Wider das Vergessen: Unbekannte belgische/ niederländische Meisterwerke (1850-1950)

  • hallo,


    es gibt in der abendländischen kunst sicherlich hunderte großartiger werke, wenn nicht sogar meisterwerke, die 'verschwunden' oder 'unbekannt' geblieben sind oder einfach nicht genügend 'geschätzt' werden.


    im rahmen meiner 'mission' zur (wieder)entdeckung plane ich verschiedene threads, die sich mit diesen werken (bewußt nicht mit einzelnen komponistenportraits) beschäftigen sollen.


    zur begrenzung möchte ich die jahre 1850 bis 1950 einführen; die einzelthreads werden sich zudem auf einzelne länder(gruppen) (wie französische, britische, deutsche/österreichische/schweizerische, italienische/spanische/portugiesische, skandinavische, slawische etc. musik) beschränken.


    welche 'unbekannten' meisterwerke der belgischen/ niederländischen musik möchtet ihr der vergessenheit entreißen?


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Es stellt sich insbesonder bei holländischen Komponisten die Frage, ob es da was gibt, da dem Vergessenwerden entrissen werden sollte.


    Nun, das wir eine Frage der persönlichen Einstellung bleiben.
    Ich habe den holländischen Komponisten Cornelius Dopper (1870-1939) "entdeckt".



    Wenn seine Werke ein fanatischer Anhänger der Neutöner hört, wird diesen vermutlich der Schlag treffen - so hat jede Musik ihre spezielle Aufgabe :baeh01:


    Ich höre im Augenblick grade Doppers Sinfonie Nr 3 "Rembrandt":
    Konservativ, im ersten Moment vielleicht farblos wirkend, gewinnt diese Musik bei mehrmaligem Hören enorm. Ich wüsste nicht mit wem ich sie vergleichen sollte. Zumeist eher zurückhaltend, kommt gelegentlich ein Hang zum Bombast und zum Effekt zum Vorschein. daneben "schöne Stellen" die vergessen lassen, daß diese Sinfonie aus dem Jahre 1906 stammt, bzw uraufgeführt wurde....




    OB es sich um ein "bahnbrechendes Meisterwerk" handelt oder nicht, das möchte ich nicht entscheiden - hübsche Musik ist es allemal.


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • hallo, alfred,
    auch wenn ich den dopper noch gar nicht kannte, bei den holländern und belgiern gibt es einige, die nicht vergessen bleiben sollten u.a. gilson, de boeck, diepenbrock....später einiges mehr :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zweifellos hat sich Chandos einige Verdienste um die holländische Musk erworben, bzw einiges aus der Versenkung geholt, so beispielsweise Sinfonien der Komponisten, Organisten, Dirigenten und Pädagogen Richard Hol (1825-1904).



    Es spielt, wier schon bei Dopper, das "Residentie Orchestra The Hague" unter Matthias Bamert.


    Wie klingt das - das ist ja de zentrale Frage, die sich jeder Interessent ein wenig stellen muß, bevor er sich zum Kauf eines unbekannten Werkes eines ihm nicht bekannten Komponisten entschließt.



    Bombast und (Über) Brillanz wird man bei diesem Komponisten vergeblich suchen. Entspannt und gelassen, mit Anklängen an Schumann und Mendelssohn (An Mendelssohn erinnert insbesonders das Scherzo der Sinfonie Nr 3 op. 101) kommen die mir bekannten Sinfonien daher


    Mir erschloß siech die verhaltene Schönheit der Werke nicht bereits beim ersten Hören, jedoch bin ich heute froh sie zu kennen.
    Mein Lieblingssatz ist der durchaus temperamentvolle 4 Satz der Sinfonie Nr 3


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ja, ja, der gute alte Dopper, bei ihm hört man im Kontrapunkt die Holzpantoffel klappern... :baeh01:


    Ich hingegen will Eure Aufmerksamkeit auf einen Komponisten lenken, bei dem man aus den Holzschuhen sozusagen herauskippt, nämlich auf Matthijs Vermeulen und seine Zweite Symphonie aus den Jahren 1919-1920.
    Vermeulen war ein Anhänger der französischen Musik und von Brotberuf Musikkritiker. Als solcher schrieb er höhnische Artikel gegen die niederländischen Orchester und ihre Rückständigkeit (auch das Concertgebouw wurde nicht verschont) - und wunderte sich, dass kein holländisches Orchester seine Werke aufführen wollte.


    Vermeulens Anfänge wurzeln in der Romantik, aber schon sehr früh beginnt er, einen erstaunlich herben polyphonen Stil zu schreiben, der bi- und polytonale Wendungen beinhaltet.


    Die Zweite Symphonie ("Prélude à la nouvelle journée") ist dann ein erstes Meisterwerk, das wenig Vergleichbares hat. Die Musik ist von jeder Tonartbindung gelöst. Die Akkordik ist scharf dissonant. Die Instrumentierung in extremen Registern und die wiederholten plötzlichen Wechsel der strukturellen Dichte gehen in eine ähnliche Richtung wie Varèse, die scheinbar beziehungslos übereinander gelegten Ebenen werden immer wieder mit Ives verglichen - was mir oberflächlich scheint. Denn Vermeulen knüpft hier eher bei der alten niederländischen Polyphonie an, die er zu kunstvollen Stimmbündeln formt, und diese Stimmbündel werden miteinander kontrapunktiert: Also keine Beziehungslosigkeit, sondern genau kontrollierte Polymelodik.


    Auch heute wirkt diese Zweite Symphonie Vermeulens noch wild und wahrlich unerhört: Ein Extremwerk eines Komponisten, der wenig schrieb - aber was er schrieb, war von höchster Qualität.

    ...

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  • hallo, edwin,


    den vermeulen kannte ich noch nicht .. aber deine beschreibung erinnerte mich an die 1. symphonie von jakob von domselaer (1890-1960), aus dem Jahr 1921.


    ebenfalls ein ungeheuer radikales werk, sehr sperrig, ich würde sagen, als 'oberflächliche beschreibung': keine melodik mehr, nur noch statische, schroffe akkorde, die nebeneinander gesetzt werden. sehr schwierig zu hören, aber interessant. die klavierkonzerte 1 und 2 sind da etwas 'harmloser' ...


    eine leider für die knappe spielzeit ziemlich teure einspielung gibt es bei cv 118 (2cds) mit dem north nederlands symphony orch. unter kees wieringa ....


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • hallo, neben meinem eigentlichen, wilms als komponisten gewidmeten thread im forum 'klass. instrumentalaufnahmen', möchte ich auch hier kurz für seine beiden vergessenen werke werben. es sei mir gestattet, mich selbst in verkürzten ausschnitten zu zitieren ... und unter das von mir selbst vorgegebene 'zeitlimit' von 1850-1950 zu geraten 8o

    kennen- und im höchsten maße schätzen gelernt habe ich wilms (1772-1847)6. symphonie d-moll op. 58 und 7. symphonie c-moll, o.op. durch die höchst empfehlenswerte einspielung mit dem concerto köln, bei dg.


    während seine vier ersten symphonien, alle vor beethovens 1. enstanden, unter dem einfluß haydns und mozarts stehen sollen, reflektiert die 1820 entstandene 6. neben kontinuierlicher bewahrung 'alter' kontrapunktik, auch leichte beethoven-anklänge und weist m.e. auf schubert und die frühromantiker voraus. noch stärker wird dies m.e. in der anfang der 30er jahre entstandenen 7. symphonie sichtbar, die auch 'revolutionsmusik' spiegelt.


    dennoch ist die wilssche tonsprache für mich schwer zu fassen ...sie ist ganz etwas eigenes. kennzeichnend sind, rastlose, stürmende allegri, abwechslungsreiche, hochinteressante scherzi (!!), wunderschöne, leicht herbe langsame sätze ..


    für mich eine wirklich hochspannende, sehr originäre und originelle musik, die einem immer wieder mitreißt und überrascht .. nur zu empfehlen .... :jubel: :jubel: :jubel:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Hallo Klingsor!
    :motz: Jetzt hast Du mich meiner Wochenend-Ruhe beraubt! :D
    Ein kleiner Tipp, wo man den Domselaer bekommen könnte? Die herkömmlichen Versandhäuser wissen nichts von diesem Komponisten. Weißt Du vielleicht eines in Holland?
    LG

    ...

  • hallo, edwin,


    wie findest du nun den domselaer, falls du ihn schon bekommen hast?
    lg

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Vermeulen war ein Anhänger der französischen Musik und von Brotberuf Musikkritiker. Als solcher schrieb er höhnische Artikel gegen die niederländischen Orchester und ihre Rückständigkeit (auch das Concertgebouw wurde nicht verschont) - und wunderte sich, dass kein holländisches Orchester seine Werke aufführen wollte.


    Hallo Edwin,


    Im großen und ganzen gebe ich Dir recht.
    Es stimmt aber nicht, daß kein holländisches Orchester seine Werke aufführen wollte.
    Das Rundfunkorchester hatte sehr viel Werke von ihm aufgefürt, zu meinem Bedauern. Denn soviel Zeit an Vermeulen (und Zeitgenossen) spendiert, hätte man auch m.E. an die viele unbekannte Böhmer aus dem 18. Jhdt. widmen müßen. Aber da war das Geld alle.


    Und vergiß nicht, wer war damals der große Diktator in Amsterdam? Genau, Mengelberg. Und er hatte ja Mahler.


    LG, Paul

  • Hallo musicophil!


    Meiner Meinung nach war es schon richtig, Vermeulen aufzuführen - das ist ein bedeutender Komponist gewesen, ein Pionier ersten Ranges!
    Mengelberg hatte natürlich vor allem Mahler, hat sich meines Wissens aber auch für den (mahlernahen) Diepenbrock und für Johan Wagenaar eingesetzt. Dass er allein auf Mahler fixiert war, stimmt meines Wissens nach nicht ganz.


    LG

    ...

  • Ja, Edwin,


    Da hast Du recht. Aber Diepenbrock und Wagenaar ist ja doch eine andere Partitur als Vermeulen. Der letzte mag ich nicht, und das galt vermutlich auch für Mengelberg. Die andere zwei finde ich irgendwie noch einen Hauch vom 19. Jhdt-Musik haben.


    LG, Paul

  • Ich mag Diepenbrock recht gerne, aber Wagenaar finde ich wirklich schön. Es gibt da eine "Ouvertüre" genannte symphonische Studie "Cyrano de Bergerac" von ihm, die ich ohne Zögern dem "Till" von Strauss an die Seite stelle. Und damit sind wir wieder beim Thread-Thema: Ich würde gerne mehr von Wagenaar kennen als auf der einen Decca-CD mit Chailly drauf ist. Brillant instrumentiert, melodisch einfallsreich, mitunter spürt man Wagner, sehr oft Richard Strauss - dennoch ist das kein Epigone. Der wäre es vielleicht doch wert, dass man ihn einmal mit einem größeren Werk ausprobiert.

    ...

  • Weil ich sie heut im Auto gehört habe, möchte ich hier einmal auf die Orchesterwerke von Diepenbrock verweisen:


    mittlerweile auch günstig bei Brilliant:

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  • Die Brilliant-Box habe ich jetzt auch kennengelernt.


    Von den Orchesterwerken scheint - dem Booklet zufolge - die eher spritzige "Vögel"-Ouvertüre eher aus dem melancholisch-satten spätromantischen Duktus des Komponisten herauszufallen. Die "Hymne für Violine und Orchester" hat man in dem etwas platt sich aufschwingenden Thema so ähnlich schon öfters gehört in (spät-)romantischen Violin(konzert)sätzen. Die Suite "Marsyas" erscheint mir in ihrem impressionistischen Flair wiederum bei Weitem interessanter als die "Elektra"-Suite.


    Die Orchesterlieder nach Hölderlin und Novalis sind für mich die eigentliche Entdeckung. Sie atmen den Geist von Richard Strauss, sind durchaus differenziert in den Farben, einerseits flächiger als der berühmtere Zeitgenosse, andererseits zurückhaltender.


    Ich bin noch am Überlegen, welche Parallelen sich für mich bei diesem Werk, das ich seit zwei Tagen kenne, auftun könnten: Strauss würde mir wohl einfallen, vielleicht englische Spätromantiker, Mahler, der genannt wurde, nicht gleich ...


    :) Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo,


    Weil es einmal auf einem Programm mit Schuberts Es-Dur Trio und Schostis 2. stand, habe ich mir präventiv mal diese Ausnahme mit (u.a.) dem Klaviertrio op.50 von Julius Röntgen geleistet:



    Hat mich nach mehrmaligem Hören doch recht begeistert!


    LG
    Raphael