Gigantisch - Ludwig von Beethoven der Symphoniker - das Maß aller Dinge ?

  • Liebe Forianer,


    Bei der Durchsicht aller Threads habe ich festgestellt, daß das Thema Beethoven offenbar schon lange nicht mehr erörtert wurde, die meisten Beiträge stammen aus dem Jahre 2005.


    So stelle ich heute eine Frage, die ich insgeheim schon lange beschäftigt (eigentlich sind es mehrere Fragen )


    Was ist es, das Beethoven so über seine Zeitgenossen stellt, wie konnte es sich so entwickeln - basierend auf Haydn und Mozart ?
    Gab es weitere Wurzeln ?
    Und vor allem: Warum gibt es so wenige "Parallelkomponisten" ?
    Damit meine ich, daß es sehr wohl Komponisten gab, die im Geiste Mozarts komponierten (inwieweit sie das Vorbild erreichten soll hier nicht diskutiert werden), ähnliches lässt sich über Joseph Haydn sagen.


    Welche Komponisten hat Beethoven beeinflusst - und wenn es keine (oder fast keine) gab - warum nicht ?


    Jene Komponisten die dennoch der Beethovennähe verdächtigt, bzw bezichtigt wurden - warum erreichten sie in der Regel nur einen eher bescheidenen Bekanntheitsgrad (mal euphemistisch gesprochen) ?


    Letztlich: Was zeichnet eine Beethoven-Sinfonie aus - macht sie quasi unverwechselbar ??


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Einfallsreichtum! Ähnlich wie bei Mozart. Ich nehme an Beethoven war ein außergewöhnlicher Mensch. Jemand der mit solchen Sachen aufwartet ... Ihn zu kopieren wäre einfach peinlich für einen anderen Komponisten. Früher mag das einfacher gewesen sein, da musikalisch vieles, was Beethoven gemacht hat, sicherlich undenkbar und schockierend gewesen wäre. IndividuellenEntfaltungsmöglichkeiten, die er wohl gehabt hat, oder sich herausgenommen hat oder ein Mischung aus beidem machen diese Musik so unvergleichlich! Bei allen diesen brachialen und außergewöhnlichen Ideen bleibt Beethoven doch stets sehr ellegant.


    Beethoven ist ein Meister, den ich langsam zu schätzen lerne. Dafür sind die Momente umso intensiver.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Salut,


    Du kannst Bruckner ruhig nennen - er knüpft [im weitesten Sinne] an den Kopfsatz Beethovens 9. durchaus an... :rolleyes:


    Beethoven war etwas mehr als Musik - das ist der eigentliche Unterschied, den bereits Robert Schumann feststellte. Beethoven knüpft hier schon merkbar an späten Mozart und Haydn an, keine Frage, aber er treibt es weiter. Und Schumann z.B. würde ich auch als Quasi-Fußstapfentreter bezeichen. Er schrieb in der Allgemeinen Zeitung [Konzertbericht]:


    Es ist wahr, zum Verständnis jener späteren Beethovenschen [Werke] gehört mehr als blosz Lust zum Hören; der empfänglichste, offenste Musikmensch wird ungerührt von ihnen gehen, wenn er nicht tiefe Kenntnis des Charakters Beethovens und dessen späterer Aussprache überhaupt mitbringt.


    Wichtig in Beethovens Spätwerken scheint vor allem die sehr viel detailliertere Dynamik zu sein. Damit vollendete Beethoven das, was bereits "später" Mozart begonnen hat. Die fast unendliche Vielfältigkeit dynamischer Anweisungen [forte non legato, sempre p e dolce, poco cresc., sfpp, ppp, cres.---sf, espressivo---ten...] macht einen großen Teil der Wirkung der Werke aus. Bereits Kraus hat Dynamik mit vollen Händen ausgeschüttet und wird daher gerne mal eher in die Nähe Beethovens gerückt, als in die Mozarts. Mozart beispielsweise erfand das "mfp" [mezzofortepiano], weil ihm die bisherigen dynamischen Zeichen nicht mehr reichten - seine Musik machte - im Gegensatz zu den heute eher weniger bekannten zeitgenössischen Komponisten - ein Aussage. Beethoven verlor sich dabei im Detail, wie bereits Kraus. Hier ist übrigens der Unterschied zwischen den Kraus-Eispielungen von Concerto Köln und dem Schwedischen Kammerorchester spürbar, auf den ich großen Wert lege: Die feinste Abstufung der Dynamik, wie vorgeschrieben. Bei frühen Mozartwerken - auch Zeitgenossen - ist die Dynamik weniger wichtig, es gibt ein Laut, ein Leise, vielleicht ein Anschwellen seit der Mannheimer Schule... Beethoven setzt - wie Kraus - ganz gezielte Akzente [Betonungen] in der Musik auf unterschiedlichste Art und Weise, weshalb auch die "Interpretationen" weitaus mehr abweichen können, als bei den "Wiener Klassikern", Frühklassikern und Barockern. Mozart deutet auf die Romantik hin, Kraus und Beethoven sind für mich bereits erste Romantiker.


    Und auch mit den Tempi experimentierte Beethoven sehr - nicht umsonst widmete er lange Zeit der Beschäftigung mit dem Mälzel'schen Metronom. Von Salieri beeinflußt allerdings, ließ er - auch aus eigener Überzeugung - wieder davon ab.


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • seit ein paar Tagen höre ich auch wieder vermehrt Beethoven, das kam dadurch, dass ich mich momentan sehr für Musik der Revolutions -Epoche und der Ära Napoleons interessiere.
    Aus diesem Kontext heraus ist die Musik Beethovens viel besser für mich zu verstehen.


    Wenn man die Revolutionshymnen und den ganzen musikalischen Umschwung dieser Zeit betrachtet so verwundert es nicht das Beethoven so schrieb wie er schrieb.
    Ich glaube nicht mehr, dass man ihn zur "Wiener Klassik" zählen kann und sollte. Seine Musik hat für mich mit dem Stil eines Haydn oder Mozart überhaupt nichts mehr zu tun.


    In seinen Symphonien schwebt der Revolutionspathos mit und nicht umsonst gab es ja einige Werke die er Napoleon widmete. Vergleicht man die französische Musik dieser Zeit, wird klar woran sich Beethoven orientierte.
    Allerdings werde ich mir wohl auch hier verstärkt Aufnahmen zulegen die in HIP gemacht wurden - ich denke da ist ist die "romantische" Sichtweise total fehl am Platze.
    Besonders stark ist mir das bei der 9. Symphonie aufgefallen, wäre die Ode an die Freude in frz. Sprache verfasst worden, so würde man keinen Unterschied zu den patriotischen, bzw. Freiheitsliedern der Zeit erkennen.
    Deshalb würde ich eher davon ausgehen, dass Beethoven beeinflußt wurde und nicht umgekehrt.
    In der Nachfolge mag das ja so gewesen sein.


    Mich persönlich stößt dieser Bombast eher ab, gerade in der Missa solemnis. Oftmals habe ich das Gefühl, dass er es mit den Effekten einfach übertreibt. Die Symphonien sind eben ein Monument der Musikgeschichte und so stellen sie sich auch für mich da - musikgewordener Empire Stil.
    Ich finde Beethoven in seinen kammermusikalischen Werken und Klaviersonaten viel persönlicher und sie berühren mich auch viel eher.


    Aber wie gesagt ich empfinde Beethovens Musik absolut nicht als romantisch, auch deshalb nicht weil ich ja meist versuche die Musik auch auch aus dem Kontext ihrer Zeit heraus zu sehen.

  • Salut,


    es ist natürlich die Frage, was man als "romantisch" auffasst - Mozart und Haydn galten in der Epoche Romantik als Romantiker; Mozart, Haydn, Beethoven komponierten "Romanzen". Schuberts Oper "Fierrabras" - man muß sie nicht kennen - ist eine "Heroisch-romantische" Oper. Es wurde also derzeit [noch] zwischen Heroischem und Romantischem unterschieden. Heute gehört eigentlich beides in einen Topf!? Es ist eben persönliche Geschmacksache, ob man den Liebreiz einer Mozart-Romanze als "romantisch" bezeichnen will, oder ob es dazu mehr bedarf. In dem [ersteren] Sinne wäre Schuberts 5. Sinfonie [genannt "Mozart-Sinfonie"] als "Romantische" zu bezeichnen - oder aber die 4. Sinfonie, welche "Tragische" heißt...!? Für mich sind Beethoven, Haydn, Schubert und Mozart jedenfalls romantischer als Schumann, Mendelssohn und Brahms. Die Epoche Romantik entfacht sich wohl mit der frz. Revolution, beim einen mehr, beim anderen weniger - auch wenn die Phase der Hochromantik [vielleicht] "offiziell" erst nach 1828 beginnt... Zur Romantik gehört für mich eine gehörige Portion Heroismus, der ist bei Beethoven - spätestans ab der Eroica [!] vertreten. Dazu kommt eben die von mir oben erläuterte feine Dynamik [die eigentlich selbst heroistische Züge enthält, z.B. fff], aber eben auch die liebreizend-romantischen Züge eines ppp. Eben diese Übertreibung, von der Du auch schreibst, ist für mich ein eindeutiges Indiz für die Romantik. In der so genannten Hoch- und Spätromantik wurde dies dann alles noch weitaus mehr vertieft [übertrieben? Mahler: 8. Sinfonie].


    Epochal ist Beethoven ohnehin nicht dingfest zu machen, seine frühen Werke klingen noch extrem nach Mozart und Haydn, die späten absolut nicht mehr.


    Der Revolutionsgedanke ist absolut richtig angeführt - er gehört auch zur Romantik, wie ich finde. Die gesamte Revolution hat ja beinahe schon etwas von einem "romantischen Epos". Beethoven schätze z.B. Ètienne-Nicolas Méhul sehr - er dürfte ein Vorbild für Beethoven gewesen sein und wird ja auch [wohl deswegen] als "französischer Beethoven" bezeichnet. Wenn auch manche Méhul nicht mit Beethoven vergleichen wollen oder können, so ist doch der Grundtenor deutlich erkennbar: z.B. das Schwärmerische, Heldenhafte in der Musik... ganz deutlich bei Beethoven sind auch das Loslösen von den Formen als sehr romantische Elemente zu finden. Die beginnende Industrialisierung, der Zunahme an Stadtleben [gegenüber Landleben] "weckten" quasi die Romantiker [eigentlich Nostalgiker]. Beethoven sehe ich ganz sicher als Mitbegründer der romantischen Epoche an.


    Zitat

    Ich finde Beethoven in seinen kammermusikalischen Werken und Klaviersonaten viel persönlicher und sie berühren mich auch viel eher.


    Kammermusik klingt stets intimer, was an der Besetzung liegt. Im Gegensatz aber zu den "echten" Wiener Klassikern wie Mozart, bei denen die Kammermusikwerke wirklich persönlicher [und auch für den eigenen Gebrauch] komponiert wurden, sind Beethovens Kammermusikwerke wie auch die Sinfonien von seiner persönlichen Weltanschauung geprägt. Aus beiden Genres spricht ein Beethoven zu uns, der uns etwas sagen will.


    Zitat

    Welche Komponisten hat Beethoven beeinflusst ?


    Ach so - um auf diese Frage einzugehen: Ganz sicher Franz Schubert. Nur hatte der nicht viel Zeit, es umzusetzen...


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Erst mal ein paar Annäherungen meinerseits:


    1. Als ich mit Beethoven angefangen habe, dabei die übliche Epocheneinteilung im Kopfe habend, dachte ich für mich: Was für ein Quatsch! Wie kann B etwas mit Mozart und Haydn zu tun haben? Der klingt doch völlig anders! Später, nachdem ich viel mehr gehört hatte, revidierte ich diesen Eindruck teilweise. Der Einfluß der beiden ist im Frühwerk unverkennbar. Und doch: B geht IMHO weit, weit über die "Wiener Klassik" hinaus (ich halte inzwischen von der Epocheneinteilung nicht einmal als Gedankenstütze mehr etwas). Das macht unter anderem Bs Größe aus, er geht so viel weiter als alle, von denen er gelernt hat und beeinflußt worden ist, weiter als seine Zeitgenossen. Ein Quantensprung sozusagen. Natürlich bei den Symphonien, aber noch mehr bei den Klaviersonaten und der Kammermusik (am meisten bei den Streichquartetten). Was danach kommt, ist im Kern Weiterentwicklung, Ausformung dessen, was B. vorgegeben hat. Bis Debussy.


    2. Ich sehe die geistige Wurzel Beethovens nicht direkt in der franz. Revolution, sondern eher - was sein Menschheitspathos angeht. zB in der 9.Symphonie oder Fidelio - in verschiedenen Ideen der Aufklärung (die auch eine geistige Grundlage der Revolution war).


    3. Geht man von Wackenroder, Tieck, E.T.A.Hoffmann und anderen Zeitgenossen aus, muß Beethovens Musik als romantische Musik par excellence bezeichnet werden. Damit steht sie ganz im Kontext der Zeit. Das Heroische ist nur ein zeitweiliger, eher untergeordneter Aspekt in seinem Schaffen, Pathos paßt schon eher. Man darf sich nicht von dem aus Bequemlichkeitsgründen in der Musik geschaffenen Begriff der Romantik fehlleiten lassen, sondern sollte Beethovens Musik in Zusammenhang mit dem geistes- und kulturgeschichtlichen Begriff der Romantik stellen.


    4. Mein Tip an den Lullisten:
    HIP ist bei B. schon okay. Ich habe auch Norrington, Gardiner und Brüggen hier stehen (Brüggen ist der beste). Zinman oder Harnoncourt sind auch zu empfehlen. Es stimmt auch: Nichts tötet die Freude an B schneller als eine heruntergenudelte ( sprich "handwerklich versiert, in bester Kapellmeistertradition") Symphonie von B.. Aber nie, NIE, wirst Du Bs Symphonien in ihrer ganzen Wucht, Schönheit und Tiefe auskosten, wenn Du sie nicht von einem Dirigenten wie Furtwängler oder Mengelberg gehört hast. Am besten beide in Liveaufnahmen!

  • Hallo,


    die Frage nach dem besonderen in Beethovens Musik, welche Komponisten er beeinflusst hat etc. werden in der Rubrik betreffend Orchestermusik gestellt, abgeschlossen mit der Frage, was eine Sinfonie des Meisters auszeichnet.


    Mir fallen auf diese Frage kaum Antworten ein, die sich nicht auf die Bereiche Beethovens Klaviersonaten und insbesondere seiner Kammermusik in weitaus größerem Maße beziehen würden als auf die Sinfonien. Die Frage, was das gigantische besonders an Beethovens Sinfonien und weniger gleichzeitig an seinen anderen Werken ist, ist nicht leicht zu beantworten, aber interessant.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Ich denke schon, dass es richtig ist (und die Zeitgenossen wie Hoffmann sahen das ja auch schon so) Beethoven als "Erben" von Haydn und Mozart zu verstehen. Er knüpft ganz klar bei ihren Formen, Techniken und insbesondere eben auch bei dem neugewonnenen hohen Rang der "absoluten" Musik an. Erst seit Mozarts und Haydns späten Sinfonien hatte diese Gattung eine "Würde", die der Oper und dem Oratorium vergleichbar war. Beethoven setzt aber, anders als es in klassizistischen Werken (wie etwa frühe Schubert-Sinfonien oder einiges von Mendelssohn) nicht die Formen als Schemata fort, sondern orientiert sich an den ausdrucksstärksten und kompositorisch anspruchsvollsten Aspekten der Vorbilder. Natürlich erweitert er den Ausdrucksreichtum ebenso wie er die radikale Autonomie der Instrumentalmusik derart steigert, dass die Nachfolgegeneration kaum direkt anknüpfen kann, sondern oft meinte wie etwa Berlioz, in der Musik poetische Ideen umsetzen zu müssen. Ebenso ist zumindest von der Tendenz her bei Beethoven als erstem Komponisten explizit, dass sich das Publikum gefälligst nach ihm zu richten hat, nicht umgekehrt. Er zieht konsequent durch, was ihm vorschwebt, wenn wer nicht mitkommt, hat er halt Pech gehabt, dann wird man die Sonate eben in 50 Jahren spielen.


    Für die orignelleren Komponisten der nächsten Generation hat Beethoven daher häufig "negative" Bedeutung, obwohl er das große, teils erdrückende Vorbild ist. Gerade in der Sinfonik sehe ich höchsten in Schumanns 4. den Versuch bei Beethoven anzuknüpfen (Schubert 9. könnte man nennen, aber Schubert und dessen Verhältnis zu Beethovens Musik ist ein wirklich schwieriger Fall), dann eher wieder bei Bruckner und Brahms. Wichtiger für Schumann scheinen mir eher idiosynkratischen Werke wie "An die ferne Geliebte" und die Diabelli-Variationen zu sein (die Abegg-Var., Papillons und Davidsbündlertänze sind alle eine Art von freien Charaktervariationen mit tänzerischem Grundcharakter)
    Beethoven scheint interessanterweise in seiner Zeit recht isoliert: er ist sowohl hinter seiner Zeit zurück, nämlich bei Haydn und Mozart als auch ihr weit voraus. Den ein wenig jüngeren Zeitgenossen Hummel, Weber, Rossini usw. steht er m.E sehr fern, was teils auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheint (Weber meinte nach dem Hören der 7. Sinfonie Beethoven sei reif fürs Tollhaus). Ich kenne von dem hier mehrfach genannten Ries nichts; etwa gleichzeitig mit Beethovens Sinfonien kenne ich zwei von Krommer (*1760), die würde ich stilistisch als zwischen dem späten Haydn und Beethoven liegend einordnen.


    Die Begriffe "Klassik" und Romantik bringen nicht viel weiter, solange sie bloße Etikette sind: Ulli hat ja darauf hingewiesen, dass z.B Hoffmann Mozart ebenso wie Beethoven "romantisch" nennt. Vielleicht ist Beethoven sui generis (aber das ist jeder wirklich überragende Künstler), dennoch halte ich den Bruch nach Beethoven (Schumann, Mendelssohn usw.) für ziemlich deutlich, ebenso wie die Abkunft von Mozart und Haydn. Dabei ist klar, dass solche Relationen fast nie simple Brüche oder Fortschreibungen sind, sondern "dialektische Evolutionen" auf der Basis des Vorhergehenden.


    Um die Ausgangfrage zu beantworten: Für fast alle Komponisten des 19. Jhds. wurde Beethoven als das Maß aller Dinge (in der Sinfonik, aber auch der anderen Instrumentalmusik) gesehen (der Kopfsatz von Mahlers 2. enthält m.E noch Echos der "Neunten"); sie reagierten selbstverständlich aber recht unterschiedlich darauf.


    Den Zusammenhang zur Revolutionsmusik halte ich für eher lose. Der Witz bei der 5. Sinfonie ist nicht der "eclat triomphale" (oder wie das heißt), sonder die damals unerhörte Verbindung von Ausdruck, äußerster Konzentration und Ökonomie der musikalischen Mittel und die viel stärkere "Einheit" des Werks (von Mozart wurden mitunter noch die Sätze einer Sinfonie über den Konzertabend verteilt, das ist natürlich auch hier schon nicht werkgemäß, bei Beethoven wäre es undenkbar). wodurch ein Spannungsbogen vom ersten zum letzten Takt gebildet wird.


    Das "Gigantische" betrifft m.E. alle Werkgattungen gleichermaßen. Schon op. 1 und op. 2 (besonders #3) oder auch op. 7 sind wesentlich größer, "sinfonischer", dimensioniert als entsprechende Werke von Mozart u. Haydn, selbst wenn diese Dimensionen bei diesen frühen Werken noch teilweise durch "äußerliche" Brillanz erzielt werden. Man muß bei den bloß äußerlichen Dimensionen, aber auch vom Ausdruckspektrum auch im späteren 19. Jhd. lange suchen, um Werke zu finden, die etwa der Kreutzersonate, dem Quartett op. 59,1, derm Trio op. 97 oder gar Spätwerken wie op. 106 oder den letzten Quartetten vergleichbar wären. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass Beethoven keineswegs ein einseitiger Titan war, sondern eine Fülle von eher lyrischen oder humorvollen Stücken hinterlassen hat.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Salut,


    Robert, Uwe und Johannes haben tolle Ergänzungen eingebracht, denen ich alle uneingeschränkt zustimmen kann. Zum Glück braucht - und kann! - nicht einer alles erwähnen. Nur eine Kleinigkeit bei Johannes -


    Zitat

    Den Zusammenhang zur Revolutionsmusik halte ich für eher lose


    Wahrlich nicht! Es fängt ja bereits bei Gossec oder auch Pleyel an. Es geht nicht prinzipiell um die Revolutionsmusik oder die Revolution als solche - sondern um mindestens einen der Grundgedanken: Die Freiheit - bei Beethoven [jedenfalls in der 9.] auch um die Brüderlichkeit. Und auch bei Mozart bzw. den Freimaurern spielt ja dies bereits eine - nein DIE tragende Rolle: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Dazu natürlich noch Humanität, Weisheit [bzw. Erreichenwollen derselben], Freundschaft - hab ich etwas vergessen?


    Joseph II. war bereits ein Aufklärer - er duldete die Freimaurer wegen der Gleichgesinntheit, gleichzeitig mochte er sie nicht, da sie ja eine Gefahr für das Regime darstellten. Er hat es aber ganz gut gelöst, wie ich meine. In Frankreich hingegen sind die aufklärerischen Gedanken auf wesentlich fruchtbareren [nicht so verkopften] Boden gefallen - es gab die Revolution [die im eigentlichen natürlich nichts mit dem Freimaurertum zu tun hat]. In D scheiterte ein solcher Revolutionsversuch. Aber das Feuer war da... bei Beethoven - vielleicht bei Schubert?


    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Hallo,


    selbst wenn Schubert in dieser Hinsicht revolutionäre Anwandlungen gehabt haben sollte, hätte er sie schwerlich unverstellt ausdrücken können. Revolutionäre Bestrebungen wurden insbesondere nach 1815 in der Zeit der Restauration durch die Metternichsche Polizeizensur gnadenlos unterdrückt, insofern hätte Schubert seine Sympathien z.B. in den Liedzyklen bestenfalls stark codiert ausdrücken können. Dichter Wilhelm Müller ("Winterreise", "Schöne Müllerin") hat den Unabhängigkeitskampf der Griechen gegen die osmanischen Besatzer vehement unterstützt, aber die Sache der Hellenen war ja im westlichen Europa ohnehin ziemlich populär.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Salut,


    ich habe ja nicht behauptet, Schubert habe Revolutionsgedanken gehabt. Es geht ja um die musikalische Ausdrucksweise - Schubert hat in jedem Falle Beethoven mehr als verehrt und hat [von seinem Verständnis aus betrachtet] in Beethovens Sinne komponiert - jedenfalls, was die späteren Sinfonien betrifft [unvollendete und "Große"]. Der Freiheitsdrang ist da nach meinem Spüren sehr deutlich zu empfinden. Daß aufkeimende Revolutionsgedanken - wann auch immer - unterdrückt wurden, ist ja klar: Das war bereits bei Mozart/Figaro bzw. bei der Vorlage v. Baumarchais der Fall.


    Schubert ist ja erst nach der frz. Revolution geboren - Beethoven davor. Darin liegt vermutlich der Haken, warum Schubert es nicht schaffte, Beethoven [für uns!] zu "kopieren". Dennoch ist er unerreicht! Er eiferte Beethoven jedoch nach. Vielleicht war es mangelndes Verständnis für Beethovens Intentionen - Schubert hatte es ja nicht "miterlebt" [Beethoven auch nicht unmittelbar, aber jedenfalls mittelbar], Schuberts "Liedertexter" aber durchaus. Schubert "lebte" bereits das, was andere vorgekaut hatten, er ist da hineingeboren, während Beethoven die Revolution zunächst mit Begeisterung - später mit Enttäuschung von dem "Helden" - vertonte. Das konnte Schubert natürlich nicht.


    Und doch gibt es zumindest gerade in der Zeit um 1815 Anhaltspunkte dafür, dass Schubert sich mit der Thematik beschäftigte:


    D81 Auf den Sieg der Deutschen
    D104 Die Befreier Europas in Paris
    D110 Wer ist wohl groß?


    Aber vermutlich war Schubert niemand, der sich als Aktiver in Revolutionsgedanken - damals gerade 18 Jahre alt, somit nicht einmal volljährig! - ergoß. Der Obsi wird's wissen... :P



    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich kann Ulli nur zustimmen.
    Man muß sich doch nur die Zeit ansehen wann Beethoven lebte - er wurde 1770 geboren, bekam also die Umwälzung direkt mit.


    Mir ist dieser Zusammenhang erst klar geworden als ich mich verstärkt mit Musik dieser Zeit beschäftigt habe, soetwas läßt keinen Künstler unberührt - kann ihn nicht kalt lassen - die Revolution hat Europa für immer verändert - und Beethoven soll das nur so am Rande beachtet haben, nein da spricht seine Musik eine andere Sprache.

  • Zitat

    Original von Ulli


    Wahrlich nicht! Es fängt ja bereits bei Gossec oder auch Pleyel an. Es geht nicht prinzipiell um die Revolutionsmusik oder die Revolution als solche - sondern um mindestens einen der Grundgedanken: Die Freiheit - bei Beethoven [jedenfalls in der 9.] auch um die Brüderlichkeit. Und auch bei Mozart bzw. den Freimaurern spielt ja dies bereits eine - nein DIE tragende Rolle: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Dazu natürlich noch Humanität, Weisheit [bzw. Erreichenwollen derselben], Freundschaft - hab ich etwas vergessen?


    Joseph II. war bereits ein Aufklärer - er duldete die Freimaurer wegen der Gleichgesinntheit, gleichzeitig mochte er sie nicht, da sie ja eine Gefahr für das Regime darstellten. Er hat es aber ganz gut gelöst, wie ich meine. In Frankreich hingegen sind die aufklärerischen Gedanken auf wesentlich fruchtbareren [nicht so verkopften] Boden gefallen - es gab die Revolution [die im eigentlichen natürlich nichts mit dem Freimaurertum zu tun hat]. In D scheiterte ein solcher Revolutionsversuch. Aber das Feuer war da... bei Beethoven - vielleicht bei Schubert?


    Du hast völlig recht, ich finde es ebenfalls wichtig, den größeren Zusammenhang zu sehen und der ist die Aufklärung, die nicht nur zu Revolutionen führen muß, sondern auch zu einer aufgeklärten Monarchie (wenngleich das von den meisten Aufklärern wohl nur als Übergangsphase zur Republik gesehen wurde). Aber den Kontext dieser allgemeinen Ideen bestreite ich gar nicht, und der betrifft zumindest teilweise auch schon Mozart, nicht nur wegen der Freimaurerei, sondern auch Figaro und Don Giovanni (Viva la liberta)
    Den Zusammenhang mit Revolutionshymnen, -märschen usw. halte ich jedoch für eher oberflächlich. Erstens betrifft er höchstens die 5., 9. (und die eigentlich auch nicht wirklich; die Ode ist an die Freude, nicht an die Freiheit, z.Zt. der tiefsten Restauration komponiert)
    vielleicht noch 7. Sinfonie und Fidelio und zweitens ist das wie schon ausgeführt auch bei diesen Werk ein eher untergeordnetes Element, rein musikalisch betrachtet. Selbst wenn ein paar Sätze wie "Volksreden" wirken mögen, steht bei Beethoven m.E. das Individuum im Vordergrund, nciht ein Kollektiv
    (und diese Msuik ist ja ähnlich doppelgesichtig wie die Revolution selbst, wenn sie -C'est le Empereur- ebensogut zur Huldigung Bonapartes dienen kann).


    viele Grüße


    JR

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  • Salut,


    jetzt hast Du aber die Dritte unterschlagen... 8o


    Bei der 9. meinte ich ja nicht die 'Freiheit', sondern die 'Brüderlichkeit':


    ...


    Alle Menschen werden Brüder,
    Wo dein sanfter Flügel weilt.


    ...


    Froh wie seine Sonnen fliegen,
    Durch des Himmels prächt'gen Plan,
    Laufet, Brüder, Eure Bahn,
    Freudig, wie ein Held zum Siegen!


    Seid umschlungen, Millionen!
    Diesen Kuss der ganzen Welt!
    Brüder, über'm Sternenzelt,
    muss ein lieber Vater wohnen!


    ..oder von mir aus die Freundschaft, das ist unverfänglicher: Oh Freunde, nicht diese Töne!


    Ist das eigentlich Selbstironie oder Zukunftsmusik?


    Gute Nacht,
    Ulli

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Welche Komponisten hat Beethoven beeinflusst - und wenn es keine (oder fast keine) gab - warum nicht ?


    Salut,


    die Frage hat Charles Rosen in seinem Buch "Der Klassische Stil" in Kapitel VII. beantwortet:


    [...] Auch die Musik seiner [Beethovens] jüngeren Zeitgenossen (abgesehen von Schubert) und der auf seinen Tod folgenden Generation übte sein Werk, obwohl geschätzt und bewundert, keine Wirkungskraft aus. Erst bei Brahms und in den späteren Opern von Wagner spielte es eine bedeutsame Rolle. Das hohe Ansehen, das seine Musik genießt, läßt uns diese Tatsache verkennen, wie es auch in der Tat die Musiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blendete. Nur 'An die ferne Geliebte', ein Scherz unter seinen Formen, spielte eine wichtige Rolle in der Musikentwicklung um 1830 und 1840. Sein sonstiges Werk war keine Inspirationsquelle, sondern eine Bürde und Last für den Stil seiner unmittelbaren Nachfolger. [...]


    Bei anderen Komponisten führte Beethovens Leistung zu katastrophaler, notwenig katastrophaler Nachahmung. Mendelssohn und Brahms imitierten die Hammerklaviersonate mit einmalig plumpem Resultat. Schumanns Sonaten und Symphonien werden von Beethovens Vorbild dauernd beschämt, ihr Glanz bricht durch seinen Einfluß hindurch, aber geht nie davon aus.


    Alles, was an der nächsten Generation faszinierend ist, entsteht entweder als Reaktion gegen Beethoven oder entspringt dem Versuch, ihn zu ignorieren und neue Wege zu gehen. [...]


    Ich denke, das genügt vorerst.


    Wenn Rosen auch für meinen Geschmack Brahms, Mendelssohn und Schumann etwas zu stark abwertet, so trifft er doch die Sache im Kern: Beethovens Halbwertzeit war einfach zu groß! Er selbst sagt - oder schreibt - ja sinngemäß, dass man seine Musik erst in 50 Jahren verstehen würde; offensichtlich hatte er damit Recht. Die Musikwelt war mit einem Beethoven überfordert.


    Wenn ich das Scherzo aus Schuberts 6. Sinfonie höre, so glaube ich stets, reinsten Beethoven zu hören - ich denke gar nicht an Schubert! Bei Ferdinand Ries 5. Sinfonie in d-moll hingegen bin ich ganz bei Ries und komme bei einem Gelegenheitsausflug mal in Beethovens Nähe.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)