Schumann, Robert: Kinderszenen. Leichte Stücke für das Pianoforte op. 15 (1838)

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    über die „Kinderszenen“ finden sich in allen Klavierführern zahlreiche Einführungen. Die „Träumerei“ ist wahrscheinlich das am stärksten verbreitete und am meisten gespielte Stück von Schumann, in unzähligen Fassungen und Klavierstunden.


    Aber hier ein paar nackte Zahlen:


    1. Von fremden Ländern und Menschen, halbe Note = 108
    2. 2. Curiose Geschichte, halbe Note = 112
    3. Hasche-Mann, halbe Note = 138
    4. Bittendes Kind, viertel Note = 138
    5. Glückes genug, viertel Note = 132
    6. Wichtige Begebenheit, halbe Note = 138
    7. Träumerei, halbe Note = 100
    8. Am Camin, halbe Note = 138
    9. Ritter vom Steckenpferd, punktierte ganze Note = 80
    10. Fast zu ernst, halbe Note = 69
    11. Furchtenmachen, halbe Note = 96
    12. Kind im Einschlummern, viertel Note = 92
    13. Der Dichter spricht, halbe Note = 112


    Wer mit einem Metronom ein paar Takte etwa aus dem 1. Stück oder gar der Träumerei anschlägt, wird überrascht sein. Das widerspricht allen gängigen Aufnahmen. Wie ist das möglich? Das ist ein Thema für die Musikwissenschaft, und Michael Struck hat bei einem Gesprächskonzert am 13. Mai 2006 in Bremen unter dem Titel „Der unbekannte (?!) Schumann“ ausführlich Stellung bezogen. Er bot es dar wie einen Kriminalfall.



    Kohlezeichnung von Eduard Bendemann nach einer Daguerrotypie, Dresden 1850. Dies war später Clara Schumanns Lieblingsbild von Robert. Dennoch hat es zum Bild beigetragen, Schumann sei etwas weltfremd.


    Hier geht es nicht um die künstlerische Freiheit, dass jeder Interpret sein eigenes Tempo findet und in welchem Ausmaß er sich an die Vorgaben halten sollte. Sondern hier spielen alle Schumann falsch! Also muss mehr dahinter stecken.


    Da gab es die These, Schumanns Metronom sei falsch gewesen. Aber welches Metronom geht mal zu schnell, mal zu langsam (ein Smiley bitte: :D). Das hatte zuerst Clara Schumann vertreten, dann jedoch, wie jetzt entdeckt wurde, an einer etwas versteckten Stelle widerrufen.


    Oder sind diese Metronomzahlen gegen die ursprüngliche Absicht von Schumann in die Kinderszenen geraten? Waren ihm möglicherweise die Metronomangaben recht gleichgültig? Eine genaue Analyse aller handschriftlichen Texte und insbesondere seiner Angaben für Neuherausgaben, widerlegen das.


    Also führt nichts an der Erkenntnis vorbei, dass diese überaus populären Stücke ein Weg waren und sind, über Schumann ein falsches Bild zu vermitteln. Drei Beispiele:


    „Von fremden Ländern und Menschen“ ist eben keine seichte Sicht, im Stil eines „Wenn auf Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ oder „Griechischer Wein“, sondern von der Fremde und Fremden in allen Bedeutungen des Wortes.


    Das Kind ist nicht schon träge, wenn es im Bett liegt, und döst dann langsam weg, sondern unruhig voller Erinnerungen an den vergangenen Tag, bis die geduldige Mutter es in den Schlaf singt.


    Und die „Träumerei“: Ich übertreibe jetzt einmal richtig: Das ist kein Augenverschließen vor der Realität, kein sentimentales Dahinsinken, in unechten Gefühlen Verschmelzen bis zum Selbstmitleid, kein Frühzeichen einer später dann voll einsetzenden Verblödung, zugezogen durch sexuelle Ausschweifung, sondern eine Zwischenwelt zwischen Realität und Phantasie, Tag und Nacht, mit gesammelter innerer Aufmerksamkeit und voller kreativer Kraft, aus der dann die „Phantasiestücke“ entstehen, wie Schumann eine von ihm neue geschaffene Gattung an Klaviermusik nannte.


    Hier geht es um nicht weniger als das Selbstverständnis um die deutsche Seele. Es lässt sich nicht vermeiden, dass hier Fragen der Musik tief in den Bereich von Religion, ja Weltanschauung reichen. Schumanns Schicksal berührt tief. Was hat so umfassend zu diesem schiefen Bild beigetragen? Das lässt sich nicht trennen von der Fehleinschätzung seiner Spätwerke, die jetzt endlich korrigiert wird, und der Grausamkeit, mit der er in den letzten Lebensjahren im Irrenhaus bei Bonn allein gelassen wurde.


    Aber einfach die Schuldigen und diejenigen zu suchen, die deren Tun bis heute decken, ist auch zu wenig, da muss ich eigene frühere Texte korrigieren. Der Schmerz geht so tief, da auch mitschuldig ist, wer nicht beteiligt ist. Dies ist in Deutschland zu sagen führt ganz in politisches Gebiet (also zweites Smiley: :stumm: ).


    Das Konzert in Bremen war ein gelungener Beitrag der Wiedergutmachtung. Alle Hörer waren sich einig, hier möge einmal ein Musikwissenschaftler sein Spiel auf CD veröffentlichen, den Interpreten zur Anregung.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Hallo Walter.T,
    das ein Metronom falsch geht,ist völliger Unsinn.
    Das wurde auch schon bei Beethoven gesagt.
    Die Wahrheit ist: Diese Genies brauchten natürlich kein
    Metronom.Der Pulsschlag ist 60 und davon gingen sie aus.
    Das Metronom ist nur für die Interpreten gedacht.


    Gruß Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Guten Morgen Walter


    Danke für Deinen schönen Schumannbeitrag.


    Wir möchten Dich noch darauf hinweisen, dass es bereits seit längerem einen Thread zu den Kinderszenen Schumanns gibt.


    Wir stellen daher den Moderatoren den Antrag diesen Thread dem bereits Bestehendem einzugliedern.


    Gruss


    romeo&julia



    Der Thread wurde im Februar 2015 von der Moderation geschlossen, da ein neuer gestartet wurde - MOD 001 Alfred
    SCHUMANN, Robert: Kinderszenen op. 15 - Werke für Soloklavier Vol. 01