Dmitri Schostakowitsch: 12. Sinfonie d-Moll op. 112 "Das Jahr 1917" - "Zum Gedenken an Lenin" (1961)

  • Wer glaubt, die Bürger der Sowjetunion wären allesamt Mitglieder der KPdSU gewesen, irrt. Tatsächlich war es gar nicht so leicht, der Partei beizutreten. In einem Einparteienstaat kann sich die Partei die Mitglieder schließlich aussuchen. Manche Künstler wurden freilich gebeten, der Partei beizutreten, andere taten alles, um beitreten zu können; und wieder andere (wie etwa Rodion Schtschedrin) waren froh, wenn sie nie gebeten wurden.


    1960 ist Dmitri Schostakowitsch jedenfalls Mitglied der KPdSU geworden. Ob aufgrund einer nicht ablehnbaren Einladung oder auf eigenen Wunsch, um endlich Frieden zu machen mit der politischen Führung, ist umstritten; ich nehme an, es wird wohl beides im Spiel gewesen sein. Man hat sich sozusagen geeinigt. (Daß Schostakowitsch weiterhin in kritischer Distanz zur KPdSU steht, macht er in der 13. Symphonie auch jenen Hörern klar, die in der 12. eine Parteimusik orteten.)


    1961 legt Schostakowitsch dann seine 12. Symphonie vor, Untertitel "Das Jahr 1917", Widmung: Dem Andenken Lenins.
    Ist Schostakowitsch also doch noch zum Jasager geworden?


    Ganz so einfach ist das freilich nicht. Man muß differenzieren zwischen russisch und sowjetisch. Wobei russisch in der damaligen geschichtlichen Situation sowjetisch inkludiert, nicht aber ein Synonym dafür ist.


    1917 - das ist das Jahr der sogenannten "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" (im Unterschied zur gescheiterten Revolution des Jahres 1905, die Schostakowitsch in der 11. Symphonie zum Thema nahm).
    Das Jahr 1917 steht aber vor allem für die Ideale des frühen Kommunismus, nicht für die Entartung, die schon wenig später eintrat. Die Oktoberrevolution ist nicht nur ein Stück sowjetischer Geschichte, sie ist ein Stück russischer Geschichte - und als solche durchaus ein Thema für Schostakowitsch.


    Schostakowitsch nämlich versucht um diese Zeit alles, sich selbst in Rußland stärker zu verwurzeln. Die Stalin-Jahre haben ihn geistig seiner Heimat entfremdet; er, der sich immer als Russe gefühlt hat, will jetzt wieder durch und durch Russe werden. Er will sich mit allem, was Rußland für ihn bedeutet, identifizieren. Er will ein Russe in der sowjetischen Gegenwart sein.


    Die Distanz zu dieser sowjetischen Gegenwart ist aber immer noch groß genug, daß keine aktuellen Themen bejubelt werden, daß keine Anspielungen auf die sowjetischen Errungenschaften der Gegenwart eingeführt werden und auch die Rolle des Westens wird, trotz Kaltem Krieg, nicht thematisiert, etwa in Form einer Dämonisierung.
    Schostakowitsch nimmt mit der Oktoberrevolution einen zentralen Wendepunkt der russischen Geschichte zum Ausgangspunkt seiner Symphonie - so, wie russische Komponisten seit Mussorgskij immer wieder diese Wendepunkte der russischen Geschichte thematisiert haben.


    Schostakowitschs 12. wurde, als sie 1962 erstmals im Westen aufgeführt wurde, als Parteimusik mißverstanden. Tatsächlich ist sie der Versuch Schostakowitschs, sich durch eine geschichtsbezogene Symphonie als Erbe des von ihm so heiß geliebten Mussorgskij auszuweisen. Deshalb hat diese 12. Symphonie einen betont russischen Tonfall - russischer und durch die Ausrichtung auf den Bezugspunkt Mussorgskij auch traditionsverbundener als alles, was Schostakowitsch bisher in seinen Symphonien komponiert hat. Aber diesen russischen Tonfall als sowjetischen Tonfall wahrzunehmen, ist ein westliches Mißverständnis.


    Tatsächlich ist nämlich auch die 12. voll von kodierten Botschaften: Nie zuvor, nicht einmal bei Schostakowitsch selbst, haben Triumphe so hohl geklungen. Man höre sich etwa die sogenannte Apotheose des letzten Satzes an, die sich an einer Formel festbeißt und nicht vom Fleck kommt: Das ist ein noch verkrampfterer Jubel als im Finale der 5.! Und ist weder in der Thematik noch in der Machart, wohl aber im Gefühl eine Parallele zum ersten Bild in Mussorgskijs "Boris Godunow" mit den erzwungenen Bitten des Volkes, Boris möge die Zarenwürde auf sich nehmen; der russische Hörer, der, wie ich bereits an anderer Stelle ausführte, seine Klassiker in und auswendig kennt, assoziiert unwillkürlich diesen Moment - und damit Nötigung, Zwang, Druck durch die Obrigkeit.
    Aber so ist es in der ganzen 12.: Kaum bricht sich das Pathos Bahn, sackt die Musik innerlich irgendwie in sich zusammen und posiert nur noch: Lautstark aber formelhaft.


    Somit entfaltet sich diese keineswegs konformistische 12. im Spannungsfeld von russischer Geschichtschronik, Glauben an das russische Volk und einer nochmaligen Absage an die politisch vorgeschriebenen Triumphgesten, die zwar durchgeführt werden, deren Durchführung selbst aber vor allem an den Kulminationspunkten rein mechanisch erfolgt und die dadurch als Pose ohne inneres Leben entlarvt werden.


    Das ist auch der Grund, weshalb ich Probleme mit der Einspielung des großen Jegenij Mrawinskij habe: So affirmativ ist dieses Werk meiner Meinung nach nicht.
    Unterstützt wird mein Gefühl von Kyrill Kondraschins Aufnahme, die genau diese Spannung zwischen "russisch" und "sowjetisch" herstellt und in den leiseren Momenten emotional ergreifend ist, die Höhepunkte aber so starr darbietet, daß sie als Kulisse kenntlich werden.
    Gennadij Roschdestwenskij, der für mich meistens gleichwertig neben Kondraschin steht, ist in diesem Fall für meinen Geschmack ebenfalls zu affirmativ. Es ist mir klar, daß Roschdestwenskij das Werk als Hymnus auf Rußland begreift, nicht als Hymnus auf die Sowjetmacht - aber die Hohlheit von Schostakowitschs Triumphgesten widerspricht dieser Deutung; und Roschdestwenskij kann diese formelhafte Plakativität nicht wegdirigieren.
    Von den restlichen Einspielungen wirklich interessant ist Mariss Jansons, der Kondraschins Auffassung nahe steht und den Zwiespalt noch stärker herauszuarbeiten versucht, was aber mitunter einen negativen Effekt auf den musikalischen Fluß hat.
    Rudolf Barschai scheint an dieser Symphonie wenig Interesse gehabt zu haben - Dienst nach Vorschrift.
    Dimtri Kitaenko läßt's krachen nach Herzenslust - aber das können Mrawinskij und Roschdestwenskij einfach besser, weil sie selbst da, wo sie meiner Meinung nach irren, nie so flach werden.
    Bernard Haitink und Neeme Järvi verfallen beide in Äußerlichkeiten, die bei Haitink etwas zurückgenommener, bei Järvi hingegen wirklich ärgerlich sind.
    Michael Gielens extrem trockene Lesart kann als Kuriosum gelten, offenbar unternimmt Gielen den Versuch, Schostakowitsch von all dem zu entkleiden, was man ihm nachsagt, also Pathos, Emotionalität etc. Das Ergebnis ist allerdings wenig mehr als ein sehr genaues Aufsagen der Partitur.
    Womit für mich Kondraschins Aufnahme die unerreichbare Spitzenposition einnimmt.

    ...

  • Ein wirklich kluger Beitrag, in dem diese interessante, wenig geliebte Symphonie Schostakowitschs angemessene Würdigung findet! Die Kritik an der Järvi-Einspielung kann ich übrigens teilen, leider habe ich die Symphonie in dieser Aufnahme kennen gelernt, was auch bei mir zu den üblichen Vorurteilen führte!


    Gruß
    vitelozzo-tamare

  • Hallo Schostakowitsch-Freunde,


    ich schätze nach wie vor diese Sinfonie Nr.12 in den Aufnahmen mit Kondraschin und Roshdestwensky. Auch wenn Roshdestwensky.
    nach edwins Worten übertrieben affirmativ erscheint. Den Hymnus auf Russland kostet er aber sehr effektvoll aus.



    Genau wie diese Aufnahme, die ich gestern zum ersten mal hörte
    Schostakowitsch: Sinfonie Nr.12
    mit Mrawinsky von 1984(Liveaufnahme Stereo)
    aus der Erato-Mrawinsky-12CD-Box


    Die Aufnahme klingt als wenn die Musiker um ihr Leben spielen. Besonders die Blechbläser hat man kaum je so angestrengt und überpräsent gehört.
    Mrawinsky ist schneller als alle anderen mir bekannten Interpretationen und wickelt das Werk in 38Miniuten ab.
    Leider bleibt die unheimliche Atmosphäre des Aurora-Satzes ganz auf der Strecke, weil er dies in atemberaubendem Tempo runterzaubert.
    Trotzdem eine famose und interessante Aufnahme, die die Sinfonie Nr.12 in neuem Licht erscheinen läßt und tatsächlich fast übertrieben erscheint.
    Packend war diese Hetzjagt es schon, aber bei der Sinfonie Nr.12 brauche ich die unheimliche Ausdrucksart der folgend genannten Dirigenten:


    Anschließend hörte ich die Ashkenazy-Aufnahme (Decca) der Sätze 3.+4.zum Vergleich, die hier weniger affirmativ erscheint und dem Programm mehr Atmosphäre einhaucht. Ashkenazy mit RPO und bester Klangqualität ist bei der Sinfonie Nr.12 so angemessen wie in der Haitink-Aufnahme, die ich jahrelang hörte und die später von den noch beeindruckenderen Aufnahmen unter Roshdestwensky und Kondraschin abgelöst wurden.


    Leider ist wie so oft bei Mrawinsky, trotz des Aufnahmedatums 1984, die Klangqualität nicht berauschend und klingt mehr historisch - LIVE mit Hustern, die näher sitzen als manche Instrumente aus dem Orchester.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Sehr gut gelungen ist die Aufnahme mit Mstislav Rostropovich und dem National Symphony Orchestra (in der Symphonien-Gesamtaufnahme).



    Ein packender erster Satz und ein grandioses Finale, in dem man die Doppelbödigkeit gleich auf Anhieb versteht (Lenin war nicht schlecht, aber was Stalin daraus gemacht...).


    LG

  • Das oben genannte Zitat stammt von niemandem Geringeren als Irina Supinskaja, der Witwe von Dmitri Schostakowitsch (zitiert nach dem Booklet der Gergiev-Aufnahme der 2. und 11.). Wieso die 12. immer noch als tumbe "Parteitagsmusik" abqualifiziert wird, entzieht sich meinem Verständnis. Wie im vorzüglichen Eröffnungsbeitrag ausgeführt, ist das doch ganz und gar nicht als Apotheose des sowjetischen Kommunismus zu verstehen. Im Finale kommt das eigentlich erwartete triumphale Thema nicht zustande. Vermutlich hat die hohe offizielle Anerkennung des Werkes durch die KPdSU ihrer Reputation nachhaltig geschadet. Dass es sich um eine der wichtigsten Kompositionen von Schostakowitsch handelt (sic), dafür bürgt doch schon Jewgeni Mrawinsky, der sie öfter auf den Spielplan setzte, was man von weniger umstrittenen Symphonien wie der 7. und der 11. nicht behaupten kann. Die Überleitung vom dritten zum vierten Satz stellt einen der Höhepunkte in der Musik Schostakowitschs dar und steht in einer Reihe mit Beethovens Fünfter und Schumanns Vierter.


    1961
    1984


    Ich war übrigens positiv überrascht vom Klang der 1961er Studioaufnahme der 12. unter Mrawinsky (bereits in Stereo). Für Sowjetverhältnisse und das hohe Alter klingt diese absolut akzeptabel, sogar etwas räumlicher als die Live-Aufnahme von 1984 (diese war übrigens Mrawinskys letzte aufgezeichnete Aufnahme; das letzte Konzert fand erst 1987 statt — weiß jemand, wieso es aus den letzten Jahren keine Aufnahmen mehr gibt?). Die Interpretation ist ziemlich ähnlich, allerdings lässt er sich 1984 etwas mehr Zeit. Hier die Spielzeiten:


    1961: 11:34 - 11:23 - 4:24 - 9:37
    1984: 12:03 - 11:24 - 4:48 - 10:18

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Von allen seinen Symphonien hat Schostakowitschs 12. (neben den Sonderfällen der 2. und 3.) den schwersten Stand. Das negative Urteil, welches im Westen bereits Anfang der 1960er Jahre geprägt wurde, hat sich im Großen und Ganzen bis heute nicht grundlegend geändert. Ein angeblich plakatives, auf äußerlichen Effekt getrimmtes und künstlerisch allenfalls zweitrangiges Werk, gewissermaßen der späte Schandfleck des Komponisten. Diese negative Auffassung wird bis heute unreflektiert nachgeplappert. Zum einen scheint sich die Kritik vorrangig auf den Finalsatz zu beziehen. Wie kann es sein, dass man das gesamte Werk deswegen dermaßen abwertet? Zum anderen ist die deutlich geneigtere Rezeption im Osten nicht pauschal als „auf Parteilinie“ zu bewerten. Wieso sonst hätte sich ausgerechnet der „russische Aristokrat“ Mrawinsky so intensiv mit diesem Werk beschäftigt? Mir scheint, es ist ein Umdenken in Hinblick auf die 12. nötig, das offenbar ganz allmählich auch einsetzt. Im Zusammenhang mit dem öffentlichkeitswirksamen Erscheinen der Einspielung von Vasily Petrenko im Zuge seiner Gesamtaufnahme wurde das vor einem halben Jahrhundert gefällte Urteil zumindest teilweise hinterfragt.


    Heute erreichte mich dank eines sehr guten Bekannten eine bisher überhaupt nicht genannte Einspielung aus der DDR, die auf Oktober 1967 datiert. Es spielt das Gewandhausorchester Leipzig unter der musikalischen Leitung des leider fast vergessenen sowjetischen/armenischen Dirigenten Ogan Durjan (1922—2011), der zwischen 1963 und 1968 Musikdirektor der Leipziger Oper war und während dieser Zeit einige wenige Schallplattenaufnahmen machte. Ausgerechnet die heikle 12. Symphonie von Schostakowitsch gehörte dazu. Die Einspielung erschien bei Philips und wurde 1992 auf (einer mittlerweile vergriffenen) CD aufgelegt (434 172-2). „Rare recordings of unusual repertoire and historical performances by great artists available for a limited time only” heißt es auf der Rückseite. Offenbar erschien dieses Werk also auch bei der CD-Erstveröffentlichung als „ungewöhnliches Repertoire“.


    Was macht Durjans Aufnahme aus? Zu allererst lässt er sich gerade in den beiden ersten Sätzen mehr Zeit als üblich. Das revolutionäre Petrograd nimmt er in 13:41, Rasliw in 13:39, Aurora in 4:33 und Morgenröte der Menschheit schließlich in 10:29. Dadurch gewinnt das Werk ungemein. Die Musik kann sich richtig entfalten und hat eine zuvor nicht gehörte Tiefe, die sie weit über das Verdikt des belanglosen Propagandaschinkens erhebt.


    Im ersten Satz gelingt es Durjan, die Aufgewühltheit der Situation (Zusammenbruch des Zarentums, ungewisse Zukunft) episch darzustellen. Das grandiose Spiel der Leipziger unterstützt ihn von Anfang an darin. Den langsamen zweiten Satz habe ich noch nie so grüblerisch und tiefgehend gehört. Man hat den abwartenden Lenin vor seinem geistigen Auge. Bereits hier ab und an bedrohliche Ausbrüche, die schon auf das Zukünftige hinweisen. Der Höhepunkt ist definitiv der überleitungsartige dritte Satz. Nicht einmal Mrawinsky erzielt solch ein Brodeln in den Anfangstakten. Man spürt regelrecht, wie die Stimmung langsam überkocht. Ganz dezent vernimmt man zu Beginn in der Ferne das drohende Inferno, der sich ankündigende Sturm auf den Winterpalast also nicht einseitig verklärt. Die Klimax ist unvergleichlich. Machtvoll und absolut durchhörbar die donnernden Pauken. Die ostdeutschen Blechbläser haben einen geradezu sowjetischen Anklang. Nahtlos dann der Übergang ins Finale, das hier kurioserweise gar nicht banal herüberkommt. Durch geschickte Temporückungen erzielt Durjan einen durchgehenden Spannungsbogen, der keine Langeweile aufkommen lässt. Selbst der gewollten Monotonie der Coda entlockt er bisher ungehörte Details.


    Das ist, so meine ich, die beste Interpretation der 12. Symphonie, die ich bisher gehört habe. classical-music.com schreibt: „This recording of one of Shostakovich’s most overtly propagandist works makes it possible to judge his Twelfth Symphony as music. The performance has considerable bite and emotional depth, and the breadth of the recording, serves Durjan and the Leipzig Gewandhaus well.” Die Aufnahme erhielt 5 von 5 möglichen Sternen. Insbesondere möchte ich das Orchesterspiel hervorheben, das durch die sehr gute Tontechnik adäquat eingefangen wird.


    71DyrvKQxGL._SL300_.jpg 


    Die ursprüngliche CD ist mittlerweile vergriffen, aber mit etwas Glück online leicht aufzutreiben. Zudem ist eine japanische Neuauflage (mit dem ursprünglichen LP-Cover und jetzt mit Decca-Logo) mittels Import zu einem akzeptablen Preis via Amazon zu beziehen. Gleichwohl wäre es mehr als wünschenswert, würde diese Einspielung auch hierzulande wiederaufgelegt, denn sie darf als Referenz für dieses Werk gelten. Sie überragt m. E. sogar Mrawinsky und Kondraschin, von den anderen üblichen Verdächtigen ganz zu schweigen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was macht Durjans Aufnahme aus?
    Zu allererst lässt er sich gerade in den beiden ersten Sätzen mehr Zeit als üblich. Das revolutionäre Petrograd nimmt er in 13:41, Rasliw in 13:39, Aurora in 4:33 und Morgenröte der Menschheit schließlich in 10:29. Dadurch gewinnt das Werk ungemein. Die Musik kann sich richtig entfalten und hat eine zuvor nicht gehörte Tiefe, die sie weit über das Verdikt des belanglosen Propagandaschinkens erhebt.


    Fast gleich sind die Tempi bei Roshdestwensky (Melodiya/Eurodisc, 1988, DDD), der ein unglaublich packende Stimmung und Atmosphäre erzeugt. :angel: Mein Favorit für die Sinfonie Nr.12 !
    Seine Spielzeiten sind breit, aber nicht ausgewalzt, dass es der Thematik höchst angemessen erscheint: 13:48 - 12:39 - 4:32 - 10:34


    - ich ärgere mich jedesmal, dass man diese wichtigen Roshdestwensky-Eurodisc-CD´s nicht mehr findet - Abb daher unmöglich -



    Von meiner Prägung für die Sinfonie Nr.12 habe eigentlich zunächst nie andere Aufnahmen gehört, die vom Tempo her anders gelagert gewesen wären.
    Als nach der LP-Ära die CD -Zeit einsetzte, war meine erste Aufnahme Haitink (Decca). Da ich immer schon auf TOP-Klangqualität abgefahren bin, war diese Aufnahme für viele Jahre mein Favorit, bis ich dann auf CD Roshdestwensky-Aufnahme kennen lernte.
    Haitink liegt auch in dem Tempobereich, der das Werk sehr atmosphärisch auffasst: 13:23 -14:03 - 4:23 - 10:46



    Klanglich atemberaubend und von der Interpretation absolut toll ist auch meine "moderne Referenz" - Ashkenazy / RPO (DEcca), der mich erst viele Jahrte später erreichte. Ashkenazy lässt vom Tempo her sogar noch breiter spielen, als Deine Neuentdeckung mit Durjan. Ashkenazy: 14:16 - 11:25 - 4:26 - 10:59.



    Nebenbei muss ich aber sagen, dass mir vor ca 10Jahren im Rahmen der Anschaffung der AULOS_Kondraschin-Box der dann der straffere Zugang bei Kondraschin (AULOS) auch verdammt gut gefallen hat (12:54 - 10:37 - 3:41 - 9:40); sowie kürzlich Petrenko (NAXOS) mit fast gleichen Spielzeiten ebenfalls (12:40 - 10:44 - 3:31 - 9:55).
    Dies liegt nun wiederum daran, dass ich generell zügigere Interpretationen meist höher schätze.
    Dass gerade Petrenko, der ansonsten in seiner GA eher recht langsam unterwegs ist, hier bei der 12ten zügiger aber ein zügigeres Tempo anschlägt, kam bei mir sogar eher positiv an. Nur der Orchstersound hat nicht diesen autentischen Klang (kann ihn ja nicht haben !), welcher die Kondraschin-Aufnahme(n) so unverzichtbar machen ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich habe mir heute die Barschai Aufnahme der 12. angehört. Irgendwie hat es nicht bei mir gefunkt, obwohl ich das Werk nicht abwerten möchte, wie dies in der einschlägigien Literatur oft der Fall ist. Wahrscheinlich ist es so, daß ich nach abhören der beiden Sinfonien Nr 11 und Nr 15 in den letzten Tagen ein wenig verwöhnt bin von deren raffinierter Konstruktion und Einfallsreichtum. Dennoch - ein echter Schostakowitsch mit zahlreichen raffinierten Stellen. Der Versuchung von doppeldeutiger politischer Auslegung erliege ich indes nicht....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Erstaunlicherweise gibt es eine Aufnahme dieser Symphonie von Michael Gielen, m.W. die einzige Schostakowitsch Symphonie, die er eingespielt hat. Erstaunlich deshalb, weil eigentlich die "Jünger" der neuen Musik (Boulez und Co.), zu denen ich auch Gielen zähle, Schostakowitsch abgelehnt haben. Und warum Gielen nun gerade die von vielen als problematisch angesehene 12. aufgenommen hat???

  • Ich habe mir heute die Barschai Aufnahme der 12. angehört. Irgendwie hat es nicht bei mir gefunkt, obwohl ich das Werk nicht abwerten möchte, wie dies in der einschlägigien Literatur oft der Fall ist.


    Die Aufnahme von Barschai kenne ich zwar (noch) nicht, allerdings beschreibt sie Edwin Baumgartner im Einführungsbeitrag als "Dienst nach Vorschrift". Vielleicht liegt es also wirklich auch an der Interpretation.


    Erstaunlicherweise gibt es eine Aufnahme dieser Symphonie von Michael Gielen, m.W. die einzige Schostakowitsch Symphonie, die er eingespielt hat. Erstaunlich deshalb, weil eigentlich die "Jünger" der neuen Musik (Boulez und Co.), zu denen ich auch Gielen zähle, Schostakowitsch abgelehnt haben. Und warum Gielen nun gerade die von vielen als problematisch angesehene 12. aufgenommen hat???


    Hier noch das Cover:


    51K0-XOPTVL._SL300_.jpg


    Wie es der Zufall will, habe ich die schon seit Jahren in der Sammlung und hörte sie mir auch gestern im Zuge der Beschäftigung mit der 12. nochmal an. Edwin sprach seinerzeit von einer "extrem trockene[n] Lesart". Das trifft den Nagel auf den Kopf. Die ersten beiden Sätze haben mich eigentlich noch sehr für sich eingenommen. Die Schwäche der Interpretation, die jedes Pathos vermeidet, offenbart sich dann allerdings im 3. Satz, dessen genialer Höhepunkt viel zu zurückgenommen gespielt wird.


    Wie gesagt: Ich würde jedem Hörer die Durjan-Aufnahme ans Herz legen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Heute stieß ich zufällig auf eine alte Kritik zu dem Werk aus dem Jahre 1965, die ich euch nicht vorenthalten will. Sie zeigt sehr gut, wie man die Zwölfte im Westen seinerzeit auffasste:


    Schostakowitsch: 12. Symphonie ("Das Jahr 1917"). Ein Übersoll an Parteiprogrammmusik erfüllt die stampfende, böllernde Partitur von 1961. Lenin und den alten Kämpfern wird der Gedenkmarsch geblasen. Die aggressiven Rhythmen, die Roboter-Ostinati und fauchende Klänge zünden. Zusammen mit einer frisch-fröhlichen "Festouvertüre", die mehr nach Kirmes als nach Parteitag klingt, präsentieren der draufgängerische Georges Prêtre und das Philharmonia Orchestra die Symphonie der Linientreue erstmals auf dem deutschen Plattenmarkt. (His Master's Voice ALP 2009; 25 Mark.)
    (Der Spiegel, Nr. 26/1965)



    Diese Einspielung schaffte es bislang nicht auf CD.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vasily Petrenko / Royal Liverpool PO


    Ich muss heute mal die NAXOS-Aufnahme mit V.Petrenko loben, die auf der gleichen Linie liegt, wie meine persönliche Referenzaufnahme Kondraschin (AULOS).

    Natürlich ist die Petrenko-Aufnahme von 2009 auf den heutigen Stand der Klangtechnik, was beim Hören nicht unerheblich ist; mehr als wenn man sich von der gleichen Sinfonie Nr.12 mit weit weniger Hörspass die hist.klingende Mrawinsky-Aufnahme anhört ...


    Die GA von Petrenko ist bei allem Wohlwollen nicht gleichwertig gut ausgefallen. Oft sind die Spilezietn für meinen geschmack zu ausgewalzt ... aber hier bei der Sinfonie Nr.12 - genial gut. Er trift die unheimliche Atmosphäre der Aurora auf den Punkt. Die Pauken sind vorbildlich aufgenommen.

    Nebenbei muss ich aber sagen, dass mir vor ca 10Jahren im Rahmen der Anschaffung der AULOS_Kondraschin-Box der dann der straffere Zugang bei Kondraschin (AULOS) auch verdammt gut gefallen hat (12:54 - 10:37 - 3:41 - 9:40); sowie kürzlich Petrenko (NAXOS) mit fast gleichen Spielzeiten ebenfalls (12:40 - 10:44 - 3:31 - 9:55).


    NAXOS, 2009, DDD



    :jubel: Solche Werkthreads von solchen Hammersinfonien gehören nach oben ... immer wieder ... :hail:... immer wieder ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang



  • Es ist zunächst einmal zu begrüßen, dass eine der verkanntesten Symphonien von Dmitri Schostakowitsch, die Zwölfte, in den letzten Jahren eine gewisse Renaissance erlebt. Lange wurde das Werk als "Parteitagsmusik" abgekanzelt, was freilich zeitgeschichtliche Hintergründe hatte. Dies wird in der letzten Zeit zunehmend hinterfragt. So hat vor einigen Jahren auch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter seinem damaligen Chefdirigenten Cornelius Meister die Symphonie Nr. 12 eingespielt (Capriccio). Anlass war das Jubiläumsjahr 2017, trägt die Zwölfte doch den Untertitel "Das Jahr 1917".


    Es handelt sich auch um eine durchaus gediegene Interpretation. Das Klangbild des Live-Mitschnitts vom 17. Oktober 2017 aus dem Wiener Konzerthaus lässt indes Raum nach oben und stellenweise vermisst man die unmittelbare Direktheit des Klanges. Lässt der Kopfsatz durchaus aufhorchen, so hat der darauffolgende langsame Satz leider einige Durchhänger, weil der Spannungsbogen abreißt. Das fetzige Scherzo, das direkt in den Finalsatz übergeht, hat man auch schon packender gehört. Im Finale schließlich ist man hörbar um Differenzierung betont, was auf Kosten des Pathos geht. Insgesamt eine mittelprächtige Angelegenheit, die bedauerlicherweise nicht das volle Potential des Werkes auslotet, wie man es in den Aufnahmen von Ogan Durjan (Eterna/Philips) und Jewgeni Mrawinski (Erato) erleben kann.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões