Kaisers - alte Kleider

  • Sagitt meint:


    Joachim Kaiser, Jg. 1928, ist seit Jahrzehnte eine deutscher Groß-Kritiker, als führender Redakteur bei Süddeutschen tätig. Momentan wird seine Sammlung über Pianisten des Jahrhunderts in einer Weise vermarktet, wie ich es noch für kein Produkt der Klassik je erlebt habe.
    Kaiser versteht sehr wortgewaltig zu formulieren. Ich mag das, auch wenn Gespräche mit Fachkollegen von ihm immer wieder ordentliche Distanz zu diesem Wortreichtum erkennen liessen. Aber, dass einer die Sprache beherrscht und zu formulieren versteht, darf nicht zum Nachteil gereichen.


    Pianisten stellt Kaiser in den Mittelpunkt seiner Bemühungen. In einem Porträt über sich selbst hat er sich einmal verraten, als er den Begriff ennui in den Mund nahm. Er räumte ein, kaum noch durch Konzerterergnisse begeisterbar zu sein. Das ist es, was man seiner Klaviersammlung anmerkt. Er schwärmt für die alten. Das ist in Ordnung. Aber die jüngeren nimmt er kaum zur Kenntnis. das ist gar nicht ok. Es gibt neben Schnabel, Horowitz und Kempff auch andere wunderbare Interpreten und es ist noch nicht entschieden, welche auf Dauer bleiben werden. So wird mit kritikpäpstlicher Hoheit eine Entscheidung gegen die jüngeren Künstler getroffen. Er hat Brendel gehört, warum sollte er Zacharias noch zur Kenntnis nehmen ?
    Ich schätze Kaisers Formulierungskünste sehr, sein Urteilsvermögen stelle ich in Frage. Kritik am Kritiker.

  • Zitat

    Ich schätze Kaisers Formulierungskünste sehr, sein Urteilsvermögen stelle ich in Frage. Kritik am Kritiker.


    Wenn ich mich nicht irre, ist er ja auch Literaturwissenschaftler, ihm sollte die Sprache professionell näher liegen als die Musik. Er macht ja auch im Radio Vergleichssendungen, in der verschiedene Interpretationen einer Komposition vorgestellt werden. Verzichtet er da auch auf jüngere Interpreten? Das wäre in der Tat ein wenig fragwürdig.


    Andererseits, wenn es um die "größten" Pianisten geht, macht es schon Sinn sich auf die über Jahrzehnte aktiven oder auch nach Jahrzehnten noch populären Musiker zu beschränken. Einmal soll es ja eine beschränkte Auswahl sein, außerdem gehört die Langlebigkeit schon zum Merkmal der Größe, auch wenn die Auswahl immer subjektiv bleibt.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Thorsten,


    über lange Zeit aktiv- das ist schon ein Kriterium, aber früher war es leichter zu erfüllen, weil es einen kontinuierlichen Klassikmarkt gab. Heute ist das sicher viel schwieriger. da macht ein Pianist nicht genug Umsatz und schon wird er/ sie durch einen neuen " Megastar" ersetzt.
    Ich nehme als Beispiel Christian Zacharias, dem in diesem Forum Gerechtigkeit geschieht. Die EMI hat ihn fallen lassen, bei D+G kann er nur ein begrenztes Repertoire verwirklichen. Wir kennen die Künstler überwiegend durch ihre Aufnahmen.
    Ich will mich nicht gegen einen Solomon oder Edwin Fischer wenden, aber populär sind die mit Sicherheit nicht. Was Solomon kann, wird von einem Michael Korstick schon lange geleistet. Der eine lebt, bleibt recht unbekannt, der andere ist seit Jahrzehnten tot und wird von Kaiser am Leben gehalten. Darum ging es mir.


    Freundliche Grüße


    Sagitt

  • Hallo sagitt,


    ich bin mit Dir eigentlich d'accord, weil ich immer wieder nach Neuem Ausschau halte, ohne das Alte zu verbannen. Leider ist das aber nicht selbstverständlich und von daher sind Deine Ausführungen sehr treffend. Allerdings muss man vorsichtig sein, ob Zacharias und anderen Musikern hier Forum Gerechtigkeit widerfährt (bei der Mehrheit natürlich).


    Ich erinnere mich nur zu gut an die Schelte von einer Stelle, als ich es wagte, Pires zu loben. Ich wurde belehrt, solch einen Neuankömmling dürfe man nicht zu sehr loben, genauso wenig wie die anderen Nachwuchskünstler Zacharias, Haskil (!!!!). Glücklicherweise sind so schlecht informierte Zeitgenossen in der Minderheit, aber - und das schlägt wieder den Bogen zu Deiner Kaiser-Schelte - die von Kaiser kanonisierten Pianisten haben sich im Bewusstsein mancher Menschen als der immerwährende Inbegriff von Qualität festgesetzt. Und die disqualifizieren dann andere Musiker, ohne je etwas von ihnen gehört zu haben.


    Und diese Ignoranz ist wahrlich das Todesurteil für jederart von Kunst.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo mein Freund,
    Dein Zitat:
    Glücklicherweise sind so schlecht informierte Zeitgenossen in der Minderheit...
    -----------------------------------------------------------------------------------
    Ich habe Dir persönlich geantwortet und hatte gehofft, das Thema sei damit abgehandelt......
    verkneife mir aber jeglichen Kommentar zu Deiner wiederum getätigten Aussage..............



    Gruß
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

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  • Nur kurz, da leider unter Zeitdruck.


    Soweit ich gesehen habe wurde hier niemand belehrt oder zurechtgewiesen.


    Das Forum erlebt nun (derzeit würde ich sagen glücklicherweise) des Wachstums und das bringt es offenbar mit sich, das die Konsensbereitschaft ein wenig sinkt, weil nicht jeder jeden so gut kennt, wie dies anfangs war. Der Ton ist also (ein bisschen) unverblümter geworden, die Meinungen sind teilweise sehr verschieden.


    So angenehm es ist, wenn alle Forianer denselben Geschmack haben, so tödlich ist es auf lange Sicht für ein Forum.


    Daher meine Meinung.


    Tragt ruhig euere "Konflikte" aus, aber (wie bisher) mit Anstand und seid auch nicht gleich beleidigt wenn einmal etwas etwas direkter formuliert wird.


    Im Gegensatz zu früher werden nun mehrere gegensätzlich Blöcke entstehen die in Konkurrenz zueinander sein werden. Das ist normal bei Foren ab ca 100 Mitgliedern und drüber hinaus.
    Über dieses Thrma wird es ohnedies eine Befragung geben, ob wir das wollen, oder ob vir ab 100 oder 120 Mitgliedern eine "Aufnahmesperre" verhängen um das Forum überschaubar und elitär zu halten. Da gibts dann sowieso einen extra Thread wo Ihr befragt werdet.


    Beste Grüße an alle


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    für mich ist dieses Kaiser-Dingens total uninteressant. Ich lasse lieber Musik auf mich zukommen und setze mich dann mit ihr auseinander wenn ich 'reif' für sie bin. Beethovens Klaviermusik und Wagners Meistersinger sind für mich solche Musiken. Ich habe sie im Hinterkopf und (hoffentlich) irgendwann sagt es 'Peng'. Und dann gehts los...


    Gruß,
    Oliver

  • Joachim Kaiser hat im Vorwort zur letzten Ausgabe seines Standardwerks "Große Pianisten in unserer Zeit" betont, dass er sich nicht mehr singulär mit Klaviermusik auseinandersetzt und daher das neu hinzugefügte aktuellste Kapitel Klaus Bennert überläßt.
    Wer auch immer die Idee des (in meinen Augen sehr spannend zusammengestellten) "Klavier Kaiser" hatte, musste also auf den "alten" Kaiser zurückgreifen. Und wenn es Kaiser selber war ...
    Höre gerade diese Box durch, und da ist keine Minute langweilig ...

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • sagitt Du willst doch nicht etwa Brendel (der natürlich schon schwächelt mit seinen 73 Jahren, hab ich in Luzern "Piano 2004" vernommen) und Christian Zacharias auf eine Stufe stellen oder? Zacharias ist ein gutmütiger Pianist, der auch ganz gut Mozart spielen kann, aber Brendel ist doch wohl eine epochemachende Figur oder nicht? Insofern geht Kaisers Auswahl in Ordnung. Natürlich fehlt ein Fazil Say, ein Kissin usw, doch will er die Reihe ja fortsetzen, habe ich gehört und dafür braucht er eben die enorme Werbekampagne...

  • Hallo fuchsbuhl,


    zunachst Willkommen im Forum, Deine offizielle Begrüßung erfolgt diesmal per email.


    Ich nehme an, daß es Dich nicht allzu kränken wird, wenn ich sage, daß ich natürlich nicht mit Dir Einer Meinung bin, auch ich habe Zacharieas lange unterschätzt, aus vielerlei Gründen. Ein Urteil, das ich heute nicht nachvollziehen kann. Zacharias spielt einen sehr delikaten feinsinnigen Mozart, für manche scheinbar zu dezent, sodaß er einige Klaviersonaten aufzupeppen für nötig erachtet, mittels Spieluhr und anderen Effekten, ob er damit gut beraten ist, das wird sich zeigen.


    Gruß aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich kenne auch Michael Korstick und seine Version der Beethoven-Sonaten, die er am Fließband abgespult hat, seinerzeit in Minden im Stadttheater. Er hat gegen Solomon keine Chance! Jenö Jandó würde sicher auch nie Eingang finden, in Kaisers Platten-Olymp. Hast Du Jandó mal gehört, oder Mitsuko Uchida? Ihre Mozart-Phillips-Produktion kannst Du doch wirklich an die Wand werfen...ebenso Jandós Schubert-Versuche. Da sind Brendel oder Andras Schiff eben Massstabsetzend. So einfach ist das.

  • Du hast recht Alfred. Vielleicht kenne ich Zacharias nicht gut genug. Ich glaube, er macht jetzt mit den Bambergern eine komplette Aufnahme der Mozart Klavierkonzerte. Das würde mich schon interessieren, wie er das spielt...An Mozart könnt ihr sie erkennen... Vielleicht fahre ich nach Bamberg, mal sehen. Ich habe ihn zuletzt in Engers/Rhein (Villa musica) getroffen. Dort spielte er mit Thomas Brandis recht furios eine der Beethoven-Violinsonaten mit dem Berliner Professor em.

  • Sagitt meint:


    Das Beste sind immer Blindversuche. Ich habe das mit Brendel mit Zacharias mehrfach gemacht. Ein Beispiel: der dritte Satz, Scherzo aus der Schubertsonate, D 959. Bei Blindversuchen vertraut man nur seinem Ohr. In allen Fällen hat sich Zacharias eindeutig gegen Brendel durchgesetzt. Viel farbiger, viel differenzierter, viel lebendiger. U.A. habe ich diesen Versuch mit einem russischen Klavierprofessor gemacht, selber ein formidabler Pianist. Das Ergebnis war das gleiche.
    Das ist es, was für mich zählt,nicht der Name, der Ruf allgemein, sondern das künsterische Ergebnis.

  • Tag,


    Blindversuche?


    Blindversuche: In der Badeanstalt, Kofferradio, Marke Blaupunkt, die klangen noch gut; es gibt ein Violinkonzert - ja, Klassik ist eingestellt - Mendelssohn. Sagt einer: "Der Geiger ist Yehudi Menuhin." Das Werk kommt ans Ende, Absage: "Sie hörten Yehudi Menuhin, Violine ... ." Staunen bei den Fußballern. Spätere Zeiten. Gemeinschaftsraum der Fernmeldekompanie, Symphoniekonzert, Aus der Neuen Welt, letzter Satz, es wird grandios; einer schaltet ab, summt für eine Minute den Tonfluß weiter, schaltet ein - da, da ist es wieder, der Übergang ist noch vorgesummt in Gleichzeitigkeit, verblüffte Gesichter. Noch viel später. Konzertende der Übertragung, ein Füllsel beginnt, Chopin, Nocturne, die ersten Töne erklingen, denkt sich einer "Claudio Arrau; nie mit Chopin gehört, aber das ist Claudio Arrau". Absage: "Claudio Arrau spielte das Nocturne ... ."


    Blindversuch: Christian Zacharias, Chopin Klavierkonzert in e, unbekannter Dirigent, eingesprungen für den erkrankten Günter Wand, Name des jüngeren Israeli ist mir entfalllen - ich bitte um Verzeigung - aber: Christian Zacharis gibt dem Konzert die ganze Poesie zurück! Einverständnis zwischen den Musikern! Keine Perlereien, kein Virtuosengetue. Chopin war ein großer Komponist - Zacharias erinnerte daran.


    MfG
    Albus

  • Welche Bescheidenheit !!


    Der "eine" war natürlich "Albus" :D , wer sonst !!!


    Anfangs hab ich das nicht gleich begriffen, dann kam mir der Verdacht.
    Nochmals gelesen, und siehe da:



    Zitat

    die ersten Töne erklingen, denkt sich einer "Claudio Arrau; nie mit Chopin gehört, aber das ist Claudio Arrau".


    Also eindeutig: Albus selbst ist es, der das alles erkannt hat, nicht einer oder irgendeiner. Gratulation.
    Ausser natürlich- Albus kann Gedanken lesen. - Auch nicht schlecht :D


    Allerbeste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • @ Heinz


    Du machst dir die Sache ein bisschen einfach. Ich hätte schon gerne gewusst, warum du Kaisers Auswahl ablehnst und ob Du sie überhaupt angehört hast und was du denn so für Klaviermusik hörst anstelle von Kaisers Auswahl!

  • Zitat

    Original von fuchsbuhl
    @ Heinz


    Du machst dir die Sache ein bisschen einfach. Ich hätte schon gerne gewusst, warum du Kaisers Auswahl ablehnst und ob Du sie überhaupt angehört hast und was du denn so für Klaviermusik hörst anstelle von Kaisers Auswahl!




    Naja, war eine spontane Gefühlsäußerung von mir. =)


    Bin lang genug in Kaisers Musik"geschichts"vorlesung gesessen, um mir eine Meinung über seine Musikanschauung zu machen.


    Ich wollte keinesfalls etwas gegen die Interpreten/Interpretationen der Klavier-Kaiser-Sammelbox sagen.


    Gruß
    Heinz

  • Du bist ziemlich einsilbig und lässt andere wohl nicht gern in Deine Karten schauen. Ich kenne Kaisers Auffassung auch. Die ist halt etwas angestaubt, er liebt Kempff, Pollini, Brendel und Solomon. Mit seinem ostpreußischen Akzent klingt das wirklich bezaubernd :D. Erzähl doch mal von seinen Vorlesungen...

  • Hallo,


    Ich besitzte Herrn Kaisers "Bibel" (also lediglich das Buch) erst seit einigen Tagen. Zu oft wurde es hier im Forum ewähnt, als das ich mir leisten könnte, es nicht gelesen zu haben, resp. es nicht zu besitzen.
    Der Preis von etwa 13 Teuro macht es ja auch erschwinglich.


    So bin ich, da ich das Buch nicht nur überfliegen wollte, noch nicht sehr weit gekommen.


    Jedoch allein das Vorwort, (es finden sich auch jene zu den vergangen Auflagen dabei) zeigt, daß sich Herr Kaiser seiner Aufgabe keineswegs leicht gemacht hat, er zeigt deutlich die Grenzen seines Buches auf, erklärt auch schlüssig, warum er sie überschreiten musste und überschritten hat, ohne jedoch selbst restlos über den Kompromiss glücklich zu sein.
    Am Anfang, Mitte der 60er Jahre, schien alles ganz einfach: Er wollte einen groben Überblick über die (damals) aktuelle Klavierszene bieten mit fast ausschließlich lebenden und aktiven Pianisten (ist schon das schwer genug)


    Das Buch erlebet jedoch (wieder Erwarten, wie aiser schreibt) etliche NEuauflagen, die dieses Konzept nicht mehr realisierbar machten, einige Künstler von damals waren nicht mehr aktiv, oder bereits verstorben, neue waren nachgefolgt.
    Wenn man dem ursprünglichen Gedanken treu geblieben wäre, hätte man all diese Künstler aus den Neuauflagen entfernen müssen. Dazu konnte man sich jedoch nicht entscheiden. Somit tauchte weiters die Frage auf: Warum werden dan ganz große Pianisten der Vergangenheit negiert ? Die Einbeziehung solcher Künstler jedoch lässt solch ein Buch schnell ungeahnte Ausmaße annehmen, sodaß man eine Auswahl vornehmen muß. Solch eine Auswahl, Kaiser betont das ausdrücklich, beinhaltent leider immer etliche Ungerechtigkeiten, aus den verschiedensten GRündern...


    Mit dieser , und etlicher weiterer einschränkenden Aussagen, relativiert Kaiser quasi alle seine Aussagen, und nimmt ihnen jeden Anflug von Dogma. Und damit kann ich sehr gut leben.


    Kritik, so behaupte ich, ist immer subjektiv, aller Versuche einer objektiven Kritik, wo immer man sie versucht, müssen kläglich scheitern.
    Mit dem Kritiker haben wir eine Person vor uns, die sich mit Musik beschäftigt, hoffentlich was davon "versteht" und die "Geschmack" hat.


    Sollte man (was ich heute nicht tue) nach Kritiken einkaufen, dann sollte man sich "seine" Kritiker gut anschauen, inwieweit sei zu einem selbst passen.


    Auch wenn ich Kritiken im Allgemeinen nicht für Kaufentscheidungen heranziehe (in Ausnahmefällen jedoch schon), lese ich sie äusserst gerne. Allerdings am liebsten nach dem Kauf - so entgehe ich jeder Beeinflussung..


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred


    (Schön daß Heinz wieder zu uns gefunden hat)

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Tag,


    mir fällt ein, dass Joachim Kaiser's Pianisten-Buch sZt nicht von ungefähr kam. Das tragende Moment waren sicherlich (nun, sicherlich bleibt stehen) seine Arbeiten für die diversen ARD-Anstalten (ARD = Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands), zuerst für den Süddeutschen Rundfunk (?, war wohl so). Die weiter ausholenden Interpretenvergleiche hatten reichlich Informations- wie Unterhaltungswert. Seine Besprechung der Kreisleriana-Deutungen ist mir unvergessen, seine Beethoven-Auslegungen anhand der Größen in seinem Blick waren tatsächlich lehrreich (man war schließlich nicht auf der Höhe der Tradition, aber Herr Kaiser). Das Buch - gewissermaßen auch eine Art Buch zur Sendereihe (steht etwas davon im Vorwort?) - hatte - jetzt kommt der zweite Anknüpfungspunkt - einen prominenten Vorläufer: Harold Schonberg, Die großen Pianisten, Fischer Verlag. Schonberg war der Großkritiker der New York Times. Das war die Höhe der Literatur von Joachim Kaiser: Schonberg behandelt die Größen der Tradition, Kaiser fasste die Gegenwärtigen ins Urteil. Arrau, Backhaus, Kempff ... kommen bei Schonberg summarisch vor, bei Kaiser im Detail.


    Mir kam es immer so vor, dass Joachim Kaiser in seinen Urteilen nie ungerecht war; er kannte auch die weniger prominenten Künstler, offensichtlich, denn er erwähnte immer einige aus diesen Reihen, stellte Ausschnitte aus Aufnahmen vor, wog den Rang ab. Davon muss einer nichts halten, dem Rangabmessen, es war allerdings erkennbar vorsichtig. Der Sprachton von Joachim Kaiser war immer ein Ton des Respekts und der Anerkennung.


    Darin stimmte ich mit dem Mann der Literatur überein.


    MfG
    Albus

  • Wenn man sich etwas in Joachim Kaisers Veröffentlichungen einliest, stellt man rasch einige Schwerpunkte fest: Klaviermusik, Richard Wagner, in der Literatur Zeitgenössisches von Menschen die er zumeist persönlich kennt (oder gekannt hat). Seine im Lauf der Jahrzehnte geschriebenen Kritiken zu "Ring"-Aufführungen in Bayreuth und München machen diese "mitgelebten" Vorstellungen lebendig, auch wenn man nicht selbst dabei war, wenn man allenfalls auf akustische Dokumente oder Bühnenbildentwürfe in Programmheften oder alten Zeitungen (Zeitschriften) angewiesen ist. Faszinierend ist für mich das Buch "Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten". Selten sind so viele Facetten dieses Klavier-Kosmos so lebendig eingefangen worden.

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Hallo zusammen,


    das wichtige, vor allem jüngere Pianisten in der "kaiserlichen" Sammlung fehlen, dürfte nicht nur auf die Vorlieben des Herausgebers zurückgehen, sondern auch auf die Vermarktungsrechte. Nicht jeder Verlag/Label beteiligt sich an solchen Aktionen, nicht jede Veröffentlichung in dieser Hinsicht erscheint lohnend, da sie sonst natürlich die Leute nicht mehr als normale CD erwerben.


    An diesem Problem krankt auch die Süddeutsche Literaturreihe. So findet sich z.B. kein einziges Werk von Thomas Mann. Auch hier liegt der Grund nicht in mangelnder Sachkenntnis, sondern im Copyright. Das liegt noch für einige Jahre beim Fischerverlag, der da nix herausrückt. (würde ich auch nicht, wenn ich gerade eine Jahrhundertausgabe herausgebe :D)


    Ansonsten zu Kaiser:


    Das Buch über die Pianisten liest sich gut, scheint mir mit großer Sorgfalt verfasst und hat mich schon auf einige schöne Aufnahmen hingewiesen. Weiterhin mag ich seine Radiosendungen, z.B. die über das Gesamtwerk von Chopin.
    Aber auch er ist nur ein Mensch. ;)


    Gruß
    Anti

  • Zitat von Antracis

    Ansonsten zu Kaiser:


    Das Buch über die Pianisten liest sich gut, scheint mir mit großer Sorgfalt verfasst und hat mich schon auf einige schöne Aufnahmen hingewiesen. Weiterhin mag ich seine Radiosendungen, z.B. die über das Gesamtwerk von Chopin.


    Aber auch er ist nur ein Mensch. ;)


    Daß Joachim Kaiser "auch nur ein Mensch" ist, spricht nun überhaupt nicht gegen ihn, im Gegenteil!


    Was mich an seinen Texten über Musik so stört, ist etwas ganz anderes:
    seine grenzenlose Glorifizierung der Interpreten. Er betreibt das in einem Maße, daß es (aus meiner Sicht) nur noch peinlich ist.


    Was ist die Aufgabe des Interpreten? Dieser soll die Musik so zum Erklingen bringen, wie es der Komponist aufgeschrieben und gemeint hat. Wenn er das tut, ist er ein guter Musiker, ansonsten nicht.


    Ich behaupte jetzt mal, daß die jüngeren Pianisten den Notentext im allgemeinen sehr viel ernster nehmen als die Pianisten der "romantischen Schule", als man sich die Musik noch so lange zurechtgebogen hat, bis sie zum eigenen tiefsinnig-romantischen Weltbild paßte.


    Daß Kaiser an den jüngeren Pianisten nicht interessiert ist, liegt wohl auch daran, daß ihn die Komponisten selbst gar nicht sonderlich interessieren. Das behaupte ich jetzt einfach mal so.
    Seine Musikgeschichtsvorlesungen an der Stuttgarter Musikhochschule waren infolgedessen auch gar keine Vorlesungen über die Geschichte der Komposition, sondern Interpretationsvergleiche. (Er wollte ja eigentlich, daß eine Stelle für "Vergleichende Interpretationsforschung" speziell für ihn eingerichtet wird. Die bekam er nicht, also hat er es eben als "Musikgeschichte"-Vorlesung ausgegeben.)

  • Tag,


    wenn ein Komponist ein Werk schuf, dann gibt das Werk zu denken. Das Werk ist vom Komponisten abgetrennt. Das Werk hat eine halboffene Struktur, diese: "Die Schrift - und das kommt noch hinzu: ...!" Was, das zeigt der Interpret, was das Werk auch noch ist. Wohin das Werk als Werk reicht, so weit reicht der Impuls des Komponisten nicht. Das Werk ist ein Kontinuum des Werdens. Das Kontinuum hat einen diskreten Abschnitt, das ursprüngliche Werk und die Werkgeschichte, und hat einen stetigen Teil, noch unteilbar, den die Interpreten schaffen. Große Werke gibt es nicht ohne große Interpreten.


    Kurz: ein Werk markiert immer einen Anfang, Interpreten zeugen im Horizont des Anfanges fort.


    MfG
    Albus

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  • Zitat

    Ich behaupte jetzt mal, daß die jüngeren Pianisten den Notentext im allgemeinen sehr viel ernster nehmen als die Pianisten der "romantischen Schule", als man sich die Musik noch so lange zurechtgebogen hat, bis sie zum eigenen tiefsinnig-romantischen Weltbild paßte.


    Tatsächlich?


    Da bin ich aber eher skeptisch. Die Pianisten der "romantischen Schule" nahmen meines Erachtens die Komponisten sehr ernst, spielten aber in der Überzeugung, wenn nicht sogar in der Erkenntnis, dass Interpretation nicht notwendigerweise das Realisieren eines eigentlich nicht exakt formulierbaren Willens des Komponisten sondern die subjektiv geprägte Ausdeutung des Notentextes im Sinne des Komponisten ist. Da aber auch "im Sinne des Komponisten" eine subjektive Einschätzung ist, die sich außerdem im Laufe der Zeit wandelt, gibt es ein weites Feld möglicher und gültiger Interpretationen, genauso wie wir es in den existierenden Einspielungen sehen.
    Dabei halten sich die älteren Interpreten in der Regel aber viel näher am Notentext als einige aktuell konzertierenden Pianisten, wie z.B. Valery Afanassiev, der hochinteressante Eigenkompositionen auf Grundlage von Franz Schubert zum Besten gibt, oder auch Ivo Pogorelich, der den Flügel gekonnt und mächtig bearbeitet, und das Resultat dann entfernt an Mussorgskys 'Bilder einer Ausstellung' erinnert. ;)


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Dabei halten sich die älteren Interpreten in der Regel aber viel näher am Notentext als einige aktuell konzertierenden Pianisten, wie z.B. Valery Afanassiev, der hochinteressante Eigenkompositionen auf Grundlage von Franz Schubert zum Besten gibt, oder auch Ivo Pogorelich, der den Flügel gekonnt und mächtig bearbeitet, und das Resultat dann entfernt an Mussorgskys 'Bilder einer Ausstellung' erinnert. ;)
    Ciao


    Hallo Theophilus,


    zu den von dir erwähnten "Abweichlern" kann ich leider nichts sagen, da ich diese Aufnahmen nicht kenne. Wie sehr sich die Haltung zum Notentext geändert hat, kann man aber schon daran erkennen, daß es heute fast nur noch "Urtext"-Ausgaben zu kaufen gibt. Die fantasievoll bearbeiteten (um nicht zu sagen entstellten) Ausgaben von vor 50 - 100 Jahren sind heute nur noch als Kuriosität anzusehen.


    Daß Barock- und klassische Werke heutzutage nicht mehr so stur metronomisch gespielt werden, wie noch vor 30 Jahren, ist ein Segen, und den haben wir den Spezialisten für historische Aufführungspraxis zu verdanken. Auch im Barock gab es schon das Tempo rubato und das inegale Spiel. Da diese Dinge ebenso wie Dynamik und Artikulationszeichen damals nicht notiert wurden (weil sie als selbstverständlich vorausgesetzt wurden), geriet dies irgendwie in Vergessenheit. Bzw. wurde als unhistorische Romantisierung eine zeitlang regelrecht verfemt. Erinnere mich da noch gut an meinen eigenen Klavierunterricht.


    Also: der notierte Notentext ist unbedingt zu beachten, das reicht aber in vielen Fällen nicht: was nicht notiert ist, ist vom Interpreten unter Beachtung der zur Entstehungszeit gültigen Stilistik zu ergänzen.


    Gruß
    Heinz

  • Sagitt meint:


    Jede Generation hat immer Pianisten hervorgebracht, die sich mehr weniger an Text und Kontext halten.


    Interessant ist eher, wie sehr das allgemeine Paradigma war: der Vorrang der Interpretation und des Interpreten oder die Orientierung am Werk.


    Zu Händels Zeiten hatte der Komponist mit dem Vorrang der Sänger zu kämpfen. Pianisten früherer Zeiten haben sich teilweise auch erhebliche Freiheiten herausgenommen, man höre einmal Busoni, wenn er seine eigene Bearbeitungen von Bach spielt. Ein wenig kann man diese Auffassung von Görgy Cziffra studieren, wie sehr mit Rubati und sonstigen Freiheiten gearbeitet wird.


    Heute ist das Paradigma eher die Werktreue, aber Eigenwillige gibts natürlich immer- und dies gottseidank...

  • Lieber Sagitt,


    ich hatte einen Musiklehrer , der mit Kaiser studiert hat (gottlob nicht bei ihm).
    Das Joachim-Kaiser-Buch habe ich vor einigen Jahren anhand des Pianisten Horowitz regelrecht wegen seiner inhaltlichen Unlogik und sprachlichen Schnitzer analytisch zerfetzt.
    Ein schrecklicher Mann, wenn man ihn erlebt mit seiner bonierten Überheblichkeit, unangemessener Selbstüberschätzung.
    Es f e h l t ein gutes Buch über Pianisten. Ich hatte Matthias Kornemann, damals ein sehr guter RONDO-Mitarbeiter, vorgeschlagen, eines zu schreiben. Leider ist Kormenann völlig aus der Klassikszene verschwunden. Und ... Lassen wir's .


    Beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Lieber Gerrit,


    Herr J. Kaiser wurde mit einer Arbeit über Grillparzer promoviert.
    Seine Sprache ist schwülstig wie sein Schreibstil voll hohlem Pathos ist.
    Ein übler Egomane.
    Das Pianisten-Buch ist durch K. Bennets Beitrag deutlich besser geworden im Ansatz. Aber auch K.B. beginnt treu den leeren Lehren seines Meisters mit den Toten.
    K.B. ist inzwischen selbst tot.


    Gruss
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

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