alte Zeit" überwunden zu haben - er spielet eigenene "zeitgemäße" Kadenzen - die alten Zöpfe waren ab. Karl Richters moderenes temperamentvolles Bach-Dirigat wurde gelobt - und zugleich angefeindet. Herbert von Karajan setzte bei Beethoven Maßstäbe in Sachen von Klangschönheit, Erhabenheit und gleichzeitig schlankem sportivem Zugang zum Werk, in Karl Böhm hatte man endlich den "idealen" Mozart-Interpreten gefunden, einer dessen Mozart immer "natürlich" und richtig" klang - er war mehr oder weniger unangefochten. Ingrid Haeblers silbrig filigranes Mozart-Klavierspiel machte sie geradezu zu einer Ikone - endlich war es gelungen den duftig -leichten Klang eines Cembalos mit den Vorzügen eines modernen Flügels zu vereinen, die Künstlering macht jedoch auch gelegentlich Aufnahmen auf alten Hammerflügeln....


    Heute klingt viele ganz anders. Die historische Aufführungspraxis wurde angeblich wiederentdeckt, sie klingt oft merkwürdig aggressiv. Mit neuen namen kamen auch neue Sichtweisen: Norrington, Rattle, Gardiner und Harnoncourt, Concerto Köln, Il giardino armonico, das Freiburger Barockorchester und etliche andere neue Interpretationen traten auf den Plan. Wer mit diesen Einspierlungen groß geworden ist, der empfindet die Älteren manchmal ziemlich temperament - und farblos (?)


    Aber auch die historische Aufführungspraxis wurde modifiziert, und zwar durch HIP (historisch informierte Performance), hier konnte auch modernes Instrumentarium verwendet werden, allerdings wurde versucht die Spielweise, wie sie auf alten Instrumenten üblich ist, beizubehalten
    (In meinen Augen ist das weder Fisch noch Fleisch - eine Eigenmächitgkeit, die mir nicht vertretbar scheint.)


    Aber nun zum eigentlichen Thema.
    Was könnte in der nächsten Zeit kommen ? Wie wird man in 5- 10 - 15 Jahren die klassischen Standardwerke interpretieren ?
    Wie wird man die heutige Szene beurteilen ?


    Ein rein hypothetischer Thread....


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das kann man generell nicht beantworten. Eine Aufnahme, die man heute für das Nonplusultra hält, könnte auch in Zukunft noch Bestand haben. Andererseits könnte morgen jemand kommen und es noch besser machen. Nehmen wir mal die Bachkantaten (das gibt es laut Rechtschreibprüfung tatsächlich als Wort :jubel: ) Da gilt für mich momentan Gardiner. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja der Herreweghe irgendwann mal auf seine alten Tage darauf, die Kantaten allesamt einzuspielen. Natürlich mit "seinem" Chor.


    Es gibt unter den HIP-Einspielungen durchaus einige, die ich jedoch auch in Zukunft zur Referenz herangezogen sehe, was natürlich voraussetzt, dass der Interpretationsansatz abseits allen HIP-Gehabes zeitlos war.


    Ich persönlich räume dem Figaro unter Jacobs da große Chancen ein. Diese Auffassung ist natürlich höchst subjektiv.


    Ich bin schon gespannt auf die Aufnahme des Actus Tragicus unter Gardiner. Ob die wohl an die Aufnahme unter Junghännel und dem Cantus Cöln herankommt :pfeif:

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Genauso wie Du, lieber Alfred, habe auch ich eine Menge "Sturm und Drang" in meinem Musikleben erlebt.
    Einige Änderungen bedauere ich; viele lobe ich.


    Ich bin froh, daß die langsame, schleppende, romantische Tempi und Interpretationen von Bachs MP verschwunden sind.
    Überhaupt glaube ich, daß jedenfalls Kompositionen bis ± 1850 nicht gemacht wurden, um in Konzerträume von um den 1.000 Plätze (oder mehr) ausgeführt zu werden. Das bedeutet, daß m.E. die sehr großen Orchester zu groß sind für solche Werke.


    Weiter bin ich froh, daß Klavierkonzerte öfter ausgeführt werden auf Kopien von Klavieren aus jener Zeit. Und das gilt auch für andere Instrumente, sowie das benützen von Darmsaiten.


    Ich vermute nicht, das jene romantische Interpretationen älterer Musik zurückkommen.
    Freilich, die Vorgänger der Änderungen werden inzwischen von viel Nachfolgern mit Kritik überladen. Und, wie Du schriebest, heute darf auch wieder "alte" Musik auf moderne Instrumente ausgeführt werden. Bach auf einem modernen Klavier. Das Pendel bewegt hin und her.
    Wenn wir "Glück" haben, erleben wir noch eine neue "Erweckung". Wer, wie oder was da noch schläft? Ich weiß es nicht.


    LG, Paul

  • Lieber Alfred, lieber Paul,
    vielleicht wird es ja auch im Konzertleben so wie auf dem Tonträgermarkt, dass es ein buntes Nebeneinander der verschiedensten Auffassungen gibt.


    Für die historische Aufführungspraxis gibt es noch wesentliche Teile des 19. Jh. zu erobern - ich warte z.B. sehnsüchtigst auf Verdi, mehr Wagner, Mahler auf Instrumenten ihrer Zeit. Bruno Weil und Philippe Herreweghe sind da schon ein gutes Stück vorangekommen, und mit sehr vielversprechenden Ergebnissen (hoffentlich vollendet Herreweghe bald seinen Bruckner-Zyklus und nimmt Weil bald mal eine Verdi-Oper auf!).


    Hinsichtlich von HIP weist das Chamber Orchestra of Europe meines Erachtens in eine glänzende Zukunft - wenn man's so gut macht, ist das ganze kein fauler Kompromiss mehr, sondern klingt einfach nur ziemlich gut. Vor ein paar Tagen haben sie hier in London Beethoven VII gespielt, moderne Instrumente, allerdings historische Trompeten (die trotzdem alles kurz und klein geblasen haben; das war aber auch der einzige Schwachpunkt), alles wunderbar transparent, (meist) vorbildliche Klangbalance und einfach sehr musikalisch gespielt.


    Und ich weiß nicht, lieber Paul, ob Herr Thielemann in München nicht eines Tages eine schwer mengelbergisierende Matthäuspassion auf die Bühne des Gasteigs stellen wird... Er verkauft sich jedenfalls sehr erfolgreich als Vertreter der romantisch-opulenten Schule.


    Ich denke, dass jede Richtung je nach Größe und Solvenz ihres Publikums sich in ihrer Nische etablieren wird und dass wir im Konzert wie auf Tonträgern ein stets breiteres Spektrum bekommen werden.


    Und wie breit dieses Spektrum sein kann, sehen wir ja an der aktuellen Bruckner IX-Situation: immerhin und glücklicherweise gelingt es ja beiden Parteien, ihren jeweiligen Extremstandpunkt aufzuführen: wenn das nicht ein paradiesischer Zustand ist!


    Ich blicke jedenfalls dankbar auf die Gegenwart und sehr optimistisch in die Zukunft...
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Warum solllten Interpretationen eigentlich langlebig sein? Sie sind ja quasi von vornherein flüchtig, ohne Tonaufzeichung könnte man sie gar nicht konservieren. Man kann dem zeitgebundenen und auf die Person des interpretierenden bezogenen Aspekt nicht entkommen und es ist daher auch illusorisch, das anzustreben. "Interpretation für die Ewigkeit" ist genaugenommen ein Widerspruch in sich, meistens vermutlich schlicht Reklame.
    Die historisierende Richtung hat ja eine Vorgeschichte, die bist zum Anfang des 20. Jhds. zurückreicht. Daher wird sie auch nicht so schnell verschwinden. Aber sie ist ja schon lange (etwa bei Harnoncourt oder vielen Interpreten der jüngeren Generation wie Minkowski) nicht mehr stur auf Pseudogenauigkeit aus, sondern der subjektive Charakter des Interpreten wird hier ebenso wichtig wie anderswo.
    Ich glaube dagegen aber nicht, dass eine extreme Subjektivität a la Mengelberg oder Furtwängler eine wirkliche Chance hat. Zum einen war diese Haltung schon damals "altmodisch" bzw. hing an besonderen Persönlichkeiten (quod licet Iovi...) (und, das sei hinzugefügt, funktionierte keineswegs mit jeglicher Musik gleichermaßen erfolgreich), zum anderen kann man (und diesen Irrrtum müsen sich auch einige HIPisten noch klarmachen) niemals die Zeit zurückdrehen. Man kann ebensowenig so tun als seien die 250 Jahre Interpretationsgeschichte zwischen Bach und heute nie dagewesen wie man sich einreden kann, die 60 Jahre zwischen Mengelberg und heute einfach überspringen zu können.


    viele grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    Warum solllten Interpretationen eigentlich langlebig sein? Sie sind ja quasi von vornherein flüchtig, ohne Tonaufzeichung könnte man sie gar nicht konservieren.


    DAs ist völlig richtig - aber seit Erfindung der Tonaufzeichnung hat sich manches geändert. Als Beispiel sei genannt, daß man heute in der Lage ist, Tonaufzeichnungen so zu manipulieren, daß sie perfekt und fehlerfrei wirken,was wiederum dazu führt, daß die Interpreten gegen ihre eigenen Aufnahmen kämpfen müssen, wenn sie live auftreten.


    Heute KANN man Interpretationen eben konservieren - und sie können -müssen aber nicht notwendigerweise - unter gewissen Umständen - maßstabsetzend für ein ganzes Jahrhundert sein. Mir fallen hier spontan die Namen Caruso und Callas ein. Ebenso Furtwängler und Karajan. Karajan ist ja in diesem Zusammenhang ein besonders interessantes Beispiel, weil ihn seine Gegner such heute, 21 Jahre nach seinem Tod, massiv angreifen - und damit eigentlich nichts erreichen konnten, als eine schlechte Nachrede in Internetforen. (und das nicht 100%ig) Karajan steht wie ein Gespenst als Maßstab aller Dinge da - und heutige Interpreten fürchten Ihn auf Grund seiner noch immer das Publikum faszinierenden Aufnahmen zu recht.


    Zitat

    Die historisierende Richtung hat ja eine Vorgeschichte, die bist zum Anfang des 20. Jhds. zurückreicht. Daher wird sie auch nicht so schnell verschwinden. Aber sie ist ja schon lange (etwa bei Harnoncourt oder vielen Interpreten der jüngeren Generation wie Minkowski) nicht mehr stur auf Pseudogenauigkeit aus, sondern der subjektive Charakter des Interpreten wird hier ebenso wichtig wie anderswo.


    Ich würde sogar in meiner Beurteilung noch einen Scritt weitergehen, indem ich behaupte, daß die "historisierende Richtung" längst den Boden der "historischen Wahrheit" verlassen hat und eine weitgehend auf das 20./21. Jahrhundert zugeschnittene Klangästhetik entwickelt hat wobei das Schlafwort "HISTORISCH INFORMIERTE PERFORMANCE" lediglich das Mäntelchen ist, das mann der Sache umzuhängen versucht.
    Letztlich waren die "alten Dirigenten" auch "historisch informiert" - aber sie haben aus freien Stücken die alten Wege verlassen und neue beschritten, ich erinnere mich an ein Interview von Wilhelm Kempff, als er etwa 50 war, da sprach er ganau über dieses Thema, daß man Beethovens Klaviersonaten "zeitgemäß" spielen müsse - anders wäre das nicht mehr denkbar. Heute klingen Kempffs Einspielungen für manche selbst antiquert - sie waren von der Zeit ihrer Entstehung geprägt. Für viele Musikfreunde macht aber gerade das ihren Reiz aus -hier scheiden sich die Geister. Ich persönlich schätze eine gewisse Subjektivität, da ja gerade sie er notwendig macht, Tonaufnahmen anzufertigen, bzw zu sammeln.


    Zitat

    Ich glaube dagegen aber nicht, dass eine extreme Subjektivität a la Mengelberg oder Furtwängler eine wirkliche Chance hat.


    Dieser Aussage möchte ich entschieden widersprechen.


    Und solch ein Widerspruch will belegt werden.


    Ich mache das vorerst in aller Kürze, indem ich die Namen
    Celibidache,Thielemann, Zinnman, Harnoncourt und (allen voran) Norrington hier ins Spiel bringe.


    Diese Dirigenten haben an sich kaum etwas miteinander gemeinsam, auße daß jeder für sich äusserst subjektiv interpretiert....


    Zitat

    zum anderen kann man (und diesen Irrrtum müsen sich auch einige HIPisten noch klarmachen) niemals die Zeit zurückdrehen. Man kann ebensowenig so tun als seien die 250 Jahre Interpretationsgeschichte zwischen Bach und heute nie dagewesen wie man sich einreden kann, die 60 Jahre zwischen Mengelberg und heute einfach überspringen zu können.


    Das ist an sich völlig richtig, jedoch möchte ich auch hier auf einen Denkfehler aufmerksam machen (der NICHT von Johannes Roel stammt, sondern inzwischen - fast möchte ich sagen - "Allgemeingut" geworden ist)
    und der übersieht, das letztteres gar nicht wichtig - und auch gar nicht ANSTREBENSWERT ist.


    Angestrebt - und durchwegs erreicht werden soll die ILLUSION , man höre die Musik wie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung.
    Hier kommt ein weiterer Apekt ins Spiel: Das Publikum.
    Es wird viel zu wenig beachtet, daß das Publikum ein "musikalisches Erignis" quasi mitgestaltet, nicht nur im Konzert - sondern auch auf Tonträger.
    Es hängt nämlich HAUPTSÄCHLICH vom Publikum ab, wie eine Interpretation EMPFUNDEN wird. Da wird in der Popmusik der abgetakelte Schlagerstar enthusiastisch mit Pfiffen, leuchenden Feuerzeigen udn donnernden Applaus begrüsst, wenn er auf der Bühne erscheint- obwohl der übergewichtige, vom Alkohol und Drogen gezeichnete Mitsechziger allenfalls noch ein gurgelndes Geräusch zustandebringt wenn er das ausübt, was man gemeinhin Gesang nennt, oder sicherheitshalber Zuflucht zum Playback genommen hat.....


    Dieses drastische Beispiel soll lediglich transparent machen, wie sehr die BEREITSCHAFT des Publikums, an eine Illusion zu glauben in dier Hinsicht - und nicht nur hier - mitspielt.


    Eine Tonaufnahme altert ja nicht an sich - sie wird nur von kommenden Generationen als "altmodisch" empfunden.....


    Jedoch glaube ich feststellen zu können, daß "synthetischen" Modeerscheinungen ein kürzeres Leben beschieden ist, als "natürlich gewachsenen"


    Ich pflichtein diesem Zusammenhang Johanne Roehl bei, wenn er meint, daß die "HIP" Bewegung schon seit vielen Jahren - lange vor ihrem "öffentlichen Erscheinen" im Untergrund vorhanden war - und es eine unbewusste (oder bewusste ?) Sehnsucht danach gab.
    Ich selbst habe mich - als "Hobbyhistoriker" - stets für derlei interessiert - bin aber mit der derzeitigen Deutung nur bedingt einverstanden, wenngleich neueste Tendendenzen - Schoonderwoerd - sei nur als EIN Beispiel von vielen genannt - mich begeistern....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Norrington äußerst subjektiv? Das würde mich sehr wundern. Werde mal eine seiner Einspielungen mit der Partitur verfolgen, ich glaube, dass ist einer der Objektiveren.


    Subjektiv ist z.B. Karajan.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Norrington äußerst subjektiv? Das würde mich sehr wundern. Werde mal eine seiner Einspielungen mit der Partitur verfolgen, ich glaube, dass ist einer der Objektiveren.


    Subjektiv ist z.B. Karajan.


    :no:
    Verglichen mit Norrington vielleicht... Verglichen mit Furtwängler oder anderen in der "romantischen" Tradition war Karajan ein präziser, kalter Technokrat, was in den 1950ern, als er Furtwänglers Nachfolge antrat, von einigen Kritikern ausdrücklich so gesehen wurde.


    Bei Celi stimme ich Alfred zu, aber der gehörte eben zu Karajans Generation und machte eine Spezialität aus der Scheu vor Tonaufnahmen usw. Zinman oder Norrington sind eher trockene "Objektivisten". Thielemann ist ein Möchtegern-Furtwängler, was anscheinend kommerziell einigermaßen funktioniert, aber eine Ausnahme bleiben wird, weil es außer bei Wagner und Bruckner (u.a.) heute kaum mehr akzeptabel ist.

    Harnoncourt, Brüggen, Jacobs, Minkowski, Fey könnte man vielleicht anführen. Aber auch das ist eine andere Art "Subjektivität". Die vorgeblichen Manierismen sind ja zumindest theoretisch auf der barocken Klangrede gegründet (und bei Dvorak oder Bruckner ist Harnoncourt meinem Eindruck nach nicht besonders subjektiv).


    U.a. aufgrund einer gewissen Dominanz von Tonträgern als "Referenz" (diese Haltung zeigt sich ja zB bei Alfred sehr deutlich) glaube ich nicht, dass eine Spontaneität oder gar "Willkür" wie sie herrschen konnte, als eben das unwiederholbare Konzertereignis der zentrale Bezugspunkt war, wiederkehrt. Wenn dann eher bei Pianisten; hier gibt es ja auch wieder einige (Fazil Say, Gabriela Montero), die Improvisationen in ihre Recitals einschließen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ....ich habe hier eben einen Haufen Grafikfehler in meiner Antwort gesehen und sie wieder gelöscht.
    Ich stelle den Text später wieder ein, wenn das Problem behoben ist.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat


    Original von Alfred
    Heute klingt viele ganz anders. Die historische Aufführungspraxis wurde angeblich wiederentdeckt, sie klingt oft merkwürdig aggressiv.


    So wie ich es sehe, auch nicht unbedingt öfter als die Non-Hip-Aufnahmen.


    Wer meint denn, dass Track 4 von dieser CD hier



    aggressiv klingt?
    Schöner kann man das m.E. gar nicht spielen.
    Es kommt natürlich immer auf das Stück und mit seinem jeweiligen Affekt und die Musiker an.
    " Die schäumenden Wellen von Belials Bächen" aus der Bachkantate "Jesus schläft, was soll ich hoffen"? sollen ja auch heftig klingen, "Schlafe mein Liebster" aus dem WO natürlich nicht. Ich kenne auch keine HIP-Einspielung bei der diese Arie aggressiv klingt.



    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Ich würde sogar in meiner Beurteilung noch einen Scritt weitergehen, indem ich behaupte, daß die "historisierende Richtung" längst den Boden der "historischen Wahrheit" verlassen hat und eine weitgehend auf das 20./21. Jahrhundert zugeschnittene Klangästhetik entwickelt hat wobei das Schlafwort "HISTORISCH INFORMIERTE PERFORMANCE" lediglich das Mäntelchen ist, das mann der Sache umzuhängen versucht.


    ...und man ja eigentlich der Popmusik nachmachen will..... :D :yes: ....ist schon recht.
    Wobei Vivaldi in seiner Zeit ja DER Popmusiker Italiens war, und manche seiner heutigen Anhänger sich für ihn mit dem Argument " ich will unterhalten werden" einsetzt.... :D


    Jetzt aber im Ernst:
    Wie passt diese Meinung (siehe obiges Zitat) denn mit dieser folgenden Aussage zusammen:


    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    ...bin aber mit der derzeitigen (HIP)Deutung nur bedingt einverstanden, wenngleich neueste Tendendenzen - Schoonderwoerd - sei nur als EIN Beispiel von vielen genannt - mich begeistern....


    Was ist denn hier eigentlich los? Verkehrte Welt?
    Die Beethoven-Konzerte ohne den goldenen Schönklang der Wiener Philharmoniker unter Leitung des Meisterdirigenten Karl Böhm?
    Sollte man nicht doch lieber zu dieser klassischen Aufnahme hier greifen?



    Wenn ich die Tracks bei jpc mit dieser CD hier vergleiche,



    dann frage ich mich manchmal, welcher von beiden Interpretationsansätzen denn nun längerfristig Bestand haben wird.
    Böhms Aufnahme behauptet sich schon erfolgreich seit 34 Jahren.
    Schoonderwoerds CD schafft das möglicherweise auch, dann aber vielleicht doch eher als Kuriosum. (?)
    Das man in den Konzertsälen dieser Welt demnächst von Konzertflügel auf Hammerklavier für Literatur von Beethoven und Mozart umsteigen wird, halte ich nämlich für ziemlich unwahrscheinlich.


    Einer der Unterschiede des modernen Konzertflügels gegenüber dem Hammerklavier ist die wesentlich singendere Tonqualität.
    Das singende, kantable Spiel ist aber nicht erst seit Beethoven das Ideal eines wahren Pianisten.
    Schon wesentlich früher legte man auf den kantablen Vortrag besonderen Wert, selbst auf dem noch weniger singendem Cembalo.
    Auch die solistische Streicherbesetzung wird sich m.E. nicht durchsetzen, es sei denn, es passt irgendeinem gut in den Kram, weil man damit wieder Geld sparen kann.


    In ein Konzert mit Schoonderwoerd würde ich bei einem entsprechenden Sitzplatz in den ersten Reihen wohl gehen, aber insgesamt würde ich nicht traurig sein, wenn sich die bisherige Besetzungspraxis in etwa durchsetzen würde.
    Ich würde auch, wenn ich von beiden CDs nur eine behalten dürfte, die alte Böhm-Aufnahme wählen.


    Man weiss ja nie, aber ich warte ja schon, dass uns irgendjemand noch weismachen will, dass man auch die 9. Symphonie von Beethoven mit Streichquartett + Kontrabass+ Bläsern, 4 Gesangsolisten und 4 Chorsolisten aufzuführen habe.
    Das wird dann sicher fantastisch transparent klingen ;)


    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Aber auch die historische Aufführungspraxis wurde modifiziert, und zwar durch HIP (historisch informierte Performance), hier konnte auch modernes Instrumentarium verwendet werden, allerdings wurde versucht die Spielweise, wie sie auf alten Instrumenten üblich ist, beizubehalten (In meinen Augen ist das weder Fisch noch Fleisch - eine Eigenmächitgkeit, die mir nicht vertretbar scheint.)


    Da weise ich doch gleich auf diese CD hier hin, mit der Bitte an den Vivaldi-Freund, in die Tracks hineinzuhören (warum nicht auch gleich den Film dazu anschauen, interessante Infos)



    und die obige Aussage im Lichte dieser Aufnahme ( und nicht nur dieser...) auf ihre Haltbarkeit zu überprüfen.


    Hier wird mit grossem Sachverstand und viel Musikalität und Feuer eine historisch informierte Aufführung auf "normalen", "modernen" Instrumenten gemacht.
    Klingt das nun wirklich schlechter als die Barockinstrumente?
    Ich finde nicht schlechter, sondern etwas anders, etwas weicher.
    Aber was die da machen, ist doch sehr wohl vertretbar und muss als einfach wunderschöne gespielte Musik bezeichnet werden - oder nicht?
    Es ist doch gut, dass sie überhaupt diese Musik aufführen.
    Anders als bei bildender Kunst muss alte Musik ja gespielt werden, damit sie weiter lebt, was durch die flüchtige Natur der Musik selbst bedingt ist.


    Warum sollen sie denn auf ihren heutigen Instrumenten so spielen, wie man "Barock" in 1930 glaubte verstanden zu haben?
    Durch ihre Instrumente sind sie doch nicht von der Spielweise nicht auf einen Interpretationsstil festgelegt, den z.B. HvK zeitlebens noch pflegte.
    Warum sollen sie denn nicht versuchen, sich am Interpretationsstil der Entstehungszeit wenigstens so gut es geht zu orientieren?
    Sie musizieren ja nicht unter einer ästhetischen Käseglocke. In den letzten 50 Jahren ist in Sachen Alter Musik nun einmal viel passiert, wie man ja auch an Schoonderwoert sehen kann.


    Hierzu ein Zitat von Anne-Sophie Mutter, die für mein Dafürhalten auf ihrer neuen, durchaus auch historisch informierten Bach-Aufnahme so manche HIP-Aufnahmen mit Originalinstrumenten aufgrund ihrer aussergewöhnlichen Sensibilität und Musikalität sogar hinter sich lässt:


    "Die Veränderung meiner Beziehung zu Bach hängt natürlich auch mit spannenden Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis zusammen, wobei ich persönlich Probleme habe mit Spezialistentum jedweder Art - die daraus entwickelten Doktrinen, die ein Hinterfragen verbieten, wirken einer freien Inspiration in der Kunst entgegen. Und Authentizität ist sowieso eine Utopie. Wir musizieren alle Bachs Musik aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts."


    Dem stimme ich voll zu.


    Das Zitat stammt vom JPC-Text dieser CD, die meine nächste Anschaffung sein wird:



    Hier werden nicht unvertretbare Eigenmächtigkeiten ausgebreitet, sondern hier wird mit grossem Können, viel Geschmack, feuriger und inniger Musikalität einfach wunderschöne Musik gemacht.
    Die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis werden miteinbezogen ( z.B. in den sprechenden Artikulationen der Sologeige und des Orchesters) , aber es werden keine Dogmen aufgestellt, weder von der Interpretation noch von den Instrumenten her.
    So kann sich m.E. wirklich Kunst langfristig weiterentwickeln, am Leben bleiben und entfalten.
    Mit Dogmen ( z.B. jetzt nur noch solistische Besetzung, nur noch Cembalo, nur noch Hammerklavier, nur noch Darmsaiten, nur noch....) landet man irgendwann in einer Sackgasse.
    Nebenbemerkung: Ich kenne natürlich auch wunderbare Aufnahmen mit Barockinstrumenten; hier schätze ich insbesondere Monica Hugget, in beiden Einspielungen, sowohl mit Koopman als auch in der neuen mit ihr als Ensembleleiterin.


    Ich stehe neuerdings auf ASM und Alfred auf Schoonderwoerd....wer hätte das gedacht... :D ...that`s live.
    Gut so, wenn man seinen Hörizont erweitert.



    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner

  • :hahahaha:



    Interessant! Ich kann mir schon vostellen, wie das so weitergeht...


    Norrington rekonstruiert die Basso continuo-Stimme für alle neun Bruckner-Symphonien, in Wagner-Opern werden die weiblichen Figuren ausnahmslos durch Countertenöre ersetzt und der Orchestergraben in Bayreuth auf den Platzbedarf eines Telemannschen Tafelmusikensembles rückgebaut und zu guter letzt erklärt Alfred Tamino unter Androhung sofortigen Rauswurfes zur karajanfreien Zone... :baeh01:

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Zitat


    Original von novecento
    ...zu guter letzt erklärt Alfred Tamino unter Androhung sofortigen Rauswurfes zur karajanfreien Zone...


    :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    ...da kommen wir noch hin, wenn das hier so weitergeht :D :D


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)