Anmerkungen zum Gebrauch dieses Textes:
Dieser Text ist lang. Sie werden schnell feststellen, ob dieser Text Ihnen irgendetwas sagt. Sollte dies nicht nach dem zweiten Absatz schon gelungen sein: Lesen Sie nicht weiter, es wird nichts folgen, das Ihr Urteil ändern würde. Die folgenden Sätze geben ausschließlich die Meinung des Verfassers wider und könnten Zweifel am Verstand desselben auslösen. Lassen Sie ihn. Er tut nichts. Er will nur spielen…
Man gestatte mir diesen Thread, auch wenn es z.B. diesen hier schon gibt, der sich aber meines Erachtens eher der Auslese verpflichtet fühlt und sich dementsprechend zu positiv gibt Ich möchte hier im Rahmen der Klassischen Musik über ein Phänomen sprechen, das es wohl eben in dieser Ausprägung sowieso nur in den Künsten geben kann. Ja, okay, in den Geisteswissenschaften auch. Aber die Naturwissenschaftler sind da schon drüber hinaus…
(Wenn ich schon dabei bin, vorab Erlaubnisse einzuholen, so möchte ich dieses Unterfangen ausweiten auf den Umstand, im folgenden Thesen darzubringen, darob so mancher Teilnehmer dieses erlauchten Kreises pikiert den kleinen Zeigefinger zu heben sich befleißigt fühlen möge, sollte er unter dem wahnhaften Zustande leiden, den zu sezieren der Threadsteller sich nun zu erdreisten wagt: Den gemeinen Dünkel!) Sollten sie diesen letzten Satz relativ schnell erfaßt haben und keinerlei Unterschiede zu ihrer Alltagssprache feststellen, dann leiden Sie definitv darunter. Oder, was wahrscheinlicher ist, ihre Umwelt…
Ich möchte mit diesem, zugegeben, langen Thread einige Behauptungen unreflektiert in den Raum werfen und bitte um Unterstützung oder Kritik.
Nun, welchen Dünkel treibt die Forenteilnehmer in diese heiligen Hallen? Es gibt mehrere Typen, will man Schubladen bemühen. Und man kommt kaum aus ohne sie (die Schubladen natürlich). Die wahrscheinlich größte Schublade ist die, in der sich die tummeln, die meinen, es gäbe keine.
O, wie ich sie beneide, die, die allen Ernstes behaupten, es gäbe keinen Unterschied zwischen E- und U-Musik. Natürlich gibt es den. Aber seltsamerweise verläuft diese Grenze nicht unbedingt da, wo der Dünkelhafte sie gerne ziehen würde. Dass man sich als Klassikfachmann (ich benutze diesen Ausdruck auch für das leider etwas unterquotige weibliche Forenpersonal) abschätzig über Popmusik äußert, gehört beinahe zum guten Ton, allein, diese Aussagen sagen meistens mehr aus über den, der diese Aussagen tätigt, als über die, über die sie getätigt werden. Dass sich im Pop- und Rockbereich sehr wohl sehr gute ausgebildete Musiker tummeln, die in der Lage sind hervorragende Musik zu machen, kann nur der anzweifeln, der ernsthaft einer DVD einer Frau-Diavolo-Aufführung mit einem lächerlich kostümierten Hermann Prey beiwohnen kann, ohne auch nur eine Sekunde mit den Mundwinkeln zu zucken. Dass Popmusik nicht nur aus Dieter Bohlen besteht, sollte sich auch im Kundenkreis eines Luigi Nono herumgesprochen haben. (Wobei man sich hier die Frage stellen darf: Wem würde ich eher im Dunkeln begegnen wollen: Fans von Nono oder Bohlen?)
Es gibt weiterhin den bildungsbürgerlichen (humanistischen) Dünkel, der alleine aus dem Umstand seiner genossenen Erziehung einen Standesunterschied generieren will, was den Träger dieser education als ausgemachten Monarchen ausweist und man sich allen Ernstes fragen muss, ob er der freiheitlichen Grundordnung einer Demokratie überhaupt gewogen ist. (Hier sollte man über die Gefahren klassischer Musik in Demokratien genauer nachdenken. Ich denke an einen Ethikrat, der, bestehend aus Sonderschullehrern, Theologen und Bäckereifachverkäuferinnen, genaueres dazu beschließen möge.) Hierunter fallen vor allem Leute, die in der Lage sind, mehrere Instrumente zu spielen und mehrere Sprachen antiker Speiseölländer gleichzeitig zu hören. Der Dünkel dieser Klientel besteht vorzugsweise aus dem Umstand, dass sie gerne und oft unaufgefordert betonen, dass sie es nie heraushängen lassen würden, eine Symphonie von Ries dem neuen Album von Elton John zu bevorzugen. Die Namen Mozart und Beethoven werden freilich gar kaum mehr gebraucht. Eher fallen Namen wie Pleyel, Krommer und Dominantseptakkord, und ein augenzwinkernder , konspirativer Hinweis auf den sechsunsiebzigsten Takt des Prager „Don Giovannis“, geschmückt mit einem „Du-weißt-was-ich-meine“-Lächeln, was selbstverständlich dem Genuß eines „Slayer“-Albums eine gewisse absurde Note verleihen kann. Auch der Begriff der Aleatorik, sonst in Lehrerzimmern zuhause, wenn es um die Abschlusszeugnisse geht, wird gerne als Parfum des Geistes gereicht, ob die beteiligte Umwelt nun dies wünscht oder nicht.
Leider ist ein Großteil dieses Standes nicht in der Lage, eine Gemütsregung nachzuvollziehen, die man in freier Wildbahn als „Ironie“ bezeichnet. Ist dieses Klientel noch durchaus imstande, den „Humor“ einer verlängerten Fermate diebisch auszukosten, streikt sie jedoch bei gewissen Respektlosigkeiten, die man ihrer Kulturbeflissenheit zumutet. Sie erschrickt über jedes „flapsige“ Wort. Ja, sie hält es für gänzlich ausgeschlossen, dass jemand sich der Matthäus-Passion mit Inbrunst widmen kann, um anschließend zwei Flaschen Tequila (und auf keinen Fall eine Flasche Chateau Unbezahlbar) zu vernichten damit man endlich in der Lage ist auf der E-Gitarre („Das ist kein Instrument, das ist eine Straftat!“) „La Grange“ fehlerfrei herunter zu spielen. Und sie hält es nicht nur für nicht möglich, sie kann diesen vorigen Satz gar nicht verstehen (La Grange? *malschnellimMGGnachschlag*)
Soweit ein kurzer Abriss über den „negativen“ Dünkel. Natürlich gibt es auch einen positiven Dünkel. So einen, wie ich ihn besitze, zum Beispiel. Ich finde mich nett, intelligent, attraktiv und humorvoll. Und ich schätze klassische Musik. Ich kann sie sogar mit Gewinn hören und nicht nur als Prestigeobjekt einsetzen. Ich spreche eine Fremdsprache akzentfrei. Ich kann präzise argumentieren, warum ich Hegel für einen Wegbereiter des Faschismus halte. Und wenn Sie mir ernsthaft erklären wollen, Sie wären keineswegs dünkelhaft, dann erliegen sie dem Schlimmsten aller Dünkel. Dem Dünkel der Dünkellosigkeit. Und woran dünkeln Sie so?