Was versteht Ihr unter 'Interpretation' ?

  • Salut,


    Theophilus meinte, es sei ein Thema für einen eigenen Thread:


    Zitat


    Fast ein Thema für einen eigenen Thread. Im ersten Moment empfinde ich diese Sicht der Dinge als sehr traurig, weil viel zu einengend und damit potentiell schöne Dinge von vornherein ausgrenzend. Aber jedem Tierchen sein Plaisierchen.


    Ich hoffe, ich habe den Threadtitel einigermassen 'treffend' gegeben? Man kann natürlich noch darauf eingehen, wie wichtig eine Interpretation ist, wie weitgehend dadurch Verfälschungen dargeboten werden bzw. ob eine Interpretation überhaupt notwendig ist.


    Um auf Theos Beitrag zu antworten:


    Ich sehe das in keiner Weise als traurig oder einengend. Vielmehr habe ich selbst vielmehr Möglichkeiten der Empfindung [die durchaus auch schwankt], wenn ein Werk möglichst neutral wiedergegeben wird. Aber das ist jetzt ersteinmal nur die Spitze des Eisbergs...


    Nicht zur Interpretation gehörend empfinde ich beispielsweise das reine Quellenstudium, um z.B. ein Tempo "real" herauszufinden. Ein "Allegro" ist ein Allegro, das durchaus gewissen Schwankungen unterliegt - aber [ohne ins Detail zu gehen] für eine Interpretationssache halte ich dies beispielsweise nicht. Auch nicht die Relation der Tempi untereinander. Das ist eigentlich eher eine subjektive Angelegenheit, die gerne durch ein wenig Objektivität relativiert werden darf. Ebensowenig halte ich die Ausdeuting von Noten ohne Fermate als solche mit Fermate nicht als Interpretation, sondern als Willkür. Das gleiche gilt für eindeutige Pausen. Auch uneindeutige Notentexte unterliegen m. E. nach nicht der Interpretation, sondern dem qualifizierten Quellenstudium und einer daraus folgenden belegbaren Erkenntnis. Also auch keine Interpretation...


    Auch die Deutung eines Werkes halte ich nicht unbedingt für Interpretation: Eine Opera buffa beispielsweise hat ihre eindeutige Zweckbestimmung vom Komponisten erhalten.


    Als Interpretation betrachte ich aber durchaus die Intensität eines Anschlages auf dem Flügel - damit Gestaltung der Musik - wie auch die Abstufung von laut und leise mit Einbindung von Crescendi und Decrescendi...


    Wir hatten bereits einen ähnlichen Thread:


    Der Wille des Komponisten - Dogma oder Empfehlung ?


    Aber ich ahne, dass es doch einen Unterschied gibt...!?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich habe es bereits einmal erwähnt.


    Am leichtesten kann man Interpretation durch Sangmusik erklären. Durch die Betonung eines anderen Wortes (also eine andere Note), kann der Sinn des Satzes sogar eine andere Bedeutung bekommen.
    Genauso wie wenn man redet. "Bist Du krank?" oder "Bist Du krank?" haben völlig verschiedene Bedeutungen.


    LG, Paul

  • Hallo,


    das ist ganz einfach: Interpretation ist das,was Interpreten


    aus einer Komposition machen.In der Malerei oder Literatur


    kann man auch interpretieren,aber nur verbal.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Tag,


    Interpretation bedeutet mir: Eine mögliche Realisierung eines Werkes im Einzelfall. Anders gesagt: In den Schematismus Werk-und-Ausführender wird der Individuenbereich des Gliedes Ausführender eingesetzt.


    Man kann also durchaus, wie Hanrnoncourt gelegentlich des Anfanges der Sinfonie KV 550 in der Interpretation von Josef Krips, sagen: "Hören Sie, so kann man das nicht machen, so nicht. Da ist der Möglichkeitsraum verlassen."


    Freundlicher Gruß
    Albus

  • Salut,


    ich wäre dankbar zu erfahren, wie [beschreibend] denn dieser Möglichkeitsraum überschritten wurde und von wann die Aussage stammt.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Tag,


    die Aussage zur Grenzüberschreitung erging in einer Feature-Sendung von Radio Bremen mit H, ca. 1994. Angespielt wurden Klemperer, Krips, Böhm - Klemperer hielt sich im Rahmen, Krips wurde verworfen ("Das steht da nicht. Da steht ... ", singt), Böhm übergangen. Berichtet wurde insbesondere über die Arbeit beim Concertgebouw Orkest ("Herr Harnoncourt, arbeiten Sie auch mit uns?", so fragten die Bläser.). H. gab zu, er hätte mit den Bach Orchestersuiten warten sollen, bis er einen Bläser gefunden hatte, der das Naturhorn wirklich beherrscht (Concentus Musicus Wien).


    Freundlicher Gruß
    Albus

  • Interpretation bedeutet in etwa "Erklärung", oder eher noch "Auslegung"


    In Bezug auf "Musikalische Aufführungspraxis" findet man in der 24 bändigen Brockhaus Enzyklopädie u.a. folgendes:


    Zitat

    "Bis ins 18. Jahrhundert war die das Klangbild fixierende Notenschrift relativ offen, und es gab keine verbindliche Form der Wiedergabe, wie überhaupt die allgemeine Vorstellung von Authentzität den Zeitgenossen fremd war.Viele Momente des tatsächlich Erklingenden wurden nicht aufgezeichnet, sondern vom Spieler oder Sänger improvisatorisch ergänzt, und die Besetzung, bzw. Wahl der Instrumente richtete sich nach den gerade verfügbaren, in der Regel recht spärlichen Mitteln"


    Solche "Auslegung" ist notwendig - man stelle sich nur vor alle Aufnahmen eines Werkes klängen gleich oder sehr ähnlich.
    Das war bei Schallpattenaufnahmen ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Tat sehr oft der Fall - und ich würde hier die "Klassikkrise" orten. Interpretation ist ein spezielles Sammelgebiet für Käufer von Tonträgern, welches bei allzuähnlichen Interpretationen zu einer Wüste verkommt und uninteressant wird.


    Ich finde, daß Herr Hanoncourt, bitte keine Thematisierung seiner Person in diesem Thread - wir haben da einen anderen einige sehr gravierende Fehler macht wenn er einerseits den großen Mozart-Interprete Josef Krips "maßregelt" und Karl Böhm "negiert" - gegen ihnt getraute er sich wohl nicht zu argumentieren - das hätte er zumindest in Wien, bzw Österreich musikalisch nicht überlebt.


    Ich meine, man muß nur die Mozart-Deutungen dieser 3 Herren vergleichen , um zu sehen wer Mozarts "Geist" hier eher rüberbringt.


    Eines sollte eine Interpretation jedoch nie: VERSTÖREN


    Das ist mein Credo. Verstörende Musik ist wie ekelhaft schmeckendes Essen. Ein Kochrezept ist eine Sache, was der Koch draus macht eine andere. Letzlich sind auch die Vorlieben des Publikums mit einzubeziehen, die regional verschieden sind - und auch die Generation oder der Zeitgeist spielen da eine nicht unerhebliche Rolle.


    Mein Beisatz "aus Wien" sollte nicht den Stolz auf meine Heimatstadt dokumentieren, sondern lediglich in deutschen Foren (in denen ich früher vornehmlich postete) anzuzeigen, daß hier jemand schreibt, der möglicherweise nicht zum "deutschen Mehrheitsgeschmack" kompatibel ist. Bemerkt habe ich diese Tatsache, wenn ich die Kritiken in deutschen Fachmagazinen las und feststellen musste, daß ich gut beraten war deren Kritiken mit äusserster Skepsis zu begegnen.


    Ob Interpretation mit großen Abweichungen erlaubt - ja oft so gar begrüßt wird ist individuell und zeitgeistmäßig sehr verschieden.
    Uns sind Tonaufnahmen von etlichen Komponisten überliefert, welche sich selbst nicht an die eigenen Vortragsbezeichnungen gehalten haben - nicht immer zum Schaden des Werkes.


    Manche duldeten auch Abweichungen nicht nur, sondern ermunterten grade dazu - während andere Tonschöpfer auf ganz bestimmten Vorgaben bestanden.


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich glaube kaum dass es einem als Interpret möglich ist Musik "nicht zu interpretieren". Wäre ja auch ein Paradoxon wenn ein Interpret nicht interpretiert :D
    Das bedeutet also dass ein Mensch meiner Meinung nach Musik nie neutral wiedergeben kann. Eine Mididatei im Computer kann das. Nicht aber ein Mensch.
    Schon bei der Haltung am Instrument und beim Anschlag/Anstrich/Anblasen des ersten Tones beginnt die Interpretation. Für mich ist Interpretation das Gesamtergebnis eines Eindruckes der nachdem die letzte Note verklungen ist bei mir da ist. Interpretation ist immer ein ganzes Konzept für mich. Die Konzeption des Interpreten, sein Verständnis dieser Musik dass er dem Hörer vermittelt.

  • hallo,
    Interpretation bedeutet immer auch, das wieder zu geben, was ich verstanden habe oder zumindest, wie ich die Musik verstehe.
    Es ist also einmal ein Verstehensprozess und gleichzeitig auch eine Wiedergabe des Verstandenen.
    Dies bedeutet einmal eine intensive Beschäftigung mit dem Werk, sozusagen das Ausloten dessen. was sich jenseits der Oberflächenstruktur darstellt, um damit die Tiefenstruktur deutlich zu machen und sie so " interpretierend "zu verdeutlichen.
    Es geht damit auch um Form und Inhalt, die ineinander verzahnt sind und die Ausdeutung dieser Verzahnung ist dann meine Mitteilung des Werkes, meine Interpretation.

  • Hallo,


    Interpretation - vielleicht ein Bedürfnis jedes Menschen, seine Gefühle oder Empfindungen andere mitzuteilen (hoffentlich nicht aufzudrängen).


    Vor kurzem las ich in einem Editorial eine wunderbare Abhandlung über den zu kurz geratenen Frühling. Der aber durch seine intensivität sich in unserem Gedächntnis festsetzen kann. Dies wollte ich meinem Arbeitskollegen am liebsten, in meiner empfundenen Poesie, vorlesen. Ich entschied mich, ihm die Gelegenheit zu geben, es selbst zu lesen und zu erfassen. Ich war erstaunt über seine Empfindungen, die sich anders zeigten als meine. Eine Bereicherung für mich.


    Vor einigen Jahren wollte ich einfach nur den March alla turca von Mozart haben. Weil ich in München von einer Puppenspielerin am Markt gehört und gesehen hatte. Also in's Geschäft und gefragt. Drei verschiedend Interpreten wurden mir zur Auswahl gegeben. Nach dem Aussehen des Cover hatte ich mich schon entschieden. Nur auf drängen des Verkäufers hörte ich mir die drei Interpretationen an. Entschieden habe ich mich für Ingrid Haebler. Diese hatte ich vom ersten Urteil keine Chanse gegeben.


    So viel zu Interpretation von mir


    LG


    Detlef

    Werden im Wirken - Großes braucht seine Zeit

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Eines sollte eine Interpretation jedoch nie: VERSTÖREN


    Ob eine Interpretation verstört oder nicht, ist eine Frage der eigenen Erwartungshaltung: Was beim ersten Hören vielleicht noch verstörend wirkt, mag bereits beim zweiten Hören vertraut sein. Verstörend wirkt nicht selten etwas, was die übliche Aufführungstradtion hinter sich lässt. Ohne Protagonisten, die solches zustande bringen, kann kein neuer Stil entstehen: Gut also, dass es gelegentlich verstörende Interpretationen gibt. Sie erweitern unseren Horizont und bereichern das Leben - vorausgesetzt natürlich, es handelt sich um eine gute Interpretation!


    Verstörend schlechte Interpretationen gibt es leider auch - diesbezüglich stimme ich Alfred uneingeschränkt zu.


    Kurz: Ich meine, ob eine Interpretation verstört oder nicht, ist keine wesentliche Frage, sondern vielmehr die, ob die Interpretaion gut oder gelungen ist!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Ich möchte an diesem uralten Thread anknüpfen mit zwei Fragestellungen, die mich, seit ich im Forum bin, beschäftigen.


    1.


    Hin und wieder hört man die Vorstellung, dass der Interpret ja "nur" die Noten zu spielen habe, um dem Werk gerecht zu werden. Ich denke mittlerweile, dass ohne das gestalterische Eingreifen des Interpreten keine ernsthafte Musik entsteht. Technologisch ausgedrückt gibt es ohne Interpreten keine rezipierbare Musik.


    Begründung: Man könnte ja rein theoretisch so vorgehen, dass man allen Notenzeichen, ersteinmal den Werten die Tonhöhen, dann den Dynamikzeichen bestimmte Lautstärken zuordnet, Staccato und Legato lässt sich objektiv am Ton und an Tonfolgen definieren. Solcherhand bewappnet könnte man den Notentext mehr oder weniger mechanisch in Akustik transformieren ....


    Ich weiß gar nicht, ob es solche Programme nicht schon gibt. Aber grundsätzlich könnte man ja ein Programm schreiben, was aus dem digitalisierten Notentext dann gleich ohne weiteres menschliches Eingreifen die Musik produziert (gut gesampelt :)). Eine solche Software hat dann natürlich viele Parameter, über die sich dann ein Streit entfachen kann, was die objektiv richtigen Werte sind. Wie auch immer ... möglich wäre es :(


    Ich vermute, dass jeder ernsthafte Musikliebhaber einen tief sitzenden Schrecken ob des Ergebnisses bekommen wird.=O


    2.


    Das gestalterische Eingreifen des Interpreten unterliegt der Zeit und natürlich auch Moden. Und hier komme ich jetzt ins Schwimmen und Schwafeln.


    Durch die gerade noch andauernde Neuentdeckung der Beethovenschen Sonaten mit der Einspielung von Barenboim, bin ich etwas ins Grübeln gekommen. Ich habe mir jetzt auch noch die Händelvariationen angehört in mehreren Versionen. Kann es sein, dass momentan einfach gerne schnell gespielt wird, weil man dem Ton nicht mehr richtig traut. Es muss irgendwie knallen ....


    Morton Feldman ist sozusagen der Komponist der Gegenerwartung. Man muss den Tönen trauen, sonst kommt man mit dieser Musik nicht weiter.


    Ich weiß gar nicht, wie ich das ausdrücken soll, was mich hier bewegt. Versuchen muss ich es natürlich, sonst sollte ich mir den Beitrag sparen :P. Der Kollege ChKöhn hat an anderer Stelle vom Wagnis gesprochen, was hier sehr gut hineinpasst. Die Bereitschaft etwas zu wagen, sowohl vonseiten des Rezipienten, wie auch vonseiten des Interpreten schwindet. Vielleicht lässt sich im Hören für den Rezipienten auch ein Wagnis erkennen? Es kommt ja immer wieder der Gedanke auf, Zeit mit eventuell nicht wertvoller Musik zu verschwenden. Dahinter steckt ja gerade der Gedanke, nichts wagen zu wollen.


    Das führt am Ende zu Normierungen. Eine direkte Konsequenz wäre, Interpretationen mit einfachen Parametern erfassen zu wollen. Geschwindigkeit ist natúrlich die allereinfachste.


    Das alles ist sehr pauschal und weit davon entfernt, von mir zu Ende gedacht zu sein. Aber vielleicht kann man es so einmal in den Raum stellen. Also Farbeimer öffenen und los! :untertauch:

  • Ich öffne mal den Farbeimer:

    Ich denke mittlerweile, dass ohne das gestalterische Eingreifen des Interpreten keine ernsthafte Musik entsteht.

    So sehe ich das NICHT !


    "Interpretation" ist eigentlich ein "Aus der Not eine Tugend machen"

    Bedingt durch die Unzulänglichkeit alle Einzelheiten eines Musikstücks durch Noten festhalten zu können. Was also in Noten festgehalten werden kann. ist also eine Art TORSO,

    der eine gewisse Verstärkung dadurch erhält, daß man WEISS, wie ein bestimmtes Stück einer gewissen Epoche - mit einem vorgesehenen Instrument üblicherweise zu spielen ist.

    Fehlen diese Informationen, dann ist eine "Wiederherstelllung" des ursprünglichen Stückes kaum möglich.

    Auf Grund dieser Schwächen der Notierung ist es NOTWENDIG, daß der Spieler INTERPRETIERT, sich also VERSUCHT vorzustellen, was denn der Komponist GEWOLLT haben könnte - also eine ANNÄHERUNG an ein angenommenes Original. Daraus ergeben sich logischer- und EIGENTLICH UNERWÜNSCHTER Weise - ABWEICHUNGEN vom IDEAL das der Komponist vor Augen (Ohren) hatte.

    Ähnlich all den Gemälden quer durch die Jahrhunderte, wo die Maler sich bemühte eine überlieferte Geschichte, sei sie historisch oder nur erfunden - oder zweifelhaft (Müthologie oder Legenden) als möglichst überzeugendes Bild auf die Leinwand zu bringen.(Grade beim Bild als Vergleich ist gut zusehen, daß das nicht wirklich funktioniert)

    Der INTERPRET versucht nur - idealerweise - zu erahnen oder nachzuempfinden - was der Komponist sich gedacht hat.

    TJA -das war einmal. Irgendwann - speziell seit der Erfindung der Tonaufzeichnung und den sich daraus ergebenden Vergleichsmöglichkeitn - hat man festgestellt, daß sich die Lesarten der Interpreten doch erheblich unterscheiden können -und hat es fürs erste mal akzeptiert, wobei man üblicherweise jenem Interpreten die Siegespalme reichte, der dem vermeintlichen Original des Stückes am nächsen kam (bei Beethoven galt in den dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts Artur Schnabel als Idealfall - Es wurde ihm nachgesagt, er spiele "notengetreu")

    Irgendendwann begann man das Potential divergiernder Interpretationen zu erkennen , zu geniessen und auszunützen. Zum einen die Künstler und "Künstler" (vor allem letztere !!), sowie die tonträgerindustrie. Was mit kleinen Verzierungen, Temporückungen, dynamischen Veränderungen begann, setzte sich fort bis hin zu den heutigen Auswüchsen an Verballhorunung bis an den Rand der Parodie. Man zweifelte Klangschönheit an, ersetzte sie durch "Ausdruck"..etc (ähnlich wie man heute schlecht erzogene Menschen aus den untersten Schichten der "Gesellschaft" heute als "ehrlich" und "starke Charaktäre" bezeinet, wenn sie sich daneben benehmen) Um den zu erwartenden Protesten der "Konservativen" ein Argument dagegnzuhalten erfand man den Begriff der "historisch informieten Aufführungspraxis", eine der dreistesten Lügen in der Musikgeschichte - daß diese "Interpretationen" sehr nahe an der rabiaten Pop- und Rockmusik sind ist wohl kaum zu überhören.....:cursing:


    Es gibt aber auch Einzelfälle, die einer maßvoll eingesetzten "Interpretation" bedürfen, insbesondere Bach - aber auch Vivaldi fehlt sonst die "Lebendigkeit"


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hin und wieder hört man die Vorstellung, dass der Interpret ja "nur" die Noten zu spielen habe, um dem Werk gerecht zu werden.

    Ja, so einen Unsinn hört man hin und wieder. Ich kann demjenigen, der so etwas ernsthaft glaubt, nur empfehlen, z.B. mal bei einer Probe eines professionellen Kammermusikensembles zuzuhören (weil da üblicherweise auch verbal kommuniziert wird, während man z.B. von den Gedanken eines Pianisten, dem man beim Üben zuhört, kaum etwas mitbekommen wird). Dann wird sehr schnell klar, dass es bei ausnahmslos jedem Zeichen im Notentext unzählige Möglichkeiten der Wiedergabe gibt. Es ist schlechterdings unmöglich, "nur die Noten" zu spielen, aber man sollte sie meines Erachtens extrem genau studieren, um ihre Möglichkeiten zu erforschen und sich so Freiräume zu schaffen, in denen dann etwas Sinnvolles und Stimmiges entstehen kann. Ob das mit dem übereinstimmt, was ein Komponist "gewollt" hat, interessiert mich persönlich weniger, aber höchstwahrscheinlich wird es nicht so sein. Bevor sich hier jetzt angesichts solcher Respekt- und Verantwortungslosigkeit Protestgeheul erhebt: Auch lebende Komponisten, deren Werke ich gespielt habe, waren in aller Regel vollständig einverstanden, wenn ich ihre Notentexte nach eigenem, sorgfältigen Ermessen interpretiert habe. Schon Johannes Brahms hat das in einem Brief auf den Punkt gebracht: "Machen Sie es, wie Sie wollen, machen Sie es nur schön!". Die Forderung, eine Interpretation müsse dem "Komponistenwillen" folgen, setzt also nicht nur voraus, dass man diesen genau kennt (was in aller Regel unmöglich ist), sondern dass es ihn überhaupt gibt. Das kann, muss aber nicht sein. Und wenn es ihn gibt, kann man ihm folgen, muss es aber nicht. Und man muss zwar nicht, sollte aber in jedem Fall etwas Sinnvolles schaffen - wenn man es kann ;). Das Studium des Notentextes hilft dabei ungemein.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ob das mit dem übereinstimmt, was ein Komponist "gewollt" hat, interessiert mich persönlich weniger, aber höchstwahrscheinlich wird es nicht so sein.

    Das entspricht durchaus dem Großteil aller heutigen Interpreten -Früher hat man es wenigsten "versucht"

    Auch lebende Komponisten, deren Werke ich gespielt habe, waren in aller Regel vollständig einverstanden, wenn ich ihre Notentexte nach eigenem, sorgfältigen Ermessen interpretiert habe.

    Wäre ich zynisch (wovor mich mein Schöper - und ich danke ihm stündlich dafür -glücklicherweise bewahrt hat) würde ich sagen:

    Kein Wunder - Lebende Komponisten müssen überhaupt froh sein, wenn überhaupt jemand ihre Werke zur Aufführung bringt....:hahahaha::hahahaha::hahahaha::P


    Aber im Ernst - Ein gute Beispiel hier ist Orff, der sich über jede Schallplattenaufnahme freut wie ein Kind (wegen der Tantiemen ??? - oder auch so ?) und quas fast alle "autorisierte, wie man auf den Covern - zumindest der Erstveröffentlichung auf Langspielplatte (Vinyl) nachlesen konnte...

    Machen Sie es, wie Sie wollen, machen Sie es nur schön!

    Das kann ich gut nachvollziehen - Aber generell ist ier schon die IMO ALLERWICHTIGSTE Einschränkung implizit gegeben:

    Genau das ist es woran sich viele Interpreten nicht halten sondern versuchen, sich selbst zu profilieren

    Mit Freude konnte ich feststellen, daß viele Interpreten der nächsten Generation derartiges nicht machen.

    Oder getrauen sie sich bei Wettbewerben nicht - aus Angst bei der Jury durchzufallen ?

    Auf jeden Fall versuchen sie auch ihrer "Kreativität" freine Lauf zu lassen - indem sie selber Komponieren

    Im ersten Augenblick könnte ich sagen; DAS stört mich nicht - weil ich das dann sowieso nicht hören muß

    Im zweiten Augenblick ist indes zu befürchten, daß sie dann ihre Werke auf klassischen CD "einschmuggeln"

    womit man etwas mitkaufen muß, das man gar nicht will.

    Mich erinnert das an die 70er Jahre, wo man mit gradezu sadistischem Vergnügen seitens der Konzertveranstalter

    an Mozart- oder Haydn-Konzerte (etc) einzeigenössische Werk anfügte.

    Anfangs ist man dann entweder nach der Pause gegangen - oder oder man ist - je nach program - erst nach der Pause gekommen

    Als die Veranstalter das herauskriegten haben sie voll Hinterlist und Tücke, das oder die zeitgenössischen Werke . so eingefügt, daß man nicht entkommen konnte.

    Ich habe dann aufgehört ins Konzert zu gehen und das Geld in Schallplatten und meine Stereoanlage investiert..


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Das entspricht durchaus dem Großteil aller heutigen Interpreten -Früher hat man es wenigsten "versucht"

    "Früher" war es im Gegenteil selbstverständlich, dass man alte Musik an den Geschmack und die Besetzungs- und Stilgepflogenheiten der eigenen Zeit angepasst hat. Niemand wäre auf die Idee gekommen, z.B. Bach "historisch korrekt" zu spielen oder das auch nur anzustreben. Auch beim Notentext war man "früher" wesentlich unbedarfter: Urtext-Ausgaben gab es bis Ende des 2. Weltkriegs bzw. bis zur Gründung des Henle-Verlags 1948 nur vereinzelt, und bei vielen Komponisten bzw. Werken dauerte es noch Jahrzehnte, bis sie endlich erschienen. Statt dessen waren "instruktive" Ausgaben üblich, bei denen z.B. Mozarts Notentexte mit einer wahren Flut von nicht kenntlich gemachten Änderungen und Ergänzungen zur Dynamik, Artikulation, Phrasierung usw. überschüttet wurden. Unsere Studenten kommen manchmal mit solchen Ausgaben (die man heute kostenlos bei imslp findet) in den Unterricht, von wo ich sie dann meist direkt ins Notengeschäft bzw. die Bibliothek weiterschicke ;).


    Auf jeden Fall versuchen sie auch ihrer "Kreativität" freine Lauf zu lassen - indem sie selber Komponieren

    Im ersten Augenblick könnte ich sagen; DAS stört mich nicht - weil ich das dann sowieso nicht hören muß

    Im zweiten Augenblick ist indes zu befürchten, daß sie dann ihre Werke auf klassischen CD "einschmuggeln"

    womit man etwas mitkaufen muß, das man gar nicht will.

    Dass manche der heutigen Interpreten auch komponieren, ist keine neue Erscheinung sondern das Wiederauferstehen einer vom 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts noch weit verbreiteten Praxis.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)