Ernst Toch, der Autodidakt

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Wenig hört und liesst man zur Zeit über Ernst Toch, 1887 - 1964, den wir hier gerne etwas näher bringen wollen.



    Ernst Toch, geboren am 7. Dezember 1887 in Wien, ging seinen Weg als Komponist von Kindheit an als Autodidakt, ohne den Rückhalt eines musischen Elternhauses oder prägender Lehrerpersönlichkeiten. Die jüdische Familie, in die Ernst Toch hineingeboren wurde, lebte in äusserst bescheidenen Verhältnissen, in denen ein Leben als Künstler ausserhalb jeglicher Vorstellung lag. Folglich musste der Sohn etwas „Ordentliches“ erlernen, nämlich Medizin, in seiner Freizeit jedoch komponierte er. „Studiert habe ich mit niemandem … Ich war mir selbst überlassen, und es gelang mir endlich rein autodidaktisch, im Lernen voranzukommen … Ich machte die entscheidende Entdeckung, dass es Taschenpartituren gibt.“ schilderte Toch in seinem letzten Lebensjahr in einem Interview. Er begann mit Streichquartetten und Klavierstücken spätromantischen Charakters. Seine Kammersymphonie F-Dur ( 1906 ) brachte ihm 1909 den Mozart-Preis der Stadt Frankfurt/Main ein, der, verbunden mit einem Stipendium und einem Studienjahr am Hochschen Konservatorium, den Ausschlag für den jungen Medizinstudenten gab, sich ganz der Musik zu widmen. Nach einem kurzen Studium bei Willi Rehberg (Klavier) und Iwan Knorr (Komposition) erhlielt er 1913 eine Professur für Klavier und Komposition an der Hochschule für Musik in Mannheim. 1910 wurde er mit dem Mendelssohn-Preis und 1910-13 viermal mit dem österreichischen Staatspreis für Musik ausgezeichnet. 1914 kam er zum österreichischen Militär. Während eines Heimaturlaubes 1916 heiratete er die Bankierstochter Lilly Zwack.
    Mit dem 9. Streichquartett op. 26 ( 1919 ) begann ein neue Stilphase: zunächst gekennzeichnet durch erweiterte Tonalität und kunstvolle Polyphonie der Stimmen, später auch durch technische Experimente, zum Beispiel radiophone Musik mit Paul Hindemith und Gebrauchsmusik (Fuge aus der Geographie für Sprechchor, 1930). 1921 promovierte er mit dem Beitrag zur Stilkunde der Melodie an der Universität Heidelberg. Von 1922 an war Toch regelmässig in Donaueschingen vertreten – 1926 zum Beispiel mit den Drei Stücken für Welte-Mignon-Klavier, einem Auftragswerk der Donaueschinger Musiktage. Die 20er_jahre waren für Toch die erfolgreichsten: Ein zehn Jahre währender Vertrag mit dem Schott-Verlag gab ihm die Möglichkeit in Ruhe und relativer finanzieller Sicherheit seine musikalischen Ideen zu verwirklichen. Es entstanden die Klavierstücke Burlesken ( 1923 ), Fünf Capricetti ( 1925 ) sowie das bedeutendste Stück dieser Phase, das Konzert für Klavier und Orchester op. 38 ( 1926 ), mit dem Toch 1932 auf seine erste grosse USA-Tournee eingeladen wurde. In den 20er_jahren stand Toch bei Kennern hoch im Kurs, auch wenn er sich nicht spektakulär modern artikulierte. 1928 zog Toch mit seiner Familie nach Berlin. Wo er sich behaupten konnte, so dass er schliesslich in einem Atemzug mit Hindemith, Krenek oder Weill genannt wurde. Hier entstanden kleinere Bühnenwerke wie Die Prinzessin auf der Erbse (Hans Christian Andersen, 1927) und Egon und Emilie (Christian Morgenstern, 1928 ) sowie das abendfüllende Opern-Capriccio in drei Akten Der Fächer (Ferdinand Lion, 1930).
    Jähe Unterbrechung seines Schaffens erfuhr Toch 1933: Flucht vor der Nazi-Diktatur über Frankreich und England nach den USA. Mit Filmkompositionen für Hollywood begann der Komponist 1935, seine Existenz im Exil aufzubauen. Seine neue Heimat wurde Kalifornien, wo er an der University of Southern California als Professor für Komposition und Philosophie wirkte. Seine wichtigste Schrift dieser Zeit ist The Shaping Forces in Music (New York 1948 ). Als Folge von Exil und Krieg geriet der Komponist in eine schwerwiegende Krise, die schliesslich 1948 zu einem bedrohlichen Herzanfall führte. Dieser Zwang ihn zum Überdenken seiner Lage und zu einer Neuorientierung seines Lebens: Er beendete seine Unterrichttätigkeit, um sich endlich wieder ausschliesslich dem Komponieren widmen zu können. In dieser Situation explodierte seine Schaffenskraft. Nach 1950 entstanden sieben grosse Symphonien, von denen die 3. Symphonie ( 1954 ) mit dem Pulitzer-Preis 1957 ausgezeichnet wurde. 1960 erhielt Toch den Grammy Award. Nachdem seine in den 20er-Jahren entstandene neue Musiksprache in den USA nicht die erhoffte Resonanz gefunden hatte, griff er in den späten Jahren auf den lyrisch-romantischen Ton seiner Frühwerke zurück. Am 1.Oktober 1964 starb Toch in Los Angeles an Krebs.


    Das deutsche Label cpo hat verschiedene Werke von Toch eingespielt und auf CD herausgebracht. So zum Bepsiel Streichquartette, das Cellokonzert aber vor allem seine Symphonien.


    Wer kennt seine Werke und mag darüber zu berichten?


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Wir möchten heute eine Einspielung der cpo mit dem Cellokonzert op. 35 und der Tanz-Suite op. 30 vorstellen.



    Susanne Müller-Hornbach, Mutare Ensemble,
    Gerhard Müller-Hornbach



    Zusammen mit seinem Musikerkollegen Paul Hindemith trug der aus Wien stammende Toch wesentlich zur Entstehung der „Neuen Sachlichkeit“ in der Musik der 1920er-Jahre bei.
    Sein Cellokonzert entspricht formal einer Sinfonie mit vertauschten Binnensätzen. Nachdem er bis 1933 an die 60 Aufführungen mit dem grossen Cello-Solisten Emmanuel Feuermann allein in Deutschland erlebt hatte, bevor es in Vergessenheit geriet, liegt es endlich in einer CD-Einspielung vor. Zur Wiederentdeckung von Ernst Toch eignet sie sich schon der überzeugend engagierten Darstellung wegen. Der klanglichen Ökonomie des kammermusikalisch besetzten Konzertes wird das Mutare-Ensemble ebenso gerecht wie die angemessenen diskrete, sich nie in den Vordergrund drängelnde Solistin Susanne Müller-Hornbach. In der stark linearen Tanz-Suite für sechs Instrumente verlässt Toch die Neue Sachlichkeit mit ausdrucksbetonten Steigerungen und emotional heftigen Ausbrüchen, die sich als Bereicherung erweisen.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen



    Ernst Toch schuf seine insgesamt sieben Sinfonien relativ spät in seiner schöpferischen Karriere. Bislang sind sie, zumindest in Europa, kaum wahrgenommen worden. Cpo realisierte eine Gesamteinspielung.


    Wir möchten hier auf die Einspielung mit der 2. & 3. Sinfonie eingehen.



    Toch zeigt sich in diesen Werken als ein gleichermassen ideenreicher wie leidenschaftlicher Komponist, der auf scheinbar traditionellem Terrain zu unverbrauchten Ergebnissen fand. Seine Tonsprache bewegt sich stets an den äussersten Grenzen der funktionellen Harmonik, ohne jemals zur Atonalität zu finden. Tochs Experimentierlust im klangfarblichen Bereich liess ihn in der dritten Sinfonie zu ungewöhnlichen, zum Teil sehr exotischen Instrumenten greifen (Glaskugeln, Hammondorgel, Pressluftflasche), die in der hier vorliegenden Aufnahme allerdings nicht über Gebühr auf den Präsentierteller gestellt werden.
    Die dritte Sinfonie ist zudem paradigmatisch für Tochs sehr bildhafte, gleichsam erzählende Tonsprache: Vielfalt von Atmosphäre und Charakteren, verbunden mit neonfarbener Klanglichkeit und bei aller Schärfe unmittelbar zugänglicher kompositorischer Physiognomie. Die Interpretationen von Alun Francis und dem Rundfunksinfonieorchester Berlin lassen keine Wünsche offen.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Zitat

    Original von romeo&julia
    Nach 1950 entstanden sieben grosse Symphonien, von denen die 3. Symphonie ( 1954 ) mit dem Pulitzer-Preis 1957 ausgezeichnet wurde.


    Ich habe lange besonders die letzten 3 gemocht, die so kurzweilig kleingliedrig sind und die man fast pluralistisch nennen könnte mit ihren vielen kurzen Anspielungen auf Neoklassizistisches, Expressives und Spätromantisches - dabei immer klar, sorgfältig ausgehört und eine überraschende Einheit ergebend.


    In letzter Zeit wachsen mir auch die ersten 4 ans Herz, weiträumigere, ernsthaftere Gebilde als ihre Nachfolger.
    :hello:

  • Ich bin ein großer Fan von Ernst Toch. Seine Musik ist originell, phantasievoll und nie langweilig. Die sieben Symphonien stehen natürlich im Mittelpunkt seines Schaffens. Nicht desto trotz sind seine anderen Kompositionen nicht weniger interessant. Vor allem die Streichquartette 6 - 13 (1 - 5 sind leider verschollen) dürften eine Bereicherung des Repertoires sein. Mein persönlicher Favorit ist das Streichquartett Nr. 6 op. 12.


    Die Kammeroper Die Prinzessin auf der Erbse op. 43 ist ein lustiges Musikmärchen in einem Aufzug. Die freche Musik unterstreicht geradezu den grotesken Charakter der peniblen Prinzessin. Besonders komisch ist der Schlußchor, der den sensiblen Hintern des jungen Mädchen huldigt.


    In meiner Sammlung befinden sich dann noch die Cantata of the Bitter Herbs op. 65, das Spiel für Blasorchester op. 39, die Miniatur-Ouvertüre für Bläser und Schlagzeug, Peter Pan - A Fairy Tale for Orchestra op. 76, die Tanz-Suite op. 30, das Notturno für Orchester op. 77, das Konzert für Violoncello und Kammerorchester op. 35 und die Sonate für Violoncello und Klavier op. 50.



    Mir macht es einfach sehr viel Spaß diese wundervolle Musik zu hören. Und der eine oder andere wird für sich bestimmt auch noch etwas entdecken können.


    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht

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  • Heute frisch eingetroffen:


    Klavierquintett op. 64 (1938 )


    Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 op. 44 (1928 )


    Burlesken für Klavier op. 31 (1923)


    Impromptus für Violoncello op. 90c (1963)


    Spectrum Concerts Berlin


    Naxos



    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht


  • Als Partner für ihre faszinierende Einspielung des Cellokonzertes von Wolfgang Rihm hat sich Tanja Tetzlaff das Cellokonzert von Ernst Toch ausgesucht, das gute 80 Jahre früher, nämlich 1925 entstand. Das Toch zu dieser Zeit auf dem Stand der aktuellen Musikentwicklung war, hört man sofort, teils wirkt dies Konzert "moderner" als das von Rihm. Wenn ich es mit wenigen Worten charakterisieren sollte, würde ich sagen: Stravinsky trifft Kurt Weill, um ein paar Ideen von Arnold Schönberg auszuprobieren, also Neoklassizismus trifft gemäßigte Dodekaphonie. Da ist alles sehr klug und intelligent komponiert, das spricht den Intellekt an, aber - leider - nicht das (oder zumindest mein) Herz. In diesem Fall wird die Cellistin wieder von Solisten der Kammerphilharmonie Bremen diesmal unter Florian Donderer begleitet. Im Gegensatz zum Rihm eine Studioproduktion.

  • Heute vor 50 Jahren am 1. Oktober 1964 starb Ernst Toch in der kalifornischen Exilheimat. Das scheint aber keinem Plattenlabel irgendeine kleine Aktion wert zu sein. Wichtige Werke des Komponisten liegen zum Glück auf CD vor. Die 4 CDs mit seinen Streichquartetten 6-13 (cpo) sind leider vergriffen (stehen aber zum Glück in meiner Sammlung).






  • Nicht erwähnt wurden hier bislang Ernst Tochs Neun Lieder op. 41 aus dem Jahr 1926, so ziemlich sein einziger (aber gewichtiger) Beitrag zum Genre Klavierlied. Es finden sich als Textgrundlage u.a. frühe Rilke-Gedichte (bei welchen man vielleicht gar nicht auf diesen als Autor tippen würde), mehrmals Christian Morgenstern (der am 31. März vor 100 Jahren in Meran gestorben ist), auch Wilhelm Busch, und: Otto Julius Bierbaum ( von dem wir nächstes Jahr den 150. Geburtstag feiern können). Das Bierbaum-Gedicht (Nr. 3): "Die Straßburger Münster-Engelchen", stimmig und originell vertont. Aber gleich die Nr. 1, "Abend" (nach R.M. Rilke), schafft eine suggestive Verbindung von strengem Kontrapunkt und betörendem Stimmungszauber.

  • Ernst Toch hat dreizehn Streichquartette komponiert, die ersten fünf gelten aber als verschollen. Die Quartette 6-13 liegen vor und wurden Anfang des Jahrtausend für cpo eingespielt, gemeinsam vom Buchberger und Verdi Quartett. Wie das bei Kammermusikaufnahmen oft so ist, waren sie erst reduziert und dann vergriffen. Man kann sie allerdings einzeln noch überteuert erstehen.
    Quartett Nr. 11 entstand 1924 als Auftragskomposition für die Donaueschinger Musiktage, Auftraggeber war Paul Hindemith. Die erfolgreiche UA fand dann auch durch das Amar Quartett stand, in dem Hindemith als Bratscher mitspielte. Das Quartett wurde laut Booklettext auch anderweitig gespielt, auch später im US-amerikanischen Exil. Es ist ein typisches Stück seiner Zeit, auf der einen Seite neoklassizistisch geprägt, aber durchsetzt auch von expressionistischen Anklängen. Nicht unbedingt einfach zu hören, aber sicher Werk, das zum wiederholten Hören einlädt. Die Buchberger sind der Aufgabe gewachsen.

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  • Das 10. Streichquartett von Ernst Toch entstand 1921 und ist dem Freund John Bass gewidmet. B - A- Es- Es bzw B - As -Es sind dann auch die Motive, aus dem das 25-minütige Werk sich entwickelt. Die drei schnellen Sätze sind in tonaler, aber expressionistischer Manier gehalten. Das Scherzo trägt die ungewöhnliche Bezeichnung Molto vivace. Katzenartig, verstohlen. Das herausragende Adagio von 11 min dockt IMO direkt beim späten Beethoven an.
    Der Komponist hat den umfangreichen Covertext kurz vor seinem Tode noch selbst verfasst, es spielt das American Arts Quartet, das in den 1940er gegründet wurde und aus dem Ehepaar Eudice Shapiro/Victor Gottlieb und Musikern aus LA gebildet wurde.