Volksmusik und Pop-Musik – ein Tabu für die klassische Musik?

  • Hallo, liebe Taminas und Taminos,


    Fernsehsendungen wie der Musikanten-Stadl und ähnliches vermitteln ein ganz falsches Bild der Volksmusik. Volksmusik war, wenn ganz ungezwungen etwa bei Arbeiten in der Küche oder auf dem Feld, abends oder beim Besuch von Gästen gesungen wurde. Da konnte jemand eine Melodie anstimmen, und es wurde nicht darüber diskutiert, sondern mitgesungen, die Melodie abgewandelt oder erweitert. Volksmusik fand statt, wo heute gern das Radio oder die Hifi-Anlage angeschaltet wird. Volksmusik war auch eine Möglichkeit, dem zu entgehen, was heute als Streit-Kultur bezeichnet wird. Da konnten aus einem Missmut über den Partner heraus Spott-Lieder gesungen werden, die dieser mit eigenem Spott beantwortete, bis sich die böse Stimmung auflöste und ein Streit geschlichtet war, ohne viele Worte, die doch oft zu keinem Ergebnis führen.


    Natürlich ist dies auch eine beschönigende Sicht, aber was heute unter Volksmusik verstanden wird, geht noch viel stärker in die falsche Richtung.


    Die ernste Musik wird in gewisser Weise ihrem Namen gerecht. Da wurde die Musik in das eigene Musizier-Zimmer verbannt und war oft – nicht immer! – mit Strenge und Konkurrenz verbunden. Musik wird nach Werken beurteilt und nicht aus der sozialen Situation heraus, in der musiziert wird.


    Der Verlust der Volksmusik hat zu einem Unbehagen geführt, worauf bisweilen neue Entwicklungen wie Blues, Jazz oder Pop zu reagieren versuchen. Das sind die positiven Momente, wo wertvolle wichtige Impulse entstehen.


    Und Pop-Musik reagiert auf die veränderten technischen Bedingungen, in denen Musik entsteht: die Verbreitung durch Radio, Musik-Kassetten, in Kaufhäusern und Filmen als auch die Einführung neuer technischer Möglichkeiten mit elektronischen Hilfsmitteln.


    Dieser Thread über Volksmusik und Pop möchte daher Fragen wie diese aufwerfen:


    Gibt es noch Reste der Volksmusik oder ist sie endgültig tot? Gibt es Möglichkeiten, sie wieder zu beleben?


    Ist die Pop-Musik nur ein Beispiel für manipulierende Unterhaltungsindustrie und Starkult oder hat sie eine eigene Dynamik, in der sich sonst ungehörte Gefühle und Ideen äußern können?


    Wie ist die Abwendung der klassischen Musik von der Pop-Musik zu erklären, die einem freiwilligen Rückzug ins Abseits ähnelt?


    Viele Grüße,


    Walter

  • Daß der Mutantenstadl nichts, aber auch gar nichts mit "Volksmusik" zu tun hat, hat sich ja gottlob einigermaßen rumgesprochen...


    Volksmusik in Deutschland? Ich weiß nicht, wie es um sie bestellt ist, vielleicht ist sie am ehesten noch in ländlichen Gebieten in Bayern einigermaßen authentisch zu finden, aber auch dort hört man ja unendlich viel Pseudovolksmusik aus dem Radio.


    Volksmusik hat ja zum Glück hin und wieder Eingang in die "klassische" musik gefunden, ich denke beispielsweise an Beethoven und seine englischen Volkslieder oder an Bartoks Forschung an der ungarischen Volksmusik.


    Ich kenne mich leider zu wenig aus, aber ich denke, daß authentische, lebendige Volksmusik aus Osteuropa, vom Balkan und weiß der Himmel von wo überall, ein sehr wertvoller Schatz an echter Musik ist, der auch hin und wieder die "ernste" Musik befruchten kann.

  • Zitat

    Ich kenne mich leider zu wenig aus, aber ich denke, daß authentische, lebendige Volksmusik aus Osteuropa, vom Balkan und weiß der Himmel von wo überall, ein sehr wertvoller Schatz an echter Musik ist, der auch hin und wieder die "ernste" Musik befruchten kann.



    Hallo Markus,


    ich glaube, daß das eine beliebte Fehleinschätzung ist - die "echte Musik". Mir persönlich geben solche Volkslieder in anderen Sprachen gar nichts. Allein die Schwierigkeit, mit ungarischer oder slawischer Vokalmusik überhaupt umzugehen, stellt ein riesiges Hindernis das. Zudem ist die Volksmusik IMO eine Art Charakterstudie einer Gemeinschaft.


    Volksmusik ist IMO ein untrennbarer Bestandteil einer Volkskultur. Und genauso wie diese sich verändert, wird auch der musikalische Geschmack den Verhältnissen angepaßt.
    Ein Problem sehe ich im Verschwinden der bäuerlichen Tätigkeit - da sich der Beruf so sehr in industrielle Produktion gewandelt hat, leiden die Ausübenden unter den Nebenerscheinungen wie Selbstmanagement, unter der Abhängigkeit von der Wirtschaft.
    Ich denke, daß gerade der Ackerbau dem Menschen bestimmte Ruhezeiten gegönnt hat, in denen kulturelle Tätigkeiten geübt werden konnten.


    Damit gehen aber Träger einer Volkskultur verloren - in Gegenden, die vom Fremdenverkehr beherrscht sind, habe ich die Menschen eher als berechnend kennengelernt, bzw. als unermüdliche Arbeiter, die für eigene Bedürfnisse keine Zeit haben - und sich nicht nehmen. (das wirtschaftliche Diktat, das kein "Genug" kennt ...ständig muß Reichtum angehäuft werden..)
    Dort wird Kunst IMO als Zeitvertreib angesehen, die kulturelle Leistung wird zum Konsumgut...
    Wie sollte in einer solchen Atmosphäre die Ruhe entstehen, sich einmal pro Woche zum Musizieren und Singen zusammenzufinden?


    Als ein Beispiel für jene gesellschaftliche Veränderung nenne ich die in Opern vorkommenden Szenen, in denen die Tätigkeit des Spinnens gezeigt wird. (Fl- holländer, Martha.. ) Offensichtlich gab es früher Orte, an denen man sich regelmäßig getroffen hat, um viel Zeit miteinander zu verbringen. Nebenbei war man produktiv, aber es blieb genug Zeit für kommunikation - auch in FOrm von Erzählungen - Balladen, bzw. Lieder.
    Nicht nur, daß die Industrie solche Handarbeit überflüssig gemacht hat - erst auf den Weihnachtsmärkten findet Handgemachtes wieder Absatz. Ich denke, daß wir gar nicht abschätzen können, wie sehr sich die Wohnsituation der Menschen verbessert hat. Der "Verfall der Großfamilien" hat ja auch damit zu tun, daß es kein finanzielles Problem mehr darstellt, eine eigene Wohnung zu finden bzw. ein Haus zu bauen. Die "Gründung des Hausstands" war in früheren Zeiten noch Hindernis für die Eheschließung. da Einrichtungsgegenstände oder die Bekleidung einen ganz anderen Wert besaßen und viel mehr gepflegt wurden. Heute kann jeder, der einen Job findet - ok, dafür ist das nicht selbstverständlich - einen eigenen Haushalt führen. (gut, ich rede jetzt nicht vom Existenzminimum...)


    Ein Problem des modernen Arbeitsmarktes ist, daß der Mensch in seiner Arbeitszeit mit wesentlich höherem Streß leben muß als früher. DIe beschleunigung der Arbeitsvorgänge, die schnelle Kommunikation, die Transportmöglichkeiten führen IMO dazu, daß die Konzentrationsleistungen heute sehr hoch sind. Ebenso die Einzelverantwortung...Fehler werden viel strenger bestraft. Die Kontrolle durch Maschinen und Computer setzt den Menschen unter Druck. (Z.B: an der Kassa im Supermarkt...)
    Dadurch bleibt den wenigsten Menschen die Energie, in der Freizeit sich zu etwas aufzuraffen, eine Tätigkeit auszuüben, die ebenfalls noch Konzentration erfordert. Ich denke, daß die meisten viel zu ausgelaugt sind, das Einschalten des Fernsehers ist gerade noch zumutbar.
    Und man ist beim "kunstgenuß" anspruchsvoller, denn wenn man das sauer verdiente Geld schon für ein Konzert ausgibt, will man etwas geboten bekommen, was den eigenen Erwartungen entspricht.


    IN dem Zusammenhang muß ich dem Musikantenstadl sogar ein Kompliment machen, denn es ist nicht zu übersehen, daß die Menschen davon begeistert sind. Offensichtlich wird ihnen "etwas gegeben", es wird eine Art von Energie und Schwung vermittelt. Völlig unabhängig von der künstlerischen Qualität hat diese Musik also eine positive WIrkung auf die Menschen, IMO sollte man das nicht vernachlässigen. Eine Wirkung, die man nicht erzielen wird, wenn man dieselben Menschen in ein Kammermusikkonzert, eine Oper oder ein Solokonzert mitnehmen würde.
    Schließlich sehe ich eine Übereinstimmung zwischen einem Aufführungsort und der Musik.
    Es gibt ja jede Menge musikalischer Darbietungen, die weit unter dem Stadl rangieren, und selbst dort wird den Besuchern meist das geboten, was sie sich erwarten. (kann man das von der Wiener Staatsoper auch sagen? :P )
    IMO ist der gesellschaftliche Rahmen mit der Musik zu eng verbunden, als daß diese Erlebnisse austauschbar wären. In unserer individuellen Zeit bilden sich eben Gruppierungen für bestimmte kulturelle Ereignisse.



    Ein wesentlicher Punkt, wo ich dem Lamento über die sterbende Volksmusik lebhaft widersprechen muß, ist z.B: die Wiener Volksmusik, die in den - obwohl touristisch aufbereiteten - Heurigenlokalen geboten wird. Man darf zwar nie übersehen, daß die Volksliedsammlungen Kinder ihrer Zeit sind - was den musikalischen Geschmack betrifft - das meiste stammt aus der 2. Hälfte des 19. Jh.
    Und die Definition eines Volksliedes sieht vor, daß in den meisten Fällen der Autor und Komponist unbekannt sind, da das ein Zeichen für Überlieferung darstellt. SEit der Sammelwut verschiedener Menschen ist also ein Kanon an Volksgut vorhanden - aber die Lieder sind IMO "tot", wenn sie nicht aufgeführt werden. Beim Durchsehen solcher Liederbücher mag jeder selbst entscheiden, was er gerne singen würde, was nicht...


    Außerdem gibt es die Möglichkeit, daß Stücke in das Volksgut "hineinwachsen". Als prominenteste Beispiele gelten Schubert - Lindenbaum, Heidenröslein und Mozart: komm, lieber Mai...


    IMO gehören aber in gleicher Weise Elvis Presley und die Beatles dazu - wobei ich dann von "westlicher" Kultur sprechen würde. Wer wollte den Einfluß von Stücken wie Yesterday, die sogar von hartgesottenen klassischen Musiklehrern anerkannt werden, auf eine Region eingrenzen wollen?


    In Österreich würde ich Lieder des "austropop" der 80er Jahre ebenfalls zur Volkskultur zählen. Außerdem habe ich einen Schulfreund -Sohn eines Meidlinger Gastwirts- den ich als ídealen Interpret und Hoffnungsträger
    der Wiener Musik bezeichnen möchte! (Bei Interesse hier Klicken)


    Nein, die Volksmusik ist nicht tot, solange z.B: mein Vater als pensionierter Gymnasiallehrer in verschiedenen Pfarren oder Altersheimen oder bei privaten Gelegenheiten damit beginnt, Kärntnerlieder zu singen und immer wieder auf begeisterte Mitsänger trifft.


    vielleicht sollten wir damit beginnen, das Erscheinungsbild unserer Umgebung etwas mehr zu akzeptieren und nicht vergangenen Gewohnheiten nachzutrauern.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Salut,


    ein mutiger und wichtiger Thread - Danke, Walter!


    Viele Menschen tun Volksmusik als Abschaum ab - beziehen sich dabei auf den Musikalntenstadtl und vergleichbare Sendungen. Die wahre Volksmusik jedoch soiegelt die Sehnsüchte und Wahrheiten des Volkes wieder. Nicht umsonst wurde in der Wiener Klassik viel daraus zitiert - das meiste ich kaum noch nachvollziehbar, da die Musiken heute größtenteils unbekannt sind und kaum bis niemals aufgeschrieben wurden. Bekanntes Beispiel sind Haydns "Sieben Sauschneider" oder die Mozartvariationen über frz. Volkslieder. Auch hat Mozart angeblich [es lässt nicht m. E. nicht prüfen] im Menuett der Es-Dur-Sinfonie KV 543 ein Tiroler Volkslied zitiert. Wohl am meisten hat Giuseppe Verdi von der Volksmusik profitiert, so heißt es jedenfalls. Und auch Béla Bartók ist hier nicht zu vergessen - hat er doch die Ungarische Volksmusik fast als Lebensaufgabe auf Papier gerettet.


    Meiner Meinung nach hat sich die Klassische Musik in den 1920er Jahren in der "Volksmusik" im weitesten Sinne weiterentwickelt - Waren doch im 18. Jahrhundert Menuette und Opern relativ volksnah, entfernte sich diese Musik weitestgehend vom "Volk" und wandte sich an "Spezialisten". Wen wundert es also, dass sich die Jugend ihre eigene Musik suchte, in der sie glücklich war: Tänze wie Charleston kamen auf, aus der reinen Militärmusik entwickelte Glenn Miller volksnahe "Popmusik". Ich fasse Popmusik auch als [modernen] Bestandteil der Volksmusik auf [nichts anderes heißt ja Popmusik]. Die Melodien sind einfach und eingängig, ja manchmal auf pure Rhythmen beschränkt, man ist schnell begeistert - der Rahmen ist [fast] egal, Geselligkeit ist per sofort gegeben. So war das im 18. JH zumindest auch in der Oper.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Meiner Meinung nach kann man das nicht über einen Kamm scheren.
    Da gibt es einerseits die alten deutschen Volkslieder, die auch einen Klassikfan nicht die Nase rümpfen lassen dürften und andererseits das Musikantenstadel.
    Was dort gespielt wird sind grösstenteils deutsche Schlager im oberbayerisch-tirolerischen Gewande wo noch über jedes Bacherl a Brückerl geht. So lange diese Musik ihre Fans hat, ist sie auch daseinsberechtigt und man sollte das einfach tolerieren. Schliesslich zwingt einen niemand, die CDs zu kaufen und ein jeder Fernseher hat Umschaltknöpfe. 8)

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  • Zitat

    Bekanntes Beispiel sind Haydns "Sieben Sauschneider" oder die Mozartvariationen über frz. Volkslieder


    wie wärs mit der letzten der Goldbergvariationen - dem Quodlibet! ist doch unglaublich, in einem der abgehobensten Werke der Variationskunst finden sich Volkslieder...


    Wie ich mit Walter.T schon einmal diskutiert habe, gibt es im deutschen Sprachraum Schwierigkeiten mit der Volksliedkunst.


    Mir scheint, daß ein soziologischer Zugang, um frühere Bräuche und Sitten kennenzulernen, auch nicht erfolgreich ist, die Auffassungsunterschiede treten deutlich hervor, und etwas aus wissenschaftlicher Motivation heraus Nachgemachtes hat keine WIrkung.


    Anhand von Volksliedsammlungen kann man gut feststellen, wie zeitbezogen viele Lieder sind.
    Zeitlose Themen wie Liebe oder Verlust lassen sich leicht übertragen.


    Als weiteres Beispiel fallen mir Texte von Nestroy ein, die zwar strenggenommen nicht zur Volkskultur zählen, aber nur mit genauen Kenntnissen der damaligen Umstände verstanden werden können.
    Ähnlich auch Shakespeare...


    Vielleicht ist die Vergänglichkeit in der Literatur ein weit größeres Problem...In einem Thread tauchte einmal eine Liste mit Literatur Nobelpreisträgern auf - die meisten kannte ich nur dem Namen nach...


    Abgesehen von meinen Bildungslücken glaube ich, daß die Aktualität von Texten Erfolgsgrund und Hindernis zugleich ist. Wenn ein Autor die probleme seiner Zeit auf den Punkt bringt, wird er von vielen verstanden...allerdings ändert sich jene Einstellung und "der Punkt" verschiebt sich...



    Gibts da nicht etwas über diese L'homme armé Kompositionen zu berichten?
    Das war doch auch quasi Popmusik in der hohen Kunst...


    IMO ist Pop leider ein Klischee geworden, mit der Bedeutung populär ist schon leichter umzugehen - immerhin ist "das" Wiener Neujahrskonzert regelmäßig in den Charts zu finden...
    Johann Strauß als Popstar ist IMO keine problematische Darstellung - und über die Bedeutung seiner Kunst kann ausdauernd gestritten werden...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Also der heute so gängigen Pop-Musik :kotz: kann ich beim besten Willen nur sehr, sehr wenig abgewinnen - euphemistisch ausgedrückt. :D

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • na und?
    mußt du ja nicht...
    setzt das deswegen den Wert der Sache herab?

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat

    Original von tastenwolf
    na und?
    mußt du ja nicht...


    In der Tat. Es mag ja gewisse Ausnahmen geben, aber im Großen und Ganzen finde ich es einfach nichtssagend.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Felipe II.


    In der Tat. Es mag ja gewisse Ausnahmen geben, aber im Großen und Ganzen finde ich es einfach nichtssagend.


    Interessanterweise geht es ja einer überwältigenden Mehrheit von Menschen aller Alters- und Bildungsstufen genau so mit dem Objekt der Diskussion in diesem Forum: Der klassischen Musik.....


    :stumm:


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

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  • Hallo Walter


    Ich bleibe erst mal bei dem Thema „Volksmusik“: :yes:


    Zitat

    Gibt es noch Reste der Volksmusik oder ist sie endgültig tot? Gibt es Möglichkeiten, sie wieder zu beleben?


    Ich denke mit Freude an meine Grundschulzeit zurück, als wir im Musikunterricht Volkslieder gesungen haben und zu verschiedenen Lieder auch Bilder malen sollten. Das hat mir damals unheimlichen Spaß gemacht und sich bei mir als fester Bestandteil einer schönen Kindheit/Schulzeit eingeprägt.


    Im Herbst letzten Jahres kamen wir vormittags bei einer Wandertour entlang der Weinstraße an einer Dorfschule vorbei, aus deren geöffneten Fenster munteres Kindersingen „Die Gedanken sind frei“ erklang. Das war ein so friedlicher und sonniger Moment – wir sind stehen geblieben und haben eine zeitlang zugehört.


    Ich selbst kenne sehr viele Volkslieder aus Deutschland und Österreich und spiele sie regelmäßig auf dem Schifferklavier oder der Steirischen. Oft sitzen wir dabei mit Freunden bei einem rustikalen Abendbuffet zusammen – kein Fernsehgerät, kein Radio, keine Zeitung, keine Debatten über schlechte Politiker, miese Wirtschaftslage und aggressive Mitmenschen – einfach nur singen und guter Laune sein – wobei Volksmusik keinesfalls ausschließlich lustig und fröhliche Lieder beinhaltet (was viele denken). Es gibt sehr schwermütige Texte und Melodien, denn sie spiegeln das tägliche Leben mit all seinen freudigen und traurigen Erlebnissen wider.


    Ich glaube, daß der Volksmusik viel Unrecht getan wurde/wird – auch aufgrund dieser wirklich angestaubten Musiksendungen. Viele schämen sich regelrecht zuzugeben, daß sie Volksmusik mögen. Aber wer möchte auf einer urigen Berghütte zur Brotzeit „Sexbomb“ hören? 2 Musiker mit Zither und Hackbrett genügen und die Hütte wird brechend voll.


    Die Volksmusik wird nie aussterben und sie muß auch nicht wiederbelebt werden – denn sie ist da. Nicht bei Menschen, die von frühster Kindheit an nichts anderes kennen, als Fernseh und Computerspiele, weil die Eltern keine Zeit und kein Interesse haben, sich mit ihnen zu beschäftigen. Aber es gibt Gott-sei-Dank auch noch solche Eltern und Lehrer, die sich mit den Kindern beschäftigen und ihnen dabei auch Volkslieder vermitteln und dafür sorgen, daß die Melodien und Texte weiter überliefert werden. Und das genügt, denn sie ist genauso wenig wie Klassik eine Musik, die dafür gedacht ist, in Massen vermarktet zu werden, sondern hat ihre Liebhaber.


    Viele Grüße
    Mimi

    che gelida manina....

  • wer sich an den grandiosen sketch von gerhard polt erinnert, wo er -das hackbrett auf dem rücken- verzweifelt in einer münchner hochhaussiedlung seinen alten spezi sucht, um in dessen auf berghütte umoperierter wohnung einen volksmusikabend zu verbringen, hat schon viel von der entfremdungsproblematik entwurzelten brauchtums mitgekriegt.
    :(

  • Lieber Obsi


    Zitat

    entfremdungsproblematik entwurzelten brauchtums


    Uff. 8o


    Naja - ganz so schwarz sehe ich das nicht. Immerhin handelt es sich bei der Geschichte von G. Polt um einen Sketch - wie Du trefflich erkannt hast. Und Sketche sind absichtlich überzogen - nicht jeder Ruheständler wird automatisch zu "Pappa ante Portas" und nicht jeder röhrende Hirsch über dem Sofa macht aus einem Wohnzimmer eine Almhütte.


    Sicher hast Du insofern Recht, daß wir in einer Zeit leben, in der die Menschen glauben, sie hätten keine Zeit mehr - auch nicht, um Brauchtum und Rituale zu pflegen. Wer sitzt heute noch mit seinen Kindern zusammen und pflegt Hausmusik (Volksmusik)? Den meisten fällt es schon schwer, wenigstens an Weihnachten was vorzuflöten :D ..


    Aber genauso glaube ich, daß viele irgendwann in eine Phase kommen, wo sie sich dessen besinnen. Ich habe das Spielen von Volksmusik auch erst vor einigen Jahren wieder für mich entdeckt und beschränke es auch nur auf die beiden genannten Instrumente (und auf die Zither, die ich mir im Laufe dieses Jahres noch kaufen werde). Und ich habe damit unsere Freunde und Bekannten angesteckt, für die es anfangs Neuland war.


    Viele Grüße
    Mimi

    che gelida manina....

  • ... am rauschenden Bach ja schon lange nicht mehr. Spiegeln die Volkslieder denn überhaupt unser Leben wider? Allenfalls dann, wenn es um "ewige" Gefühle wie Liebe, Freude, Abschied, Trauer geht. Und statt des Lindenbaums als Symbol für einen Versammlungsort der Dorfjugend müsste man die Tankstelle oder die Fußgängerzone oder was auch immer nennen.


    Wir bräuchten also entweder neue Texte zu den bekannten Melodien oder schlichtweg neue Lieder. Von meinem Leben erzählen die deutschen Texte einer Band wie Element of crime jedenfalls mehr als Ännchen von Tharau.


    Ännchen wieder zu beleben, das wäre die verlogene Nostalgie-Schiene.


    Bochum von Herbert Grönemeyer ist hier übrigens ein Volkslied, weil jeder es singen kann und es Gelegenheiten gibt, wo es auch gesungen wird.


    1000 mal berührt... - ein Volkslied
    Alkohol... - ein Volkslied
    Er gehört zu mir... - ein Volkslied


    Vielleicht gehört es ja zum Volkslied dazu, dass der Sänger, wenn er's singt, sich dessen überhaupt nicht bewusst ist, dass er gerade Kulturgut weiterträgt.


    schreibt aus Bochum


    Heinz

  • Zitat

    Bochum von Herbert Grönemeyer ist hier übrigens ein Volkslied, weil jeder es singen kann und es Gelegenheiten gibt, wo es auch gesungen wird.


    schreibt aus Bochum
    Heinz


    Hallo Heinz,


    da muss ich dir zustimmen. Beim H.G.-Konzert in Hamburg haben 45.000 - ich schätze vornehmlich norddeutsche - Kehlen textsicher jede Zeile mitsingen können! Das wird in München, Stuttgart oder Berlin nicht anders gewesen sein. Damit ist so ein Lied erstens "Volksgut" und zweitens eine echte Hymne, die nicht jede Stadt das Glück hat, besitzen dürfen.


    Viel Glück für den VfL!
    B.

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  • Hallo Mimi, du triffst genau, was ich meine, und was mir fehlt. In der Grundschule konnte es noch vorkommen, dass ich in bester Laune beim Nachhauseweg all die Lieder sang, die wir in der Schule gelernt haben. Irgendwie hat sich das nach dem Stimmbruch dann nicht mehr gefangen. Höchstens wurden besoffen einige Popsongs gegröhlt, oder bei Parties die einschlägigen Songs der Rolling Stones und so weiter.


    Als ich meinen Kindern vor dem Einschlafen Lieder vorsang, konnten das nur Volkslieder sein, Popsongs oder Lieder von Reinhard Mey oder Gospels wären mir ganz verfehlt vorgekommen. Auch die Lieder der Wandervogelbewegung aus der Mundorgel hätten nicht gepasst. Daher bin ich überzeugt, dass in irgendeiner Tiefe die Volksmusik noch lebt, aber wie gelähmt ist.


    Ich glaube auch nicht, dass sie durch die Lieder eines Grönemeyer und anderen ersetzt werden kann, so sehr ich Heinz zustimme, dass die Bilder der Volkslieder unzeitgemäß wirken. Wenn ich heute mit meinem Sohn noch einmal die Lieder höre, von denen ich in seinem Alter begeistert war, Janis Joplin, Nina Hagen, die Velvet Underground („Story of my Life“ u.a.), Leonard Cohen und so weiter, kann ich mir doch nie vorstellen, dass diese Lieder in einer Weise gemeinsam gesungen werden können, wie das bei den Volksliedern der Fall war. Wichtig bei Volksliedern war ja gerade auch, dass sie nicht für die Selbstfindung einer bestimmten Generation gedient haben, sondern dass sie von allen gemeinsam gesungen werden konnten.


    Die eigenartige Kraft von Volksliedern ist wohl eher abseits zu sehen. Zum Beispiel las ich in einer Biographie der Psychologin Sabina Spielrein, die in einem Brief an C.G. Jung 1911 ihr Lieblingslied aufgeschrieben hatte:


    Wandern lieb ich für mein Leben
    Lebe eben wie ich kan
    Wollt ich mir auch Mühe geben
    Steht es mir doch garnicht an


    Schöne alte Lieder weiss ich
    In der Kälte ohne Schuh
    Draussen in die Seiten reiss ich
    Weiss nicht wo ich Morgen ruh


    Manche schöne macht wohl Augen
    Meinet ich gefiel ihr sehr
    Wen ich nur was wollte taugen
    So ein armer Lump nicht wär


    Mag dir Gott einen Mann bescheeren
    Wohl mit Haus und Hof versehn
    Wenn wir zwei zusammen wären
    Möcht mein singen mir vergehn.

  • Hallo Walter,


    darf ich einen Aspekt der Popmusik hinzufügen, der mir seit einigen Jahren aufgefallen ist.
    die Entstehung einer "klassischen" Poprichtung, das Wiederaufbereiten alter Songs (das Beste aus den 70ern, den 80ern etc.),
    Die ursprüngliche Kraft der Popmusik als lebendige, neukomponierte Musik, die "aus dem Nichts" entsteht - ich meine, die nicht von ausgebildeteten oder professionellen Musikern geschrieben - ist IMO völlig vorbei.
    POp ist zu einer interpretierbaren Musik geworden, man ist sich der Wiederholungen bewußt und fährt nur noch in ausgefahrenen Geleisen.
    daher treten andere Persönlichkeitsaspekte in den Vordergrund.
    Ich bin nicht bereit - z.B: Frank Sinatra und Robbie Williams gleichzusetzen.
    Letzterer mag die Massen begeistern - ist für mich ein unkreatives austauschbares Produkt, das den derzeitigen Marktgesetzen eben am besten entspricht.
    Elvis hat unverwechselbare Musik geschrieben - auch wenn die damalige Situation eine andere war und er den Typus des Superstars erst geprägt hat.


    Am meisten stört mich, daß die heutige Musik nicht mehr nachvollziehbar ist. EIn Blick in verschiedene Notenalben mit Poparrangements zeigt sofort, wo noch Substanz vorhanden ist und wo die Musik ohne den elektronischen Hintergrund einfach nicht funktioniert.


    Der Verzicht auf Melodien (nicht nur bei Rap und HipHop) stellt für mich einen Tiefpunkt dar - diese Form der rhythmischen Rezitation muß wohl eine Art "musikalischer Fastenzeit/ Diät" darstellen - erst nach einem bestimmten Zeitraum kann wieder begonnen werden, Melodien zu komponieren und zu singen.


    ein weiterer Aspekt ist die seltsame "Unisex" - Singweise, Frauen singen nur im Brustregister - verlieren die Fähigkeit, mit der Kopfstimme zu singen (angesichts der Tatsache, daß die klassische Singweise zum größten Teil nur mit dem Kopfregister arbeitet, eine erschreckende Entfremdung)


    Männer müssen ständig im Falsett singen - ich vermute darin (bösartigerweise) eine opportunistische Anpassung an junge Frauen, bei denen jene dann unglaublich beliebt sind ("er ist wie ich...")
    - verlieren den Kontakt zum Körper und werden zu seltsamen neutralen Individuen.


    IMO muß das einmal aufhören, weil es widersinnig und ungesund ist.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Die erste Adresse für gutes Wiener Volksliedwerk ist im sechzehnten Hieb, im sogenannten BOCKKELLER, der kein Keller ist, vielmehr ein Altwiener Tanzsaal mit Fresken, mit an den Plafond gepinselten Putten, in einem Palais in Liebhartstal.....


    da wird man schon entsprechend empfangen: " sers, oida! Na, warst eh gestern bei de Phillis in da Schoin, in da Anser-Panier? Do kost's di vü weniga Eindridd, hechstens sovü wia a Steh-Bloz.... Haha, a Steh-Bloz!"


    Beim Eingang kann man sich gleich eindecken mit Information über Veranstaltungen in anderen Teilen der Stadt, rund um die Bezirksfeste, über die "Äktschn" im Böhmischen Prater oder in der '10er Marie', am Spittelberg, beim 'Schmid Hansl', beim 'Reznicek', und im 'Predigtstuhl'.


    Drinnen trifft sich gerade der Wienerliedstammtisch oder es gibt ein "Offenes Singen" zum mitmachen.


    Man singt vom Tod und von der Musik, vom Wein, vom Maderl an der Hand, von den Engerln, die heut' auf Urlaub auf Wean kommen oder vom Glück, das a Vogerl ist, gar liab, aber scheu, es lasst si' schwer fongan, oba furtgflog'n is glei........


    ... und man belauscht die anderen Gäste: "Uns're Volksmusik, die im Fernseher, is bessa. Die Zillertaler und die Steirerbuam und der Hansi, die Hertel und der Mross und der Al Bano! Und erst der Gro-Bri (Grand Prix) für die Volksmusik mitn Rijö. Oba am bestn san scho die Stoakogler und dann singen ein paar: Steirermen san very guat......


    ....andere Seite: "Jo, da Schubert. Sehr oarm, aber hervorragend, des kann man behaupten!" "Der Schani, der Teufelsgeiger" und "die Schrammeln, des woar hoid a Musi"....


    In Wien kann es ausserdem überall passieren, daß Du mit dem Volkslied in Berührung kommst. Kein Wirtshaus wo Du sicher sein kannst, daß sie nicht singen! Eng beieinandersitzend, einer in der Lodentracht, der daneben in 'der Blauen', vielleicht hat einer eine Harmonika, einer eine Kontragitarre. Instrumental geht nicht in Wien, Text muss sein und der ist manchmal arg (per PN - ist nicht für Öffentlichkeit)


    Mein Lieblings-Wienerliedersänger ist Roland NEUWIRTH und seine Extremschrammeln, besonders Doris Windhager (sie singt die Überstimme) muss man gehört haben. In letzter Zeit kümmert sich die Gruppe auch um Liedgut mit slawischen und jüdischen Wurzeln.


    Ich finde es sehr lustig, es gibt auf der ganzen Welt kein "Pariserlied", kein "Berlinerlied" kein "Minsklied" ..... aber ein Wienerlied gibt's! Und die Musik ist immer ganz weich und zart, meist im 2/4 oder 3/4 Takt und die Melodien lassen immer den Alltag vergessen, wobei der Duktus schon ins Sentimentale geht!


    Wer die Wiener Weisen singt, wer zum Walzer leicht sich schwingt,
    wer beim guaten Glaserl Wein kann vergnügt und fröhlich sein,
    wem das sanfte Wienerlied geht zum Herzen und zum Gmüat,
    dem hat schon das schönste Leb'n auf der Welt der Herrgot geb'n.


    Historisch: Die frühen Wienerlieder, die Dreikreuzerlieder genannt wurden, sind von umherziehenden Volkssängern gesungenworden, Bettler an Höfen und auf öffentlichen Plätzen. Es waren einfache Gesänge, die weiterentwickelt wurden und sogar in die Werke der großen Komponisten und besonders in die Operetten eingegangen sind. Es geht dort zu wie im besten Herz-Schmerz-Roman, man besang die Geschichten meist unangreifbarer Personen: oft den Schubert, den Raimund und den Nestroy, die Sträuße, den Lanner und die Schrammeln, und historische Persönlichkeiten wie die Maria-Theresia, den Radetzky, die Frau Sacher, die verschiedenen Kaiser und 'eh kloa' - die Schratt .....


    weiters Gegenden: den Bisamberg, Strebersdorf, Grinzing, Gumpoldskirchen, Stammersdorf.... die Wienerwaldhänge


    Die Bereiche der Arbeitswelt werden nicht gestreift, wenn überhaupt, werden sie idyllisch dargestellt. Es geht immer 'hinaus in die Natur', zum Weinderl, zum Maderl, in Schrebergarten....


    Besonders oft wird im Wienerlied das Trinken beschrieben. Und die Geselligkeit unter Gleichgesinnten.


    Wann i amol in Himmel kumm,
    da schau i z'erst glei umadum
    ob wo a Busch'n hängt, a greaner.........

    WHEN MUSIC FAILS TO AGREE TO THE EAR;
    TO SOOTHE THE EAR AND THE HEART AND SENSES;
    THEN IT HAS MISSED ITS POINT
    (Maria Callas)