Der Kreuzweg in der Musik

  • Das Passionsgeschehen hat sich ja in vielfältiger Weise in der Musikgeschichte verewigt. Da sind natürlich die Passionen und Passionsoratorien (also von der strengen Vertonung des Evangelistentextes bis zu blutrünstigen Nachdichtungen für die Passionsoratorien). In deren Umfeld der Stabat Mater Hymnus mit seinen unzähligen Vertonungen und Vertonungen/Illustrierungen der "Sieben letzten Worte unseres Erlösers Jesus Christus am Kreuze" (-> Joseph Haydn, Heinrich Schütz...). Auch noch in diesem Umfeld: die Lecon de Tenebres und noch das ein oder andere für die Karfreitagsliturgie. Das alles ist durch Threads einigermaßen abgedeckt.


    Fehlt lediglich noch das Thema Kreuzweg


    Kreuzwege sind ja vor allem für die Kunstgeschichte von Bedeutung, aber es gibt auch einige musikalische Kreuzwege.


    Der Kreuzweg hat traditionell vierzehn Stationen, die in Form von Bildern oder dergleichen in den meisten katholischen Kirchen hängen. Es kann auch als fünfzehnte Station die Auferstehung hinzutreten. Es gibt natürlich auch "Open air-Kreuzwege", die dann meist auf einem Kalvarienberg (calvariae locus; Schädelstätte) enden. Den Kreuzweg auf diese Weise zu beschreiten, dient dem meditativen Gebet, wenn also der Kreuzweg nun musikalisch beschritten wird, so ist diese Musik auch eher von meditativen Charakter. (Die Station "Kreuzigung" darf natürch schon wild werden...)


    Die traditionellen 14 Stationen


    I Jesus wird zum Tode verurteilt.
    II Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern.
    III Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz.
    IV Jesus begegnet seiner Mutter.
    V Simon von Kyrene hilft Jesus das Kreuz tragen.
    VI Veronika reicht Jesus das Schweißtuch.
    VII Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz.
    VIII Jesus begegnet den weinenden Frauen.
    IX Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz.
    X Jesus wird seiner Kleider beraubt.
    XI Jesus wird ans Kreuz geschlagen.
    XII Jesus stirbt am Kreuz.
    XIII Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt.
    XIV Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt.


    Ich kenne zwei musikalische Kreuzwegmeditationen, die mir beide ausserordendlich gut gefallen: Via Crucis für gemischten Chor und Klavier (!) von Franz Liszt und Le Chemin de la Croix für Orgel von Marcel Dupre. Ich werde diese Kompositionen im Folgenden vorstellen.


    Kennt Ihr weitere Kreuzweg-Kompositionen?

  • So, nachdem ich nun grundlegend den Eröffnungsbeitrag umgestaltet habe, komme ich zur Via Crucis (S.53) von Liszt. (Dauer: etwa 35 Minuten)


    Ein ganz faszinierendes Werk, wie ich finde. Natürlich ein Spätwerk. Liszt schreibt an seinen Verleger: "Die Honorarfrage ist ganz nebensächlich. Solche Kompositionen schreibe ich nicht für Geldgewinn, sondern aus innigem katholischen Herzensbedürfnis." Ich hoffe, daß dies nun niemanden abschreckt, denn es handelt sich nicht um süsslich frömmelnde Musik, sondern um ganz faszinierende Klänge. Nehmen wir besispielsweise den Beginn: Das Klavier gibt einstimmig (in Oktaven) den einstimmigen (oktavierten) Choreinsatz vor. Das mutet leicht gregorianisch an, aber die Chorstimmen fächern sich bald etwas auf, um sich dann wieder einstimmig zu vereinen und so fort. Die Harmonik wird mit der Zeit immer kühner! Das Klavier zum Chorklang klingt sehr toll. Das Klavier ist keine bloße Chorstütze sondern darf sich auch solistisch hervortun. Ganze Kreuzwegstationen sind ausschliesslich dem Klavier vorbehalten.
    Ich weiß nicht, ob die Texte zum Kreuzweg standardisiert sind, Liszt hat sich folgendermaßen beholfen: Das "Rahmenprogramm" findet auf latein statt, so lässt er etwa einen Solisten als Pilatus singen: "Innocens ego sum a sanguine justi hujus" (Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten). Die Station "Jesus begegnet seiner Mutter" beispielsweise ist reine Klaviermusik (ein bisschen tristaneske Musik ist das noch dazu, aber keineswegs schwülstig sondern mit heiligem Ernst, bereits etwas an Messiaen und dergleichen gemahnend). Wenn Veronica Jesus das Schweißtuch überreicht, so erklingt zunächst eine halbminütige einstimmige Klage aus dem Klavier, die dann in den deutschen Choral "O Haupt voll Blut und Wunden" übergeht. Zunächst Chor acapella, ziemlich Bachmässig, dann gesellt sich das Klavier in den Chorsatz.
    In Station VIII kommt Christus zu Wort: "Nolite flere super me sed super vos ipsas flete ed super filios vestros" "Weint nicht über mich, sondern über euch selbst und euere Kinder" Jesus ist ein unaufdringlicher sanfter Tenor, der Text wird stets nur einmal vorgetragen, ohne ihn zu einer Arie aufzublasen. Das Klavier spielt dann einen Kommentar dazu.
    Die Station Jesus stirbt am Kreuz ist in ergreifender Schlichtheit gehalten: "(Jesus: ) Eli Eli Lamma Sabachtani - Klavierkommentar - In manus tuas commendo spiritum meum - Klavierkommentar (kurze Liszt´sche Extase, dann wieder zurückgenommen weiter) - (Chor: ) Consummatum est - Klavier - O Traurigkeit, o Herzeleid, ist das nicht zu beklagen..." Und das alles in schlichten 6:49 Minuten... Der Choral allerdings wird dann zerlegt und in eine abgehobene Harmonik überführt.
    Die Kreuzabnahme (Station XIII) ist ein Klaviersolo, in dem ein Karfreitagschoral kurz anklingt, den ich allerdings gerade leider nicht zuordnen kann. Zum Abschluß folgt ein Stilwechsel: die letzte Station (Sopransolistin + Chor) ist musikalisch deutlich belebter. Die vorletzte Minute bietet sogar einen wahrhaft spätromantischen Klangrausch, jedoch gleichzeitig mit einem immer noch heiligen nüchternen Ernst.
    Und noch mal von vorne hören...

    Ich möchte diese sehr gute Einspielung empfehlen:
    Naxos 8553786
    Choir of Radio Svizzera, Lugano.
    Diego Fasolis (Dirigent + Pianist)



    :jubel: :jubel: :angel:

  • Ein Hauptwerk in Marcel Duprés (1886 - 1971) Orgelwerk ist sein Kreuzweg / Le Chemin de la Croix - Opus 29.


    Grundlage des Kreuzwegs war ein Improvisationskonzert. Dupré ließ die vierzehn Batrachtungen zum Kreuzweg des Dichters Paul Claudel verlesen und improvisierte zu jeder Station einen Abschnitt von wenigen Minuten. Nach dem Konzert machte er Skizzen der Improvisationen und arbeitete sie später (1931/32) zu seinem Opus 29 aus.


    Es gibt Einspielungen mit der reinen Musik, es gibt aber auch mindestens eine Einspielung mit den eingesprchenen Texten dazwischen. Claudels Text zur ersten Station lautet zum Beispiel:



    Musikalisch ist der Kreuzweg ein komplexes Gebilde aus wiederkehrenden Leitmotiven, die teils aus der barocken Rethorik abgeleitet sind. So symbolisiert eine hinkende Ostinato-Baßfigur das Gehen unter dem Kreuz. Bei der Verurteilung hört man das Volk deutlich lautmalerisch "Barrabam" skandieren. Wenn ich mich noch gründlicher mit diesem anspruchsvollen Werk auseinandergesetzt habe, werde ich versuchen, kleine Analysen zu jedem Satz zu veröffentlichen.
    Duruflé soll in seinem Requiem auch ein Zitat aus Duprés Kreuzweg untergebracht haben.


    In mein Bewußtsein getreten ist mir Duprés Kreuzweg schon als Grundschulkind in der Calig-Schallplatten Aufnahme von Dieter Weiss.


    Welche Aufnahme ich letztlich empfehlen will, weiß ich noch nicht, aber mit der Naxos Aufnahme mit Mary Preston ist man sicher nicht schlecht beraten (Naxos 8554379 - The Organ Encyclopedia - Marcel Dupré - Works for Organ Vol. 11 - C.B.Fisk Orgel des Meyerson Symphony Center, Dallas. Produzent: Wolfgang Rübsam)


  • Hallo, Markus!


    Entschuldige bitte, daß ich Deinen Monolog unterbreche.
    Aber bei den Rosenkranz-Mysterien-Sonaten von Biber finde ich gerade den "Kreuzweg" (das vierte der schmerzvollen Mysterien) sehr ergreifend und eindrucksvoll! :jubel:
    Das muß unbedingt auch hier erwähnt werden, auch wenn es keine Passionsmusik im traditionellen Sinne ist.



    Viele Grüße,
    Pius.