Josef Myslivecek [1737-1781]
die sonaten vom Misliwetcek weis ich wie sie sind.
ich hab sie ja zu München gespiellt. sie sind ganz leicht und gut ins gehör.
mein rath wäre, meine schwester, der ich mich unterthänigst empfehle,
solle sie mit vieller expreßion, gusto und feüer spiellen, und auswendig lernen.
denn das sind Sonaten welche allen leüten gefallen müssen,
leicht auswendig zu lernen sind, und aufsehen machen
wenn man sie mit gehöriger Precision spiellt.
[W. A. Mozart an seinen Vater in Salzburg aus Mannheim, den 13. November 1777][/align]
Josef Myslivecek wurde am 9. März 1737 in Ober-Sarka bei Prag geboren. Sein Vater war Müller – ersten Musikunterricht erhielt er demnzufolge inden öffentlichen Grundschulen. Er ging später nach Prag, um dort Philosophie und Literatur zu studieren. Nach seiner Rückkehr aus Prag nahm er sich zunächst des väterlichen Betriebes an, verzichtete aber nach dem Tod des Vaters zu Gunsten seines Bruders auf die Fortführung und widmete sich seiner Musikerlaufbahn.
Er kehrte nach Prag zurück, wo er als Geiger in einem Kirchenchor eine Stelle bekleidete. Dort studierte er auch Orgel und das Kapellmeistertum. 1760 erst erschien sein Opus 1: Sechs Sinfonien, welche nach er den ersten sechs Monaten des Jahres benannt hatte. Der Erfolg stärkte ihn in seinem Entschluß, Komponist zu werden. Daher ging er 1763 nach Venedig, um bei Pescetti Gesangs- und Opernkomposition zu studieren. 1764 zeigten sich erste Erfolge in dem neuen Genre: Seine erste Oper Medea wurde mit außerordentlichem Erfolg in Parma uraufgeführt. Man sagt Myslivecek hier ein Liebesverhältnis zu der venezianischen Sängerin Lucrezia Aguiari nach. Eine von vielen, wie man behauptet. Im Dezember 1766 erhielt er den auftrag aus Neapel, die Oper Bellerofonte zu komponieren. Innerhalb eines Monats war er offenbar mit der Komposition fertig: Bereits am 20. Januar 1767 wurde die Oper mit gefeierten Sängern aufgeführt. Unter anderem wirkte hier Anton Raaf, Mozarts erster Idomeneo, mit. Das Werk war wiederum ein bedeutender Erfolg, so dass sogleich ein weiterer Opernauftrag [Scrittura] folgte: Farnace wurde am 4. November 1767 – diesmal mit triumphalem Erfolg – uraufgeführt. Raketenhaft stieg Myslivevek an den Opernhimmel! Nach kurzer Zeit war er in ganz Italien berühmt. Man nannte ihn il divino boemo, den göttlichen Böhmen.
In Bologna trifft Myslivecek erstmals auf Familie Mozart – das war 1770.
dieser tagen war der H: Misliwetschek bey mir, dann der Castrat Manfredini, der bey uns im zimmer war, da er von Russland kam. Auch war bey mir sein bruder der Capellmstr. Manfredini, und ein gewisser Schmid welcher in Bern Concert gegeben den H: Schulz /: dem wir uns empf gut kennen wird, der H: Misliwetschek hat die Scrittura in Mayxland die erste opera des Carnevals 1772 zu machen, folglich ein Jahr nach dem Wolfgangerl.
[Leopold Mozart an seine Frau in Salzburg aus Bologna, den 4ten augusti 1770]
H: Misliwetschek hat uns in Bologna, und wir ihn öfter besucht, er hat sich des H. Johannes Hagenauer, und ganz natürlich des H: Cröner öfters erinnert. Er schrieb ein Oratorium für Padua, das er nun wird fertig haben; und dann gehet er nach Böhmen. [Leopold Mozart an seine Frau in Salzburg aus Milano, 27 d’ottobre 1770]
Schon bald entwickelte sich hier eine enge Freundschaft unter Musikern. 1771 wurde Myslivecek zum accademico filarmonico von Bologna ernannt. Sein Ruhm überschwappte schnell die Grenzen Italiens und so war Myslivecek auch bald in Wien zugegen, 1772/73.
H: Misliwetchek küsst der Nannerl die virtuosen Hände, so gab er es dem Wolg: auf.
[Leopold Mozart an seine Frau in Salzburg aus Mayland, den 16ten Jenner 1773]
der wolfgangerl hat nicht zeit zu schreiben, dan er hat nichts zu thun, er gehet im zimmer herum, wie der hund in flöhen.
Concero
Per violino obligato
È stromenti
Del sig: Giuseppe Misliwecek
Ditto il boemmo
= Baßo =
p: s: so sieht mein unterleg aus.
[W. A. Mozarts Nachschrift an die Mutter in Salzburg aus Wienn, den 8ten Sept. 1773]
In München jedoch – diese Bayern! – hatte seine Oper Erifile kaum Erfolg. Als Begründung soll Myslivecek angeführt haben, er würde nur unter italienischem Himmel recht inspiriert – und nahm die nächste Kutsche nach Neapel. Dort komponierte er innerhalb einer Woche die Oper Romolo ed Ersilia. Ja, hier in Italien war er daheim, hier wurde er geachtet und verstanden! Es folgten weitere Opern, man konnte den Hals nicht vollkriegen: Demofoonte [UA 20. Januar 1775], Ezio [5. Juni 1775].
1777 folgte Myslivecek einer Einladung des Kurfürsten von Bayern nach München, wo seine Oper Ezio wie auch das Oratorium Abramo ed Isacco zu einem – verwunderlich! – großen Erfolg führt. Hier erkrankte Myslivecek und begab sich ins Münchener Spital. Erneut trifft er hier auf Wolfgang Amadeus Mozart, der diese Begegnung herzzerreißend schildert:
Mon trés cher Pére!
Warum ich bis dato nichts vom Misliwecek geschrieben habe? - - weil ich froh war wan ich nicht auf ihn dencken durfte - - dann so oft die rede von ihm war, muste ich hören, wie sehr er mich gelobet, und welch guter und wahrer freund er von mir ist! Und zugleich die bedauerung und das mitleiden; man beschrieb ihn mir. Ich war ausser mir. Ich sollte misliwecek meinen so guten freünd in einer stadt, ja in einem winckel der welt wo ich auch bin, wissen, und sollte ihn nicht sehen, nicht sprechen? - - das ist ohnmöglich! Ich resolvirte mich also zu ihm zu gehen. Ich gieng aber des tags vorher zum verwalter vom Herzogsspital, und fragte ihn ob er nicht machen könne daß ich mit Misliwecek in garten sprechen könnte, dann, obwohlen mir alle leüte und auch Medici gesagt haben, daß da nichts mehr zu erben wäre, ich dennoch in sein Zimmer nicht gehen wollte, weil es sehr klein ist, und ziemlich starck riecht. Er gab mir vollkommen recht, und sagte mir, er gienge gewöhnlich so zwischen 11 und 12 uhr im garten spazieren; wen ich ihn aber nicht antreffen sollte, so dürfte ich ihn nur herab kommen lassen. ich gieng also den andern tag mit H: von hamm, ordens=secretaire, /: von welchen ich nachgehends sprechen werde und auch mit meiner Mama ins herzogspital. Meine Mama gieng in die kirche und wir im arten. Er war nicht da. Wir liessen ihn also ruffen. Ich sahe ihn von der querre her kommen, und erkannte ihn gleich im gang. Hier ist zu mercken, daß er mir schon durch H: heller Violoncellist ein Compliment hat vermelden lassen, und gebeten, ich möchte ihn doch vor meiner abreise noch besuchen. Als er zu mir kamm, nahm ich ihn, und er mich recht freundschaftlich bey der hand. Da sehen sie, sprache er, wie unglücklich ich bin! Mir giengen diese worte, und seine gestalt, die der Papa der beschreibung nach schon weis, so zu herzen, daß ich nichts als halb weinend sagen konnte, ich bedauere sie von ganzen herzen, Mein lieber freünd! Er merckte es, daß ich gerührt war, und fieng sogleich ganz munter an.
„aber sagen sie mir, was machen sie denn; man hat mir gesagt, sie seyen hier; ich glaubte es kaum. wie ist es denn möglich daß der Mozart hier ist, und mich nicht längst besucht hat.“
„ich bitte sie recht um verzeyhung, ich habe so vielle gänge gehabt, ich habe so vielle gute freunde hier.“
„ich bin versichert daß sie recht gute freunde hier haben, aber einen so guten freund, wie ich, haben sie gewis nicht.“
er fragte mich ob ich von Papa keine nachricht erhalten habe wegen einen brief - - ich sagte ja, er schrieb mir, /: ich war so confus und zitterte so am ganzen leibe, daß ich kaum reden konnte aber nicht ausführlich. er sagte mir dann. daß der Sig: Gaetano santoro impreßario von Neapel, gezwungen war, aus impegni und Protectione diesen Carneval einem gewissen Maestro Valentini die opera von Carnevale zu geben. aber auf künftiges jahr hat er 3 frey; wovon eine mir zu diensten steht.
„weil ich also schon 6 mahl zu Neapl geschrieben habe, so mache ich mir nichts daraus, die fatalere zu übernehmen, und ihnen die bessere, nämlich die von Carnevale zu überlassen. gott weis, ob ich reisen kann, kann ich nicht, so schicke ich die Scritture wieder zurück. die Compagnie auf künftiges jahr ist gut. lauter leüte die ich recomandirt habe. sehen sie, ich habe so Credit zu Neapl, daß wen ich sage, nehmet diesen, so nehmen sie ihn.“
Marquesi, ist der Primo uomo, welchen er sehr lobet. und auch ganz München. Marchani. eine gute Prima Donna. und ein tenor, denn ich nicht mehr nennen kann, welcher, wie er sagt, iezt der beste in ganz italien ist.
„ich bitte sie, gehen sie in italien, da ist man estimirt und hochgeschäzt.“
und er hat wircklich recht; wen ich es recht bedencke, so hab ich halt doch in keinen lande so vielle ehren empfangen, nirgends so geschätzet worden, wie in italien; und man hat halt Credit, wen man in italien opern geschrieben hat, und sonderheitlich zu Neapl. er hat mir gesagt er will den brief an Santoro mir aufsezen, ich soll morgen zu ihm kommen, und ihn abschreiben. ich konnte aber ohnmöglich mich entschliessen zu ihn ins Zimmer zu gehen, und wen ich schreiben wollte, müste ich es doch, in garten könnte ich nicht schreiben. ich versprach ihm also, gewis zu kommen. ich schrieb aber folgenden tags einen italienischen brief an ihn, ganz natürlich: „ich könnte ohnmöglich zu ihm kommen; ich habe schier nichts essen, und nur 3 stund schlaffen können.“ ich war den tag wie ein mensch der seine vernunft verlohren hat. er seye mir immer vor augen Ecet: lauter sachen die so wahr sind als die sonne: […]
er hat mir auch bey ihm briefe gezeiget, wo ich oft meinen Namen laß. man sagte mir, daß sich Misliwetcek sehr verwundert hat, wen man hier von Beeché oder dergleichen Clavieristen sprach; er sagte allzeit, es soll sich nur keiner nichts einbilden; keiner spiellt wie Mozart. in italien, wo die grösten Meister sind, spricht man von nichts als Mozart. wen man diesen nennt, so ist alles still. ich kann iezt den brief nach Neapl schreiben wen ich will; doch je ehender, je besser: ich möchte aber bevor die meynung von den allervernünftigsten Hofkapellmeister herrn von Mozart wissen. ich habe eine unaussprechliche begierde wieder einmahl eine opera zu schreiben. der weg ist weit, das ist wahr; wir sind aber auch noch weit entfernt von der Zeit wo ich diese opera schreiben sollte; […]
ich bitte sie, mein allerliebster Papa, antworten sie doch dem Misliwecek. schreiben sie ihm so oft sie nur Zeit haben. sie können ihm keine grössere freüde machen, dann der Mann ist völlig verlassen; die ganze woche kömmt oft kein mensch zu ihm. er sagte mir:
„ich versichre sie, es thut mir hier sehr fremd, daß so wenig leüt mich besucen kommen; in italien hatte ich alle tage gesellschaft.“
wenn sein gesicht nicht wäre, so wäre er völlig der nämliche; voll feuer geist und leben. ein wenig mager, natürlich; aber sonst der nämliche gute und aufgeweckte Mensch. ganz München redet von seinem oratorio, Abramo und Isaco, so er hier producirt hat. er hat iezt, bis auf etliche Arien eine Cantate oder Serenada fertig, auf die fasten. wie seine krankheit am stärcksten war, machte er eine opera nach Padua. da nuzt nichts, man sagt es auch hier selbst, daß ihn die Doctors und Chirurgi hier verdorben haben. es ist halt ein förmlicher breinkrebs. der Chirurgus Caco, der Esel, hat ihm die Nasen weg gebrennt; man stelle sich iezt den scherzen vor.
[W. A. Mozart an Leopold Mozart in Salzburg aus München, den 11. Oktober 1777]
Den Opernauftrag hat Mozart niemals erhalten, wie Vater Leopold weise prognostiziert hatte. Mit verstümmeltem Gesicht [das muß ungefähr so ausgesehen haben] kehrte Myslivecek nach Italien zurück und komponierte weiter Opern. Mit der Olimpiade, UA 4. November 1778, soll er alle vorherigen Opern übertroffen haben. Eine Oper komponierte er noch 1779, Il Demetrio, dann verließ er Neapel und gelangte über Venedig und Mailand nach Rom. Hier tickte er offenbar total aus – ein verschwenderischer Lebenswandel brach ihm das Genick:
Es giebt leüte, die glauben, es seye ohnmöglich ein armes mädl zu lieben, ohne schlechte absichten dabey zu haben; und das schöne wort maitreße, zu teutsch h==e, ist halt gar zu schön! - - ich bin kein brunetti und kein Misliwetcek!
[W. A. Mozart an den Vater in Salzburg aus Mannheim, den 22. Februar 1778]
Am 4. Februar 1781 starb Josef Myslivecek völlig verarmt und verwahrlost in Rom.
Neben knapp zwei Dutzend Opern, größtenteils auf Libretti von Pietro Metastasio, komponierte Myslivecek mehrere Oratorien [Adamo ed Eva, Il Tobia, La Passione di Gesú Christo, Abramo ed Isacco, Giuseppe riconosciuto], 4 Klavierkonzerte, ein Violinkonzert, 6 Divertimenti, 4 Ouvertüren, 6 Streichquintette, Klaviersonaten und Sinfonien.