Lustige, unverständliche, ärgerliche Konzertabsagen

  • Hallo Forum


    [Ein Thema, das später vielleicht in einen Nebenbereich verschoben werden sollte, aber erstmal ist es wohl ganz gut, wenn es ganz öffentlich ist]


    Man ist es ja gewöhnt, daß namhafte Musiker ein unter Umständen recht reizbares Völkchen sind, von den Zickenkriegen an den Opernhäusern ganz zu schweigen. Dennoch bemüht sich die Szene meist, ihren Zickenkrieg nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Wenn ein Dirigent nicht mit einem Sämnger kann, dann ist eben halt mal einer der beiden zufällig "krank" und muß desshalb ausfallen und ersetzt werden.


    Heute abend ist mir etwas sehr seltsamen passiert: Ich hatte ein schönes konzert: Die Amsterdam Sinfonietta (Nieuw Sinfonietta Amsterdam) spielte die Metamorphosen von Strauss, die "Ernsten Gesänge" von Eisler und die 14te Sinfonie von Schostakowitsch. Die Vokalsolisten waren Ann Murray und David Wilson-Johnson. Es dirigierte Roman Kofman. Eigentlich hätte Gennady Rozhdestvensky dirigieren sollen, aber der war beleidigt. Im Programmheft war folgendes zu lesen:


    Zitat


    Roman Kofman springt für wütenden Rozhdestvensky bei der Amsterdam Sinfonietta ein


    Am Morgen des 21.02.2006 hat Gastdirigent Gennady Rozhdestvensky seine Zusammenarbeit mit der Amsterdam Sinfonietta beendet. Der Dirigent sollte die Leitung von vier Schostakowitsch-Konzerten übernehmen, am 24.02.2006 im Concertgebouw in Amsterdam, am 25.02.2006 in Utrecht, am 04.03.2006 in Frankfurt und am 05.03.2006 wieder im Concertgebouw. Die Amsterdam Sinfonietta hat Herrn Rozhdestwensky engagiert, um den Geburtstag von Dmitri Schostakowitsch zu feiern.
    Auslöser für die plötzliche Abreise von Herrn Rozhdestvensky war Unmut über die Orchesterbiographie der Amsterdam Sinfonietta, in der u.a. eine Auswahl von Gastdirigenten genannt sind. Herr Rozhdestvensky fand sich in dieser Biographie nicht wieder. Daraufhin reiste er wutentbrannt ab, ein weiteres Gespräch war leider nicht mehr möglich.
    Die Amsterdam Sinfonietta freut sich, dass Roman Kofman sich beret erklärt hat, kurzfristig diese Konzerte zu übernhemen.


    Ist schon extrem...


    Ist Euch auch schon mal eine Absage mit einer derart ärgerlichen Begründung untergekommen?

  • Hallo ThomasBernhard!


    So etwas ist mir noch nicht untergekommen.


    Es dürfte sich um ein Revanche-Foul handeln. In der Regel werden Absagen mit Krankheit begründet, auch wenn jeder weiß, dass das nicht stimmen kann. In Wien etwa sagte etwa ein nicht unbekannter Tenor eine konzertante Opernaufführung angeblich krankheitshalber ab - um am gleichen Abend in der Staatsoper zu singen (wird wohl ein rechtes Gekrächze gewesen sein...).


    Es gibt da auch eine Geschichte mit den Wiener Philharmonikern und Carlos Kleiber: Der schwierige Maestro war mit nichts zufrieden. Mit seinem Hotelzimmer nicht, mit den Probebedingungen nicht (die nur genau die waren, die er sich ausbedungen hatte) und mit dem Orchester schon gar nicht. Als es dann noch unmöglich war, für eine ganz bestimmte völlig ausverkaufte Kinovorstellung Karten für den Maestro zu bekommen, brachte das das Fass zum Überlaufen. Während der nächsten Probe ließ Kleiber die Arme sinken, verließ wortlos das Podium und reiste ab. Ich glaube, es war Zubin Mehta, der einsprang, aber auch das wurde mit einer "plötzlichen Erkankung" Kleibers begründet.

    ...

  • Hallo Thomas,


    Es muß ja wohl etwas mit dem Concertgebäude zu tun haben:


    Am 29 April 2005 gab es ein großes Erinnerungskonzert in Amsterdam, anläßlich des 25 jährigen Regierungsjubiläum der Königin. Angela Gheorghiu, war die große Attraktion. Am 2. Mai würde sie im Concertgebouw singen, denn da würden dann die Edison Klassik Preise ausgereicht worden. Der Ehregewinner da war Thomas Hampson.
    Als Gheorghiu am 30. April in der Stadt spazierte, sah sie Plakate von diesem Konzert. Darauf stand "Hampson" etwas größer gedrückt als "Gheorghiu".
    Sie entbrannte in Wut, fand daß Hamson mehr Aufmerksamkeit bekam als sie, sagte ab und fuhr sofort ab.


    LG, Paul

  • Sagitt meint:


    Solche Zickereien sind als Ausdruck der Persönlichkeit ja hochinteressant.
    Wie verletzbar muss doch ein EGO sein, wenn es den Zollstock herausholt, um festzustellen, dass der Name 1 mm kleiner gedruckt ist.
    Wie kommt so etwas zustande ? Da ist jemand sehr ansehnlich, hat eine großartige Stimme,überall Erfolge und hinter allem steckt doch ein tief verletzungsbereites kleinen Ich, dass wie der Pawlow´sche Hund aufspringt, wenn es den kleinsten Kratzer gibt.


    Es entspricht der westlichen Kultur, dass es solche Disparitäten gibt. Größter Künstler und zugleich ein ganz kleiner Mensch, voller Ängste, verletzt und bereit, sich wieder verletzen zu lassen. Am Beispiel Carlos Kleiber konnten wir alle mitverfolgen, wie sehr ihn dass und seine Karriere behindert hat.

  • Liebe Forianer/innen
    eher zwei traurige Angelegenheiten und ich hatte schon für beide Konzerte Karten:
    Claudio Arrau als auch Lenny Bernstein starben nur wenige Tage vor ihren Konzerten hier in D.
    Eine eher erfreuliche Absage, bei der ich selbst mitgesungen habe.
    Bei einem, nennen wir es mal Vorkonzert, ca. Anfang der 80er. stellte es sich heraus, dass die Mezzosopranistin völlig unzureichend war. Es handelte sich übrigens um das Verdi-Requiem. Den Namen der Sängerin möchte ich nicht nennen, selbst wenn sie wahrscheinlich vergessen ist. Sie war seinerzeit die Freundin eines Orchesterintendanten und wenn man dieses Orchester engagierte, hatte man diese Sängerin dann direkt mit einzukaufen. Wie unser Dirigentin die Dame ausgeladen hat und das Orchester behalten durfte, bleibt sein Geheimnis.
    Zu dem eigentlichen Konzert musste natürlich kurzfistig ein Ersatz gefunden werden. Es gab eine sehr junge Mezzosopranistin, die wirklich bereit war, innerhalb von zwei Tagen mit nur einer Generalprobe diese Partie zu übernehmen: Es war Waltraud Meier, wenige Monate vor ihrem Bayreuth-Debut zu einem Geld, das mutmaßlich nur ein Bruchteil von dem Honorar war, was sie wenige Monate später genommen hat.
    Über das, was Frau Meier uns allen damals geschenkt hat, kann man nur andächtig schweigen... :D
    Sängerin 1 wurde mit der obligaten Krankheit entschuldigt und ich glaube nicht, dass jemand ernstlich böse darüber war.


    Liebe Grüße
    Bernd Hemmersbach

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  • Das erinnert mich an einen Liederabend von Christa Ludwig und Walter Berry - auf dem Programm Mahlers "Wunderhorn"-Lieder, Klavierbegleiter Erik Werba. Dann wurde Werba krank - die Ludwig fragte den zufällig in Wien eine Platte aufnehmenden Bernstein mehr im Spaß als im Ernst, ob er einspringen wolle. Und Lennie sagte ja. War das ein Liederabend...!

    ...

  • sag edwin,
    die wiener symphoniker haben doch auch mit ihm (oder er mit ihnen) knatsch gehabt. weißt du da noch genaueres?
    aus einem filmdokument erinnere ich mich, dass -nach seiner eigenen aussage- die zusammenarbeit mit sviatoslav richter problematisch war...

  • Roschdestwenskij ist ein Dirigent, der eine, sagen wir, eigenwillige Auffassung von Probenarbeit hat. Mit den Symphonikern probte er etwa die vorher von diesem Orchester noch nie gespielte 2. Symphonie von Schostakowitsch so, dass er ein paar Schlüsselstellen durchnahm, dann die wichtigsten Choreinsätze - und das war's. Wie mir ein Geiger nachher sagte: Ein Werk lang Panik, dass etwas passiert. Ein Ausstieg hätte unweigerlich zum Abbruch geführt.


    Andererseits wurde die Uraufführung von Schnittkes "Seid nüchtern und wachet" in Anwesenheit des Komponisten mit vielen Zusatzproben endlos durchexerziert, weil Roschdestwenskij dem Komponisten immer wieder gestattete, neue Instrumentierungsmöglichkeiten auszuprobieren ("1. Horn, bitte spielen Sie die Oboenstimme, 2. Klarinette, bitte nehmen Sie das 1. Fagott, 1. Fagott - bitte das 1. Horn.") Für den Probenzuschauer war es spannend, amüsant, faszinierend. Aber das Orchester war nur noch genervt.


    Und so ging's weiter: Man wünschte sich Beethoven - und bekam die "Ruinen von Athen", man wollte Bruckner - und bekam die drei Orchesterstücke, man wollte Schostakowitsch (natürlich 5 und 7) und bekam 2, 3, 12 und, glaube ich 15.


    Dazu kam die permanente Unsicherheit auf Tourneen, denn der gute Roschdestwenskij war der Überzeugung, dass zuviel Proben der Konzentration während dem Konzert schadet ("Musik darf nicht mechanisch werden").


    Dann fing eine Hetze in den Zeitungen an, weil sich Roschdestwenskij nach Meinung der Schreiber nicht genug vom Sowjetregime distanzierte (das Ansinnen war Wahnsinn, denn Roschdestwenskijs Familie war in der Sowjetunion, hätte er es gemacht, hätte es durchaus Repressalien geben können). Und irgendwann war der Punkt erreicht, dass weder die Symphoniker noch Roschdestwenskij miteinander weiter wollten - Scheidung.


    Und jetzt meine Meinung dazu: Die größte Katastrophe der Symphoniker. Dieses Orchester hat nie wieder so konzentriert gespielt und ist nie wieder so risikofreudig gewesen, wie unter Roschdestwenskij. Alle Chefs, die nachher kamen, waren tüchtige Leute, Pretre vor allem, der auch für echte Glanzpunkte sorgte; aber insgesamt verbiederte das Orchester zusehends. Den Biss, den sie unter Roschdestwenskij hatten, hat ihnen bis heute niemand zurückgegeben.


    Von der Richter-Affäre weiß ich nur, dass sie sich zugetragen hat. Ich nehme an, dass Roschdestwenskij Richter gegenüber parteiisch war, denn Roschdestwenskijs Frau ist die ausgezeichnete Konzertpianistin Viktorija Postnikowa...

    ...