Benjamin BRITTEN: Das Vokalwerk

  • Liebe Musikfreunde,


    es bestehen hier bereits Threads über Brittens Orchesterschaffen, sein War Requiem und einige Opern; ein weiteres Genre muss sich nach meinem Geschmack allerdings nicht vor den genannten verstecken, sondern ist diesen mindestens ebenbürtig: die Werke für Sologesang und Instrumentalbegleitung / Orchester.


    Für diese Besetzungen hat Britten einiges geschrieben. Ein Werk, das mir von den bisher gehörten am meisten imponiert und gefällt, ist die „Serenade für Tenor, Horn und Streicher“. Ich kenne dieses Werk schon recht lange; es ist mir schon sehr früh ans Herz gewachsen und gehört zu den wenigen Nicht-Kammermusikwerken, die ich immer wieder höre.


    Schon die Besetzung ist nicht allzu üblich und wirkt somit sehr frisch. Nach einem kurzen Hornsolo-Prolog folgt der für mich schönste Teil: Das langsame und wunderschöne „The Day´s grown old“. Nach weiteren fünf Abschnitten wird das Werk mit einem erneuten, dem eröffnenden verwandten, Hornsolo beendet.


    Sind dieses Werk oder auch andere dieses Genres hier auch bekannt – vielleicht sogar beliebt?


    Schöne Grüße,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo Uwe,


    die Serenade kenne ich sogar in mehreren Aufnahmen (mit den Tenören Robert Tear, Peter Pears und Adrian Thompson) und schätze sie sehr, auch wegen des weiten textlichen und motivischen Rahmens, den sie aufspannt. Im ersten Stück gibt es für mich auch eine richtige Gänsehautstelle (Molehills seem mountains, and the ant appears a monstrous elephant). Auch das Streicherflirren bei "The splendour falls on castle walls" finde ich herrlich.
    Der Serenade sind noch Brittens ähnlich geartete Werke "Nocturne" und "Les Illuminations" zur Seite zu stellen.
    Es gibt von ihm ja auch noch Volksliedbearbeitungen und geistliche Werke, wobei ich mich dringend mal mit dem Kriegs-Requiem vertraut machen muss, seinem bei weitem bekanntesten Werk auf diesem Sektor.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Wobei bei allen drei Zyklen auffällt, daß der Klangkörper sozusagen Streicher sind, zu denen in zwei Zyklen auch Instrumente hinzutreten: Einmal Horn, ein anderes Mal (im "Nocturne") je ein Vertreter der Holzbläser, Horn, Harfe und Pauken. Die "Illuminations" sind auch mit Klavier ausführbar (die Partitur enthält auch den von Britten angefertigten Klaviersatz).


    Die "Illuminations" sind in zweierlei Hinsicht interessant:
    1) Sie sind Brittens Coming out: Wystan Hugh Auden hat den jungen Komponisten auf den ebenfalls homosexuellen Dichter Rimbaud aufmerksam gemacht, der in seiner Jugend visionäre Lyrik schrieb und später in dubiose Geschäfte verwickelt war.
    2) Sie schließen im Wesentlichen Brittens Orientierung nach Frankreich ab, es folgen nur noch eine Handvoll französische Volkslieder.


    Brittens Orientierung nach Frankreich hat einen früheren Liederzyklus hervorgebracht, die "Four French Songs" für hohe Stimme und Orchester. An ihnen ist bewunderungswürdig, wie virtuos der Sechzehnjährige Harmonik und Melodik handhabt - da stehen Debussy, Ravel und in einem Fall auch Richard Wagner Pate; aber nicht nur: Auch die Instrumentierung, ebenfalls nach dem Ravel-Vorbild, ist tadellos: Schlank, leuchtend, von großer Eleganz.


    Ein spätes Vokalwerk mit Orchester wird im Zusammenhang oft übersehen, obwohl es zu Brittens besten sppäten Werken gehört: Die Solokantate "Phaedra" nach Racine - leider in englischer Übersetzung vertont und für Janet Baker geschrieben.
    Wieder ist der primäre Klangkörper ein Streichorchester, diesmal treten Pauken und Schlagzeug hinzu; rezitativische Abschnitte übernehmen, in einer Rückschau auf die Secco-Rezitative, Solocello und Cembalo.
    Wer sich nun aber eine neoklassizistisch trockene Stilisierung der Barockoper erwartet, wird enttäuscht: Es ist ein volblütiges, sehr dramatisches Werk, das quasi eine ganze Oper in 20 Minuten zusammenpreßt. Es gibt einen vorangepeitschten Mittelteil und einen wunderbaren Schluß, wenn die Singstimme über den sanft dissonierenden Streicherakkorden eine Melodie singt, die zugleich alt und neu, zugleich gravitätisch und unmittelbar berührend ist. "Phaedra", obwohl nicht für die Bühne gedacht, ist meiner Meinung nach das letzte Werk des Opernkomponisten Benjamin Britten.


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    Andere Frage: Sind in diesem Thread auch Beitäge zu den Klavierlieder-Zyklen und den Canticles erwünscht, oder soll es sich nur um die orchesterbegleiteten Stücke gehen?

    ...

  • Zitat

    eine richtige Gänsehautstelle (Molehills seem mountains, and the ant appears a monstrous elephant


    Ja, das unterstreiche ich; mir geht es genauso. Und auch das folgende Pizzikato finde ich richtig schön.



    Bei den französischen "Illuminations" habe ich das Empfinden, dass Musik und Sprache nicht so gut zusammenklingen wie bei Brittens Werken in Englisch.


    Zitat

    Sind in diesem Thread auch Beitäge zu den Klavierlieder-Zyklen und den Canticles erwünscht, oder soll es sich nur um die orchesterbegleiteten Stücke gehen?


    Ich schlage schon vor, dass hier auch die Klavierlieder hereingehören, habe ich eigentlich das gesamte "Liedschaffen" gemeint.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)