An allem ist das Libretto schuld

  • Wie oft denkt man sich's bei diversen Opern: Was für eine Musik! Wenn nur das Libretto nicht wäre...
    ...dann wäre die Oper am Ende ein epochales Repertoirewerk.


    Mir geht es hier nicht um die Opern, die trotz ihres Librettos Erfolg haben (wie der "Trovatore"), sondern um jene, deren Erfolg vom Libretto verhindert wird.


    Für mich ein Paradebeispiel: Webers "Euryanthe". Welch geniale Musik! Aber das Libretto ist so ungenießbar, dass keine Entschuldigung das Werk rettet.


    Welche anderen Beispiele kennt Ihr, in denen der Fall ähnlich extrem liegt?

    ...

  • Hallo Edwin,


    ich will mit dem kleinen Beitrag jetzt nicht sagen, dass diese Opern letztlich wirklich epochal sehr bedeutendes Repertoire geworden wären, aber ich habe solches von dir Beschriebenes über Dvoráks frühes Opernschaffen gelesen.
    Da ist auch schon der erste Punkt: ich kenne die Opern (noch) nicht - so weit wie es mir möglich ist, wird sich das im Laufe der Jahre ändern.


    Dvoráks Opernschaffen war sowieso nie so, wie er es sich erhofft hatte.
    Entweder schaffte er nicht einmal in seiner Heimat den Erfolg oder es blieb eben in den eigenen Grenzen - Besserung kehrte ja gegen Ende seines Schaffens und Lebens ein, als er sich ausschließlich seine Bestimmung widmete.


    Zitat

    Was für eine Musik! Wenn nur das Libretto nicht wäre...


    Genau das habe ich häufig auch dazu gelesen - wenn ich es wiederfinde, schreib ich es noch.
    Teilweise waren die Kritiker sogar erstaunt, was Dvorák doch noch daraus gemacht hat. Besonders bei der Oper Der Bauer ein Schelm oder auch Die Dickschädel.
    Die Lebritti sollen manchmal einfach nur albern und 'dumm' gewesen sein...Die Vertonung viel zu gut für solch eine Grundlage.


    (Bitte seht das nicht als mein Urteil an. Ist eben zitiert nach dem Gedächtnis.)


    Ich hoffe das ging in die gezielte Richtung.
    Schon alleine aufgrund dieser Aussagen reizen mich aber die Opern Dvoráks sehr!


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo Zusammen


    Ich bin oft mehrmals in der Woche am Libretto lesen und mit der Trackliste am abgleichen.
    Einige Vertriebsfirmen nehmen es sehr ungenau mit der Namensgebung der Tracks oder
    dem Inhalt des Librettos. Die letzte Skandalöse Ausgabe, an der ich fast zwei Stunden
    die Titelliste korrigierte war "Ascanio in Alba" eine weniger bekannte Mozartoper aus einer
    Sammelbox von "Brilliant Classics". Das Libretto war so schlecht verfasst, dass ich diverse
    Textstellen aus einem anderen Libretto hinzufügen bzw. ersetzen musste und die Oper
    zweimal hören um zu eroieren welcher Track zu welcher Stelle im Libretto gehört.


    Greets, Carl

    Our cultural heritage belongs to all of us, that's why we must preserve it
    Unser Kulturgut gehört uns allen, deshalb müssen wir es bewahren
    http://www.publicdomain.ch

    Einmal editiert, zuletzt von Carl ()

  • Webers "Euryanthe" wurde oben ja schon genannt.


    Das Unglück will es nur, dass es bei seiner letzten Oper "Oberon" librettotechnisch auch nicht viel besser aussieht.
    Das Ganze ist eine ziemlich ungewöhnliche Mischung aus Schauspiel und Singspiel (im Original noch dazu auf Englisch) und steht in der damals in England wohl noch gebräuchlichen Form der "Masque" - eine Form des Musiktheaters, die eigentlich Henry Purcell gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit Werken wie "King Arthur" oder "A midsummer night's dream" erstmals zur Blüte gebracht hat.
    Jedenfalls ist Webers "Oberon" aufgrund dieser historischen Voraussetzungen ebenfalls nicht besonders einfach zu inszenieren, weil eine "Klassische" Inszenierung als reine Oper dem Stoff/ dem Libretto einfach nicht gerecht wird.
    Und auch hier ist wieder jede Menge wundervoller Musik enthalten, die leider so nur sehr selten mal zur Aufführung kommt ;(


    Weber hatte irgendwie nach seinem "Freischütz"-Erfolg kein Glück mehr mit seinen Librettisten... echt schade!

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Schumanns Genoveva oder Pfitzners Christelflein fallen mir da noch ein. Aber letztlich verstehe ich nicht, warum bei diesen oder den schon genannten Opern das Libretto "schuld" sein soll, während bei diversen anderen Werken die grauenvollsten Textbücher akzeptiert werden.


    Ich jedenfalls finde mindestens 70 bis 80 Prozent der Operntexte katastrophal, und der Grad der sprachlichen Peinlichkeit spielt dann eigentlich auch keine Rolle mehr, oder? Fast alle Verdi-Opern, Puccinis Butterfly oder Boheme, die Zauberflöte, der Freischütz (ist das Libretto wirklich besser als das von Oberon?), Gounods Faust...die Liste der Werke mit kastatrophalen Textvorlagen wäre beliebig zu verlängern. Ausnahmen wie einige Strauss-Opern oder Pfitzners Palestrina bestätigen eigentlich nur die Regel. Und deshalb glaube ich nicht, daß es letztlich am Textbuch liegt, wenn musikalisch hochinteressante Opern mehr oder weniger vergessen werden. Die Ursachen muß man woanders suchen.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich wäre zwar auch vorsichtig, die alleinige Verantwortung aufs libretto zu schieben. Aber man kann hier schon ziemlich klar unterscheiden zwischen einzelne Unstimmigkeiten oder Biederkeiten des Textes wie im Freischütz, der aber einen echten Konflikt enthält, nämlich Maxens unzuverlässiges Rohr und dessen illegalen Bewältungsversuch, der ohne den Deus ex machina zur Katastrophe geführt hätte, und einer praktisch beziehungslosen Szenenfolge ohne wirklichen Konflikt oder dramatische Entwicklung wie Oberon.
    Etwas kann sprachlich drittrangig, recht unplausibel usw. sein, aber dramaturgisch funktionieren.
    Und wieviel von den Nach-Rosenkavalieropern mit literarischen Textvorlagen sind wirklich lebensfähig?
    Die Beliebtheit und Inszenierungshäufigkeit von Palestrina oder Daphne dürfte sich wenig gegenüber der Euryanthe geben...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Mir geht es sehr selten so (ich kann auch die Fremdsprachen zu schlecht bzw. gar nicht, um mich bei nicht-deutschen Opern übers Libretto ärgern zu können).


    Kürzlich hat mich aber wirklich die Diskrepanz zwischen Käse-Text und hervorragender Musik gequält:


    Schönberg
    Von heute auf morgen


    seine "Zeitoper" in Zwölftonschreibweise, unmittelbar vor "Moses und Aron" geschrieben. Der Text ist NOCH SCHLECHTER als bei "Erwartung".

  • Hallo Bernd


    Zitat

    Ich jedenfalls finde mindestens 70 bis 80 Prozent der Operntexte katastrophal, und der Grad der sprachlichen Peinlichkeit spielt dann eigentlich auch keine Rolle mehr, oder? Fast alle Verdi-Opern, Puccinis Butterfly oder Boheme, die Zauberflöte, der Freischütz (ist das Libretto wirklich besser als das von Oberon?), Gounods Faust...die Liste der Werke mit kastatrophalen Textvorlagen wäre beliebig zu verlängern.


    Das tut mir Leid für dich. Mit der Einstellung lässt sich aus dir kaum ein Opernliebhaber machen. ;)


    Es ist aber auch objektiv nicht richtig. Die Texte sind mehrheitlich nicht so schlecht wie ihr Ruf. Es mangelt öfter an der Bereitschaft, sie verstehen zu wollen, und an der Einsicht, dass sie nicht Literatur sein sollen, sondern ein Vehikel für den Komponisten, eine möglichst einfache aber wirkungsvolle Geschichte musikalisch umsetzen zu können. Daraus folgt natürlich unmittelbar, dass die Literaturoper eigentlich eine Fehlentwicklung ist, nicht Fisch noch Fleisch, und nur in ganz wenigen Beispielen auch wirklich gelungen umgesetzt.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Daraus folgt natürlich unmittelbar, dass die Literaturoper eigentlich eine Fehlentwicklung ist, nicht Fisch noch Fleisch, und nur in ganz wenigen Beispielen auch wirklich gelungen umgesetzt.


    ?(
    Wer sagt denn bitte, was eine Oper sein muß (Fisch oder Fleisch z.B.)?
    Wieso muß eine Oper eine einfache Handlung haben?
    Wieso muß eine Oper überhaupt eine Handlung haben?

  • Hallo Johannes,


    du bist nicht der erste, der mit dem "dramaturgischen Funktionieren" argumentiert.


    Vielleicht sehe ich das alles zu subjektiv, aber auf mich wirken Opern wie der Troubadour oder die Macht des Schicksals dramaturgisch völlig unintereressant, ich habe absolut keine Lust, mich mit den ebenso plakativ-banalen wie verwickelten Sex-an-Crime-Storys, die diesen Werken zugrundeliegen, auseinanderzusetzen. Gerade die Macht des Schicksals habe ich schon mehrfach gesehen, aber wenn du mich jetzt fragen würdest, worum es in der Handlung eigentlich geht, wäre ich hoffnungslos verloren.
    Und der Freischütz lebt meines Erachtens auch nicht von seinem albernen Plot, sondern von der atmosphärisch dichten und heute noch aufregenden Wald- und Wolfsschluchtstimmung der Musik.


    Warum ich in Aachen schon drei verschiedene Rosenkavalier-Inszenierungen, aber noch keine einzige Daphne sehen konnte, verstehe ich übrigens absolut nicht. Daphne ist ein Meisterwerk mit einem brauchbaren Textbuch und wunderbarer Musik - ich denke halt, daß es einfach sehr schwierig ist, solch vernachlässigte Opern von den Abstellgleisen, auf denen sie in den Köpfen stehen, wieder herunter zu bekommen. Mit dramaturgischen Schwächen hat das IMHO wenig zu tun, sondern eher mit dem Tatasache, daß nichts erfolgreicher als der Erfolg ist. Salome, Elektra und der Rosenkavalier sind einfach als Renner etabliert, und Daphne, die Liebe der Danae, die schweigsame Frau sowie Capriccio werden ihren völlig zu Unrecht bestehenden Looser-Nimbus nicht los.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Wer sagt denn bitte, was eine Oper sein muß (Fisch oder Fleisch z.B.)?
    Wieso muß eine Oper eine einfache Handlung haben?
    Wieso muß eine Oper überhaupt eine Handlung haben?


    Es ist hilfreich für den Zuschauer. :D

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • @ Kurzstückmeister


    Zitat

    Der Text ist NOCH SCHLECHTER als bei "Erwartung".


    Inwiefern ist denn der Text der Erwartung "schlecht"?


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Nun ja, ich habe absichtlich einen etwas groben Seitenhieb gemacht, weil das Libretto der Erwartung manchmal sehr gelobt wird, zu sehr, wie ich meine, wenn mans als Text liest, ist es wirklich keine literarische Glanzleistung des expressionistischen Dramas (man vergleiche mit Sorge, Hasenclever, Goering, Barlach, Kaiser, Toller, Brecht, Bronnen), das in kuriosem Gegensatz zu dieser Überschätzung oft gern unterschätzt oder ignoriert wird. Das die Ursache meines Ärgers (kurz gesagt: Lest Hasenclever!)


  • Du wirst es nicht glauben, aber ich BIN ein Opernliebhaber. Durch die Oper (hauptsächlich durch Wagner) bin eigentlich erst richtig zur Musik gekommen - trotz der schlechten Texte.


    Ich kann mit einem miserablen Libretto hervorragend leben, wenn mich die Musik (natürlich irgendwo auch in Kombination mit der Handlung) anspricht.


    Aber hier ging es ja um die Frage, ob das Libretto an allem schuld ist. Und ich vertrete die Auffassung, daß viele Erfolgsopern ein genauso schwaches Libretto haben wie etliche vernachlässigte Werke.


    Euryanthe und Oberon überzeugen mich übrigens mit Ausnahme der Ouvertüren auch musikalisch nur wenig.



    Viele Grüße


    Bernd

  • ... vielleicht ist es wirklich oft nur eine "Verlegenheitslösung" (und eine bequeme noch dazu), wenn man mangelnde Bühnenpräsenz einer Oper lapidar auf das "schwache Libretto" schiebt - dann muss man sich wenigstens nicht mehr die Mühe machen, nach weiteren, vielleicht stichhaltigeren Gründen zu suchen.


    Denn es stimmt schon: Viele nach wie vor sehr erfolgreiche Opern haben eigentlich dramaturgisch gesehen eklatante Mängel und dürften so gesehen aus diesen Gründen ebenfalls nicht mehr aufgeführt werden - das Gegenteil ist der Fall!


    Überhöhte literarische Ansprüche würde ich übrigens an so gut wie keine Operntexte stellen - Opernlibretti wollen und sollen Schauspiel und Lyrik (die mit ebendiesem literarischen Anspruch produziert wurden) keine Konkurrenz machen. Dazu sind sie aufgrund der musikalischen Erfordernisse, denen sie Rechnung tragen müssen (sollten), nicht geeignet. Sie wirken erst im Zusammenspiel mit der dafür komponierten Musik als "vollgültig" - diese "Symbiose" beider Elemente darf man nie getrennt betrachten, sonst tut man der Operngattung Unrecht.


    Aber dramaturgische Schwächen von Opernlibretti kann man schon aufzeigen und kritisieren - sind sie erstmal vorhanden, kann oft auch die zugehörige Musik nicht allzuviel "kitten". Oft fehlte dem Komponisten dann auch einfach die Inspiration, der "zündende" Gedanke, der einen dramaturgisch geschickt gemachten Text dann in seiner Wirkung durch die hinzukommende Musik verstärkt.


    Umso mehr bewundere ich dann Komponisten, die es trotz aller textlichen Widrigkeiten geschafft haben, aus einem "schwächelnden" Libretto noch eine tolle Oper zu "zaubern", die sich zudem auch noch als Publikumsliebling erwiesen hat (was dann eindeutig an der Musik liegt)!
    Aber wenn etwas unberechenbar ist und enormen Schwankungen unterliegt, dann ist es diese "ominöse" Publikumsgunst - es kann keiner vorhersagen, wie sie ausfällt und wie sich sich ändern und weiterentwickeln wird. Ein schwer berechenbarer Faktor mit leider oft weitreichenden Folgen...

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Überhöhte literarische Ansprüche würde ich übrigens an so gut wie keine Operntexte stellen - Opernlibretti wollen und sollen Schauspiel und Lyrik (die mit ebendiesem literarischen Anspruch produziert wurden) keine Konkurrenz machen. Dazu sind sie aufgrund der musikalischen Erfordernisse, denen sie Rechnung tragen müssen (sollten), nicht geeignet. Sie wirken erst im Zusammenspiel mit der dafür komponierten Musik als "vollgültig" - diese "Symbiose" beider Elemente darf man nie getrennt betrachten, sonst tut man der Operngattung Unrecht.


    Irrtum. Die Oper, wie sie ursprünglich sich etablierte, war keineswegs eine musikalische Orgie mit ein wenig dramaturgischem Motor, der keinen Anspruch auf literarische Geltung machte!


    (Bis ins 18. Jh. sogar stehen auf den Programmzetteln die Textdichter größer als die Komponisten.)

  • "Geboren" um 1600 in Florenz als "Wiederbelebungsversuch" der antiken Tragödie - das stimmt! Insofern bei ihrer Entstehung durchaus auch mit literarischen Ambitionen gestartet - doch schon wenige Jahrzehnte später durch ihren enormen Erfolg beim "gewöhnlichen" Publikum, das z. B. in Venedigs öffentliche Opernhäuser strömte, aus Sicht der gebildeteren Literaten dringend reform- und renovierungsbedürftig, weil eben aus deren Sicht "heruntergekommen" und zu "gemein".


    Nach dieser Reform um 1700 durch Apostolo Zeno und später auch Pietro Metastasio tatsächlich literarisch gesehen auf einem einsamen Höhepunkt angekommen - das sahen auch die Zeitgenossen so, denen der Name "Metastasio" auf einem Libretto quasi schon fast wie eine werkimmanente "Erfolsgarantie" galt. Eine Art "Werbefaktor", der eben auf den Programmzetteln auch entsprechend groß angekündigt wurde.

    Aber zu der Zeit (so um 1730) war das Libretto eh nur "Transportmittel" für virtuose Arien-SängerInnen, daher spielte es eine geringere Rolle, als im späten 18. und dann natürlich im 19. Jahrhundert. Wie sonst ist es zu erklären, dass damals ein gutes Libretto viele Dutzend Male immer wieder neu vertont wurde?


    Das Interesse an neuartigen Sujets, an mitreissenden Intrigen und großen Massenszenen, später dann auch an immer exotischeren Handlungsorten, ist erst im 19. Jahrhundert aufgekommen - das Libretto erfüllte da dann eine ganz andere Funktion als im 18. Jhdt. zu Zeiten von Händel und Hasse & Co.


    Und was ich über diese dramaturgischen Aspekte geschrieben hatte, an denen sich ein Libretto messen lassen sollte, bezog sich halt hauptsächlich auf Libretti des 19. Jahrhunderts. Das war evtl. nicht präzise genug formuliert :hello:


    Aber eine spannende Diskussion bleibt es trotzdem....

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von MarcCologne


    ...Überhöhte literarische Ansprüche würde ich übrigens an so gut wie keine Operntexte stellen - Opernlibretti wollen und sollen Schauspiel und Lyrik (die mit ebendiesem literarischen Anspruch produziert wurden) keine Konkurrenz machen. Dazu sind sie aufgrund der musikalischen Erfordernisse, denen sie Rechnung tragen müssen (sollten), nicht geeignet. Sie wirken erst im Zusammenspiel mit der dafür komponierten Musik als "vollgültig" - diese "Symbiose" beider Elemente darf man nie getrennt betrachten, sonst tut man der Operngattung Unrecht....


    Das sehe ich ähnlich, und deshalb stören mich die sprachlichen und dramaturgischen Schwächen vieler Operntexte beim Erlebnis des Gesamtwerkes nur wenig.
    Das ändert aber nichts daran, daß die meisten Libretti auf der reinen Wortebene für mich kaum genießbar sind.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Du wirst es nicht glauben, aber ich BIN ein Opernliebhaber. Durch die Oper (hauptsächlich durch Wagner) bin eigentlich erst richtig zur Musik gekommen - trotz der schlechten Texte.


    Willkommen im Club! ;)


    Du bist aber möglicherweise einer von der allzu gestrengen Sorte. Ich kann mich nur wiederholen. Die Libretti sind mehrheitlich gar nicht so schlecht und leiden mehr darunter, dass man sie mit unpassenden Massstäben misst.


    :hello:



    PS: Ein echte Problem ist natürlich die Tatsache, dass du über Wagner zur Oper gekommen bist. Du bist dadurch verständlicherweise relativ einseitig konditioniert, da Wagner eine Randposition im Opernbetrieb einnimmt (inhaltlich!, nicht umsonst nennt er seine Werke nicht Opern, sondern Musikdramen).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Von Rousseau (oder Voltaire) stammt doch der schöne Ausspruch, dass alles, was zu dumm ist, um gesprochen zu werden, immer noch gesungen werden könne :D


    Mit Musik fällt es halt leichter - die macht vieles erträglicher ;)


    Daher würde ich nie ein Libretto "nur" lesen, das demotiviert und desillusioniert zu sehr :] ... und ist ja auch nur die "halbe Miete" ohne die zugehörige Musik.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Salut,


    was zeichnet denn ein "gutes" Libretto aus?


    Für mich ist z.B. Pietro Metastasio einer der "größten" Librettisten seiner Zeit - es ist beinahe unschlagbar - jedoch beschränkt auf seine Opere Serie. Man muß natürlich eine Opera Seria als solche [als Kunstform] akzeptieren, um den Sinn bzw. den Aufbau mögen zu können. Es war ein Zeitgeschmack: Eine eher "blöde" Handlung, die darauf aus ist, aus einem widerlichen Herrscher einen huldigungswürdigen "zu machen" - ohne Rücksicht auf eine innere Logik oder einen Wahrheitsgehalt.


    Ab vielleicht 1770 wurde dies als verstaubt und verzopft angesehen und die Librettisten der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts schöpften eine neue Form, in der die Handlung wesentlich wichtiger wurde und mit Musik versehen werden konnte, welche den Text untermalt oder hervorhebt, zumindest in der Bedeutung nicht mehr vernachlässigt. Für mich gilt hier für ein "gutes" Libretto eine ausgereifte Handlung, die in den Dialogen oder Rezitativen klar herüber kommt, die Arien oder Einlagen sind begleitend oder kommentierend und zeitweise werden Handlung, Text und Musik genial vermischt, z.B. Nr. 1 des "Figaro" oder der "Zauberflöte" oder im Quartett Nr. 16 aus "Die Entführung aus dem Serail", um bekannte Beispiele zu nennen.


    Bereits zu Lebzeiten war z.B. Lorenzo da Ponte sehr umstritten: Seine Bewunderer [z.B. Joseph II.] unterstützten seine Vorhaben, seine Gegner [darunter auch Komponisten seiner Libretti] schoben ihm allein die Schuld für ein Fiasko in die Schuhe. Den Ball spielte er natürlich zurück:


    Aus Rücksicht [...] ließ ich mich hinreißen, zwei Operntexte zu schreiben, einen für Righini, den anderen für Peticcio. Sie machten Fiasko. Die Anhänger dieser Komponisten schrieben mir die Ehre der Niederlage zu; ich gab der Musik, welche mein Genie erstickt habe, die Schuld. Die Frage wird niemals entschieden werden.


    Der Kaiser beruhigte da Ponte und meinte: "Schreiben Sie für Mozart, Martini [Martín y Soler] und Salieri, denken Sie nicht mehr an Peticchio und Righini, die nur Gassenmusiker sind. Casti [ebenfalls bedeutender Librettist] war gescheiter; er komponierte nur für einen Paisiello und für einen Salieri, zwei Meister, die sich geltend zu machen wussten und sich nie bloßstellten."


    Es war auch damals schon so, dass durch besonderes Hervorheben von Schützlingen andere zum Abschaum abgestempelt wurden, leider.


    Klaffen denn zwischen Oberon und Zauberflöte wirklich so große Lücken? Stammen doch beide jedenfalls prinzipiell von Wieland... der auch von Goethe zu Lebzeiten zunächst ignoriert und missgünstig betrachtet wurde, später aber entwickelte sich gar eine gute Freundschaft.


    Am wenigsten sagt mir Mozarts La finta Giardiniera zu - ich finde die Oper insgesamt langweilig in dem Sinne, dass sie zu lang ist - und das laste ich schon dem Textdichter Petrosellini an, von dem ich andere gelungene Werke kenne. Mir fehlt auch eine deutliche Portion Action. Ich verstehe gar nicht, warum diese Oper gerade jetzt seit ein paar Jahren so "boomt"? Nur weil man ihr eine gewisse Nähe oder Vorahnung zum "Figaro" nachsagt?


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich habe diesen uralten Thread absichtlich herausgesucht, um auf eine Radiosendung heute im DLF aufmerksam zu machen, die sich mit diesem Thema befasst:


    Deutschlandfunk Köln, Sonntag, 2. März 2008
    15:05 Uhr Musikszene


    Geschichten vom Dienen und Streiten


    Opernkomponisten und ihre Textdichter gestern und heute
    Von Dagmar Penzlin


    Zitat

    Ohne Libretto keine Oper. Doch wie Musik und Worte zusammenfinden, das ist ein komplexer Prozess. Mal weiß ein Komponist ganz genau, wie er die Geschichte erzählen will, und er braucht nur noch jemanden, der ihm das passende Libretto maßschneidert. Mal entzündet erst ein gutes Textbuch die musikalische Fantasie des Komponisten. Giacomo Puccini schrieb: "Wenn ich kein Libretto habe, wie soll ich Musik machen? Ich habe diesen großen Mangel, dass ich nur komponieren kann, wenn meine Marionetten aus Fleisch und Blut sich auf der Bühne bewegen ..." Hinzu kommt der ewige Streit, wer wem zu dienen habe - die Worte der Musik oder die Musik den Worten. Oft verstehen sich Librettisten allerdings als Servicekräfte: kürzen Dialoge, tauschen Worte und Vokale aus - ganz nach den Wünschen des Komponisten. Hier kommt die Frage ins Spiel: Wer verfasst überhaupt das Libretto? Ein ausgewiesener Literat oder einer der vielen nebenberuflichen Librettisten, die meistens den Theaterbetrieb aus anderer professioneller Warte kennen? Solche Librettisten gab es früher, gibt es heute. Ausgestorben sind die Berufslibrettisten, die im 19. Jahrhunderten sogar in Teams gearbeitet haben. In der "Musikszene" kommen zeitgenössische Komponisten und Librettisten zu Wort. Sie vergleichen ihre Arbeit mit der ihrer Vorgänger in früheren Jahrhunderten.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo Harald,


    leider lese ich die von Dir gemachte Programmankündigung erst heute, schade - das klingt ziemlich interessant :(


    Hattest Du Gelegenheit, Dir die Sendung anzuhören? :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)