Vergleichendes Hören - Laster oder Selbstquälerei ?

  • Liebe Taminoaner und Mitleser


    Vergleichendes Hören ist das A und O eines Kritikers und natürlich auch eines Foren-Amateurrezensenten.
    Nur so- so sollte man meinen - lassen sich interpretatorische Leistungen "neutral" beurteilen.


    Meine Erfahrung hat mich aber gelehrt, daß dies allenfalls eine Halbwahrheit ist, wenn nicht überhaupt ein Trugschluss.
    Da stellt man fest, daß das Orchester A unter dem Dirigenten X "klangschöner" spielt, während Orchester B unter dem Dirigenten Y "mehr Biß hat" wogengen die Aufnahme des Orchesters C unter dem Dirigenten (richtig geraten !!) Z die lyrischen Stellen eines Werkes besonders herausarbeitet . etc etc.


    Besonders beim unnmittelbaren Vergleich habe ich ungefähr jenes Gefühl, welches wohl mancher Weinverkoster hat, wenn er Spitzenweine verkostet - letzlich schmeckt keiner mehr.


    Ich neige daher immer mehr dazu - Aufnahmen nicht analytisch vergleichend zu beurteilen- sondern das subjektive Gesamtwergebnis auf mich wirken zu lassen - quasi aufs "Vermessen" zu verzichten.


    Manche Aufnahme die in unmittelbarem Vergleich mit "Spitzenaufnahmen " in einzelnen Disziplinen immer wieder den Kürzeren ziehen würde - blüht - für sich allein betrachtet - ohne den Stress des Vergleiches - zu ungeahnter Schönheit auf.


    Aber es legt ja nicht jeder Wert auf apollinarische Schönheit......


    Auch andere Vorzüge können erkannt weerden -OHNE dass man Vergleiche zu Rate zieht. Es wird immer eine Frage des persönlichen Geschmacks bleiben.


    Wenn ich beispielsweise 10 Referenzausfnahmen der "Schönen Müllerein" an Hand eines von mir ausgewählten Liiedes kritisch gegenander stelle - dann habe ich eigentlich keinen Eindruck vom Gesamtwerk - aber mir ist nachher schwindlig....


    Wie haltet Ihr das ?



    mfg


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist ein sehr interessantes Thema. Ich habe gemerkt, dass verschiedene Dirigenten einen einzigartigen Stil haben. Ich bin dann gespannt, wie dieses Werk bei dem Klingt und wie dieser Dirigent jenes Werk dirigiert. Ich nutze diese vielfältigen Möglichkeiten viel mehr zu meinem Vergnügen, als um eine Aufnahme oder einen "Interpretationsansatz" zu verreißen. Ich höre eine Bachkantate unter Herreweghe und fühle mich warm und eng umschlossen. Ich höre die selbe Kantate unter Gardiner und erlebe das gleiche Stück anders. Das ist großartig! Ich höre ein Mozartoper unter Böhm und die gleiche Oper unter Jacobs. Das sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze das Werk zu interpretieren! Keine der Versionen ist schlechter als die andere. Mal mag ich die mehr, mal die andere.


    Ich werde mir auch bald die Schöpfung unter Harnoncourt antun :D

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zur Überschrift "Vergleichendes Hören - Laster oder Selbstquälerei ?": Wenn ich Musik höre, dann quäle ich mich nie! ;)


    Wenn Vergleichshören bei mir dazu führte, bestimmte Werke nicht mehr schätzen zu wissen, dann hätte das Vergleichshören eindeutig den Zweck verfehlt.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Etwas wichtiges wurde in der Einführung bereits genannt:


    Zitat

    Ich neige daher immer mehr dazu - Aufnahmen nicht analytisch vergleichend zu beurteilen- sondern das subjektive Gesamtwergebnis auf mich wirken zu lassen - quasi aufs "Vermessen" zu verzichten.


    Ich sehe weder Sinn noch Spaß darin, verschiedene Interpretationen bzw. Aufnahmen miteinander zu vergleihen. Wenn ich eine Interpretation zu etwas in Relation setzen möchte, dann zu der Partitur des Werkes, was mich aber, zumindest beim Kennenlernen in der Regel überfordert. Und nach dem Kennenlernen überfordert es mich auch, da ich dann schon zu sehr vorgeprägt bin.


    Erst nach unzähligem Hören, Partiturlesen und sonstigem Befassen mit dem Werk bilde ich es mir im Einzelfall verstärkt ein, bewertend hören zu können, da sich im Laufe der Zeit"mein" Bild von dem Werk herausgeschält hat. Dann gelingt das interpretatorische Hören auch mit weniger Mühe. So gut habe ich allerdings nur wenige Werke verinnerlicht.


    Zitat

    Vergleichendes Hören ist das Aund O eines Kritikers und natürlich auch eines Foren-Amateurrezensenten.


    Ein Werk, bei dem mir eine neutrale Beurteilung gelingt, kann für mich nichts wert sein.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Wenn ich eine Interpretation zu etwas in Relation setzen möchte, dann zu der Partitur des Werkes, ..


    Oder zum eigenen Geschmack, was vermutlich die meisten Kritiker tun - deswegen sind sie ja so unsinnig. :D

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  • Salut,


    Vergleichshören hat unter Umständen doch einen Sinn: Den nämlichen, eine Interpretation zu finden, die einem persönlich bessser oder im Idealfall am besten gefällt. Dabei kommt es bei mir im Regelfall zu [gedanklichen] Äußerungen wie Die Holzbläser sind in der Einspielung XY viel schöner und transparenter im Klang als bei Z... - Merkmale, die für mich maßgebend sind, die ein oder andere Einspielung zu bevorzugen.


    Ich höre allerdings selten bewußt vergleichend, da ich meistens gar nicht die Möglichkeit habe, solches zu tun: Es ermangelt mir an der Mehrzahl von Einspielungen. In der Regel reicht mir eine und die wird nur ersetzt, wenn sie so oder so ähnlich ist.


    Ich bin schon auf Obsis Antwort gespannt :pfeif:


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Alfred,


    ich halte ein Vergleichshören für sehr wichtig. Das fing bei mir schon zu Zeiten der LP an, da habe ich oft Stunden in Schallplattengeschäften verbracht und gehört um die Aufnahme zu kaufen die mir am besten gefällt. Denn damals wollte ich möglichst wenig doppelt haben und direkt mit dem ersten Kauf "das Richtige" treffen.
    Das ich mit Karajan, Solti und Bernstein und bei den Russen bei Rosh, Swet und Mraw da meist auf der für mich sicheren Seite war, das wissen wir :D !


    Der Gedanke würde mich rasend machen, auf einer "schlechten und miesen" Aufnahme eines Werkes sitzen zu bleiben um damit quasi ewig meine Zeit zu verschwenden.
    Das Tamino-Forum gibt dazu unendlich viele Hinweise zu "der" Aufnahme zu kommen, wenn man sich nicht schon seine Meinung gebildet hat. Aber ich bin gerne lernfähig und habe mich auch hier und da schon überzeugen lassen, andererseits habe ich auch festgestellt, daß andere Meinungen auch nicht immer meinen Vorstellungen entsprechen.


    Ein Beispiel:
    Ich hatte mit als erste Dvorak-CD die preiswerte Naxos-Aufnahme der Sinfonien Nr.4 und 8 mit Gunzenhauer gekauft. Schon nach den ersten Takten war mir klar, das das eine lahme blutleere Aufnahme war, die auch nicht an meine alte LP-Kassette aller Dvorak-Sinfonien mit Rowicki heran kommt, mit der ich aber auch nicht zufrieden war. Erst ein zufälliges Rundfunkhören der Sinfonie Nr.8/Dohnanyi führte dann zur unendlichen Begeisterung auch gleich zum Kauf der CD. Jetzt weis ich: Eine bessere Aufnahme der Sinfonie Nr.8 wird es für mich einfach nicht mehr geben als die mit Dohnanyi auf Decca.
    X( Was wäre das für eine Schande, wenn ich auf der Grunzenhauer-Aufnahme sitzen geblieben wäre.
    Wie soll man solche Positiv-Ergebnisse ohne Vergleichshören erzielen ??? Das geht nicht !


    Inzwischen hat sich meine Meinung mehrere Aufnahmen von einem Werk zu haben grundlegend geändert, sodaß ich die "TOP-Werke" fast alle mehrfach auf CD besitze um zu hause in Ruhe mehrere Aufnahmen zum Vergleich zu haben. Man möchte diese auch nicht missen, da oft mehrere Aufnahmen wirklich gut sind.


    :) Es gibt viele Werke die ich viele Jahre lang in einer Aufnahme favorisíert habe um dann durch das Tamino-Forum angeregt doch noch durch Vergleichshören einer noch besseren Aufnahme kennengelernt habe - Beispiel: Berlioz-Symphonie fantastique mit Bernstein /NewYorker PH.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Guten Morgen,


    ich hoffe, dieser Thread ist nicht entstanden, weil es hier nicht weitergeht :O :O


    Ich habe fast sechs Stunden lang diese drei Einspielungen gehört, sogar einzelne Stellen miteinander verglichen (z.B. die STelle im langsamen Staz, wo auf einmal dieses Schicksalsthema reingedonnert kommt), aber für eine vernünftige, schlüssige und nachvollziehbare Rezension reichten meine Höreindrücke einfach nicht aus.


    Seltsamerweise funktioniert das rückwärts bei mir, das heisst, wenn ich hier etwas lese über eine bestimmte Einspielung, dann kann ich das beim hören nachvollziehen.


    Meine Vergleiche beschränken sich momentan noch auf Zeitangaben und Aufnahmequalität :O, aber ich denke, man kann das kritische Hören mit der Zeit erlernen.

  • Vergleich-hören ist bei mir ganz von selber gekommen, jedenfalls bei Werken, die mir wichtig sind! Bei manchen Sachen ist es mehr "passiert", bei anderen sammle ich gezielt verschiedene Aufnahmen, die Winterreise zB wird noch öfter den Weg in mein Regal finden.
    Manche Sachen sind so eindeutig anders, dass es einen vom Sessel haut, auch wenn man nicht so versiert ist im Hören. Ich habe die Beethoven-Symphonien unter Wand kennengelernt, ich glaube mit einem Bayrischen Orchester. Sie haben mir wahnsinnig gut gefallen, ich bin richtig drin versunken und habe wochenlang nur mehr diese CDs gehört (bzw Symphonie 1/3/5/9 - mein Beitrag zur Reihung...)
    Dann habe ich mir die Rattle Einspielung gekauft und sie mit der von Wand verglichen: mir hats speziell bei der Neunten fast die Socken ausgezogen :D
    Ich denke, dass war für mich auch so deutlich, weil hier ja die Stimme "mitspielt", und ich für menschliche Stimmen ein besseres Ohr (wörtlich) hatte als für Instrumente, ich hörte (warscheinlich weil ich selber sang) die Unterschiede mehr heraus. Die allerdings waren ganz schön gross, während der Chor bei Wand mehr statisch oder sagen wir, wie ein breites Band wirkt, ist er bei Rattle viel akzentuierter. Und schon das "Freunde, nicht diese Töne" haut einen (mich jedenfalls) ziemlich um.


    Sehr spannend finde ich auch die Momente, bei denen ein Eindruck entsteht, der objektiv gesehen gar nicht da ist. Sagen wir, ein Lied von Schumann dauert bei Bostridge 2.05, bei Hampson 1.55, der Eindruck vermittelt einem aber das Gegenteil...


    Oder: Gestern habe ich gleich in meine Neuerwerbung reingehört: Bostridge singt Schubert-Lieder, darunter auch den Erlenkönig. Am Klavier: Julius Drake. Am Anfang hab ich mir gedacht: Hilfe, der legt los! Danach hab ich gleich als Vergleich die Prey-Aufnahme herangezogen, das überraschende Ergebnis: beide dauern gleichlang, beide Pianisten scheinen in etwa auch das gleiche Tempo zu haben, aber Drake spielt viel akzentuierter und erweckt dadurch bei mir den Eindruck, schneller zu sein.


    Fazit: ohne Vergleich wär Musik fader...ich liebe den Vergleich!

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Besonders beim unnmittelbaren Vergleich habe ich ungefähr jenes Gefühl, welches wohl mancher Weinverkoster hat, wenn er Spitzenweine verkostet - letzlich schmeckt keiner mehr.


    Wenn ich ein Werk noch gar nicht kenne, komme ich um vergleichendes Hören gar nicht herum - es gibt nur ganz wenige Namen, von denen ich unbesehen eine CD kaufen würde und selbst dann falle ich schon mal auf die Nase...


    Bei Werken, die ich schon kenne, kommt es dann schon eher mal zum Lustkauf ohne vorheriges Hören - noch 'ne Matthäus-Passion vielleicht.


    Jürgen

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

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  • Vergleichshören ist etwas, das sehr viel Spaß macht. Man kann dadurch die verschiedenen Facetten eines Werks besser kennenlernen. Regelmäßig mache ich so etwas, um intensiv an bestimmte Werke heranzugehen, da sonst nur querbeet gehört wird und dabei kaum ein tiefgreifender Eindruck hängen bleibt. Es gibt also bestimmte "Projekte", zu denen systematisch komplette Werkzyklen eines Komponisten oder einzelne Werke in verschiedenen Aufnahmen vergleichend gehört werden.
    Der Nachteil liegt im enormen Zeitaufwand, so dass es teilweise in Stress ausartet, was auch irgendwann durch die "Abstumpfung" bzgl. der Werkhöhepunkte bedingt wird, weswegen man irgendwann meist nur noch widerwillig das ganze Projekt beendet - man will ja auch wieder anderes hören :D
    Vor Neuerwerbungen wird meist auch im Internet probegehört und mit anderen Einspielungen verglichen...
    Durch die Radiosendungen "Kaisers Corner" sowie Attila Csampais Interpretationsvergleiche habe ich erst so richtig Lust auf vergleichendes Hören bekommen - leider ist es auch anstrengend :pfeif:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Sagitt meint:


    Hintereinander ? selten. Aber es ist ja was im Ohr. Das kann dann verblassen oder auch täuschen, aber warum kaufe ich die 20te Aufnahme des B-Konzertes von Brahms oder anderer Werke ?


    Immer auf der Suche nach der ultimativen Aufnahmen. Ganz ultimative habe ich wenige. Na ja, dann bricht noch der SAMMLER durch. Ich bin einfach neugierig, wie der Pianist XYZ das Konzert spielt. Obwohl ja kaum einer an Zimerman herankommt !


    Durch die verschiedenen Aufnahmen haben sich Werke oftmals in ihrer Vielfalt gezeigt. Die Matthäus-Passion zB ist ein Brilliant mit so unendlich Reflektionsflächen, die dann durch unterschiedliche Interpreten angesprochen werden.


    Grossartig, dass es die Vielfalt gibt.


    P.S. Mich erfreut gerade Werner Hollweg als Tenor bei Harnoncourt im Messias.

  • Laster oder Selbstquälerei? Weder noch, sondern unentbehrliche Hilfe beim Verständnis und Genuß des Werkes.


    Ich gehe aber der Gefahr, der Teleton IMHO erlegen ist, systematisch aus dem Weg, sonst kann man ja nie zufrieden und entspannt ein Werk hören! Vergleichshören soll sich für mich nicht in Details verlieren, sonst verliert man das Werk aus den Augen.


    Ein richtiges Vergleichshören kommt aber - das räume ich ein - relativ selten vor, denn meist fehlen mir Zeit und Muße. Das kann man nicht zwischen Tür und Angel erledigen, und man muß auch in Stimmung sein. Aber dann macht es mir viel Spaß, zumal ich es nicht bei jedem Stück mache, sondern nur bei Werken, die mich ganz besonders interessieren, zB Eroica, La Mer, Beethovens Klaviersonaten, Schuberts Winterreise, Mozarts Entführung.


    Durch Vergleichshören wird erst richtig die Faszination deutlich, die von klassischer Musik ausgeht!

  • Hallo,


    ich höre nur vergleichend, wenn es sich gerade anbietet. Da ich eher darauf fixiert bin, neue Sachen kennenzulernen, spielt die Interpretation nicht die Überrolle bei mir.
    Dennoch habe ich bei einigen Werken das Gefühl, dass ich eine andere Sichtweise brauche und dann besorge ich mir schon ein paar andere Einspielungen davon und vergleiche dann. Das ist mir bis jetzt aber auch nur bei großen, bedeutenden Werken vorgekommen. Wahrscheinlich deswegen, weil es im Randrepertoire auch immer wenig Alternativen gibt.



    Gruß, Peter.

  • Vergleichshören ist aufwändig und leider oft auch teuer. Aber es ist doch, bei den Musikstücken, die einem wichtig sind, unverzichtbar, um bewegende und prägnante Interpretationen zu finden. Manchmal habe ich darüber erst nach Jahren wirklich den Zugang zu einem Stück gefunden (das gilt für mich z.B. bei so allgemein bekannten Werken wie dem Lied von der Erde). Dafür muss ich leider auch viele Missgriffe in Kauf nehmen - aber die Schätze, die man findet, sind es wert.


    Vielleicht ist auch die unaufhörliche Suche und das nicht Nachlassen des Interesses an bestimmten Stücken ein hoher Wert.


    Im übrigen: Die geliebten Stücke nutzen sich für mich nicht ab, wenn ich sie immer wieder mit anderen Akzentuierungen hören kann. Das ist ein Reichtum, eine Fülle, die man genießen kann.


    Schöne Formulierungen habe ich bei George Steiner (in: Von realer Gegenwart, Hanser Verlag München 1990, S. 19) gefunden:


    "Jede Aufführung eines dramatischen Textes oder einer Musikpartitur ist eine Kritik in der Kernbedeutung des Begriffes: sie ist ein Akt eindringend reagierender Zuständigkeit, der Sinn erst sinnlich erfahrbar macht. (....) Keine Musikwissenschaft, keine Musikkritik kann uns so viel sagen wie die Aktivierung von Bedeutung, die in der Aufführung selbst liegt. Erst wenn wir verschiedene Interpretationen, und das heisst Aufführungen, desselben Balletts, derselben Symphonie oder desselben Streichquartetts erleben und miteinander vergleich, betreten wir das Reich der Erkenntnis."


    Etwas emphatisch, aber es liegt Sinn in der immer wieder neuen Suche. Dass wir daran teilhaben und zum Entstehen immer neuer Interpretationen durch unser Interesse beitragen, erweckt diese Musik immer wieder zum Leben.


    Also nicht nachlassen. Selbst nicht bei den Beethoven Symphonien.


    Mit besten Grüßen


    Matthias


    Selbst wenn man manchmal so aussieht:


    [/IMG]

    Tobe Welt, und springe,
    Ich steh hier und singe.

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  • Vergleichendes Hören? Ja, unbedingt. Aber nur um zu bewerten und zu rezensieren, wie eingangs angeführt? Nein. Sondern um zu lernen.


    So jedenfalls geht es mir. Wenn ich Musik höre, möchte sie zuerst genießen, ich will sie zu mir sprechen lassen, will mich für die Musik öffnen. Aber gleich darauf möchte ich sie verstehen. Und da ist das Anhören unterschiedlicher Einspielungen eines Werkes, sogar das sezierende Hören weniger Takte, ein wunderbares Hilfsmittel.


    Der Vergleich mit der Weinprobe, den Alfred Schmidt in seinem Eröffnungsposting gemacht hat, ist treffend: Wie schmeckt dieses Riesling, der auf Sandstein gewachsen ist? Und wie jener aus dem Nachbardorf, der gleiche Jahrgang, aber von Schieferboden? Und noch einmal ein Schluck hiervon, und wieder ein Schluck von den anderen.


    Was nicht zutrifft, ist die Ansicht, dass am Ende keiner der Weine mehr schmeckt. Oh nein. Im Gegenteil. Weinproben schulen die Zunge. Und "Musikproben" schulen das Ohr. Warum nimmt Günter Wand an dieser Stelle das Tempo zurück? Wie hört sich das bei anderen Dirigenten an? Und irgendwann reift die Erkenntnis: Nur so kann Bruckner das gemeint haben. Wieder etwas gelernt.


    Insofern ist die Eingangsfrage falsch gestellt. Beim vergleichenden Musikhören hat man nicht nur die Alternative "Laster oder Selbstquälerei". Für mich ist vergleichendes Hören "lehrreicher Genuss".


    Alfons

  • Zitat

    Im übrigen: Die geliebten Stücke nutzen sich für mich nicht ab, wenn ich sie immer wieder mit anderen Akzentuierungen hören kann. Das ist ein Reichtum, eine Fülle, die man genießen kann.


    Eine Aussage, die sich zum Einstieg in dieses Forum geradzu anbietet, so dass ich zunächst hier ein Häufchen fallenlassen will bevor ich dann brav meinen Beitrag zum Vorstellungsthread verfassen werde.


    Ich kann nur voll beipflichten.


    Es ist immer wieder verblüffend für mich, wie "anders" Stücke in verschiedenen Interpretationen klingen können - ich hielt z.B. den langsamen Satz von Beethovens dritter Violinsonate solange für ein ziemlich wenig bemerkenswertes Stück bis mich dann Hilary Hahn in einem Münchener Sonatenabend in geradezu schockierender Weise eines Besseren belehrt hat und mir die Ohren öffnete für die brucknersche Tiefe dieses so bescheiden anmutenden Satzes.


    Ähnliches gilt für die Einspielung des vierten und fünften Beethoven'schen Klavierkonzerts durch Herrn Schoonderwoerd und das Ensemble Cristofori - Stücke die ich seit ich denken kann immer und immer und immer wieder gehört habe und doch kaum wiedererkenne, so sehr blitzen und funkeln die Reflexe dieser neuen Drehung des Brillanten, ganz im Sinne Schubert/Bruchmanns "wenn der Mensch zum See geworden/ in der Seele Wogenspiele/ fallen aus des Himmels Pforten/ Sterne ach gar viele, viele".


    Gut, kein dichterisches Meisterwerk, aber treffend und von Schubert in eines der anrührendsten und beseligendsten Lieder verwandelt die ich kenne.


    Oder die Einspielung der Vierten Bruckner unter Herreweghe: eine Offenbarung an klanglicher Subtilität, Reichtum der Schattierungen, Ausgewogenheit des Ensembleklanges und ein Bruckner ganz ohne strahlenden Blechbläserglanz, dafür warm, rund und reich.


    Schon der erste Celloton im langsamen Satz wird da zum Ereignis - seitdem höre ich nicht nur dieses Stück mit anderen Ohren.


    Womit ich mich erstmal zum Schreiben meiner Selbstvorstellung zurückziehe.


    Melodienselige Grüße,
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Hallo


    Ich wurde teilweise falsch verstanden - Natürlich ist es ein Genuss etliche Interprtationen eines Werkes zu kennen und . zu besitzen , gar keine Frage.


    Was ich meinte - war die Gegenüberstellung - jemand nannte es treffend "sezieren" einiger markanter Punkte eines Werkes - im Gegensatz zum sich einer Interpretation ausliefern - ohne Wenn und aber - und sich völlig den SUBJEKTIVEN Klangerlebnis hingeben...


    BTW für die Neuen:


    Meine Threadtitel sind manchmal ein wenig "reisserisch" :baeh01:


    LG


    aus Wien


    ALfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Robert,


    Zitat

    Ich gehe aber der Gefahr, der Teleton IMHO erlegen ist, systematisch aus dem Weg, sonst kann man ja nie zufrieden und entspannt ein Werk hören! Vergleichshören soll sich für mich nicht in Details verlieren, sonst verliert man das Werk aus den Augen.


    ?( Ich verstehe nicht welche Gefahr Du meinst ?
    Ich höre sehr entspannt Musik und ein Vergleichshören eines Werkes macht unheimlich Spaß, weil man dann am Ende seine Aufnahme gefunden haben kann, die einen viele Jahre glücklich und zufrieden macht.
    Das dann immer mal noch eine weitere noch bessere Aufnahme folgen kann, das hatte ich in meinem beispiel erwähnt.


    Ein Vergleichshören muß auch nicht dierekt hintereinander passieren, denn das kann in Stress ausarten, wie Barezzi zwischen den Zeilen auch anmerkt. Wenn man nach einiger Zeit eine andere Aufnahme des gleichen Werkes hört, entstehen so auch neue Erkenntnisse und man durch die vergleiche nur lernen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Wolfgang
    Mein Auge blieb an diesem Satz (in Fettdruck) hängen:


    "Der Gedanke würde mich rasend machen, auf einer "schlechten und miesen" Aufnahme eines Werkes sitzen zu bleiben um damit quasi ewig meine Zeit zu verschwenden."


    Ich hatte mir das so vorgestellt, daß Du Gefahr läufst, beim Hören der Werke von einem nagenden Gefühl besessen zu sein, irgendwo könne es noch eine bessere Interpretation geben. Es dürfte für viele Werke "bessere" Interpretationen geben. Wer weiß, was noch in den Archiven der Plattenfirmen schlummert oder noch auf Schellackplatten vorhanden ist.


    Du mußt zugeben, bei der deutlichen Betonung des obigen Satzes kommt man eher nicht auf die Idee, Du würdest entspannt Musik hören :hello:



    @Alfred
    Was für das ganze Werk gilt, gilt auch für einzelne Teile, zB einzelne Lieder aus der Winterreise, Passagen aus dem ersten Satz der Eroica usw. Also sowohl sezieren als auch Hingabe an das subjektive Erlebnis.


    Am Ende dient freilich die Sezierung einzelner Teile nur dazu, das Verständnis des ganzen Werkes zu fördern und den Genuß des subjektiven Erlebnisses zu erhöhen. Es macht für mich wenig Sinn, wenn sich das Vergleichshören darin erschöpft, kleine und kleinste Unterschiede im Detail festzustellen.

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  • Da ich vorhabe die vergleichendn Besprechungen von Beethovens Siebter voranzutreiben, die Pianoflo begonnen hat, werde ich nun die siebte vergleichen hören.
    Hier bieten sich 2 Alternativen an:


    Satz für Satz die verschiedenen Aufnahmen miteinander zu vergleichen.
    Der Vorteil liegt hier darin, daß man die verschiedenen Interpretationen noch einigermaßen im Kopf behalten kann. "Genuss" ist solches Hörverhalten jedoch keines.


    Drei mal die ganze Sinfonie durchzuhören. Hier wäre der Vorteil des "geschlossenen Ganzen" zu erwähnen - die Faszination der einzelnen Interpretationen wird nicht "zerstückelt" sondern kann sich jeweils voll entfalten.....


    mal sehen wie ich mich entscheide...



    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Höre grundsätzlich immer ganze Werke Vergleich - alleine um schon zu vermeiden, dass man zu sehr ins Mikrodetail geht und dann kaum mehr eine Vergleichbarkeit auf Makroebene hat (besonders langsamere und im Gesamten durchdachte Aufnahmen schneiden da erfahrungsgemäß weniger gut ab...)
    Natürlich muss man sich jede Aufnahme mehrfach zu Gemüte führen :P
    Und zwar über einen längeren Zeitraum (mindestens mehrere Tage) und zwar zuerst jede Einspielung mind. zwei Mal anhören und danach immer mal die eine und dann die andere Aufnahme...
    Ganz schön zeitaufwändig :rolleyes:
    Jetzt wisst Ihr auch, warum so was sich bei mir immer hinzieht und teils gewisse Motivationsprobleme nach sich zieht, wenn man es gescheit machen will :pfeif:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Vor einigen Tagen habe ich mit dem Kurzstückmeister drei Versionen von Haydns Sonfonie Nr 45 hintereinander gehört - und wir haben (sonst eher unüblich) miteinander subjektive Eindrücke ausgetausche und verglichen.
    Auf diese Weise kann Vergleichshören durchaus musikalischen Genuss verursachen - die Analytik bleibt jedoch leider auf der Strecke: Sollte ich nun Resumé ziehen, das wäre wohl eher sehr allgemein gehalten...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !