Bewegende Momente in der Kammermusik

  • ...Wie bitte? Bewegende Momente und Kammermusik, schließt sich das nicht aus? :)


    Ganz im Gegenteil. Wie ich meine, gibt es eine Reihe von wahrlich bewegenden Momenten in Kammermusikwerken. Was meint Ihr? Selbstverständlich sind die bewegenden Momente nicht vergleichbar mit denen der Oper, in der es häufig vordergründig um Emotionen zur Handlungsverstärkung geht. In der Kammermusik geht es dagegen naturgemäß etwas dezenter zu, aber, auf eine andere Art, nicht unbedingt weniger bewegend.


    Ich erinnere mich an den dritten Satz, das Andantino, von Claude Debussys Streichquartett. Nach der Steigerung durch Crescendo und Tonerhöhungen im Hauptteil dieses Satzes erlöst die Violine endlich im f oder ff mit einer ergreifenden, leidenschaftlichen Melodie, die für Momente das Herz öffnet.


    Wie oft habe ich damals, noch im Schallplattenzeitalter, diese Stelle aufgelegt? Die Platte war nachher fast zur Unkenntlichkeit zerkratzt.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • welch eigenartigen gegensatz insinuierst du da? 8o
    ok, als rethorische finte ist es leicht zu erkennen (und ertragen) ;)


    eben, gerade die kammermusik ist durch ihren intimeren, konzentrierteren habitus prädestiniert, bewegung in die emotionen zu bringen.


    ehe es theophilus tut :D, möchte ich d956 anführen, wie überhaupt praktisch alle streichquartette vom schubert.
    oder: haydn, streichquartett hobIII:76/2, das quintenquartett, sowie hobIII:81,82,83, seine letzten drei.
    und...
    und...


    alii continuent!


  • "praktisch alle Streichquartette von Schubert" ist nun wirklich kein "bewegender Moment". Auch ein ganzes Werk nicht. Damit der thread nicht zu einer Duplikation von "Dein liebstes Kammermusikstück" wird, muß man sich schon auf einzelne Stellen beschränken... :rolleyes:


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ja, ist etwas unscharf, zugegeben mein gestrenger.
    aber ich hab mich gewundert, dass so ein thread nicht sofort abschnurrt.


    und ich bin halt leicht zu bewegen :]


    taktzahlen und zeitangaben folgen demnächst -aber ganz woanders! ;)

  • Schon an anderer Stelle von mir beschwärmt:


    Schönberg: Streichtrio (1946)


    Der zerklüftete Anfang (Herzinfarkt) und dann die "romantisch"-expressive Fortsetzung. Das ist die Kammermusikstelle, die mich am meisten bewegt.

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  • Hallo,


    Wie J.R. bereits erwähnt, fänd ich es schön, besondere MOMENTE herauszustellen. Manche Werke sind natürlich von vorne bis hinten in einem gleichmäßigen Fluss, bei dem einzelne Stellen nicht herausragen. Bei anderen Werken, s.o., treten manchmal ja doch besonders bewegende Momente, die sich einprägen, eindrucksvoll hervor.


    Als zweites Beispiel möchte ich Arnold Schönbergs Streichsextett "Verklärte Nacht" angeben. Nach ungefähr zwei Dritteln des Werkes entspannt sich die Atmosphäre, dann wird aus einer beruhigenden Pause heraus ein einfaches, aber wirkungsvolles Thema gespielt. Wohl jeder, der das Werk kennt, weiß, was ich meine. Aus dem Kopf heraus weiß ich leider nicht, welche Szene des Gedichtes von Dehmel diese Stelle verkörpert.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat


    Schönberg: Streichtrio (1946)


    Der zerklüftete Anfang (Herzinfarkt) und dann die "romantisch"-expressive Fortsetzung. Das ist die Kammermusikstelle, die mich am meisten bewegt.


    Dem schließe ich mich an, daran musste ich auch sofort denken.


    Auf jeden Fall möchte ich hier noch Schnittkes Klavierquintett aufführen!
    Zweiter Satz "In Tempo die Valse", die Streicher spielen einen sehr traurigen Walzer. Wenn dann das Klavier hinzukommt mit dieser intimen, einfachen Melodie, könnte ich grad heulen manchmal...
    Sehr aufwühlend der ganze Satz. Mir läuft auch bei dem Teil immer ein Schauer über den Rücken, in dem das Klavier perkussiv eingesetzt wird.
    BUM da da BUM da da BUM da da BUM da da...


    Die Elegie aus Schostakowitschs fünfzehnten Quartett, schon die ersten paar Takte - das macht mich auch immer extrem traurig!


    Eine weitere Gänsehautstelle, diesmal eher von feiner Melancholie und nicht von herzzereißender Traurigkeit, ist in Schönbergs zweitem Quartett die Stelle, in der die Stimme einsetzt: "Tief ist die trauer, die mich umdürstet!" und die folgenden Takte mit der schönen Melodie...

  • Hallo,


    da sich ja unser observateur viennois selbst ausgebremst hat, komme ich doch noch zum Zug. ;)


    Also dann: Franz Schubert, Streichquintett D.956, Beginn des Adagio. Musik, die mit Worten nicht mehr beschreibbar ist, Musik, die in jeder Liste von Werken, die nicht mehr von dieser Welt sind, an ganz prominenter Stelle aufscheinen muss, Musik, die nur mit dem Attribut unendlich beschrieben werden kann. Unendlich schön, unendlich zart, unendlich empfindsam, unendlich ...




    (Hinweis für Schwerhörige und Uneingeweihte ;) : es gibt von Dvorák die Bagatellen Op. 47 für zwei Violinen, Cello und Harmonium. Wer dort hineinhorchen kann, vergleiche den Klang des Harmoniums mit dem Beginn - und auch den Schluss - des Adagios. Wenn es richtig gespielt wird, stellt man verblüfft fest, wie unglaublich nahe Schubert mit einer Violine und einer Bratsche an den Klang eines piano gespielten Harmoniums herankommt - ein Geniestreich! )


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Meine Lieblingsstelle im Schubert-Quintett ist das Trio; nach dem lebhaften Scherzo-Teil auf einmal diese fahle, resignative Musik.


    Dann ebenfalls eher kalten Schauder auslösend, die von Schostakowitsch sowohl im Finale des Trios als auch im 8. Quartett (ich glaube im 2. Satz) verwendete jüdische Volksmelodie.


    Ich habe aber eigentlich nicht so viele (oder eben zu viele) Lieblingsstellen und -sätze.


    - Rührend finde ich z.B. auch den Seitensatz in Beethovens op. 132,i eine Insel der Ruhe in einem sehr leidenschaftlichen Satz


    - Beethoven op. 59,1 3. Satz, besonders eine Stelle vor der Reprise (IIRC auch Adornos Lieblingsstelle), ein kleines Motiv geht auf einmal nach Dur und es schließt sich eine wunderbare melodische Phrase an. Dieser Satz ist aber ingesamt eines der ergreifendsten Stücke die ich kenne.


    - In Haydns op.20,2, 2. Satz Capriccio, die "cantabile" Melodie, zuerst ab T 34.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Sagitt meint:


    Abime des oieseaux aus fin tu temps- Messiaen.


    Schauder, den Rücken rauf und runter...................



    P.S. Gibt es eine Version mit Feidman ?

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  • Zitat

    Original von Theophilus


    da sich ja unser observateur viennois selbst ausgebremst hat, komme ich doch noch zum Zug. ;)


    ich wollte ja nur -forumfreundlich wie ich bin- den thread antauchen :O


    wie du weißt, war ich anderweitig voll in anspruch genommen.


    für jr: ;) (darf ich, sagitt?)
    d804/1 wiedereintritt des ersten themas in der reprise (bei mir hieße das auch gretchenquartett und nicht rosamunde)

    :hello:

  • Sagitt meint:


    da habe ich mir ja was Schönes eingebrockt. Ich habe nichts gegen Smilies :motz: , sondern mich nur auf die Reduzierung der Beiträge auf Kürzestfassung, smilies, oder private Rangeleien bezogen. Das war wohl misssssverständlich formuliert und nun darf ich mit südlicher Abstrafung rechnen.


    Danke


    Ein weiterer bewegender Moment: der Beginn des zweites Satzes von op. 81 von Dvorak,zB mit Bergquartett und Leonskaja.

  • ..da ich meine tochter noch nie in ihrem 6-jährigen leben bestraft und nur beste erfahrungen damit gemacht habe, werde ich das auch bei anderen menschen guten willens so halten :]


    mögen die wassergeister über uns kommen


    :hello:


    (für jr: d810/1, die ersten 30 sekunden, -nein, eigentlich...)

  • Zwei Stücke fallen mir - in puncto Kammermusik sicher kein wirklicher Experte - spontan ein, die mir schon einen Schauer verursachen, wen´n ich nur dran denke.


    1. die Cavatina aus op. 130 von Beethoven
    2. das 1. Streichsextett von Brahms, v.a. der erste Satz.


    Grúß
    vitelozzo-tamare

  • Friedrich Smetana, Streichquartett Nr. 1, "Aus meinem Leben", 4. Satz


    Der Satz beginnt so heiter und beschwingt (symbolisiert wohl Smetanas glücklichste Zeit) bis die große Katastrophe passiert - die plötzliche Ertaubung, dargestellt von einem lange gehaltenen, durchdringenden hohen e der 1. Violine. Ein musikalischer Moment, der mir immer wieder durch Mark und Bein fährt...



    Das ganze Werk ist eine Perle der Kammermusik und kommt hier im Forum überraschend selten zur Sprache.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Zitat

    Original von Theophilus
    Friedrich Smetana, Streichquartett Nr. 1, "Aus meinem Leben", 4. Satz


    Der Satz beginnt so heiter und beschwingt (symbolisiert wohl Smetanas glücklichste Zeit) bis die große Katastrophe passiert - die plötzliche Ertaubung, dargestellt von einem lange gehaltenen, durchdringenden hohen e der 1. Violine. Ein musikalischer Moment, der mir immer wieder durch Mark und Bein fährt...


    zwar "äußerlich", aber in der Tat sehr erschütternd:; ich hatte im entsprechenden thread auch schon eine Replik auf Uwes sehr negativen Kommentar in den Fingern, dann hat Michael Schlechtriehm dort auch auf diese Stelle hingewiesen.


    Zitat


    Das ganze Werk ist eine Perle der Kammermusik und kommt hier im Forum überraschend selten zur Sprache.


    Naja. Ein Blick ins Unterforum:
    Smetana "Aus meinem Leben" 6 Antworten
    Ravel Violinsonate 1 Antwort
    Beethoven op. 132 2 Antworten
    Brahms Cellosonaten 4 Antworten
    Schubert Oktett 7 Antworten


    Ist alles nicht viel, aber Smetana kommt noch ganz gut weg. Leider ist sein ebenfalls sehr packendes 2. Strecihquartett fast unbekannt...ein Klaviertrio gibt es auch noch...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Oje, da habe ich aber etwas gemacht. So negativ war mein Kommentar zu Smetanas Streichquartett aber auch nicht gemeint. Es hat eher den Hintergrund, dass ich mich generell eher der poetischen, also in sich selbst lebenden Kunst, heimisch fühle, während Smetana doch eher die Wirklichkeit, in diesem Werk wohl seine Lebensstationen, beschreibt und künstlerisch wiederspiegelt. Und dies natürlich ohne Frage meisterlich.


    Vom schlechten Gewissen angetrieben habe ich meine Aufnahme gerade noch einmal intensiv gehört. Da ich konkrete Hintergründe zu Smetana kaum kenne, war mir auch die Analogie zu seinen Lebenssituationen, auch seiner Taubhait, nicht bewusst. Es ist wahr, dass die betreffende Stelle im vierten Satz, besonders im Hinblick auf seine Biographie, sehr erschütternd und bewegend wirkt; dies höre ich jetzt ganz anders.


    Einen weiteren bewegenden Moment finde ich in Sergej Prokofjews erstem Streichquartett. Der erste Teil des dritten und letzten Satzes, des Andantes, hat ein wunderschönes Hauptthema, für mich eine regelrechte "Gänsehautstelle". Man möchte sie immer wieder hören, aber Prokofjev ist gemein und lässt uns nur zwei mal...


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo zusammen!


    Die bewegendsten Momente in der Kammermusik sind für mich:


    Schubert: Der Tod und das Mädchen sowohl die Liedfassung als auch das Streichquartett

    Schönberg: Verklärte Nacht Streichsextett und die Fassung für Kammerorchester


    Schostakowitsch: 15. Streichquartett

  • Eine kammermusikalische Stelle möchte ich erwähnen, die mir beim Anhören durch ihre Schönheit stets Befriedigung gibt: Ich spreche von Paul Hindemiths Frühwerk "Die junge Magd" (Sechs Gedichte von Georg Trakl für eine Altstimme mit Flöte, Klarinette und Streichquartett).


    Das erste Lied ("Oft am Brunnen, wenn es dämmert...") wird von den Streichern wunderbar mit einem Gefühl der schönsten Seiten der Melancholie eingeleitet. Mit einer leichten Veränderung klingt dieses erste Lied (nach "...dürres Gras neigt im Verfalle sich zu ihren Füßen nieder") gefühlvoll aus.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Unter den vielen bewegenden Momenten habe ich das Finale von Mozarts A-Dur Quartett KV 464 als ganz besonders empfunden, die Musik steigert sich allmählich in einen Taumel, der mich immer ergreift,
    und eigentlich weiß man bis zuletzt nicht, ob es ein Freudentaumel oder
    Verzweiflung oder etwa gar beides zugleich ist.


    Weniger bekannt aber trotzdem ganz hypnotisierend ist das "Adagio religioso" aus dem Klavierquintett in g-moll op.8 von Josef Suk. Ich finde es unvergleichlich, wie am Ende des Satzes die Stimmen langsam fahl und farblos werden und das recht konventionell beginnende Adagio sozusagen in ein Koma fällt.

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt.


    Arnold Schönberg

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  • Sagitt meint:


    Spontan denke ich heute an den Beginn des Klarinettentrios von Brahms.


    Ich habe eine herrliche Aufnahme mit damaligen Solocellisten der Wiener.Den Namen muss ich nachschauen.


    Nachtrag: Fritz Dolezal, Peter Schmidl, und Andras Schiff

  • Wenn im Variationssatz von Schuberts "Tod und das Mädchen" nach dem weit angelegten Decrescendo (der "Cello-Variation") mit Erreichen des Pianissimo die 1. Geige von den Sechzehnteln in Triolen übergeht - es ist 28 Takte vor dem Schluß, bei Peters Buchstabe S - ist das an innerer Bewegung noch zu übertreffen?


    Ja! Der fünfte Takt danach scheint genauso anzuheben - und entführt doch in den nachfolgenden vier Takten in eine noch ganz andere Welt... Zögerlich wagt sich der vorangehende Triolenaufgang d-e-fis-g-a hin zu der Pianissimo-Eins 24 Takte vor Satzende, und diese kann man nur noch hörend in sich hineinlassen, nicht beschreiben. Da gibt es keine diesseitige Eitelkeit mehr, keine Maske: Da geht es ums Ganze.


    Nicht etwa alle Aufnahmen spiegeln solch tiefes Erleben wieder. Aber manche. Zu ihnen gehört das Busch-Quartett.


    Ein Memento mori, das einem Schauer über den Rücken laufen läßt: zugleich Trost und Trauer. Wie kann ein Mensch nur solche Noten schreiben?

  • Hallo !


    Ein ganz beonders bewegender Moment für mich ist der Beginn der
    1.Cellosonate von Brahms.


    Das Thema, das dann vom Oktovenintervall unterbrochen wird, gehört für mich zu den schönsten Themen der Kammermusik und erwirkt bei mir immer einen wohlichen "Schauer" auf dem Rücken.


    Eine herrliche Aufnahme ist : du Pre / Barenboim


    Gruss
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms