Werkanalyse "straight from the horse's mouth" - Andras Schiff über die Beethoven Sonaten

  • Eben entdeckt:


    Andras Schiff hat dieses Jahr, in Verbindung mit seinen Aufführungen der Beethovenschen Klaviersonaten, eine begleitende Vorlesungsserie in der Wigmore Hall in London abgehalten. Diese sieben Vorlesungen, die sich, soweit ich das verstanden habe, der Interpretation jeder einzelnen Sonate im Detail widmen (Andras Schiff illustriert dabei seine Interpretation natürlich auf dem Flügel), wurden mitgeschnitten und werden im Verlaufe der nächsten sieben Wochen ab dieser Woche auf der "arts and entertainment blog" Seite der britischen Tageszeitung The Guardian zum Download zur Verfügung gestellt werden.


    Ich habe gerade in Schiffs Ausführungen zu Beethovens Sonate Op. 2 Nr. 1 einmal hineingehört und war fasziniert, einmal eine detaillierte Werksanalyse direkt vom Interpreten selbst mitverfolgen zu können. Das Ganze ist natürlich auf Englisch und wird nicht erleichtert dadurch dass Schiff einen deutlichen (wenn auch durchaus gut verständlichen) Akzent hat, aber inhaltlich wie auch durch die Prise Humor und die Anekdoten, mit denen er seine Ausführungen zu würzen versteht, wirklich lohnenswert.


    Meine Empfehlung deshalb für all diejenigen, die Andras Schiff vielleicht einmal etwas näher kennenlernen oder etwas über seine Philosophie bei der Interpretation der Beethoven Sonaten erfahren möchten.


    Grüße


    katlow

  • Hallo katlow,


    herzlichen Dank für den höchst interessanten Link!
    Genau so etwas interessiert mich wirklich, weil hier nicht geschwafelt wird.
    Es werden Fakten sachlich erklärt, Meinungen mit nachvollziehbaren Argumenten begründet und das Ganze wird vor allem hervorragend demonstriert.
    Da ich in meiner Zeit als Klavierschüler selbst die Nr.1 f-moll-Sonate op.2. studiert habe, musste ich mir natürlich zunächst einmal diese Datei herunterladen und anhören.
    In fast allen Dingen ( auch den Details) stimme ich mit Schiff überein, besonders bei seinen Betrachtungen zum ersten Satz.
    Hier erwähnte er auch, dass er Beethovens Musik mehr als Rhetorik denn als Gesang empfinde, womit er bei mir natürlich offene Türen einrennt und mich zu eigenen Überlegungen anregt.


    Interessant auch der Hinweis auf die kurze, wenig ehrerbietige Widmung: "Joseph Haydn gewidmet" Der erste Satz hört sich für mich auch etwas an wie der kompositorische Ausbruchsversuch eines zornigen, irgendwie rebellischen und vor allem genialen jungen Mannes, der von seinem musikalischen "Ziehvater" einerseits zwar viel gelernt hat, aber andereseits auch dessen Ansichten und Konventionen massiv in Frage stellt.


    Die "Geschichte", die Beethovens Klangrede im ersten Satz erzählt, ist nicht gerade nett unterhaltend, aber sehr spannend...
    Das in den Takten 21 ff. erscheinende Thema etwa ( die Umkehrung der "Mannheimer Rakete" aus Takt 1ff.) kommt mir in seiner nach unten gerichteten Gestik etwa so vor, als wenn man jemanden wiederholt mit dem Kopf gewaltsam in ein Fass mit kaltem Wasser steckt: "Da musst du `rein"
    Beim sf-Akzent ist der Moment, wo das Opfer den Kälteschock bekommt...
    die darauffolgende atemlosen "Dreiachteljapser" in Takt 26 ff. könnte man als "O Bitte Nein" Gesten sehen...usw...usw..
    Sehr schön auf der Hinweis, dass Beethoven als Komponist eines Klavierwerkes schon in dieser Phase orchestral gedacht hat ( siehe das angesprochene Wechselspiel zwischen "Klarinette" und "Flöte")
    Die Schlussakkorde empfinde ich persönlich als ein wütendes "Basta!! ", genauso wie es Schiff auch gespielt hat.


    Gut, dass Beethoven noch den wunderbar gesanglichen zweiten Satz geschrieben hat. Schiff meinte wohl etwas augenzwinkernd, dass er den Haydn nicht zu sehr schocken wollte ;)


    Sehr schön finde ich auch die Ausführungen zum Menuetto Allegretto, auch sehr schön gespielt.
    Es ist ein leicht melancholisches Suchen, eine Unsicherheit, die in der galanten Form des Menuettos daherkommt.
    Mit den Sforzati auf dem jeweils ersten Ton des achtelpaarigen Auftakts in z.B. Takt 12 konnte ich früher nichts anfangen.
    Heute sehe ich es als eine ironisch imitierende Verspottung des galanten Menuets. Beethovens eigentliche Meinung kommt im völlig überraschenen ff-Ausbruch ( besser Vulkanausbruch!) im Takt 26 mit Auftakt heraus.
    Schiff hat recht: es ist wirklich so, als wenn Beethoven sagen wollte: Schluss mit dem galanten Zeug, jetzt wird hier "Tacheles" geredet, um es einmal salopp zu formulieren :D
    Ob das Haydn wohl als Schlag ins Gesicht empfunden hat?
    Beethoven versöhnt ihn mit dem Trio des Menuettos. Es ist so, als wenn er sagen möchte: "Sehen Sie Herr Haydn, ich kann auch freundlich und sogar alt-kontrapunktisch schreiben"


    Jetzt kommt der einzige Punkt, wo ich Andras Schiff nicht folgen möchte, auch wenn ich seine Auffassung hoch respektiere:
    Er meint, man solle nach dem Trio nicht noch einmal das Menuetto spielen und sieht die "Alte Musik-Bewegung" die sich in solchen Fragen z.B. auf Türks Klavierschule bezieht, im Irrtum. Man habe doch nur zwei Arme und nicht drei. OK...aber ich empfinde es anders und sehe es auch sachlich anders.
    Zunächst einmal hat Beethoven ja den Hinweis "Men. d. C." explizit geschrieben ( eine Faksimilie-Ausgabe habe ich jedoch nicht)
    Das eher novemberlich-düstere f-moll Menuetto finden seinen Kontrast im F-Dur-Trio, bei dem die Sonne aufgeht.
    Die himmlische Sexten-Wonne des Trios war aber nur eine Illusion, man muss zurück in die irdische f-moll-Realität, mit den sich vortastenden Fragestellungen und dem erneuten Wutausbruch über die ganze Galanterie.
    Der Schluss des Menuettos leitet für mich auch viel logischer in den Affekt des mit Prestissimo bezeichneten vierten Satzes über, als es etwa das hellere Trio könnte.
    Zudem würde ein Verzicht auf das "da Capo" meinem symmetrischen Empfinden entgegenstehen.


    Beim letzten Satz stimme ich mit Schiff in nahezu allen -auch eindrucksvoll demonstrierten- Meinungsäusserungen überein. So oder so ähnlich sollte man es spielen.
    Sehr gut beschrieben finde ich auch das höllische Brodeln der linken Hand...
    Zum Schluss endet der Satz klipp und klar, d.h. ohne Ritardando ziemlich Subito im Abgrund.
    Ja, genauso ist es.
    "Joseph Haydn gewidmet" ....ich sehe schon das Stirnrunzeln des Altmeisters, obwohl er ganz sicher die überragende Genialität seines unbequemen Schülers auch anhand dieser Sonate erkannt hat.


    Ein toller Link :yes:, nicht nur für die, die Schiffs interpretatorische Ansätze nachvollziehen wollen, sondern auch für die, die sich allgemein für Beethovens Klangsprache und deren pianistisch-interpretatorischen Umsetzung interessieren können.


    Ich hoffe, demnächst noch die Zeit zu finden, mir auch die anderen Dateien anzuhören.
    Jetzt muss ich jedoch selbst ans Klavier...


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Inzwischen lassen sich beim Guardian alle Einführungen bis incl. op.28, sowie op.49, 1&2 herunterladen. Der Rest kommt auch noch, updates, wenn ich recht verstehe, immer donnerstags.
    Wirklich außerordentlich hörenswert (und es hat insofern gefruchtet, als dass ich Vol.2 (op.10 &13) bestellt habe ;)), sollte auch mit Schulenglisch eigentlich verständlich sein.
    Er spielt bei der Pathetique übrigens die umstrittene Wiederholung des Grave und geht auch kurz im Gespräch darauf ein.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Er spielt bei der Pathetique übrigens die umstrittene Wiederholung des Grave


    wieso umstritten? Ich hab den Verlauf unserer Diskussion so verstanden, daß die Gegner der Grave-Wiederholung längst die Fahne gestreckt haben :P ;)


    Spaß beiseite, ich wollte mich auch herzlich bedanken für diese interessanten Neuigkeiten. Schade daß Schiff mit dem Auslassen eines Menuett da capo bei vielen (auch mir) seine Glaubwürdigkeit selbst etwas untergräbt. Wie steht er übrigens zu den zweiten Wiederholungen, die ja beispielsweise in op. 2/1 im 1. und 4. Satz vorgeschrieben sind?


    Gruß, Khampan

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  • Zitat

    Original von Khampan


    wieso umstritten? Ich hab den Verlauf unserer Diskussion so verstanden, daß die Gegner der Grave-Wiederholung längst die Fahne gestreckt haben :P ;)


    Spaß beiseite, ich wollte mich auch herzlich bedanken für diese interessanten Neuigkeiten. Schade daß Schiff mit dem Auslassen eines Menuett da capo bei vielen (auch mir) seine Glaubwürdigkeit selbst etwas untergräbt. Wie steht er übrigens zu den zweiten Wiederholungen, die ja beispielsweise in op. 2/1 im 1. und 4. Satz vorgeschrieben sind?


    Er spielt natürlich das dacapo der Menuette, nur dort eben nicht nochmal die Wdh. (hierauf zu bestehen halte ich mit Verlaub für kleinkariert).
    Da ich nur eine CD der Reihe habe, kann ich nur vermuten, dass er in allen relevanten Fällen die Wdh. von Durchf und Reprise spielt. Er tut das jedenfalls in op.10,2. Leider bin ich, allerdings nach nur einmaligem Hören von der CD (opp.10 & 13) lange nicht so angetan wie von seinen Vorträgen...aber das soll noch nicht als endgültiges Urteil verstanden werden.


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo, allerseits!



    Inzwischen ist im Verlag Beethoven-Haus Bonn das Buch
    Beethovens Klaviersonaten und ihre Deutung "Für jeden Ton die Sprache finden..."
    Andras Schiff im Gespräch mit Martin Meyer
    erschienen. Ich habe es komplett gelesen, u.z. mit dem Kopfhörer in iPod, um dann immer gleich hören zu können, was ich gerade lese.


    Es ist für "normale" Leser geschrieben, allerdings nur für denjenigen interessant, der alle Sonaten gut kennt.


    Ich habe so viel mehr gehört !!!!!!
    Unsereins kann nicht hören, was auf S. 99 ganz unten steht zur Sonate Op.110, 1. Satz: " allerdings verbirgt sich im drittletzten Takt, nämlich in den Quart-Intervallen der rechten Hand, bereits das Fugen-Thema des Finales" - es verbirgt sich und man kann es hören!!!!


    Und so geht es die ganze Zeit . Buch + iPod = optimaler Lesegenuß ( für mein Niveau, über das Musikwissenschaftler sicher lächeln)


    Daß Martin Meyer gewissermaßen mit seinen "Fragen" für das nächste Kapitel, meist den nächsten Satz sorgt, macht das Ganze überschaubarer, wenn auch nicht seriöser. Aber für die Wissenschaft ist das Buch nicht geschrieben.


    Kann ich empfehlen



    Mit Gruß aus Bonn :hello: :hello: :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Passt das jetzt?
    Immer schon frage ich mich, was die Mannheimer damals über Raketen gewusst haben: KV 550/4, KV 183/1, Op.2/1.
    Hat man damals schon Feuerwerksraketen gebastelt?
    Peinliche Frage vielleicht.

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • Zitat

    Original von klaus
    Hat man damals schon Feuerwerksraketen gebastelt?


    Hat man: Händels Feuerwerksmusik heißt ja nicht ohne Grund so :D


    Im Ernst: Feuerwerke zwecks Amüsement der höfischen Gesellschaft gibt mindestens seit dem 17. Jahrhundert. In China sogar noch erheblich früher.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Klar, gabs, wie immer, schon bei den alten Chinesen.


    Schau mal bei Feuerwerk-wikipedia nach, da findest Du alles.


    Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

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