Das Beste ist gerade gut genug - oder darfs mal was normales sein ? - Gedanken zu Interpretationen

  • Liebe Forianer


    Manchmal - wenn hier, und nicht nur hier - über Interpretationen gesprochen wird, hat man den Eindruck es handle sich um einen sportiven Wettbewerb, wo jeder "die beste Leistung" erbringen muss.


    Das Alltägliche ist nicht mehr gefragt, wird als "kapellmeisterlich", "kleinkariert", "antiquiert", oder "provinziell" - im schlimmsten Falle sogar als "brav" oder "duchschnittlich" abqualifiziert.


    Lediglich die Besten der Besten, die Eigenwilligsten, die Berühmtesten sind gefragt. -ausgenommen es handelt sich natürlich uim ein "Schnäppchen" :P (Das Wort gibts glücklicherweise in Österreich gar nicht) - Da werden dann Budget-CDs zu meisterhaften Einspielungen hochstilisiert - die keinen Vergleich mit dem Vollpreis -Segment zu scheuen brauchen........


    Ansonst gilt: Aufnahmen die älter als 20 Jahre sind - löschen.
    Die sind nicht mehr zeitgemäß und lassen sich nicht mehr zum Vollpreis vermarkten...


    LG


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hmmm,


    warum werde ich das Gefühl nicht los, das Alfred bei der Erstellung dieses Threads (auch) an mich gedacht hat? :D :D :D


    Zum einen habe ich des Öfteren, wenn ich nach Empfehlungen zu Einspielungen eines Werks fragte, Formulierungen wie "herausragend" oder "Referenz" als Maßstab ins Feld geworfen.


    Zum anderen stammt der Klassik-Sonderangebote-Thread ja aus meiner Feder und wird von mir regelmäßig bestückt.


    Deshalb hier eine Antwort aus meiner Perspektive. Ich habe vor ungefähr zweieinhalb Jahren begonnen, mich gezielt und in gewissem Maße systematisch mit klassischer Musik zu beschäftigen. Das heißt, auch wenn meine CD-Sammlung in dieser Zeit in einem Maße und mit einer Geschwindigkeit angewachsen ist, die ich nie vorhergesehen hatte, dass ich in der Regel immer noch in dem Stadium bin, wo ich Werke erst neu "entdecke", mir also zum ersten Mal eine Einspielung davon anschaffe, die, da es noch viele andere "neue" Werke zu entdecken gibt, auf absehbare Zeit erst einmal die einzige Einspielung bleiben wird, die ich von diesem Werk besitzen werde.


    Deshalb ist es mir wichtig, dass diese eine Einspielung wenn irgend möglich eine herausragende Interpretation dieses Werkes darstellen sollte. Soll heißen, ich möchte, dass diese Interpretation mir das Werk in seiner ganzen Schönheit / Umwerfendheit zeigt, dass mir dieses Werk in seiner ganzen Farbenprächtigkeit eröffnet wird. Ich möchte von dem für mich neuen Werk begeistert werden. Zu Beginn meiner Entdeckungsreise in die Klassik hat mir ein guter (und wesentlich besser informierterer) Freund den Ratschlag gegeben, bei der Auswahl einer Interpretation im Zweifel ruhig etwas mehr anzulegen, als auf eine Billigvariante auszuweichen, mit der ich dann nicht glücklich bin, und die mir das Werk zu Unrecht für einen längeren Zeitraum verleiden könnte. Mit diesem Ratschlag bin ich bisher sehr gut gefahren. Natürlich soll das nicht heißen, dass in preiswerteren Label nicht auch z.T. herausragende Aufnahmen produziert werden.


    Aber Preis ist für mich bei der Erstanschaffung eben nicht das entscheidende Kriterium, sondern Qualität. Und ich persönlich halte ehrlich gesagt auch nichts davon, Klassikeinsteigern zu raten, sich erst einmal mit bestimmten Sammelboxen oder Billig-Serien blind einzudecken (wie gesagt: da gibt es solche und solche) um möglichst schnell möglichst viele Werke abzudecken. Diese Sammelboxen übersteigen m.E. zum einen das "musikalische Fassungsvermögen" eines Neueinsteigers deutlich (Wer will sich in dem Stadium denn wirklich durch 150 CDs mit den gesammelten Werken Mozarts durchhören?) und zum anderen läuft man bei der zumindest gemischten Qualität solcher Aufnahmen Gefahr, dass einem die Werke eher ausgetrieben werden, als dass man von ihnen begeistert wird.


    Ich glaube auch, dass Klassikanfänger sehr wohl den Unterschied zwischen einer mittelmäßigen Aufnahme eines Werkes und einer sehr guten oder herausragenden Interpretation eines Werkes erkennen können. Natürlich ist das dann primär eine Reaktion vom Bauchgefühl her, ohne das an irgendwelchen Technikalitäten festmachen zu können, aber ob mich eine Interpretation von diesem Werk zu begeistern versteht, oder ob ich den Eindruck habe, die Musiker hätten sich beim Einspielen unsterblich gelangweilt, das merke ich selbst als Anfänger. Und da ist mir, egal ob das jetzt egalitär ist, oder unverschämt ob der Tatsache, dass ich selbst nicht einmal ein Instrument zu spielen vermag, erstere Variante lieber.


    Natürlich ist in der Beurteilung einer Aufnahme immer auch eine Portion Subjektivität enthalten - aber ist das bei den erfahreneren Klassiksammlern anders? Auch eine von anderen / Kritiken etc. hochgelobte Aufnahme kann mir persönlich aus irgenwelchen Gründen einfach nicht "liegen" (bei mir meist ein Gefühl von: "Was, und das soll dieses umwerfend tolle Werk X gewesen sein?") und der Zugang zu einem Werk eröffnet sich mir erst wenn ich später (zufällig oder vorsätzlich) ann doch eine Zweitversion dieses Werkes erwerbe. Aber ich möchte mir eben mit der Auswahl meiner Erstversion von vorneherein die größtmöglichen Chancen eröffnen, das fragliche Werk in "Bestform" kennenzulernen - möchte man mir das wirklich vorwerfen?


    Was die auch von mir letztlich geäußerte Kritik an der Vollpreisigkeit älterer Aufnahmen angeht, so hast du etwas missverstanden, Alfred. :D
    Es geht ganz und gar nicht darum, dass wir meinen auf diese Aufnahmen "ohnehin" verzichten zu können, sondern ganz im Gegenteil, darum, dass wir sie eigentlich ganz unbedingt haben möchten aber dass sie ein gar so schmerzhaft großes Loch in unser CD-Budget reißen würden, dass wir sie nur allzu oft erst mal (ob des Preises zähneknirschend) bei Anschaffungen hintanstellen - gerade deshalb auch mein Interesse an Sonderangebotsaktionen von Labels oder Klassik-Versendern. ;) Das Alterargument soll in diesem Fall einfach nur darauf hinweisen, dass gerade bei derartigen Aufnahmen sich die ursprünglichen Einspielungskosten ja schon vor etlichen Jahren amortisiert haben, sie also doch eigentlich für die Labels so etwas wie eine Lizenz zum Gelddrucken sind - und sich dabei vielleicht ein bisschen weniger Habgier auf Dauer sogar als umsatzfördernd erweisen könnte. Eine Erkenntnis, die sich inzwischen ja so langsam auch zu den Plattenkonzernen herumzusprechen scheint, wenn man die Anzahl von Wiederveröffentlichungen in Labels wie "The Originals" oder "Great Recordings of the Century" betrachtet.


    :hello: :hello: :hello:


    Grüße


    katlow

  • Adorno schreibt irgendwo sinngemäß, man könne heutzutage (also in den 50ern) allenfalls noch in den ersten Häusern Opernaufführungen besuchen, "die nicht ganz barbarisch sind".


    Obwohl ich gerade das Gegenteil darüber denke (und wen durfte Herr Wiesengrund alles live hören!), denke ich, daß alles seine Grenzen hat, zumal die hochdotierten und illustren Aufführungen. Wer kennt sie nicht, die Abende, wo alles stimmt, und doch ... Ohnehin sind, zumal in der Oper, die Niveaus oft unterschiedlich, und man würdigt nach vielerlei Maßstäben, was zuletzt auch gerechter ist. Provinzialiät, Routine, Durchschnitt erlebt man ohnehin allenthalben, und wer die Provinz verkennt und meint, nur an Ersten Häusern würde Erstklassiges geboten, der irrt gewaltig (siehe die letzten Salzburger Figaros, pace). -


    Ebensowenig aber darf man das Vergangene zum Maßstab der Gegenwart machen - meine Lieblingsaufnahmen entstanden zwischen 1950 und 1965; und ob mich das szenisch immer überzeugt hätte, ich weiß nicht ... Man kann ja auch Filme aus dieser Zeit mögen, wohl wissend, daß man kein Kind jener Jahre war.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Parole: „Das Beste ist für mich noch gerade gut genug!“


    Diese Einstellung kann ich mir persönlich überhaupt nicht leisten. „Das Beste“ kann nur ermitteln werden, wenn man Alternativen hat. Sind keine da, dann muss man mit dem vorlieb nehmen, was angeboten wird oder man muss warten lernen.


    Nun kannst du dir, mit dem was du an CDs erworben hast, unverhofftes Glück oder vorausgesehenes Pech einhandeln. Tritt der letzte Fall ein, beobachtest du den Markt bis die nächste Einspielung deines favorisierten Werkes kommt, stellst den Fehlkauf an seinen vorgesehenen Platz und behandelst ihn notfalls wie eine verstoßene Geliebte.


    Mäkeln ist die schlechtere Lösung! Du musst zu deinem Irrtum stehen oder willst du dir die Freude mutwillig verderben, indem du dem Urteil eines anderen höheren Stellenwert einräumst, als deiner Entscheidung, wie falsch sie auch im Nachhinein gewesen sein mag.


    Also, in Zukunft wieder Mut beweisen, die Hand in den Ameisenhaufen strecken und deine Wahl herausziehen. Wenn du nun nicht die „Erste Wahl“ getroffen hast mach das nichts. Auch dein Geschmack kann sich ändern und später findest du vielleicht Vorzüge, die du vorher nicht beachtet hattest.


    :(


    Viel wichtiger ist es, dass dein Kopf sich damit beschäftigt, dir das gekaufte Werk zu erschließen. Bei einer Oper gehört es dazu, die Notizen im Beiheftchen zu lesen und das Libretto zur Kenntnis zu nehmen – vielleicht sogar, den englischen Text zu übersetzen und das Rohergebnis im Schriftbild festzuhalten. Wenn du das nicht machst, rauscht alles als Klangsalat phonetisch an dir vorbei und die Anschaffung war den Preis, den du ausgegeben hattest nicht wert. Bei symphonischer Musik ist der Weg des Kennenlernesns einfacher und man kann ihn verkürzen.


    Nun wird dein Einwand kommen, dass du neben Aufwand für Beruf und Familie diese Zeit gar nicht hast, deine Neuerscheinung in deiner Diskothek zu analysieren oder dir überflüssige Umstände zu machen.


    Nun, dann spielst du hilfsweise mit deinen CDs eben nur Bilderlotto. Das funktioniert so, dass du dir ein Diagramm erstellst, welche Einspielungen du hast und solche, welche du noch kaufen willst. Im astronomischen Sprachgebrauch kann man sich so ausdrücken, dass die 'Roten Riesen' auf dem Regalbrett stehen und die schwarzen Löcher erinnern dich an den Shop oder den Katalog, wo man die Fehlbestände ergänzen kann.


    Mit astronomischen Begriffen bezüglich deiner Sammlung wirst du in deinem Leben noch oft konfrontiert werden. Meinst du, dass es dir immer gelungen ist, das Beste bekommen zu haben? Das muss auch nicht sein, denn am weniger Guten schärft du dein eigenes Urteilsvermögen. Freue dich, wenn es funktioniert hat, aber bleibe gelassen, wenn das Glück dir nicht hold war.


    :]


    Selbst sammele ich bevorzugt das Label 'Bongivoanni'. Fast immer sind die neuen Namen auf dem Cover Schall und Rauch. Mit Kultstars wartet man nicht auf. Exoten git es reichlich. Wichtig ist der Gewinn für meine Kollektion. Letzer Glücksfall: Fracesco Masciangelo (1823-1906): La Sunamitide – Melodramma sacro / Letzter Reinfall – Domenico Sarro (1679-1744): Eurilla e Beltramme – Intermezzi comici da 'La Partenope'.


    Wer weiß schon, was das Beste ist?


    ©2009 für TAMINO - Engelbert

  • @ farinneli :


    Einen schönen Sonntagnachmittag !


    Auch mit der von Dir zitierten Aussage von Wiesengru d Adorno irrt er !


    Wer die Möglichkeit hat(te) zu besten Zeitenin Wien , Paris , London oder New York sehr oft in die Oper gehen zu können , der wird immer wieder schwache Abende erelbt haben . Der Mensch ist mit seiner Stimme nun einmal kein im Eilverfahren zu reparierender Roboter .


    Ein Freund von mir , lange Zeit Studnet in Wien ud aussergewöhnlicher opernfan , m u s s t e persönlich miterleben, das unser gemeinsamer lieblingsbariton , Ettore Bastianini , in einer "Bohème" - Aufführung gleich mehrere Töne nicht sauber "traf" . Damit war der Abend natürlich "daneben" . Bastianini hatte "gepatzt" . Stundenlange Monologe , das Bastianini vom Bassfach herkomme und überhaupt......


    Dann noch sein Posa von vor drei Jahren , sein Luna 1962 in Salzburg ..... usw. .
    Könnte es nicht auch sein, dass sich der gewiefteste Opernkenner in einer "Hörkrise" befunden hat ?


    Seltsamerweiseleesen wir in den Rezensionen immer über die Interpretetn. N i e über die hochbezahlten "Kritiker" .


    Und gerade T W Adorno nehme ich diese unerträgliche Arroganz nicht ab . Er gehörte zu jener Gruppe , davon bin ich überzeugt , die voreingenommen in eine Opernaufführung oder einen Konzertabend gegangen sind, um ihre Meinung bestätigt zu hören oder ihre Dauermeinungen noch einmal bestätigt zu finden .


    Recht hast Du : Es gibt ganz grosse Abende in Konzertsaal wie Oper ( aber auch im Schauspielhaus ) , die durchaus das Niveau der sog. Grossen Häuser erreichen .


    Ich persönlich kenne mehrere dieser "Ausnahmeabende" - waren dies wirklich solche ?


    Etwa eine "Chénier" in Aachen 1972 . Alles stimmte .


    Und alle grossen Pianisten haben auch in Orten gespielt, die kaum ein Mensch kennt . Wer würde etwa mit Claudio Arrau das eher biedere Recklinghausen in Verbindung bringen ?


    Und wenn Alfred ( Schmidt) oben 2006 schreibt "kapellmeisterlich" , dann hat dies für mich etwas Grundsolides . Das muss jemand erst einmal beherrschen . Abbado oder Mehta haben ihr Rüstzeug in Wien erlernt . Ganz solide und mit grossem Fleiss auch "handwerklich" . Ohne dies geht es nicht .


    Grüsse ,



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

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  • Hallo, liebe Forianer,


    ich glaube, auf Grund meines Alters (knapp 64) konnte ich nur den umgekehrten Weg gehen, erst das Bekannte zu sammeln und später dann auch relativ unbekannte Künstler kennenzulernen.
    Als ich begann, Schallplatten zu sammeln, gab es hauptsächlich Karajan, Böhm, Münch, Reiner, an Geigern Heifetz, Schneiderhan, Stern, Szeryng und an Pianisten Richter, Gulda, Kempff, Arrau und Anda (jedenfalls für mich). Eine Ausnahme war der bulgarische Pianist Youri Boukoff, den ich in den 60er Jahren mit den Bamberger Sinfonikern (ich glaube, unter Stanislaw Wislocki), damals noch in der Halle Münsterland (ja, da fanden damals vor mehreren tausend Zuschauern klassische Konzerte statt, bei Karajan waren es 6000!) kennenlernte. Er gab Tschaikowskys b-moll-Konzert und als Zugabe einen Satz aus Ravels D-dur-Konzert. Von ihm (Boukoff) habe ich später nichts mehr gehört.
    Die anderen o.g. gehören auch heute noch zu den Besten, die auf dem Gebiet je musiziert haben.
    Später lernte ich dann, Gott sei Dank, auch junge oder jüngere, noch relativ unbekannte Musiker kennen, wie Alfredo Perl, den zu dem Zeitpunkt höchstens Insider kannten, und auch Olli Mustonen war damals noch nicht überall bekannt, Till Fellner war bestenfalls in Österreich bekannt. Oder wer kannte vor zehn Jahren eine Geigerin namens Latica Honda-Rosenberg?
    Es gibt aber noch eine weitere Gruppe, die auch schon verschiedentlich angesprochen wurde, die aus der zweiten oder dritten Reihe. Auch diese Leute machen schöne Konzerte. Ich denke an eine Sopranisten, die schon des öfteren mit uns aufgetreten ist und bei einer Mozart-Messe ziemliche Schwierigkeiten hatte mit ihrer Partie, dann aber bei anderer Gelegenheit bei einem Mozart-Dinner die Arie der Königin der Nacht bravourös meisterte, ohnd dass mir ein Fehler aufgefallen wäre.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).