Wenn Musik atmet – Das Vokabular der Musik Beschreibenden!

  • „Hm, schönes Näschen, - ordentliche Würze.“
    „Ja, edles Tröpfchen, aber ich würde sagen der braucht noch ein bisschen Luft“
    „Ja, könnte sein, aber Du musst aufpassen, man kann Weine auch tot lüften.“
    „Schon war, aber bestimmt nicht diesen hier.“


    Sie trinken...
    „Fett! – Aber ich finde er ist noch ein bisschen grün – fast ein Kindsmord!“
    „Pass auf der kommt noch. Ich finde es eh schön, wenn sich der Wein im Glas entwickelt“
    „Ich auch, aber dieser hier wird sich heute nicht mehr entwickeln!“
    „Vielleicht hast du Recht, ich habe gehört dass er gerade eine sehr schwere Phase durchmacht.“
    „Mag sein, dass es sich nur um eine Phase handelt, könnte aber auch sein, dass der nie wieder aufmacht.“
    ...
    „Probier doch noch mal. - Jetzt kommt er.“
    „Oh ja! Herrlich im Abgang.“
    „Und diese Länge...“


    So oder so ähnlich kann das klingen, wenn sich zwei Weinliebhaber über einen gemeinsam erlebten Wein unterhalten. Ein Außenstehender könnte versucht sein, die beiden für echte Spinner oder zwei eingebildete Snobs zu halten. Ersteres dürfte zwar in vielen Fällen zutreffen, doch dürfte dies nicht der Grund für das eher eigenwillige Vokabular sein. Es ist beim Wein wie bei der Musik sehr schwierig das erlebte in Worte zu fassen. Es wird um so schwerer, wenn der Gesprächspartner den Wein (noch) gar nicht kennt. Deswegen haben sich die Weintrinker ein „eigenes“ Vokabular zugelegt. Und wenn man ein paar Jahre über Wein gelesen und gesprochen hat, dann kommt man auch ganz gut damit zurecht.


    Bei den Besprechungen Klassischer Werke, Aufführungen und Einspielungen hier im Forum fühle ich mich manchmal wie der oben genannte Außenstehende, der unsere Weinfreunde belauscht. Oft frage ich mich „Was zum Teufel meint der damit?“ – Dann wünsche ich mir einen Thread, in dem ich mal ganz dumm fragen kann. Doch es gibt keinen. Dem möchte ich nun Abhilfe schaffen und mit meiner ersten „dummen“ Frage beginnen.


    Ich stellte die Frage bereits im Marriner Thread, doch wurde sie dort wohl eher rhetorisch aufgefasst.


    Was versteht man darunter, wenn Musik atmet?


    Zwar habe ich eine grobe Vorstellung, aber ich bin auf eure Erklärungen gespannt. Bin auch gespannt, ob es die eine Erklärung gibt oder ob ich mit meiner „dummen“ Frage nun eine endlose Diskussion vom Zaun breche.


    Ich würde mich sehr freuen, wenn ich nicht der einzige bliebe und auch andere mal ganz „dumm“ fragen. Vielleicht entsteht ja etwas ganz besonderes.


    Vielleicht ein Wörterbuch:
    Tamino – Deutsch
    Deutsch – Tamino


    Oder gibt es dieses gemeinsame Vokabular in der Musik gar nicht?


    Auf einen erkenntnisreichen Diskussionsverlauf freut sich
    Euer
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Hallo Gallo Nero,


    ein toller thread, den Du ins Leben gerufen hast!!


    Lassen wir einmal musikwissenschaftliches Vokabular außen vor (allegro, diminuendo, staccato, Agogik, Dynamik etc.). Denn wenn ich Dich richtig verstanden habe, zielen Deine Fragen ausschließlich auf die Beschreibungen subjektiver Empfindungen ab.
    Und genau so verlässt man den gesicherten Rahmen verbindlicher Begrifflichkeiten zu einem recht vagen Feld des Empfindungsvokabulars.
    Ich glaube, daß dieses Vokabular noch viel weniger verbindlich ist als das der Weinkenner, wenn sie versuchen zu beschreiben, wie der Traubensaft ihren Gaumen kitzelt. Zudem kann man hier auch noch eine Unterscheidung treffen zwischen der Beschreibung der Musik an sich und einer bestimmten Interpretation.


    Was nun Dein Beispiel betrifft, so glaube ich sogar, daß es sich um eine mehr oder minder unbewußte Reaktion des Hörers handelt, die er dann objektivierend auf die Musik überträgt.
    Wenn jemand Musik hört, und ihr dann bescheinigt, sie würde "atmen", dann muß dejenige entweder Musik davor gehört haben, oder eine andere Intrepretation des Werkes kennen, die aus seiner Sicht nicht "atmet", die - so verstehe ich es - einen klanglich "erdrückenden" Eindruck macht.
    Meist fällt einem IMO dann selbst das Atmen schwer, man fühlt sich erdrückt, vielleicht auch beengt, wie auch immer. Das wird dann objektivierend auf die erklingende Musik übertragen - vielleicht auch um die subjektiveren Aussage: "Ach, kann man dabei schön aufatmen" durch eine verbindlichere, objektive zu ersetzen, um sein Empfinden mehr Wahrheitsgehalt zu verleihen.
    Welche Faktoren für diesen Eindruck verantwortlich sind, ist IMO nicht verallgemeinerbar. Einer mag zu starke Blechbläserdominanz in dem Werk/Interpretation "erdrückend" empfinden, der andere den fehlenden "federnden" Charakter der Musik/Interpretation.


    LG
    Wulf.

  • Ich muß zunächst das Vorurteil gestehen, dass Weinkennerjargon für mich das Musterbeispiel snobistischen Gelabers ist, das man innerhalb kurzer Zeit
    als Bluff täuschend ähnlich imitieren kann. :stumm:;) (kennt jemand diese reizende Geschichte, IIRC von Roald Dahl, wo unter Oinophilen einer beinahe seine Tochter verschachert...?) Auch wenn das ein unhaltbares Vorurteil sein mag und das Bluffgelaber in der Musik natürlich auch möglich ist, so hoffe ich doch sehr, dass es in der Musik besser geht!
    Wuld hat ja schon darauf hingewisen: Es gibt ein technisches Vokabular, auch wenn man damit gewiß nicht alles befriedigend beschreiben kann, so zeigt es doch, dass es hier eine Ebene gibt, die beim Wein fehlt. Beim Wein bleibt chemische Analye einerseits und der von Dir vorgestellte Jargon andererseits. Beim Sprechen über Musik gibt es etwas zwischen der Angaben von Frequenzspektren, Tondauern auf der einen und der metaphorischen Beschreibung subjektiver Empfindungen auf der andern Seite.
    Denn Musik hat (vielleicht von ein paar extremen Ausnahmen abgesehen) etwas mit Sprache gemeinsam, was Wein und Parfum nicht haben, und damit meine ich nicht nur eine regelhafte Struktur.
    Um beim "Atmen" zu bleiben: i) Musik läuft offenbar in der Zeit ab, Musik-Erleben ist ein zeitlich gegliedertes, der Atemrhythmus ist aber wie der Puls einer unserer natürlichen Taktgeber. Ein Musikstück kann ergo auf dieser fundamental-körperlichen Ebene wirken, indem es schneller oder langsamer als der Hörer pulsiert, mit entsprechender Wirkung. (ii) noch wichtiger: Selbst Musik, die sich stark vom Gesang gelöst hat, wird fast immer in Phrasen gegliedert sein, die durch "Atempausen" (die man beim Sprechen, Singen oder Blasen benötigen würde) getrennt/verbunden werden. Wie beim lauten Sprechen gibt es "Kommas", "Punkte", "Absätze", "Fragen", "Antworten", "Einwürfe" usw.
    (kein ganz ideales Bsp. , aber nimm den Beginn der Jupitersinfonie: Eine Art polternder Ausruf gefolgt von einem "fragenden" Nachsatz. Oder z.B. der Beginnt des 3. Satzes von Beethovens 5.: Schon die Piano-Phrase ist klar in "Frage"-" zaghafte Antwort" gegleidert, dann folgt eine Art gewaltsames "Niederbrüllen" oder ein Befreiungsschlag im Forte-Einsatz der Hörner. Das Trio wirkt dann wie ein aufgeregt-energisches Hin-und-Her-Streiten der Streicher, dass aber zu keinem rechten Ziel gelangt usw.)


    Fast immer gibt es hier auch Phasen der (relativen) Anspannung (Einatmen) und der Entspannung. Wenn man also den Eindruck der "Kurzatmigkeit" hat, so mag da durchaus ein gewollter Effekt sein, etwa der Ausdruck von Hetze oder Erregung und das sind Dinge, die sich im Stück finden, nicht in einem bloß subjektiven Eindruck davon. Diese Sprachmetaphern haben tatsächlich ein Fundament in der Musik. (Natürlich kann es Stücke geben, wo ein Komponist eine möglichst kontinuierliche, scheinbar kaum gegliederte "Fläche" erzeugen möchte, scheint mir aber eher die Ausnahme, selbst im 20. Jhd.)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo


    Ich erinne mich, daß vor einigen Jahren von einem musikwissenschafltich orientierten Member eines Forums die im Eingangsthread vorgestellte sprachliche Umschreibung als "Kritikerlatein" bezeichnet und zugleich heruntergemacht wurde. - aus ebendenselben Gründen, die Gallo Nero bereits erwähnt hat - nämlich der nicht einheitlich nachvollziehbaren Aussage solcher Bezeichnungen.


    Ich möchte hingegen gerade für diese Art der "Berichterstattung" eine Lanze brechen, da diese bildhaft blumige Sprache - obgleich nicht immer 100% objektiv, bzw nachvollziehbar - das einzige Mittel ist - das es möglich macht, dem "musikalischen Liebhaber" ohne musikwissenschaftliche Ausbildung - wesentliche Ansätze einer Interpretation - mit einer Sprache die sehr intuitiv ist - zu vermitteln.


    Hiebei ist natürlich eine eindeutige Aussage schwer bis kaum möglich - weil es sich ja um einen subjektiven Eindruck handelt.


    "Zwar habe ich eine grobe Vorstellung ..." das trifft es genau - mehr ist wahrscheinlich ohnedies nicht zu vermitteln


    Dazu kommt, daß - obwohl diese Art der Musikbeschreibung eher unwissenschaftlich ist - eine gewisse Hörerfahrung notwendig ist - um zu erahnen - was gemeint ist.


    Im übrigen - richtig eingesetzt - vermittelt diese Syntax feinste emotionelle Eindrücke, die die Musik beim Rezensenten SUBJEKTIV hinterlassen hat, welche eine wissenschaflichere Beschreibung einfach nicht möglich ist.
    Genauso wie bei der Sprache der Weinbeschreibung ist dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet - allerdings hier wie dort werden wirkliche Kenner "Blender" erkennen, wenn "gemogelt" wurde. In der Regel schweigen sie dann aber - in der Hoffung, daß der Kollege auch schweigt - wenn man selbst mal mogeln will oder muß. (Welcher Kritiker traut sich schon zu schreiben, er habe ein Werk oder eine Interpretation "nicht verstanden" wenn der berühmte Kollege X und der noch berühmtere Y eine Aufnahme über den grünen Klee lobt.....?


    DAß Amateurkritiker diese Sprache mit tausend Freuden ebenfalls ge- bzw mißbrauchen - das liegt auf der Hand.


    Dennoch - ich persönlich kann damit sehr gut leben....


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zunächst ist es fast unmöglich, sich sprachlich dem gehörten Musikerlebnis zu nähern. Denn die sprachlich codierte Mitteilung eines Hörerlebnisses ist schon ein schwieriges und gewagtes Unterfangen und birgt alle Mögliche des Nichtverstanden- Werdens, weil hier nämlich versucht wird aus etwas Nicht-Sprachlichem und damit nicht sprachlich Mitgeteiltem eine sprachlich verständliche und stringente Mitteilung zu machen.
    In diesem Dilemma also werden Analoga genommen, um zu verdeutlichen, was immer gehört, empfunden, erlebt wurde. Und Jetzt werden die Analoga so gebraucht, dass sie eine allgemein verständliche, zwar nicht immer allgemein-verbindliche Mitteilung transportieren können. Beispiel: Atmen, Puls, Ruhe. Meist sind dies Begriffe, die einen taktilen Grundrhythmus beschreiben oder auf einen solchen verweisen.
    Nun ist die Konnotation, die der Enzelne diesen Begriffen des Kritikers beimisst, sie sozusagen für sich damit übersetzt, zwangsläufig unterschiedlich. Aber ein gewisse Verständigungsmöglichkeit bieten sie eben doch.
    Man muss zwangsläufig zwischen den Zeilen lesen können und auch das Prosaische des Kritikers einordnen.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Heiwes möchte ich mich anschließen. Ich hatte mich mit dem Gedanken getragen, einen Thread zum Thema "Wer kann wirklich etwas mit Kritikerbeschreibungen anfangen?" zu beginnen, meine Überlegungen passen aber hier.


    Wenn ich eine Kritik in einer Musikzeitschrift oder online lese, überkommen mich viele Bedenken. Wenn es zB heißt, dieser oder jener Pianist nimmt eine Passage in einer Sonate "männlich", "arbeitet etwas heraus", "zeigt das Gebrochene in Schumanns Werk" etcpp., dann frage ich mich immer, ob derartige Beschreibungen überhaupt Sinn machen für jemanden, der das Werk selbst noch nicht kennt. Die Probleme bei der Beschreibung eines Musikstückes sind mir bekannt - ebenso wie beim Wein. Ich will damit auch nicht behaupten, daß derartige Umschreibungen völlig sinnlos sind, aber räume freimütig ein, daß sie mir nicht viel bringen.


    Ich lege Wert auf die Beschreibung der technischen Seite einer Aufnahme, ist sie verhallt, dumpf, die Balance der Instrumente falsch, gibt es Verzerrungen usw.. Ich möchte darüber infomiert werden, in welchem Zusammenhang sie steht: Wann entstanden, gibt es weitere Zusammenarbeiten der beteiligten Künstler, welche anderen Interpretationen gibt es noch, HIP oder HOP, welche Ausgabe des Werkes, und ähnliche Dinge.


    Das kann man alles leicht nachvollziehbar beschreiben, die sind sozusagen die "harten" Informationen. Die Beschreibung der Interpretation selbst gleitet dagegen rasch ins Blumige ab und bleibt vage bzw. nicht nachvollziehbar ("weiche" Information). Ich ertappe mich häufiger dabei, diesen Teil nur zu überfliegen und öfters habe ich auch schon festgestellt, daß sich die Kritik in diesem Punkte negativ las, mir die Aufnahme dennoch sehr gut gefiel (und umgekehrt).


    Auch wenn Alfred recht hat, wenn er von den Problemen schreibt, einem musikwissenschaftlich nicht Gebildeten eine Interpretation zu beschreiben, so stellt sich die Frage, ob das mit einer blumigen Sprache leichter zu bewerkstelligen ist, denn allgemeinverbindliche Definitionen des einschlägigen Vokabulars fehlen. Zwei Hörer können dieselben Worte benutzen, aber etwas unterschiedliches meinen.


    Letztlich meine ich, daß Kunst erfahren, nicht beschrieben werden muß.

  • Interessanter Thread, ich wollte in diesem Zusammenhang auf das Wort "Breitwandsound" zu sprechen kommen, sehe aber gerade noch rechtzeitig, daß Wolfgang zu diesem Thema schon einen Thread eröffnet hat.


    Breitwandsound in der Kritik


    Der Begriff wird ja meist im Zusammenhang mit Karajan als Schimpfwort benutz, wenn man so rumgoogelt, ist der Begriff Breitwandsound aber in der Pop/Rock-Musikkultur durchaus positiv zu verstehen. Aber was soll ich zu diesem Begriff hier meine Überlegungen anstellen, ich werde es im entsprechenden Thread tun, der dadurch vielleicht wieder ein bisschen belebt wird.


    Gruß, Markus

  • R.Stuhr meint, " zwei Hörer können dasselbe Wort benutzen, aber was unterschiedliches meinen ".
    Dies ist genau der Punkt, dass eine Musikkritik so schwer vermittelbar ist, dass diese denn auch verstanden werden kann.
    Verstanden in dem Sinne, dass beide Parteien unter dem gleichen Wort. z.B. eine Interpretation kommt schwerfällig daher nicht leicht usw. das Gleiche verstehen. Damit ist das jeweilig gebrauchte Wort aber immer auch jeweils anders konnotiert, es hat eine andere sprachliche Struktur bei mir als bei meinem Gegenüber. So löst der Begriff "schwer " bei manachem eben eine depressive Komponenete mit ein, eine Form der Traurigkeit, der Erdenschwere, bei andere etwas Erdiges, Bodenständiges usw.
    Verstehen einer Interpretation ist eben eher ein gefühlsmässiges Moment, hat neben der rein intellektuellen eben eine Gefühlskomponente.
    Insofern ist Musikhören etwas anderes als eine Sprache, ein Wort zu verstehen. Es ist umfassender und geht mit einer affektiven Komponente einher. So ist eben die Kritikermeinung, die in Sprache daherkommt, immer nur ein Hilfsvehikel, um das Erlebte nachfühlbar auszudrücken.

  • Hallo zusammen,


    das ist ja hochinteressant, was ich hier lese.


    Wulf, Deine Ausführungen zur Atmung haben mich zunächst etwas verunsichert. Was Du beschreibst, brachte ich eigentlich grundsätzlich erst mal mit „luftig“ oder „durchhörbar“ in Verbindung. Sind dass nicht eher Vorraussetzungen dafür, dass eine Musik wirklich atmen kann? Die Erklärungen von Johannes gehen da schon eher in die Richtung meiner Vermutungen. „Ein-„ und „Ausatmen“ ! Daran dachte ich auch. Johannes Vergleicht mit „Spannung“ – „Entspannung“ oder „Pause“. Was ist mit Dynamik? Ich spreche von… Äh…Hm… tja, da haben wir’s. Ich weiß gar nicht so recht wie ich mich ausdrücken soll. Ich nenne es mal rythmische Microdynymik. Also z.B. das rythmische Anschwellen (lauter und intensiver werden) und Abklingen einer tiefen Streichergruppe im Hintergrund. Das ganze aber Takt gebend. Wisst ihr was ich meine? Ist das auch eine Atmung oder sind wir da bei dem von Wulf angesprochenen „federnden“ Element oder dem von Johannes erwähnten Puls.


    Wie wir sehen, ist und bleibt es ein sehr schwieriges bis unmögliches Unterfangen ein einheitlichen Sprachdefinition zu finden. Ist doch die Musik für sich schon eine Sprache für Dinge, die wir mit Worten nicht ausdrücken können. Roberts und Heiweis’ Beiträge wirken auf mich allerdings etwas zu resignierend. Was auf Kritiker im Allgemeinen zutreffen mag, muss nicht zwingend auch auf den Taministen zutreffen bzw. hier ist es leichter Abhilfe zu schaffen, da wir im direkten Kontakt stehen. Ich behaupte eine Kritiker-Meinung wird umso wertvoller, je besser ich den Kritiker kenne. Wenn ich von Johannes weiß, was er unter Atmung versteht und sich das mit meinen Vorlieben deckt (oder eben nicht deckt), dann kann ich sehr viel mehr mit seinen Beschreibungen anfangen, als beim Kritiker XY. Threads wie dieser können dazu beitragen, dass wenigstens wir uns (noch) besser verstehen.


    Vieles ist und bleibt relativ. Aber mit ein paar mehr konkreten Beispielen würde das Ganze für mich greifbarer. Ich liebe, wie Alfred, diese blumige Sprache, möchte aber weder damit blenden noch möchte ich mich blenden lassen. Ihr habt mir mit Euren Beiträgen schon sehr geholfen und ich freue mich auf weitere interessante Beiträge. Vielleicht hat ja einer von Euch auch eine „dumme“ Frage.


    Liebe Grüße
    GelloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Ich habe selbst immer grosse Schwierigkeiten, zu beschreiben, was und warum mir ein bestimmtes Musikstück gefällt oder auch nicht gefällt.


    Ich bin noch nicht so weit fortgeschritten, dass mir eine gute technische Beschreibung möglich ist. Auch mag ich das nicht so, weil es so kalt und abstrakt ist. Es gibt für mich nicht wirklich das Hörerlebnis wieder. Wenn auch so eine Beschreibung wichtig ist für mich, um genauer hinzuhören, um die Struktur des Ganzen zu erkennen, um auf bestimmte Passagen mit ihrer besonderen Gestaltung aufmerksam zu werden.


    Und alles andere ist eben nicht objektiv. Ist ein eher lyrisches Vokabular, das sehr leicht verschwommen und ungenau wird. Und bei verschiedenen Leuten Unterschiedliches auslöst. Und doch ist es die einzige Form, in der ich mich wirklich dem "Geist der Musik" annähern kann.


    Lese ich so etwas, dann sagt es mir nur dann etwas, wenn ich das Musikstück schon kenne oder nach der Lektüre kennenlerne. Des öfteren finde ich die Beschreibung zutreffend; hilft sie mir, das Werk besser nach zu empfinden. Manchmal finde ich sie verfehlt, weil sie meinem eigenem Hörerlebnis widerspricht. Und manchmal empfinde ich sie auch als nichtssagend oder gar kitschig; das unabhängig vom Hören der Musik .


    Beim Zuhören selbst versuche ich zumindest beim ersten Mal mich frei zu machen von all dem, was ich schon gelesen habe und was ich weiß über die Musik. Und einfach nur unvoreingenommen hinzuhören. Das gelingt freilich nie vollständig, leider.
    Es klappt nur dann, wenn ich ganz überraschend etwas an Musik höre, von der ich weder Komponist noch Stilepoche kenne.

    Anna-Beate

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Tag,


    wenn gesagt wird, Musik hat Atem, wenn Musik atmet, dann ist's ein Moment poetischer Redeweise.


    Die Musik hat Atem in der Bedeutung von: Hat Hauch, Seele, setzt den Zuhörer in Atem, so sehr, dass einer sprachlos ist vor Erstaunen, den Atem anhält (Sprachgebrauch bei Wieland, Lessing, Goethe). Es gibt so Musik, die einen langen Atem hat, die kurzatmig ist. Es gibt auch Sachen, die einen kalt lassen.


    Die poetsiche Rede von einer Musik, die atmet, meint alsdann den Eindruck, vom Hörer empfangen, die Musik wirkt wie des Morgens lebendiger Hauch (Schiller). Wieland spricht von Liedern, aus den Zufriedenheit und ruhiges Vergnügen atmet.


    Der Atem, am Puls hängend, ist im Übrigen grundlegendes Musikphänomen, jede Quartettvereinigung weiß davon (der Plattenhörer kennt's auch, das Geschnaufe der Vier). Dirigenten müssen dafür sorgen, dass die Herren und Damen Orchestermusiker zusammen atmen.


    Musik lässt einen Atem schöpfen. Am Anfang war der Atem ...


    Freundliche Grüße
    Albus

  • Zitat

    Original von GalloNero
    stehen. Ich behaupte eine Kritiker-Meinung wird umso wertvoller, je besser ich den Kritiker kenne. Wenn ich von Johannes weiß, was er unter Atmung versteht und sich das mit meinen Vorlieben deckt (oder eben nicht deckt), dann kann ich sehr viel mehr mit seinen Beschreibungen anfangen, als beim Kritiker XY. Threads wie dieser können dazu beitragen, dass wenigstens wir uns (noch) besser verstehen.


    Ich habe eines nicht klar gemacht: Mir ging es nicht um Kritikerjargon oder subjektive Eindrücke, auch weniger um Interpretationen. In der Allgemeinheit in der Du von Atmen redest, fürchte ich auch , dass schwer klarzumachen ist, was das bedeuten soll. Der Atem gab mir nur das Stichwort, da ein wichtiger Zusammenhang von Phrasierung einerseits mit Atemholen beim Singen oder Musizieren und andererseits mit solch allgemeinen Merkmalen wie Spannung und Entspannung, die sich bei Ein/Ausatmen zeigen, besteht.


    Spannung, Entspannung, rhythmischer Puls und Phrasenstruktur sind ebenso objektive Elemente der Musik wie Hauptsätze, Nebensätze, Zäsuren etc. in einem Text.


    Aber dennoch können zwei Vorleser denselben Text unterschiedlich betonen: Man kann Zäsuren hervorheben oder eher einebnen, man kann eher Einzelheiten oder eher die "große Linie" betonen usw. Genau dasselbe gilt für musikalische Interpretationen (meist mit mehr Möglichkeiten und Freiheiten).
    Subjektiver wird es nun, wenn man diese Interpretationen bewertet. Hier mag es sein, das einer z.B. herausgemeißelte sehr deutliche Artikulation von Kontrasten gerade angemessen findet, der andere übertrieben und auf Kosten des "Ganzen" gehend usw.
    Wenn man meint, dass der dem Musikstück eigene Puls, der Wechsel von Spannung/Entspannung usw. in einer Interpretation nicht herauskommt, könnte man das evtl. so beschreiben, dass man sagt, "der Interpret lasse die Musik nicht atmen". Man meint dann eine Diskrepanz zwischen bestimmten Strukturen, wie man sie im Stück sieht, und deren Realisierung durch einen Interpreten.
    Ähnlich, wenn man meint, bei einem Dirigenten zerfalle ein Brucknersatz in Einzelheiten, so behauptet man, es fehle "der lange Atem". Aber das sind Metaphern für etwas ziemlich Konkretes und auch nicht völlig Subjektives.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)