Was, so alt ist das?

  • Hallo Klassikfreunde,


    kennt Ihr das? Ihr hört ein Stück und es kommt Euch plötzlich sehr modern vor. Ich meine nicht modern im Sinne zeitgenössischer Musik, sondern modern im Sinne von moderner Pop-, Jazz- oder Soulmusik.


    Mir fiel das neulich bei einigen Scarlatti Sonaten auf, die vor allem durch ihre Rythmik an aktuelle Pop und Soul-Elemente erinnern. Dabei sprechen wir ja von Musik aus dem 18. Jahrhundert! Als weitere Beispiele möchte ich vielleicht noch den zweiten Satz des 21ten mozartschen Klavierkonzertes oder auch die Waldsteinsonate des ehrwürdigen Ludwig von Beethoven nennen.


    Versteht ihr was ich meine?
    Könnt Ihr die Liste der Beispiele ergänzen?
    Was ist hier passiert? Waren diese Komponisten ihrer Zeit weit voraus oder sind die verwendeten Stilmittel einfach so eingänglich, dass sie immer und immer wieder eingesetzt werden, über Epochen und Genres hinweg?


    Auf Eure Resonanz freut sich
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Ich weiß ein Beispiel - und weiß es gleichzeitig nicht, aber ich bin überzeugt, dass einer unserer Beethoven-Kenner Rat weiß.
    In einem Abend mit Klavierliedern sang vor etlichen Jahren Hermann Prey ein Beethoven-Lied als Zugabe, das er als den "ersten Boogie" ankündigte. Es war verblüffend.
    Bloß: Wie heißt dieses Lied?

    ...

  • Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Menschen zu dieser Zeit
    auch nicht gänzlich verschieden waren und über ein ähnliches
    Rhythmusgefühl verfügten. Wenn Elvis Scarlatti vom Klavierhocker
    geschubst hätte und losgespielt hätte, würde letzterer wohl
    kaum (nach einer kurzen Phase der Verwunderung) stocksteif
    daneben stehen und nicht mitswingen.


    Darüber hinaus gibt es dutzende Beispiele von aktuellen Künstlern,
    die von Beethoven und Bach geklaut haben. Und viele Fans
    haben noch nicht einmal etwas gemerkt ! Da muss es doch Parallelen geben.

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Zitat

    Original von GalloNero
    kennt Ihr das? Ihr hört ein Stück und es kommt Euch plötzlich sehr modern vor. Ich meine nicht modern im Sinne zeitgenössischer Musik, sondern modern im Sinne von moderner Pop-, Jazz- oder Soulmusik.


    Mir fiel das neulich bei einigen Scarlatti Sonaten auf, die vor allem durch ihre Rythmik an aktuelle Pop und Soul-Elemente erinnern. Dabei sprechen wir ja von Musik aus dem 18. Jahrhundert! Als weitere Beispiele möchte ich vielleicht noch den zweiten Satz des 21ten mozartschen Klavierkonzertes oder auch die Waldsteinsonate des ehrwürdigen Ludwig von Beethoven nennen.


    Also bei der Waldstein verstehe ich es nicht, was für eine Stelle meinst Du? Und welche Scarlatti-Sonaten z.B.? Deren Rhythmik erinnnert teils eher an Flamenco oder Zigeunermusik (die ich im Pop eher selten finde, der ist doch rhythmisch meist außerordentlich simpel: 4/4 mit ein paar off-beats).
    Ich kenne indes zu wenig "moderne" Pop, Jazz, Soulmusik, um das wirklich beurteilen zu können.


    Ich dachte immer, der erste "Boogie" sei eine der Variationen in Beethovens op.111.
    Was für ein Lied Prey meinte, weiß ich nicht. Da es aber auch heute populären Pop/Folk mit gälischem Einschlag gibt, erinnern einige der Arrangements an solche Musik. Aber da ist die gemeinsame Ursache klar (es gibt konkret ein Lied, dass ich mal von einer dieser moderne irischen Sängerinnen im Radio gehört habe (The parting glass" oder so), das mich sowohl verdammt an eins von Bob Dylan (Restless Farewell) als auch an so eine Schottisches Volkslied von Beethoven erinnert. Vermutlich ist die Basis wirklich ein Volkslied)


    Es gibt einige Gruppen in der alten Musik, die anscheinend bewußt Gemeinsamkeiten zwischen der Tanz- und Unterhaltungsmusik des 16. u. 17. Jhds. und Folk/Fiddle etc. Musik des 20./21. herausstellen, etwa indem tatsächlich über eine der alten Weisen improvisiert wird, in einem Stil, der irgndwo dazwischen liegt, z.B. das Baltimore Consort (leider ist deren Label Dorian inzwischen eingegangen)


    Es gibt natürlich ein paar objektive Gemeinsamkeiten zwischen der Musik des "Generalbass"-Zeitalters und dem Jazz des 20. Jhd. Improvisation/Variation über eine festgehaltenes Bass oder Harmonieschema, gewisse rhythmische Elemente (so ist es ja eine Wissenschaft für sich wie Punktierungen "notes inegales" usw. im Barock zu spielen sind), es gibt viele Barockstücke mit "walking bass".


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Kenner der Renaissance-Musik mögen mich korrigieren, falls ich hier falsch liege. Ich glaube aber mich zu erinnern , daß es von dem italienischen Renaissance-Komponisten Giulio Caccini ein Ave Maria gibt, das mich beim erstmaligen Hören nicht weiter verwunderte. Ein Bekannter spielte mir dieses Werk ohne Kommentar vor. Dann fragte er mich, in welches Jahrhundert ich das ganze einordnen würde. Ich sagte ihm, nichts sei leichter als das - eindeutig 20. Jh., etwas was in Richtung "U-Musik" geht (fast ein wenig kitschig...)
    Als er mir mit einem etwas selbstgefälligen und jroberts-ähnlichem Grinsen die Lösung präsentierte, hatte er genau das erreicht, was er bei mir anscheinend erreichen wollte: völlige Gesichtslähmung und starren Blick. Nur er vermochtees seine Mundpartie zu einem noch breiteren Grinsen zu verziehen - etwa so: :D


    LG
    Wulf


    P.S. Bin mir 100%ig sicher,was das Wek betrifft, 90% was den Komponisten angeht.....

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  • Zitat

    Original von GalloNero
    Als weitere Beispiele möchte ich vielleicht noch den zweiten Satz des 21ten mozartschen Klavierkonzertes


    Man könnte meinen, Mozart hätte James Last vorausgeahnt :rolleyes:

  • Es ging mir mal bei einer Soler-Sonate so, dass ich meinte, ein Teil davon könnte einen Refrain eines 90er-Jahre-Pop-Liedchens abgeben. Das war allerdings gerade eine Soler-Sonate, die meinem Gefühl nach weniger nach D. Scarlatti geklungen hat, als manche andere aus seiner Feder - wie auch immer ...

  • mir ging es vor kurzem bei Gymnopédie Nr. 1 von Erik Satie so, daß ich dachte, das ist ein modernes - sprich zeitgenössisches Stück. Wie musste ich staunen, zu lesen, daß dies bereits aus dem vorletzten Jahrhundert stammt.


    Unglaublich, diese Monotonie in dieser Zeit anzusiedeln.


    Jetzt begegnet mir dieses Stück auf Schritt und Tritt. Erst gestern bei der Präsentation eines Werbetrailers einer Fluglinie war es als Hintergrundmusik zu hören - moderne Präsentation mit so alter - jedoch sehr aktueller Musik.

    WHEN MUSIC FAILS TO AGREE TO THE EAR;
    TO SOOTHE THE EAR AND THE HEART AND SENSES;
    THEN IT HAS MISSED ITS POINT
    (Maria Callas)

  • Auf Alexei Lubimovs Konzeptalbum "Der Bote - Elegies for piano" findet sich C.P.E. Bachs Fantasie für Klavier fis-Moll. Weitere Stücke sind Chopin, Silvestrov,Cage, Mansurian, Bartok, Debussy, Liszt und Glinka. Im Beihfet wird daraufhingewiesen, daß Bachs Stück am modernsten klingt. Und so ist es. Ich wollte nicht glauben, daß es sich um Klaviermusik aus dem 18.Jhrdrt. handelt!
    Anflüge von Keith Jarrett, moderner Jazz, das kam mir in den Sinn!


    Nachdem ich in Reclams Klavierführer nachgeschlagen hatte, war mir schon einiges klarer,was die Gattung Fantasie betrifft, erst recht eine von C.P.E. Bach, aber Donnerwetter, der Bursche kann's!

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Also bei der Waldstein verstehe ich es nicht, was für eine Stelle meinst Du? Und welche Scarlatti-Sonaten z.B.? Deren Rhythmik erinnnert teils eher an Flamenco oder Zigeunermusik(die ich im Pop eher selten finde, der ist doch rhythmisch meist außerordentlich simpel: 4/4 mit ein paar off-beats)...


    Hallo Johannes,
    ich kenne zugegebnermaßen noch nicht all zuviel von Scarlatti. Die von Dir angesprochenen Flamencoelemente habe ich allerdings schon kennen gelernt. Genau genommen in K. 238. Die Idee zu diesem Thread kam mir aber bei K. 252. Hierbei gilt allerdings das gleiche, wie bei der Waldsteinsonate. Ich kann es nicht an bestimmten Kriterien festmachen. Es sind Stimmungen (oder Schwingungen?), welche durch die Musik erzeugt werden. Sie lassen die Musik moderner wirken als sie ist, oder eben die heutige Musik altertümlicher als uns bewusst.


    Wie ich sehe geht es hier auch anderen so. Vielen Dank für die vielen Beispiele. Beethoven und Co. wären sicher stolz, wenn sie wüssten, dass noch heute von ihnen abgeschaut wird. Oder würden sie sich im Grabe herumdrehen?


    Liebe Grüße
    Gallo

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Zitat

    Original von Vivaldi


    Man könnte meinen, Mozart hätte James Last vorausgeahnt :rolleyes:


    Mit Sicherheit nicht. Aber es spricht in diesem Punkt für James Last, dass er an ein nicht unbedeutendes Vorbild anknüpfte...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!