Briefveröffentlichungen...Verletzung der Privatsphäre

  • Hallo zusammen,


    ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt: Ist es legitim, daß man Briefe und persönliche Dokumente nach dem Ableben von Komponisten (und berühmten Menschen) durchforstet, liest, auswertet, analysiert und veröffentlicht?
    Wie weit darf Forschung gehen? Ist das eine Verletzung der Privatsphäre?


    Ich bin der Überzeugung, daß hier moralische Grenzen gesetzt sind. Ich würde nicht wollen, daß ein Tagebuch oder Briefe im Nachhinein ohne meinen Willen veröffentlicht werden. Da gebietet der Respekt und die Ethik, dies auch nicht bei anderen zu machen.


    Natürlich spielt hier das eigene Werte-Verständnis eine entscheidene Rolle. Das Argument "Sie sind ja schon tot." halte ich für wertlos. Man muß gerade auch die Ehre von Verstorbenen bewahren.


    Eine weitere Frage die sich stellt: Inwieweit ist dieses Wissen überhaupt notwendig, um die Musik zu verstehen? Gewisses biographisches Hintergrundwissen ist hilfreich, ja, aber soll Musik nicht so wirken, wie sie gemeint ist? Direkt und eben auch ohne jedweger Biographie. Sie wirkt aus sich selbst heraus.


    Damit Grüße und ich bin gespannt auf Antworten,
    Daniel :hello:

  • Salut,


    Martin2 hatte das vor einiger Zeit in diesem Thread schon einmal thematisiert:


    Verehrt Ihr Eure "Meister"?


    Aber es ist gut, daraus einen eigenen Thread zu formen.


    Zitat

    Ich bin der Überzeugung, daß hier moralische Grenzen gesetzt sind. Ich würde nicht wollen, daß ein Tagebuch oder Briefe im Nachhinein ohne meinen Willen veröffentlicht werden. Da gebietet der Respekt und die Ethik, dies auch nicht bei anderen zu machen.


    Natürlich ist dies alles eine Gratwanderung - und zwar eine, die der betreffende Komponist oder Interpret selbst unternimmt: Wir er zum allgemeinen Kulturgut oder nicht? Wer wird nach dem Tode einer solchen Person verhindern, dass Briefe, Tagebücher etc. veröffentlicht werden? Vielleicht die Familie, so lange sie lebt und den letzten Willen respektiert. Irgendwann jedoch wird ein Nachfahre geboren werden, der dennoch daraus Kapital schlagen wird.


    Als "Künstler" hat man vielleicht damit zu rechnen, dass alles, was man hinterlässt irgendwann einmal öffentlich wird!?


    Zitat

    Eine weitere Frage die sich stellt: Inwieweit ist dieses Wissen überhaupt notwendig, um die Musik zu verstehen? Gewisses biographisches Hintergrundwissen ist hilfreich, ja, aber soll Musik nicht so wirken, wie sie gemeint ist? Direkt und eben auch ohne jedweder Biographie. Sie wirkt aus sich selbst heraus.


    Unterschiedlich: Grundsätzlich dürfte dieses Hintergrundwissen nicht notwendig sein, sofern die Musik für sich spricht, wie z.B. bei Bach, Mozart. Funktioniert dies aber bei Gustav Mahler?


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Briefveröffentlichungen...Verletzung der Privatsphäre


    Ja, sicher. Aber teuflisch spannend, mitunter unterhaltsam und manchmal erschütternd. Wie auch Tagebücher sein können. Verbotene (Ein-)Blicke. Aber aufschlussreiche...!

    ...

  • Nur ganz allgemein gilt nach Deutschem Recht folgendes:


    Auch postmortale Persönlichkeitsrechte, wie das Recht am eigenen Bild oder am gesprochenen und geschriebenen Wort - Briefe (BGH, Urteil vom 25.05.1954 [I ZR 211/53], Tagebücher (BGH, Urteil vom 26.11.1956 [I ZR 266/52]) - werden nach Deutschem Recht geschützt.


    Die Angehörigen, nicht die Erben des Verstorbenen als solche, haben bei Verletzung ideeller postmortaler Persönlichkeitsrechte bei ausreichendem Rechtsschutzbedürfnis einen Unterlassungs- oder Widerrufsanspruch, ggf. Schadenersatzanspruch. Die dem Schutz ideeller Interessen dienenden höchstpersönlichen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts sind nicht vererblich. Dagegen sind die dem Schutz kommerzieller Interessen dienenden vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts vererblich, da andernfalls kein wirkungsvoller postmortaler Schutz gewährleistet ist (BGH NJW 2000, 2201 f.: wird aber von vereinzelten Stimmen in der Literatur bestritten).


    Dieser postmortale Persönlichkeitsschutz vermindert sich mit zunehmendem Abstand vom Todeszeitpunkt, ist aber nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt (z.B. BGHZ 107, 384 Urteil vom 08.06.1989): bekannter Maler (Nolde), Schutz noch 30 Jahre nach seinem Tod). In seiner Entscheidung vom 08.06.1989 hat der BGH die Frage offen gelassen, wie lange der geschützte Zeitraum andauern kann (entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles wie Art und Intensität des Eingriffs, Bekanntheitsgrad und Bedeutung der Person oder etwa ihres künstlerischen Schaffens).

  • Das berühmteste Beispiel dürften die Tagebücher von Thomas Mann sein. Zu Lebzeiten freilich nicht veröffentlicht, aber ihm war ganz klar, daß sie durchaus mal veröffentlicht werden würden. Und in diesem Sinne hat er sie auch verfasst. Max Frisch hat seine Tagebücher dann schon ganz eindeutig für die Öffentlichkeit geschrieben.


    Und auch die Briefe von in der Öffentlichkeit stehenden Personen sind manchmal mit dem Hintergedanken einer allgemeinen Veröffentlichung geschrieben.


    Aber natürlich dürften die meisten Künstler ihre Briefe als Privatangelegenheit betrachtet haben... :D


    Wie es da bei einer Veröffentlichung um die "Moral" der Sache steht, habe ich mir noch nie große Gedanken gemacht, bin mal gespannt, was der Thread ergibt.

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  • Salut,


    was Mozart betrifft, so war sich dieser durchaus darüber in klaren, dass solche ggfs. bereits zu Lebzeiten bzw. während des Verschickens von Fremden gelesen werden konnten und wurden:


    [...] ich schreibe das alles nun in der natürlichsten deutschen Sprache, weil es die ganze Welt wissen darf und soll, dass es der Erzbischof von Salzburg nur ihnen, mein bester Vater, zu verdanken hat, dass er mich nicht gestern auf immer…verloren hat. [...] [Wien, 28. April 1781]


    Für Mitteilungen, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren, entwicklete Familie Mozart eine Geheimschrift!


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Daniel,


    ich möchte jetzt nur einmal auf einen Punkt eingehen:


    Zitat

    Eine weitere Frage die sich stellt: Inwieweit ist dieses Wissen überhaupt notwendig, um die Musik zu verstehen? Gewisses biographisches Hintergrundwissen ist hilfreich, ja, aber soll Musik nicht so wirken, wie sie gemeint ist? Direkt und eben auch ohne jedweger Biographie. Sie wirkt aus sich selbst heraus.


    Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht wegen dem Werkverständnis noch mehr von Dvorák wissen will - sprich Biografien und Briefe lese, sondern weil ich diesen Menschen interessant finde.
    Aus diesem Interesse ist der Drang geboren, solche Schriften zu lesen. Warum? Weil man einfach ein viel persönlicheres Bild bekommen kann, als wenn man nur Dinge lesen kann, welche aus Dritter oder gar Vierter Hand stammen...



    Über die Diskussion, ob es nicht eine Verletzung der Privatsphäre des Menschen ist (wenn er es nicht selbst veranlasst oder aus freiem Willen zugelassen hat), wenn wir solche Dokumente lesen, bin ich mir selbst noch nicht ganz im Klaren und muss noch etwas drüber nachdenken...



    Lieben Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Vielen Dank schon mal für die Antworten,


    Uli schrieb "Als "Künstler" hat man vielleicht damit zu rechnen, dass alles, was man hinterlässt irgendwann einmal öffentlich wird!?"


    Ja, sicher, aber wird es dadurch moralisch gerechtfertigt? In meinem Moralverständnis nicht.


    Edwin Baumgartner schrieb. "Verbotene (Ein-)Blicke. Aber aufschlussreiche...!"


    In welcher Hinsicht verboten? Ich denke das war ethisch und "das macht man nicht" gemeint. Aber dann frage ich mich: Warum sollte man es machen? Wegen den Aufschlüssen? Vielleicht halten mich manche für zu "brav", aber ich mache etwas nicht, wenn es "verboten" ist, und ich dieses "Verbot" befürworte und anerkenne.


    tom: Danke für den rechtlichen Hintergrund, ich wußte davon vieles noch nicht. Vorallem ging es mir hier natürlich um mehr "philosophisch-moralisches" als um geltendes Recht, da dieses ja - bekanntlich - wandelbar ist.


    ThomasBernhard: Interessant. Kann man dann in den Tagebüchern von Frisch Sätze wie folgende lesen? :D "Liebes Plenum...", "Denen, die dieses einst in Händen halten werden..." ;)


    Sicher wurden manche Tagebücher und Briefe schon mit dem Gedanken verfasst, daß sie Fremde einmal lesen könnten. Aber insofern sind sie auch eher als "offener Brief" oder ähnliches verfasst. Vom Inhalt dürften da aber Unterschiede zu "privaten" Dokumenten bestehen. Aber ich kann ja hier nicht direkt vergleichen, da mir meine Moral es verbietet. Ich bin da sehr konsequent.


    Maik: Das ist sicher ein sehr wichtiger Gedanke, den ich auch selber ähnlich empfinde. Ich lese Biographien sehr gerne, wenn mich Persönlichkeiten interessieren, das Leben. In meinem Fall z.B. Felix Mendelssohn. und seine ganze beeindruckende Familie. Gerade zu rührend wie eng Familienbanden sein können, und was mir auch sehr wichtig ist, ich schätze sie charakterlich sehr - für mich wichtig auch im Hinblick auf die Musik, die diese Menschen schreiben.
    Aber - man kann es sich mittlerweile denken :D - ich werde keine Briefwechsel kaufen, eben weil ich diese Familie so achte.


    Damit viele Grüße und ebenso gespannt, was sich hieraus noch entwickeln wird,
    Daniel :hello: