Immer für eine Überraschung gut - Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 94 "Surprise"

  • Liebe Forianer,


    Unerbittlich setze ich meine "Haydn-Missionierung" fort, weil ich der Meinung bin, daß wer dessen Sinfonien nicht kennt (vorerst gebe ich mich noch bescheiden, und begnüge mich mit den letzten "Großen" ;) )
    einen großen Verzicht leistet, ich meine dem entgeht ein großer Genuß.



    Haydns späte Sinfonien, von denen 12 zu den "Londoner" Sinfonien zusammengefasst sind (sie sind dort entstanden), haben sich bereits von den früheren eher "kammermusikalisch" aufgefassten Sinfonien für Esterhaza emanzipiert (was kein Werturteil sein soll !!) und sind sogenannte "Große" Sinfonien, ähnlich den letzten von Mozart und den ersten Beethovens und Schuberts (wobei die Ähnlichkeit natürlich eher oberflächlich ist)


    Eine dieser 12 "Londoner" Sinfonien ist die Nr 94 in C-dur, deren deutscher Titel "Mit dem Paukenschlag" ist, auf englisch und franzüsisch jedoch treffender "Surprise" genannt wird, bezogen auf einen Überraschungseffekt im 2. Satz dem Adagio, der, so sagen es wenigstens böse Zungen, das Publikum wieder hellwach machen sollte ;)


    Die Sinfonie beginnt, wie zumeist bei Haydn mit einer langsamen Einleitung in diesem Fall von betörender cantabler Schönheit und meinem Eindruck nach sogar "Süsse", aber keine Angst schon nach einigen Takten wird diese Einleitung durch ein quirliges Thema abgelöst.


    Der Zweite Satz, ein Andante wird jäh durch einen Paukenschlag unterbrochen , ein Effekt, der AFAIK zur Zeit der Komposition völlig neuartig war.Danach wird das Thema variiert.


    Der dritte Satz eher rustikal, ein Bauerntanz wird IMO gelegentlich zu rasch gespielt, was ihm das Typische nimmt, aber das ist Geschmackssache.


    Frisch und schnell, ein heiterer Kehraus, der 4. Satz.


    Die Sinfonie wurde am 23. März 1792 in London uraufgeführt. Die Spieldauer beträgt in etwa zwischen 19 und 24 Minuten.


    Wenn man, wie ich, schon relativ früh, nicht nur Zugang zu Haydns Musik hatte, sondern von etlichem sogar begeistert ist, dann übersieht man manches, was einem plötzlich offenbart wird, wenn man solch einen Beitrag schreibt. In diesem Fall war es die Tatsache, daß diese Sinfonie (wahrscheinlich aber auch andere) besonders interpretationsabhängig ist, d.h. daß sie sich verändern kann wie ein Chameläon, sie verändert von Interpretation zu Interpretation spontan ihren Charakter. Das hat natürlich zur Folge, daß die Sinfonie an sich verschieden beurteilt wird, abhängig von der Interpretation. Ich habe etliches im Schrank und habe in eingiges hineingehört. Welchen Aufnahmen ich den Vorzug gebe, wird im Laufe des Threads verraten.
    Glücklicherweise gibt es mehrere gute Alternativen, aber es gibt auch relativ bekannte Aufnahmen, von denen ich heute (ein Eindrück kanns ich täglich, ja stündlich Wandeln) den Eindruck hatte, daß sie dem Werk vieles vorenthalten, was dann tatsächlich zu "Papa Haydn" führt.


    Ein Nachteil für Haydn ist, daß man leider die Sinfonie kurz abhören muß um sich zu äußern (kein Wunder bei 104, rep. 105 Stück), Beethovens Fünfte hat man jedoch, so glauben zumindest viele, "intus" ;) )


    Beste Grüße
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Deine ehrenvollen Bemühungen scheinen leider nocht nicht viel gefruchtet zu haben. Viel Resonanz bekommt Haydn leider nicht. Ich mache mal den Anfang:



    Mir gefällt die Aufnahme nicht besonders. Sie ist zwar besser als die zuvor von mir gehörten Haydn-Aufnahmen von Solti (93 und 99), aber ich finde nicht, dass Solti ein ausgemachter Haydn-Dirigent ist. Viel zu schwergewichtig in Gestaltung. Für mich hört sich das eher an, als wollte Solti schon den Weg zu Beethoven weisen. Das ist natürlich legitim, Haydn braucht das aber nicht und es nimmt ihm ein wenig von seinem Charme. Gerade die langsame Einleitung erinnert mich bei "guten" Haydn-Aufnahmen immer ein wenig an einen Hund der loslaufen will, aber von der Leine gehalten wird. Da muss Spannung und Vorfreude auf den kommenden Ausbruch hörbar sein ("Leine los").


    Der langsame Satz ist in den ersten Takten von den schön herausgespielten dynamischen Abstufungen geprägt. Solti lässt einen wirklich ein wenig die Augen schließen, um noch etwas zu hören. Doch dann: der Paukenschlag, der bei Solti keiner ist, die Pauke geht vollkommen unter, man hört vor allem die Streicher.


    Der dritte Satz ist sehr rustikal, auch mit der notwendigen Langsamkeit gespielt. Manko ist jedoch die übermässige Betonung mancher Violinfiguren. Ich habe die Partitur nicht zu Hand, ist mir eigentlich auch egal ob es so drin steht. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, was Solti da macht ist unnatürlich. Wenn es denn Solti war. Eigentlich hört es sich eher an, als ob die Tontechnik da nachträglich gearbeitet hätte. Vom Finale ist mir nichts hängengeblieben. Routiniert heruntergespult.


    Zur Tontechnik: Die Streicher sind bei 94 (auch biei 93 und 99) viel zu prominent, vor allem die Violinen. Das kommt dann manchmal schon schneidend, metallisch und messerscharf. Die Pauken gehen vollkommen unter, sind oft gar nicht zu hören. Auch die Bläser sind, wenn es keine Solopassagen gibt, mehr zu erahnen (Fernorchester). Das ist bestimmt kein Beispiel für die vermeintlich so tolle Arbeit der Decca.


    Interpretation: 3-4
    Klang: 3


    XREZENSION

    Gruß,
    Gerrit

  • Gerrit Stolte schrieb:


    Zitat

    Deine ehrenvollen Bemühungen scheinen leider nocht nicht viel gefruchtet zu haben. Viel Resonanz bekommt Haydn leider nicht

    .



    Hallo Gerrit und Rest der Welt.



    Das hat verschiedene Ursachen: Es hängt mit der personellen Zusammensetzung solch eines Forums zusammen, und die war, als es begründet wurde eher an Brahms Bruckner und Mahler insteressiert, teilweise an der klassischen Moderne, wir haben Spezialisten für Barock und davor, auch für Frühklassik gibts zwei interessenten, mehr aber kaum. Auch das Thema Mozart war bis vor kurzen hier unterrepräsentiert. Ich bin aber völlig sicher, daß durch unsere Internetpräsenz, die ja erst seit 4 Monaten "ergooglebar ist" uns seit Jänner gut ergooglebar ist, in Zukunft auch Freunde der Wiener Klassik
    (Beethoven nimmt hier einen Sonderstatus ein) als Mitglieder bringen wird. Aus diesem Grude werde ich meine "ehrenvollen Bemühungen" in Sachen Haydn fortsetzen, wobei ich auch noch auf den interessanten Thread von BigBerlinBear hinweise, der Haydns "Sturm-und-Drang Sinfonien zum Thema hat.


    Nun zu Deiner Rezension von Haydns Solti:
    Du hast die Aufnahmen völlig richtig resensiert IMO, ja ich würde es sogar noch schärfer formulieren: Soltis Haydn.-Aufnahmen machen keinen Spaß, er weiß mit den Werken nichts anzufangen. Was man hier zu hören kriegt, ist großorchestraler Haydn, genau so wie er von jenen beschrieben wird, die Haydn und Mozart ablehnen. Keine der Tugenden des Dirigenten (die zweifellos vorhanden sind) kommt bei dieser Aufnahme (serie) zum Tragen, aber auch keine der Tugenden Haydns (natürlich auch vorhanden) ist auf dieser Einspielung auch nur erahnbar.
    Ich errinner mich noch heute, wie enttäuscht ich war, als ich 2 CDs aus dieser Serie erwarb.
    Haydn wurde von anderen Dirigenten auch mit großem Orchester, aber unvergleichlich besser aufgenommen. Da Böhms Einspielungen derzeit nicht greifbar sind, dürfte Jochums Haydn, wenn mans großorchestral mag (speziell die Londoner Sinfonien, wozu ja die Nr 94 zählt, vertragen das gut) derzeit die beste Wahl sein, der großorchestralle Attitüde mit frischem Schwung, Biss und Spritzigkeit zu vereinen mag.
    (Im übrigen kann man nicht von der Erfolglosigkeit meiner Haydn Missionierung sprechen, immerhin habe 2 Mitglieder dieses Forums bereits die 12 Londoner Sinfonie unter Jochum gekauft :yes: )
    Hier muß man sagen, daß ich es verstehe, wenn jemand die Ausgabe für ein komplette Kassette scheut, lediglich um einen Komponisten näher kennenzulernen, den man eigenltich "nicht so mag"


    Andererseits: Geht man den Weg des geringsten Widerstandes und nimmt jetzt "irgendwelche" Einspielungen, sei es Budgetware, sei es, um sicher zu gehen Karajan ("der ist ja immer gut" (?)), so kann das leicht zur Bestätigung des Vorurteils vom "verzopften" Haydn führen.


    Aber letztlich bin ich nicht der Promotion Manager von Joseph Haydn, sondern ein engagierter Klassikfreund, der ebensolche den Weg zu Haydn, der (nicht zuletzt durch die Musikindustrie) in letzter Zeit ein wenig steiniger geworden zu sein scheint, zu ebnen.



    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Salut, Althread,


    Du vergaßt zu erwähnen, dass das Thema, welches dem Paukenschlag vorausgeht [und natürlich hernach, als wäre nichts gewesen, in Form von Variationen wiederholt wird], ein Zitat aus den Jahreszeiten ist...


    Haydn's Sinfonien sind übrigens eine Lebensaufgabe - nicht nur für Haydn selbst [gewesen]...


    Nochmals zum Thema Aprilscherze: Joseph Haydns Geburtsdatum ist nicht eindeutig festgelegt. Sein Taufdatum jedoch ist der 01. April gewesen. Man munkelt[e], Haydn sei auch an diesem Tag geboren worden und deswegen so scherzhaft in seinen Werken gewesen. Weil Haydn dies nicht mochte, verlegte er seinen Geburtstag auf den 31. März...


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich finde, gerade an dieser wunderbaren Sinfonie kann man ganz gut nachvollziehen, wie eine "Legende" (nämlich die, der Orchesterschlag zu Beginn des langsamen Satzes habe die Wirkung haben sollen, das schlafende Londoner Publikum aufzuwecken) und ein Beiname den Blick auf wesentliches auch verstellen können.


    Für mich ganz klar Herzstück dieser Sinfonie: der langsame 2. Satz. Ein an sich banales Thema, Ulli hat es schon gesagt, aus den "Jahreszeiten". Der Paukenschlag markiert eine Wende: Danach ist alles anders. Obwohl der Themenkomplex, der eigentlich variiert wird, noch gar nicht abgeschlossen ist. Danach kommt erstmal die Mehrstimmigkeit, dann folgt eine Fülle so ungemein einfallsreicher und nachgerade liebevoller Variationen, dass man nur staunen kann, was Haydn aus der Banalität des Themas herausholen kann und mit welchem Respekt und, ja, welcher Zuneigung, er es behandelt. Das ist für mich wirklich jedes Mal tief bewegend, aufwühlend und sehr berührend. Schon der erste Kontrapunkt der ersten Violinen und Flöten ist herrlich, überhaupt, wie genau das instrumentiert ist: erst die Violinen allein, dann mit der Flöte, eine Klangfarbe mehr. Dann ein herrischer Auftritt des Themas, doch halt, ein verspieltes Intermezzo? Das Thema wird durch alle denkbaren Gemütszustände geführt. Da wird Haydns Meisterschaft auf eine ihm eigene, sehr zurückhaltende, fast unmerkliche Art merkbar. Und ich denke, das reicht schon, um einen während des ganzen Satzes wachzuhalten.


    Zwei Aufnahmen schätze ich sehr, beide sind durchaus unterschiedlich in Ansatz und Ergebnis. Da ist zum einen Sigiswald Kuijken und sein kleines, auf Originalinstrumenten musizierendes Ensemble "La petite Bande". Im ersten Satz vielleicht gelegentlich etwas zu unkonturiert in der Artikulation und zu kompakt im Klang (trotz eher kleiner Orchesterbesetzung) im zweiten Satz eine wunderbare, bisweilen fast visionäre Deutung (allein das Duett der beiden Flötisten Barthold Kuijken und Marc Hantai!). Die Charaktere der beiden Schlussätze werden gekonnt herausgearbeitet. Vielleicht wird sich der ein oder andere an dem in Richtung Bässe/Pauke etwas dumpf erscheinenden Klangbild der Aufnahme stören.



    Dann Nikolaus Harnoncourt und das Concertgebouw Orchestra Amsterdam. Auch wenn es für diejenigen, die gewissen Vorurteilen über den Dirigenten nachhängen, komisch klingen muss: Bietet Kuijken einen Haydn für Freunde ganz subtiler Details und leiser Zwischentöne, dann bietet Harnoncourt hier Haydn für Freunde des saftig zupackenden, vollen Orchesterklangs. Der erste Satz ist deutlicher in Beethoven-Nähe gerückt als bei Kuijken, dafür erscheint er mir hier klarer, deutlicher und präsenter. Im langsamen Satz ziehe ich nach Vergleich derzeit Kuijken vor, Harnoncourt freilich bietet einen erdbebenartigen Paukenschlag und verdeutlicht die divergierenden Charaktere der einzelnen Variationen deutlicher als Kuijken. Die beiden Schlusssätze (ich gebe zu, ich nehme sie nicht so ernst wie die ersten beiden Sätze) sind auch Harnoncourt prächtig gelungen, das Menuett gefällt mir sogar einen Tick besser wieder als bei Kuijken. Die Schlusspointe des letzten Satzes ist bei Harnoncourt deutlicher - unvergleichlich, wie er hier mit dem "laut-leise"-Effekt witzelt....



    (NB: Die Aufnahme ist mehrfach editiert - in unterschiedlichen Zusammenstellungen. Die gezeigte ist einfach die, die mir vorliegt)


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

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  • Salut,


    na, da haben wir ja einen gelungenen und absolut unumstösslichen Einstieg in dieses grandiose Werk erhalten! Ich hatte neulich [es ist nur ein paar Täglein her] eben dieselben Gedanken zum zweiten Satz dieser Sinfonie: Es ist schon genial [wenn auch Haydn nicht als Genie bezeichnet wird, warum eigentlich?], wie er aus der Trivialität solch kostbare Musik macht! Und natürlich gehört auch schon mehr als Mut dazu, überhaupt so ein "dusseliges" Dreiklangthema zu verwenden...


    Ich vermute, Haydns damaliges Publikum hat sich ein Hobby daraus gemacht, seine Sinfonien anhand einer charakteristischen Stelle zu betiteln; so konnte man sich die Sinfonien einfach besser merken und gleich mit einem Erlebnis verbinden.


    Toll finde ich - und dies ist nun parallel zum zweiten Satze dieser Sinfonie - dass Haydn auch aus soetwas eigentlich doofem wie einem Menuett, immer einen interessanten würdigen Satz macht - irgendwelche Spezialeffekte hat Haydn immer in der Schublade gehabt.


    Meine Lieblings-Sinfonie bleibt jedoch die Militaire-Sinfonie, natürlich auch wegen des für den Namen massgeblichen letzten Satzes. Leider wird diese viel zu wenig gespielt - der lezte Satz hat eigentlich schon etwas von einer Sinfonischen Dichtung oder gar Filmmusik, so konfus [aus dem Blickwinkel der Wiener Klassik] ist teils die Konstruktion.


    Cordialement,
    Ulli

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  • aha, ulli, da hat sich die genie-debatte ja auch woanders niedergeschlagen :]
    aber, ernster gesprochen: harnoncourt und bernstein, aber auch solti zählen zu meinen favoriten bei der 94. .... und haydn zähle ich überhaupt zu den unterschätzen ....

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

    Einmal editiert, zuletzt von klingsor ()

  • Antal Dorati spielte mit der Philharmonia Hungaria in einem Mammut-Projekt (für das er u.a. den Deutschen Schallplattenpreis und sonstiges Lob einheimste) sämtliche Sinfonien ein. Da ich jedoch prinzipiell keine Gesamteinspielungen kaufe, ich aber schon gerne wissen wollte, was der Herr Dorati mit seinen tapferen Mitstreitern geschaffen hat, entschied ich mich für diese Aufnahme der 94.



    Ich kenne längst nicht alle Haydn-Sinfonien, aber alle, die ich hörte, gefielen mir bislang sehr: ihre Originalität und ihre Frische begeistern mich immer wieder. Die o.g. Aufnahme ist für kleines Geld zu bekommen und für meinen Geschmack eine Empfehlung wert; sie gibt den typischen Haydn-Charme sehr gut wieder, an der Klangqualität gibt es nichts zu bemängeln.


    Gruß, Cosima

  • Hallo Taminoaner,


    ich habe diesen Thread zu Anlass genommen meine Londoner Sinfonien mit Karajan / Berliner PH wiedermal nach Jahren raus zu holen und mir die Sinfonie Nr.94 u.a. anzuhören.


    Es hat mir wieder großen Spaß gemacht diese unbeschwerte Musik zu hören und ---- an der Karajan-Aufnahme gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Die Berliner PH spielen wunderschön und auch die Pauke, für die Überraschung im zweiten Satz ist prägnant im Orchester eingebettet zu hören. (Das dies bei der Solti-Aufnahme nicht der Fall ist wundert mich, da Solti die Pauken sonst sehr prägnant sprechen läßt !)
    :) Der Klang der Karajan-Aufnahme von 1985 DDD ist ebenfalls hervorragend und bietet einen natürlichen räumlichen Orchesterklang.


    Herbert von Karajan hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme 1985 ja fast alles wichtige des Klassikrepertoires aufgenommen - Haydn fehlte noch und er hat sich damit intensiv beschäftigt und TOP-Interpretationen hinterlassen, die sich vor anderen nicht zu verstecken braucht.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,
    Haydns 94. gefällt auch mir sehr gut. Sie ist neben Nr. 104 mein Favorit unter den Londoner Symphonien. Der zweite Satz ist sicher der gewichtigste der Symphonie, aber für mich ist gerade bei dieser Symphonie eine gelungene Interpretation des Finales sehr wichtig.
    Das Tutti-Forte in der Coda kurz vor dem Ende der Symphonie ist für mich der "dramaturgische Höhepunt" des Werks, und besonders gut kommt das in der schon besprochenen Aufnahme von Dorati rüber.
    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Hallo


    Über ein Jahr ist seit dem letten Eintrag in diesem Thread vergangen, und das trotzdem wir angeblich viele Haydn-Freunde ins Forum bekommen haben.


    Der Anlass zu diesem weiteren Beitrag ist ein Zukauf



    den ich gestern im Abverkauf erworben habe.
    Es ist die erste Folge einer geplanten Gesamtaufnahme aller Haydn Sinfonien mit den Heidelberger Sinfonikern (ehemals Schlierbacher Kammerorchester) unter Thomas Fey, der das Orchester übrigens auch selbst gegründet hat. Leider stockt seit längerem die Fortsetzung der Serie - die Gerüchte über eine Einstellung des Projektes wollen nicht verstummen. Ich finde, es ist nicht bedeutend ob es nun wirklich ALLE Sinfonien mit dieser Besetzung geben wird - kaum eines der Haydn Sinfonie- Mammut-Projekte wurde je abgeschlossen.
    Andrerseits könnte ich mir vorstellen, daß - auf lange Sicht - die Serie durchaus Erfolg haben könnte.
    Der erste Eindruck war, daß die Aufnahme der Nr 94 für meinen Geschmack etwas zu ruppig war (hip-orientiert), ein Urteil, das ich nach mehreren Malen Hörens abmilderte, die Aufnahme hat durchaus ihre Meriten und - ihren Eigencharakter - Langeweile wird man ihr nicht nachsagen können. Die als Refererenz herangezogenen CD der Roy Godman - Aufnahme für Hyperion klang tendenziell anders, schon wegen der Verwendung eines Cembalo. Beide Aufnahmen nehmen zumindest für meinen Geschmack das Menuett zu schnell...
    Es konnte nicht ausbleiben, daß erneut "moderne" Aufnahmen zum Vergleich herangezogen wurden.
    Unter anderem die Karajan-Aufnahme, die mir wieder mal klar machte - warum dieser Dirigent zu Lebzeiten so beliebt beim Publikum war.
    Allein wie er den ersten Satz aus dem Nichts aufblühen lässt -einfach betörend - das ist schon unvergleichlich. Der "Paukenschlag" im zweiten Satz ist wohldosiert - aber nicht mit Gewalt hervorgehoben, was bei Fey und Goodman doch der Fall ist. Das Orchester spielt machtvoll elegant - aber keineswegs dick.
    In vieler Hinsicht ist für mich die Jochum Aufnahme optimal, aber natürlich gibt es auch Einschränkungen. Sie ist etwas heller aufgenommen als jene unter Karajan, wirkt stellenweise durchsichtiger, gelegentlich auch grell. Sie ist merklich langsamer, was dem Werk zumindest aus meiner Sicht recht gut tut. Jochum erzielt seine Effekte keineswegs durch Tempo sondern eher durch die Art wie er mit dem Rhytmus umgeht. So wird bei ihm der 3. Satz fast ein tollpatschiger Bauerntanz - ob das von Haydn so gedacht war, weiß ich nicht - auf jeden Fall ist es effektvoller als das verhetzen des Satzes...


    Leider besitze ich die Harnoncourt Aufnahme noch nicht - ein Vergleich wäre interessant.


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    mir ist nicht klar, was Du unter "modern" verstehst - wenn Du gerade Karajan anführst.
    Meinst Du mit "modern" --> "nicht-HIP"? Unter "modern" verstehe ich Aufnahmen, die nicht älter als max. 5 Jahre sind - somit einen Haydn unter Leitung von Russell Davies [die es auf CD wohl nicht gibt!?].


    Und - das für mich wichtigste hast Du garnicht einmal erwähnt: Wie ist in der Heidelberger Einspielung die 'Surprise'?


    Fragende Grüße
    Ulli




    P.S. Ich erschrecke mich jedesmal - wenn die Wiederholungen nicht gespielt werden...

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Salut,


    heute im Vorbeigehen für 5,99 € wegen Nos. 95 und 97 im Dämlichmarkt mitgehen lassen:



    Joseph Haydn [1732-1809]
    Sinfonien Nos. 94, 95 und 97


    English Chamber Orchestra
    Jeffrey Tate


    Mir kommt es derweil so vor, als wird hier die obligatorische Teatime zelebriert: Die Nr. 94 wirkt hier im ersten Satz eher kontrolliert und entspannt. Ob ich das tendenziell eher gut oder schlecht finde, weiß ich noch nicht.


    Der zweite Satz gefällt mir ganz gut, wenn auch die "Überraschung" nicht mehr wirklich zieht... :rolleyes: Man sollte das eher an unbedarften Neueinsteigern testen :D ***zuck*** :D Die c-moll-Variation wirkt insgesamt auch eher lächerlich; so ähnlich, als würde man "Hänschen Klein..." in c-moll präsentieren. Die Variationen finde ich ohnehin etwas dürftig geraten, da hat Haydn schon weit besseres abgeliefert. Allerdings hat mich eine gewisse Dämonik [oder Dämonie?] durchaus fasziniert. Ich finde übrigens, als Beiname würde "Orchesterschlag" besser passen als "Paukenschlag", mithin trifft es doch "Surprise" durchaus. Das Menuett wird hier als echter Vorläufer eines Wiener Walzers musiziert! Das Finale ist brilliant gespielt: obwohl ich das schon schmissiger im Ohr hatte gefällt es mir ganz gut.


    Insgesamt werde ich die hörbare Musizierfreude zwar anerkennen, aber dann doch eher in die Ecke mit den London Mozartplayers stellen, wenn's auch nicht ganz so langweilig ist.


    Die Nr. 94 kommt mir hier wesentlich "fortschrittlicher" vor, als die Nos. 95 und 97. Bei den letztgenannten verfällt Haydn irgendwie in den Mannheimer Manierismus zurück [was auch nicht zu dem von Alfred gezeigten Haydn-Portrait passt, das in etwa aus der Kompositionszeit stammt]. Das ist zwar an sich kein schadhaftes V[e/o]rgehen, aber von einer höheren Werknummer erwarte ich dann doch mehr als das Tamteram in Nr. 97... das kommt dann doch eher Kozeluchs C-Dur-Sinfonie sehr nahe, stellt aber m. E. dennoch Mozarts KV 338 teils in den Schatten. Und was macht Haydn aus dem kuriosen Thema der c-moll-Sinfonie: jarnischt. Vielleicht ist ihm der Londoner Nebel nicht so bekommen?


    Zitat

    Die Spieldauer beträgt in etwa zwischen 19 und 24 Minuten.


    Die Briten benötigen exakt 24'04".


    Tendenz: Passt ganz gut zum Bridge, ansonsten eher uncool. Der dämliche Köter tut schon ganz recht, wenn er da nach einer Wurst im Trichter sucht.


    Die CD-Hülle erweckt einen erfreulich stabilen Eindruck. =)


    Viele Grüße


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Das heute mit der Nummer 94 gezählte Werk wurde 1791 als vierte der für London geschriebenen Sinfonien komponiert (nach 93, vor 98 ), aber erst als fünfte (nach 98 ) uraufgeführt, und zwar am 23. März 1792. Bis heute ist sie die bekannteste Haydn-Sinfonie, vielleicht sogar das bekannteste Haydn-Werk überhaupt geblieben. Wie auch dieser Thread zeigt, ist diese Berühmtheit vor allem dem zweiten Satz, insbesondere dem notorischen Paukenschlag (= Orchesterschlag) zuzuschreiben. Schon in den drei bekannten Rezensionen zur Uraufführung wird der zweite Satz besonders hervorgehoben. Im Artikel des Oracle wird auch schon der Begriff der „surprise“ ins Spiel gebracht, der spätere Beiname der Sinfonie:


    The second movement was equal to the happiest of this great master’s conceptions. The surprise might not be unaptly likened to the situation of a beautiful shepherdess who, lulled to slumber by the murmur of a distant waterfall, starts alarmed by the unexpected firing of a fowling-piece.


    Die Hirtinnenmetapher ist vielleicht nicht zufällig gewählt, denn bukolische Klänge hört man bereits am Anfang des ersten Satzes und das Thema des Andante hat Haydn selbst ja in der agrarischen Frühlingsarie seiner Jahreszeiten zitiert (nicht umgekehrt, wie oben zu lesen ist).


    Zum „Paukenschlag“ nur soviel: Die Version, Haydn habe die eingeschlafenen Zuhörer oder wahlweise eine bestimmte Zuhörerin aus dem Schlaf aufwecken wollen, geistert schon (teils mit erheblichen Ausschmückungen) in der frühen Haydn-Biographik herum. Sie lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Georg August Griesinger teilt eine Version mit, die nicht unglaubwürdig klingt:


    Ich fragte ihn [Haydn] einst im Scherz, ob es wahr wäre, daß er das Andante mit dem Paukenschlage komponirt habe, um die in seinem Konzert eingeschlafenen Engländer zu wecken? Nein, erhielt ich zur Antwort, sondern es war mir daran gelegen, das Publikum durch etwas Neues zu überraschen, und auf eine brillante Art zu debütieren, um mir nicht den Rang von Pleyel, meinem Schüler, ablaufen zu lassen […].


    Inwieweit der Paukenschlag ein bloßer Gag bzw. Effekt sein sollte, oder ob er nicht doch strukturell in das Andante eingebunden ist, bleibt anscheinend in der Literatur umstritten (leider kenne ich die entsprechenden Aufsätze nicht). Es gibt übrigens Skizzen für eine erste Fassung des Andante, in der der Paukenschlag noch nicht vorhanden ist.


    Die Sinfonie verdient es jedenfalls, nicht nur auf das Andante reduziert zu werden. Ich halte sie für eine der schönsten Londoner Sinfonien, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass es die erste war, die ich überhaupt kennengelernt habe (das dürfte wohl einigen so gehen).




    Der erste Satz ist ein gewichtiges Stück Musik. Die Adagio-Einleitung beginnt mit einem sanften Cantabile-Motiv der Holzbläser, das von den Streichern entsprechend beantwortet wird. Nach der Wiederholung dieser Passage verdüstert sich die Stimmung unversehens, die Geigen repetieren auf g, die tiefen Streicher ergehen sich in chromatischen Gängen, das erste Fagott und dann die restlichen Holzbläser bringen eine ryhthmische Figur aus drei Achtel und einem Viertel. All diese Elemente tauchen im schnellen Hauptsatz wieder auf. Dieser ist mit Vivace assai überschrieben und steht ungewöhnlicherweise im 6/8-Takt. Sein tonal labiles Hauptthema (an den ersten Satz der Oxford-Sinfonie erinnernd) wird gleich dreimal gebracht (T. 17ff., T. 39ff., T.54ff.) und jedesmal anders thematisch verarbeitet, wobei energische Sechzehntelläufe, Tonrepetitionen und ein recht unwirsches Viertel-Achtel-Viertel-Achtel-Motiv auffallen. Es dauert seine Zeit, bevor man auf der Dominante angelangt ist – und dann wird man von gleich zwei Seitenthemen überrascht, die auch noch beide aus dem Hauptthema abgeleitet sind: zunächst Sechzehntelläufe über synkopischen Tonrepetitionen (T. 66ff.), dann ein eher sanft-bukolisches, mit dolce bezeichnetes Motiv in den Streichern (T. 79ff.). Die Durchführung ist nicht übermäßig lang, dramatisiert die thematische Arbeit mit dem Hauptthema aber erheblich. Dafür fällt die Reprise in Bezug auf das Hauptthema zunächst ziemlich verkürzt aus, wobei der zusätzlich dramatisierte Gestus der Durchführung aber übernommen wird. Nach dem ersten Seitenthema erfolgt aber nochmals eine sehr dichte thematische Verarbeitung des Hauptthemas (T. 195-214). Dann, gänzlich überraschend, ein weiterer Abschnitt der vom Hauptthema dominiert wird, der aber in seinem Charakter gegensätzlich ausfällt (T. 215-227): in dem bisher von nervöser Unrast geprägtem Satz tritt ein ruhiger Moment ein, das Hauptthema klingt jetzt geradezu bukolisch, besonders dann, wenn es von den Holzbläsern übernommen wird. Erst darauf schließt sich nahtlos das zweite Seitenthema an, dessen Herkunft aus dem Hauptthema jetzt noch deutlicher wird. Schließlich eine kurze Coda, in der der Rhythmus aus drei Achteln und einer Viertel triumphiert.


    Über das C-dur-Andante – fünf Variationen mit Coda über das allbekannte Thema im 2/4-Takt – will ich hier nicht viele Worte verlieren. In mancher Hinsicht ist es eine extreme Ausprägung des Verfahrens, aus einem Nichts (dem harmonisch, melodisch und rhythmisch banalen Dreiklangsthema) einen abwechslungsreichen, ja komplexen Satz aufzubauen. Michael Walter, der sich in seinem kleinen Buch über die Haydn-Sinfonien ausführlich diesem Andante widmet, tendiert eher dahin, dem ganzen Satz und seiner Variationstechnik absichtliche Banalität zu unterstellen. Ich bin mir da nicht so sicher – es gibt Anhaltspunkte dafür, aber zumindest der zweite Teil der dritten Variation in c-moll mit seinem dramatischen, leicht barockisierenden Gestus und die in puncto Harmonik und Instrumentation überaus reizvoll verschleierte Coda scheinen mir dafür zu bedeutend zu sein. Darüber müsste man nochmal diskutieren.


    Das Menuett in der Grundtonart überrascht durch seine Tempovorschrift: Allegro molto. Also eigentlich kein Menuett, sondern ein schneller, fast ein wenig wilder Ländler, der in seiner thematischen Fortführung etwas sanfter klingt und im B-Teil zunächst bewegt imitatorisch verarbeitet wird, von dem sich dann das unablässig wiederholte Kopfmotiv abspaltet, bevor es zur Wiederholung des A-Teils kommt. Das Trio ist hier sehr deutlich, geradezu didaktisch als eine etwas beschaulichere Variante des Menuett-Themas zu erfahren.


    Das Finale, Allegro di molto im 2/4-Takt, ist ähnlich kurz wie die entsprechenden Sätze der Nrr. 95 und 96. Wie üblich handelt es sich auch hier um ein „Sonatenrondo“, bei dem das Hauptthema einer Fülle von Veränderungen und unterschiedlichen, teils virtuosen, teils dramatischen Beleuchtungen unterworfen wird. Besonders reizvoll das Seitenthema (T. 75ff.), bei dem der Beginn des Hauptthemas zur begleitenden zweiten Stimme mutiert. Sehr schön auch, wenn der Kopf des Hauptthemas, von Pizzicati der Geigen imitiert über einem Orgelpunkt der Pauke auf G erscheint (T. 225-233), wobei dieser einen Takt „zu früh“ (vor dem Tutti) vom Piano zum Forte wechselt (T. 233) – ein perkussiver Effekt, der vielleicht noch einmal auf den Paukenschlag des Andante verweist.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Die Sinfonie verdient es jedenfalls, nicht nur auf das Andante reduziert zu werden. Ich halte sie für eine der schönsten Londoner Sinfonien, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass es die erste war, die ich überhaupt kennengelernt habe (das dürfte wohl einigen so gehen).


    Die Frage ist eher, ob auf der B-Seite "Militär", "Die Uhr", "Paukenwirbel" oder Nr. 104 gewesen ist... :D


    Zitat


    Der erste Satz ist ein gewichtiges Stück Musik.


    ...


    erfolgt aber nochmals eine sehr dichte thematische Verarbeitung des Hauptthemas (T. 195-214). Dann, gänzlich überraschend, ein weiterer Abschnitt der vom Hauptthema dominiert wird, der aber in seinem Charakter gegensätzlich ausfällt (T. 215-227): in dem bisher von nervöser Unrast geprägtem Satz tritt ein ruhiger Moment ein, das Hauptthema klingt jetzt geradezu bukolisch, besonders dann, wenn es von den Holzbläsern übernommen wird. Erst darauf schließt sich nahtlos das zweite Seitenthema an, dessen Herkunft aus dem Hauptthema jetzt noch deutlicher wird. Schließlich eine kurze Coda, in der der Rhythmus aus drei Achteln und einer Viertel triumphiert.


    Vermutlich weil man das Stück immer im Lichte des andante als eines der eher leichteren sieht, war mir in der Tat bis vor kurzen nie so richtig aufgefallen wie lang, komplex und in mancher Hinsicht wirklich ungewöhnlich dieser Satz ist. Das beginnt schon mit der Einleitung, die anders als fast alle anderen der Reihe eben nicht mit einem majestätischen Tutti-Schlag, sondern mit dieser rührenden pastoral-melancholischen Melodie beginnt. Es folgt die ungewöhnliche Phrasierung des Hauptthemas (beginnt ja irgendwie mit 3+3 Taktphrasen), die ungewöhnliche Länge von Exposition (90 Takte ohne die Einleitung), mit dem dreimaligen Auftreten des Hauptthemas (einmal wenn ich recht sehe in d-moll) und Reprise/Coda (noch etwas länger, über 100 Takte vom Repriseneinsatz bis zum Schluß) und die ausgedehnten durchführungsartigen Passagen in Reprise/Coda. Ab T. 216 stellt sich ein deutliche "Coda-Feeling" ein: Zuerst wird in der "bukolischen" Form das Thema, wenn ich recht sehe zum ersten Mal im Satz, in einer abgeschlossenen Phrase (4, dann 6-Takter, Auftakt zu 220-229) gebracht und dann wird die Pastoralstimmung bei der ausführlichen Reprise der "Schlußgruppe" ausgebaut.
    Der 6/8-Takt, obwohl eigentlich typisch für Finalsätze, kommt in den "Londonern" interessanterweise dreimal in Hauptsätzen (noch 101 und 103, und nur zweimal in Finali) vor. Vorher aber tatsächlich nur sehr selten in Sinfonien. Wobei allerdings bei Streichquartetten 6/8-Kopfsätze nicht so selten sind.


    Zitat


    Über das C-dur-Andante – fünf Variationen mit Coda über das allbekannte Thema im 2/4-Takt – will ich hier nicht viele Worte verlieren. In mancher Hinsicht ist es eine extreme Ausprägung des Verfahrens, aus einem Nichts (dem harmonisch, melodisch und rhythmisch banalen Dreiklangsthema) einen abwechslungsreichen, ja komplexen Satz aufzubauen. Michael Walter, der sich in seinem kleinen Buch über die Haydn-Sinfonien ausführlich diesem Andante widmet, tendiert eher dahin, dem ganzen Satz und seiner Variationstechnik absichtliche Banalität zu unterstellen. Ich bin mir da nicht so sicher – es gibt Anhaltspunkte dafür,


    Ich halte Walters Deutung ebenfalls für fragwürdig. Ich habe mir eben extra nochmal zum Vergleich die Romanze aus #85 "La Reine" angehört, die Variationen dort sind eher noch schlichter, auch das Thema ein ähnlich einfaches, wenngleich natürlich nicht ganz so primitiv. Gewiß ist da bei einigen Variationen ein Augenzwinkern dabei, aber das findet man auch sonst. Den Satz kann man ebensogut als ein Auf-die-Spitze-treiben des Prinzips sehen, daß man bei entsprechender Phantasie aus dem banalsten Material ziemlich viel hervorzaubern kann. (s. auch Claus Huths posting weiter oben) Auch bei Beethoven und Brahms gibt es analoge Beispiele.
    Auch die Oboen/Flöten-Melodie (ab T. 83) finde ich sehr berückend und gar nicht banal. Sehr reduziert ist m.E. nur die 1. Var. und der Beginn des Maggiore.


    Zitat


    Inwieweit der Paukenschlag ein bloßer Gag bzw. Effekt sein sollte, oder ob er nicht doch strukturell in das Andante eingebunden ist, bleibt anscheinend in der Literatur umstritten (leider kenne ich die entsprechenden Aufsätze nicht). Es gibt übrigens Skizzen für eine erste Fassung des Andante, in der der Paukenschlag noch nicht vorhanden ist.


    Zumindest die erste Variation wird ja von dem (nun nicht mehr sehr überraschenden) Paukenschlag eingeleitet. (Ein Dirigent nimmt den Surprise-Akkord übrigens deutlich zu früh, ich weiß nicht, ob das Schlamperei (live) oder als Extra-Überraschung gedacht ist, ich sage mal noch nicht wer, aber es ist sehr deutlich zu hören)


    Wie kommt man auf 5 Variationen? Ich zähle eigentlich nur 4:
    Thema (mit ausgeschriebenen Wdh.) 1-32
    Var. I (2. Stimme in Vl.1 + teils Fl.) 33-48
    Var. II "Minore" 49-74 (inkl. einiger Überleitungstakte)
    Var. III "Maggiore" 75-106 (Wdh. ausgeschrieben)
    Var. IV 107-130 (mit ff tutti beginnend)
    Die folgenden 12 Takte zögere ich als eigene Variation anzuerkennen, muß man aber wohl, um auf fünf zu kommen, denn ab 143 = Coda. Oder zählt man III als zwei Variationen?


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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    Original von Johannes Roehl


    Die Frage ist eher, ob auf der B-Seite "Militär", "Die Uhr", "Paukenwirbel" oder Nr. 104 gewesen ist... :D


    "Militär"! :D Ich weiß aber ums Verrecken die Interpreten nicht mehr - das war eine dieser zerkratzten LPs aus der Stadtbibliothek...



    Zitat


    Ab T. 216 stellt sich ein deutliche "Coda-Feeling" ein: Zuerst wird in der "bukolischen" Form das Thema, wenn ich recht sehe zum ersten Mal im Satz, in einer abgeschlossenen Phrase (4, dann 6-Takter, Auftakt zu 220-229) gebracht und dann wird die Pastoralstimmung bei der ausführlichen Reprise der "Schlußgruppe" ausgebaut.


    Das erinnert mich fast ein bisschen an "innehaltende", lyrische Passagen an gleicher Stelle des Satzgefüges bei Schumann (etwa im Kopfsatz der Frühlingssinfonie), wobei die meist thematisch nicht so dicht integriert sind.



    Zitat

    Auch die Oboen/Flöten-Melodie (ab T. 83) finde ich sehr berückend und gar nicht banal.


    ... die thematisch ja eng mit dem Beginn der Adagio-Einleitung verwandt ist ...



    Zitat


    (Ein Dirigent nimmt den Surprise-Akkord übrigens deutlich zu früh, ich weiß nicht, ob das Schlamperei (live) oder als Extra-Überraschung gedacht ist, ich sage mal noch nicht wer, aber es ist sehr deutlich zu hören)


    Du meinst Brüggen, oder? :D Ich habe das tatsächlich immer als "Extra-Überraschung" interpretiert bzw. als Überraschung für diejenigen (also fast alle), die ohnehin wissen, dass jetzt der Schlag kommt. Gar nicht doof, so eine Art akustisches Regietheater :D. An Schlamperei glaube ich nicht - Brüggen mag nicht der virtuoseste Schlagtechniker sein, aber so einen Anfängerfehler traue ich ihm nicht zu. Man kann sich's hier anhören (Track 2):






    Ich habe aus Spaß und Dollerei nicht nur auf meinen Aufnahmen fast alle Paukenschläge durchgehört, sondern auch bei den vielen jpc-Hörschnipseln, bei denen er immer drauf ist. Wir wissen aus den Quellen, dass Haydn der Akkord nicht laut und krachend genug sein konnte. Unter dieser Voraussetzung präsentiere ich als den besten aller Paukenschläge denjenigen in der neuen Aufnahme mit Adam Fischer. Man klicke Track 7 an:







    Nein, Du hast natürlich recht. Ich habe gestern beim Verfassen des Beitrags die Variationen nochmal durchgezählt, aufgrund der späten Stunde aber idiotischerweise das Thema selbst mitgezählt... :O :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo,


    ein gewisser Ludwig Wenceslaus Lachnith (1746-1820) schuf 1793 eine Bearbeitung der 94. Sinfonie für Klavier, Flöte, Violine und Violoncello, frisch eingespielt und erschienen beim Edellabel Winter&Winter:



    HAYDN IN LONDON


    Joseph Haydn [1732-1809]


    Sinfonie Nr. 94 Hob. I:94
    Adaption für Flöte, Klavier, Violine und Violoncello
    von Ludwig Wenceslaus Lachnith, 1793


    LA GAIA SCIENZA
    Marco Brolli, Flute traverse, Martin Wenner, Singen 2004 nach Carl August Greuser, Dresden c1790
    Stefano Barneschi, Violine, Jacques Boquay, Paris 1719
    Paolo Beschi, Violoncello, Carlo Antonio Testore, 1754
    Federica Valli, Fortepiano, Andrea Restelli, Milano 2005, nach Ludwig Dulcken, Dresdedn 1790/95


    Die Bearbeitung (unter Verzicht auf das Menuett, vermutlich um die äußerliche Form eines Quartetts zu erhalten) ist wahrlich sehr gelungen und unterstreicht die Beliebtheit dieser Sinfonie. Besonders schön ist das Violoncello im 2. Satz nach der moll-Variation mit seinen akkordischen Einschüben. Auch die Flöte passt hier als dramatisches Mittel sehr gut!


    Ich hoffe, daß das Haydn-Jahr mit noch weiteren Sinfonienbearbeitungen (z.B. durch Hummel) aufwartet.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Seit einigen Tagen beschäftige ich mich nun mit dieser sehr schönen Szell - CD mit den Sinfonien Nr. 92, 94 und 96, die mir unser Ex-Tamino Swjatoslaw empfohlen hatte. Diese CD habe ich als Ergänzung zu meinen Bernstein- und Harnoncourt-Aufnahmen angeschafft (Kostenpunkt: :D wahnsinnige 1Cent !!!).


    Ich wähle diesen Thread, weil ich gerade die Sinfonie Nr.94 für die herausragendste dieser 3 Szell-Aufnahmen halte !



    SONY, 1968/1974, ADD



    :!: Der Vorteil der CD liegt damit bei den Sinfonien Nr.92, die ich mit Szell eindeutig besser als mit Rattle (EMI) finde, der die Lücke zwischen den Pariser und Londoner Sinfonien mit seiner EMI-Doppel-CD schliesst. Szell verwendet auch einen angemessen grösseren Orchesterapparat, sodass das nicht so dünn ("pipperich") wirkt.
    :thumbsup: Und mit Szell dann ganz gross die Sinfonie Nr.94 "Mit dem Paukenschlag", der einfach mehr packendere Energie einbringt, als Bernstein und sie wirkt mit Szell auch noch lebeniger als unter der sehr guten Int mit Harnoncourt.


    Was die Sinfonie Nr.96 angeht hat Harnoncourt /(WARNER) mit seiner energiegeladenen Aufnahme allerdings für meinen Geschmack weiterhin die Nase vorn.
    Gerade die Sinfonie Nr.96 kommt mir mit Szell einfach zu schön und brav vor; und die Sätze 1 und 4 finde ich, trotz der bereits erwähneten Kritik, mit Bernstein (SONY) auch kurzweiliger mit mehr Ecken und Kanten gespielt. Die Sätze 2 und 3 sind mit Szell und noch mehr Harnoncourt allerdings unbedingt vorzuziehen ! Da kommt das zu Tragen woran die Bernstein - Haydn - Aufnahmen (aber nur bei einigen wenigen Sinfonien) kranken: Die Andante - Sätze sind zu breit ausgekostet- die Menuette zu langgezogen und als Folge mit fehlendem Pfiff.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    die Szell Aufnahme gefällt mir auch außerordentlich gut - läuft gerade dank dieses Threads ......Es gibt eine Box die für den, der Szell noch nicht hat vielleicht eine Überlegung wert ist ( scheint ein neueres Remastering zu sein ) :


    Ich wünsche euch allen ein frohes Osterfest !


    Kalli

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  • Enthalten sind 88, 92-99, 104, wobei die Nr. 97 in zwei unterschiedlichen Aufnahmen enthalten ist. 88 und 104 sind noch in mono eingespielt und die 98 und 99 sind außerhalb dieser Box nicht so leicht zu kriegen. Es gab "Essential Classics" CDs mit 92,94,96 und 93,95,97 sowie eine "Masterworks" (o.ä.) mit 97(alternativ), 98, 99.
    M.E. sind die besten Aufnahmen die von 95 und 97; bei den meisten anderen würde ich normalerweise Alternativen vorziehen. Zu dem Spottpreis ist die Schachtel natürlich dennoch ein guter Deal. Ob ein neues remastering ggü. Essential Classics vorgenommen wurde, weiß ich nicht.

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  • Schmerzlich vermisse ich hier, wie auch bei der Sinfonie Nr. 101 "Die Uhr", einen Hinweis auf Pierre Monteux (1875-1964).


    Dieser angesehene Dirigent, den man weltweit hauptsächlich als Spezialisten für französische Musik, aber nicht zuletzt auch als Dirigenten der skandalösen Uraufführung von Strawinskys "Le Sacre du Printemps" in Paris 1913 kennt, hat sich aber auch immer wieder für die deutsch-österreichische Musik eingesetzt. Berühmt ist bis heute sein Beethoven-Zyklus aus den Jahren 1957 bis 1960 (für Decca/RCA), aber auch als Brahms- und Schubert-Interpret hat er sich einen Namen gemacht. Die Musik von Joseph Haydn stand zwar nicht im Zentrum seines umfangreichen Repertoires - damit unterschied er sich nicht von den meisten seiner zeitgenössischen Kollegen, von Thomas Beecham und Bruno Walter einmal abgesehen - aber er hat im April 1958 in den Wiener Sofiensälen immerhin zwei seiner bekanntesten Werke in die Rillen gebannt, die Nr. 94 (mit dem Paukenschlag) und die Nr. 101 mit dem Beinamen "Die Uhr":


    Beide Sinfonien sind dem bis in sein hohes Alter quicklebendigen, humorvollen Franzosen wohlgelungen. Seine Interpretation sprüht von französischem Esprit und feinsinnigem Humor, die dem Geist Haydns voll gerecht wird. Mit unnachahmlicher Noblesse durchleuchtet er das filigrane Orchestergewebe der Partituren. Wie ein "geborener Franzose Haydn meistert, ist ein Erlebnis für sich", hieß es in einer frühen Kritik über diese Aufnahme. Technisch sind die frühen Stereo-Produktionen nicht zu beanstanden, und die glänzend aufgelegten Wiener Philharmoniker, die "ihren" Haydn naturgemäß bis in die Fingerspitzen kennen, tragen zum Gelingen der Aufnahmen bestens bei.


    Ich persönlich stelle sie nach wie vor, trotz ihres Alters, in die erste Reihe. Das gilt übrigens auch für die sinnreich gekoppelten Brahms'schen "Haydn-Variationen", die ein Jahr zuvor in London aufgezeichnet wurden.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).