Gefährdungen durch die Musik?

  • An anderer Stelle in diesem Forum wurde über "Die Kreutzersonate" von Tolstoi berichtet:


    Zitat

    Tolstoj verteufelt hier die Musik. Eine Ehefrau spielt mit einem Bekannten die Kreutzersonate und wird duch die Emotionalität der Musik zum Ehebruch verleitet. Tolstoj präsentiert in diesem Buch eine seltsame Moral, die päpstlicher als der Papst ist (pseudo-urchristlich, der alte Tolstoj versteht sich ja als "Urchrist")).


    In diesem Werk, das ich gerade lese, heißt es:


    Zitat

    ... die Musik zwingt mich, mich selbst, meine wahre Lage zu vergessen; ... unter der Einwirkung von Musik scheint es mir, als fühle ich etwas, was ich eigentlich gar nicht fühle, als verstünde ich, was ich nicht verstehe, als könnte ich, was ich nicht kann.


    und weiter zur Macht der Musik


    Zitat

    Und nun so ein furchtbares Mittel in der Hand eines jeden beliebigen Menschen! Nehmen Sie bloß die Kreutzersonate, daß erste Presto - darf das denn im Salon vor dekolltierten Damen gespielt werden? ... Erst spielen und dann tun, wozu einen diese Musik treibt?


    Man wird darauf hinweisen müssen, daß "Die Kreutzersonate" von Eifersucht handelt, eben von dem Einbruch einer ziemlich rohen sinnlichen Gewalt in die heile Salonwelt.


    Die Fragen, die sich für mich daran anknüpfen, gehen in die Richtung, ob der Musik auch ein Unmaß, ein Exzess, eine Maßlosigkeit innewohnt, vor der/vor dem man sich fürchten muß. Kann man durch Musik trauriger werden, den Bezug zur Realität verlieren, bei, durch die Musik hervorgerufenen, übersteigerten Gefühlen, irrational, unvernünftig, unmoralisch reagieren? Kann man durch Musik depressiv werden, ins "Schwarztönende" abgleiten?



  • Hier dürfte eine Gefährdung recht konkret und anschaulich beschrieben worden sein. :D

  • Hallo Tom,


    so etwas haben wir in gewissem Sinne schon:


    Musik und ihre Wirkung auf unsere Gefühle...


    Als eine Art Gegensatz zu diesem Thema hier möchte ich auf diese beiden hinweisen:


    Dämpft "klassische Musik" Aggressionen ??


    Klassische Musik als Psychotherapie



    Das nur als Hinweis, ich lasse den Thread so stehen - mal sehen wie er sich entwickelt.
    Zum Thema melde ich mich nach Fußball :stumm: :D



    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • interessantes Thema, den Thread können wir glaube ich so lassen, da er sich rein auf "negative" Auswirkungen der Musik bezieht, was wir so noch nicht hatten.


    Jetzt könnte man noch sagen, daß Musik wie Schuberts Winterreise, Mahlers Lied von der Erde und vieles, vieles andere bei manchen Menschen so etwas wie selbstmörderische Gefühle auslösen oder verstärken/"euphorieren"/"glorifizerien" kann. Andererseits kann man sagen, daß diese Gefühle durch den Konsum solcher Musik auch schon durchlebt, verarbeitet, also kompensiert werden (wäre interessant, was unser praktizierender, exkommunizierter Arzt dazu sagen würde, vielleicht liest er es ja und meldet sich extern zu Wort ;-)


    Meinungen zu dieser selbstmörderischen These?


    Bernstein sagte, daß man sich nach einer Aufführung des Liedes von der Erde am liebsten in einen stillen Winkel verdrücken und sterben möchte.

  • Hallo zusammen,


    also die Psyche wird schon durch die Musik beeinflußt.Manche Menschen sind stärker davon betroffen als andere.Bei mir selbst stelle ich mit zunehmenden Jahren eine Verstärkung dieses Einflusses fest.Bei tragischer Musik,besonders in der Oper,muß ich schon mal öfters zum Taschentuch greifen als früher.
    Aber andersherum kann ich mich auch an einem miesenTag mit Mozart,Bach oder Vivaldi wieder in gute Stimmung bringen.
    Als existenzgefährdend möchte ich den Einfluß von Musik jedoch nicht bezeichnen.Menschen,die sich nach Anhören einer bestimmten Art von Musik umbringen,waren schon vorher sehr stark gefährdet.Leider sind unsere Antennen zu schwach ausgebildet,die Signale solch armer Menschen rechtzeitig zu erkennen und ihnen zu helfen.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Angeblich soll ja Wagners Tristan eine regelrechte Selbstmordwelle ausgelöst haben. Waren die Menschen früher sensibler? Oder nicht durch Multimedidingsbumms rund um die Uhr abgestumpft?
    Ich glaube, heute bedarf es stärkerer "Reize", um jemanden in seiner vorhandenen Grundbefindlichkeit oder seinen Überzeugungen zu erschüttern.
    Siegfrieds Beitrag trifft i.ü. meine eigene Befindlichkeit.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Ich persönlich habe mich durch Musik eigentlich noch nie in irgendeiner Weise gefährdet gefühlt. Im Gegenteil: Wenn es mir sehr schlecht geht empfinde ich es als tröstlich, zum Beispiel die Winterreise zu hören. Trost nicht im Sinne von Ablenkung und Verdrängung sondern im Sinne von: Da hat einer bzw. da haben Müller und Schubert ähnliches empfunden wie ich und in ergreifender Weise in Wort und Klang umgesetzt. Das schafft beim Hören ein Gefühl der Verbundenheit, das ich als tröstlich empfinde.


    Die Sogwirkung von Musik hat sicher auch ihre Tücken, die Zeit vergeht oft "wie im Fluge" beim Hören, man vergisst unter Umständen das ein oder andere, was eigentlich noch zu erledigen wäre etc. - für vielbeschäftigte und beanspruchte Menschen kann das vermutlich zum Problem werden. Da ich aber sehr viel freie Zeit habe, empfinde ich diese Intensität der ausgefüllten Zeit eher als Vorteil.


    Und wie steht´s mit der Gefahr, zu viel Geld für immer neue CD´s auszugeben? Auch das sehe ich bei mir letztlich nicht als Problem. Bis vor drei oder vier Jahren habe ich noch über 100 Euro im Moment buchstäblich in die Luft geblasen. An dieses Limit versuche ich mich jetzt auch beim CD-Kauf zu halten. Klappt nicht immer ganz genau, insgesamt aber doch ganz gut.


    Es grüßt Euch Carola :hello:

  • Hallo Tom,


    auch ich kann Siegfrieds Äußerungen unterstreichen.
    Wenn der Mensch schon labil ist, ist er empfindlicher und leichter anzugreifen. Er nimmt sich auch viel schneller etwas zu Herzen (hab ich auch an mir schon merken dürfen/müssen - ist man sowieso schon angegriffen und legt noch einer nach, dann wird das alles nur noch schlimmer und man nimmt es viel persönlicher, als ginge es einem normal).


    Eine solche 'Todesgefahr' besteht also nur, wenn im Menschen schon gewisse Voraussetzungen gegeben sind. Natürlich ist der Tod keine logische Schlussfolgerung - ich denke, dass dies auch auf die eigene Persönlichkeit ankommt.


    Aber prinzipiell schließe ich die Gefährdung der Existenz durch die Musik aus.
    Vielseitige Beeinflussung duch die Musik auf die Psyche allerdings nicht!


    Du fragst nach der Traurigkeit. Absolut - selbst erlebt.
    Spontan erinnern kann ich mich da an Schuberts Streichquintett. Habe ich gestern gehört und erst im dritten Satz empfand ich mal was anderes als Melancholie...Mir kamen die ersten beiden Sätze unglaublich schwermütig vor und irgendwie machte sich in mir eine trübe, traurige Stimmung breit. Zum Glück wurde das zum Ende hin noch anders (obwohl der Schluss auch wieder etwas tragisch auf mich wirkte - Empfindungen nach einmal hören).


    Das klassische Musik auch den Umkehrschluss bewirken kann - also gegen Depressionen oder Traurigkeit Abhilfe schafft - wurde in den oben genannten Threads schon genannt.



    Ich fühle mich von der Musik nicht bedroht oder denke, dass sie mich gefährdet - höchstens mein Konto und Portmonee...aber das ist wieder was anders ;)



    Liebe grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7


  • Dass Tolstoi da etwas überzogenen missionarischen Eifer an den Tag legte, schreibst Du ja selbst, er verabscheute in seinen späteren Jahren die gesamte abendländische Kultur, oder jedenfalls den größten Teil davon (am Rande missionarische Eiferer sind meistens eine größer Gefährdung als Künstler...). Ich finde das gerade bei der Kreutzersonate ziemlich daneben; die Leidenschaft der Musik empfinde ich eher als kämpferisch denn als sinnlich.
    Ansonsten streite man sich wohl seit Beginn jeglicher Reflexion über Kunst darüber, ob diese den Menschen eher von übermäßigen Leidenschaften heilen kann, also therapeutische Wirkung hat (offenbar wurde die antike Tragödie zumindeste teilweise so gesehen, vgl. Auch Davids Harfenspiel für König Saul), oder ob sie gewisse Triebe, die man mißbilligt oder für sozial schädlich hält, noch verstärkt, vgl. mein Zitat im anderen thread (etwas nach unten scrollen):
    hier


    (das ist nur ein kurzer Auschnitt aus endlosen Ausführungen über die Funktion der Künste in Platos idealem (leider ziemlich totalitären) Staat.
    Von ETA Hoffmann und Kleist gibt es auch einige ganz schöne Novellen: "Die Heilige Cäcilie oder die Macht der Musik" (der andere Titel fällt mir gerade nicht ein, auch eine Sängerin, die auf einmal nicht mehr singen kann, aufgrund psychischer Blockaden)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)