Enttäuschte Erwartungen - wenn Pianisten nicht halten, was man sich von ihnen verspricht...

  • Liebe Forianer,


    in der Regel wird sich in diesem Forum ja eher bewundernd bis lobend oder doch wenigstens mit dem gebotenem Respekt über die Tastengroßmeister geäußert.


    Ich würde zur Abwechslung aber liebend gerne einen Blick auf die deutlich stumpfere Rückseite der Medaille werfen wollen. Kennt ihr das auch: Einst wurde man von der phänomenalen Chopin-Platte des Interpreten XY infiziert. Von da an pilgerte man in jedes seiner Konzerte, getrieben von der Sehnsucht, auch in Natura vollends überwältigt zu werden. Doch: Sensationen blieben aus, der Mann hielt einfach nicht, was er versprach oder besser - was man sich von ihm versprochen hat.


    So ging's mir bislang z.B. mit Maurizio Pollini, den ich nun schon 4 x solo & 1 x mit den Berliner Philharmonikern erlebt habe. Beim anschließenden Blick in die Presse konnte man jedes Mal den Eindruck gewinnen, Pollini habe gezaubert und alle hätten's bemerkt - nur eben nicht ich...


    Dann gibt's die hoffnungsvollen Frühstarter, die aggressiv gepuscht werden,
    um möglichst schnell möglichst viel Geld aus ihnen herauszupressen. Ihr "künstlerischer" Wert wird natürlich maßlos übertrieben dargestellt - die Ärmsten werden ständig an Maßstäben gemessen, denen sie niemals standhalten können. Ein Beispiel, das mir dazu ad hoc einfällt, ist der Grieche Dmitri Sgouros (korrekt?), der vor ca. 15 Jahren selbst vom Spiegel geradezu hysterisch als der Messias des Klavierspiels gefeiert wurde - Übrig geblieben ist von Sgouros freilich nichts. (von ein paar Wiederveröffenlichungen im Zwei-Euro-Preissegment mal abgesehen...)


    Dann gibt es diese schlampigen Genies, die mal zaubern und mal provozieren, die wechselweise beglücken und enttäuschen. Mal möchte man sie anbeten, mal möchte man sie ohrfeigen. Einer, dessen Kunst diese Heißkaltbäder in mir auszulösen verstand, war der Klavierkauz Shura Cherkassky (um den es seit seinem Ableben vor rund 10 Jahren erschütternd still geworden ist). Ich habe Cherkassky anlässlich seines "80th Birthday Concert" in der Londoner Royal Festival zum ersten Mal gehört (reiner Zufall, ich wollte einfach in IRGENDEIN Konzert und geriet unversehens in DEN KLAVIERABEND MEINES LEBENS!) Ich habe seitdem niemals mehr ein so gesangliches Klavierspiel gehört. Jeder Ton hatte eine prächtige, sehr materielle Konsistenz und klang gleichzeitig so, als habe man ihn mildernd in eine Lage Samt geschlagen. Der Live-Eindruck von Cherkassky war unübertrefflich: Dieses Männlein mit dem viel zu großen Kopf und den für Pianisten untypisch kleinen Händen reichte mit den Füßen gerade mal so eben an die Pedale (das war weiter nicht schlimm, denn er spielte Kraftstellen eh im Stehen...). Er liebte anachronistische und bunt zusammengewürfelte Programme im Salonlöwen-Stil: Das Londoner Konzert dauerte wohl an die 3 Stunden und umfasste unter anderm, wenn ich mich recht erinnere, neben der Bach/Busoni-Chaconne auch Schumanns "Carnaval" und die "Trois Mouvements de Pétrouchka" von Strawinsky. Als (eine der vier, fünf oder sogar sechs) Zugaben gab er Morton Goulds "Boogie-Woogie-Etude"... Nein, ein großzügigeres und freigeistigeres Konzert habe ich wirklich nicht erlebt!
    Seine Platten (sofern es keine Live-Mitschnitte sind) machen dagegen teilweise einen regelrecht peinlichen Eindruck - so als ob ein ganz anderer spielen würde: Es hagelt falsche Töne wie nichts Gutes und Schrulligkeiten lauern hinter jedem Taktstrich. Es ist mir aufgrund dieser "Tondokumente" bislang niemals gelungen, jemanden zum Cherkassky-Groopie zu machen - und je länger meine eigenen Eindrücke zurückliegen, desto häufiger frage ich mich, ob ich ihn nicht ganz einfach hemmungslos idealisiert habe...


    Ein paar Fragen zum Thema "enttäuschte Erwartungen" an Euch:
    Wurdet ihr je von einem Eurer "Lieblinge" enttäusch?
    Oder hattet ihr einfach überzogene Erwartungen, die nur enttäuscht werden können?
    Habt ihr schon mal eine Scheiben von einem Künstlern eures Vertrauens "blind" erworben, um zuhause festzustellen, dass es ein Fehlkauf war?
    Und, anders herum: Hat Euch ein Pianist, von dem ihr vorher nichts gehalten habt, durch eine einzige Platte oder ein sensationelles Konzert über Nacht zum Fan gemacht?
    Welche Pianisten sind live viel besser, als im Studio, bzw. umgekehrt?
    Welches war der enttäuschendste (bzw. überraschendste) Klavierabend eures Lebens?


    Herzliche Grüße
    Daniel

  • Tag,


    es ist wahr, bei aller Dankbarkeit, die im Publikum, im Besucher eines Konzertes zurück bleibt, überlebt doch die eine und die andere Enttäuschung.


    'Schwer enttäuscht' hatte mich einst Alfred Brendel, schon hoch gelobt, schon nach London übergewechselt, zusammen mit Gerog Solti und dem NDR-Sinfonieorchester, es gab Brahms' 2. Klavierkonzert. Die zwei Berühmtheiten konnten vielleicht miteinander nichts anfangen. Zwei Tage später machte es Detlef Kraus, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, viel besser als sein berühmter Kollege. Kraus lehrte an der Hamburger Musikhochschule.
    Enttäuschungen bereiten mir seit Jahren die Herren Richard Goode, Louis Lortie, seit sehr vielen Jahren der Herr Bruno Leonardo Gelber. Sämtliche Eindrücke entstammen Konzerten sowie Tonkonserven. Von Goode hatte ich sZt die Sonate DV 960 (Nonesuch), er nahm sich viel Zeit, man wuchs im zuhören in die Konzentration hinein, schön; die letzten Beethoven-Sonaten, auch noch (aber nur) normal. Jetzt aber, wie in Hannover vor wenigen Monaten, Mozart = aus. Louis Lortie einst mit Chopin, 1. Klavierkonzert, wieder NDR-SO, prächtige Klavierkunst; seither, selten noch hier, aber wenn, wie vor Wochen in Hannover, mit Schumann, op. 54 = aus.


    Erhellendes (!) kam einst von Robert Riefling, dem Norweger, auf dessen Verabschiedungs-Konzertreihe. In Hamburg hatte er begonnen, in Hamburg hörte er auf, aber: Das Programm, die drei letzten Sonaten von Beethoven, in der kleinen Musikhalle (wer kannte schon Riefling). Robert Riefling war einst beim Klavierwettbewerb Reine Elizabeth, Brüssel, vor Benedetti-Michelangli auf Platz drei bewertet worden. Es gab eine Haydn-Gesamtaufnahme der Klaviersonaten von ihm. Riefling ("Der muss verrückt sein bei dem Programm", sagte ein Bekannter) gewann das Publikum. Er gewann meine bis heute überdauerte Anerkennung (nach op. 110 hörte ich mich ausrufen "So ist es!").


    Erfreuliches, völlig unerwartet, weil schon enttäuscht worden, kam von Christian Zacharias, mit Chopin, 2. Klavierkonzert (NDR-SO), ein mir unbekannter Dirigent (Israeli) war eingesprungen (Günter Wand erkrankte): Das war Poesie, endlich ein Mal, endlich nicht diese blöden Virtuosenposierereien.


    Enttäuschend war auf ganzer Linie Leif Ove Andsnes mit Beethovens 4. Klavierkonzert. Schwamm, nass, ja nass, das Wasser soll herunterlecken, Schwamm drauf: die 8-fingrigen Akkorde des Eröffnungsmotivs löste er in Einzeltöne auf. So ein Mist.


    Freundliche Grüße!
    Albus


    NS: Nicht am Klavier, an der Violine gibt's ständig Enttäuschendes: diese vielen Koreaner/Japaner/Chinesen, männlichen, weiblichen Geschlechts. Puh.
    A.

  • Hallo Albus,
    sehr schöne, sehr plastische Eindrücke!


    Richard Goode hat hier in Hannover übrigens alle 32 von Beethoven gespielt (ich glaube an 6 Abenden) - das war allerdings keine Enttäuschung...


    Schöne Grüße!
    Daniel

  • Enttäuschung? - Irgendwie schon. Da wird sie als Star hochgejubelt, schreibt eine Autobiografie, und die Bilder versprechen auch einen optischen Genuss. Und dann tritt Hélène Grimaud im Wien auf, ist von der Austrahlung her das, was man auf Wienerisch "Zniachterl" nennt. Und spielt, dass man einschlafen würde, kämen da nicht ab und zu Grunzer der Holden, als müsste sie die Höhepunkte vokal unterstreichen, die sie technisch einfach nicht schafft.
    Ich hoffe, sie zahlt ihren Fotografen und den Studiotechnikern, die ihre Aufnahmen nachbearbeiten, ein ordentliches Erfolgshonorar...

    ...

  • Lieber Edwin,


    Könntest du einem Wien-unerfahrenen Norddeutschen kurz eine griffige Übersetzung des hübschen Wörtchens "Zniachterl" geben? (Eine Wachtel? Eine Zicke?) Ich werde es dann unter Umständen in meinen Wortschatz importieren...
    herzlichen Dank und beste Grüße :hello:
    Daniel

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Morgen,


    und noch eine Enttäuschung, eine enttäuschte Erwartung. - Von Anatol Ugorski erwartete ich ein 3. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven, Dirigent Gerd Albrecht, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, eine Interpretation von Genauigkeit und Seele. Aber, es kam ganz anders: nur Krach, bei Beethoven! Meine Frau war vom Ugorski'schen Lautheitswettbewerb bereits körperlich beeinträchtigt - da steigerte der Dirigent Gerd Albrecht bei Brahms/Schönberg den Pegel noch weiter: als ob's ein Pop-Event sei (120 dB oder so).


    Raus aus der Loge, raus aus der Musikhalle.


    Freundliche Grüße!
    Albus

  • Hallo Daniel!
    Unübersetzbar, leider. Ich versuchs dennoch: Im Wort "Zniachterl" steckt das Wort "nichts" drin. Ein "Zniachterl" ist eine Person ohne Ausstrahlung, die man eher bedauert als bewundert, eine Person, die schwach und unbedarft wirkt und der das gewisse Etwas völlig fehlt.
    Das müsste so ungefähr hinkommen.
    LG

    ...

  • ... einen, der mich enttäuscht hat, hae ich auch noch auf Lager: Murray Perahia!
    Ich hatte zwei Klavierabende mit ihm. 1x Beethoven "Hammerklavier", 1x Bach "Goldberg" - alles von seidenweicher Klangschönheit, von erlauchter Anschlagskultur und technischer Makellosigkeit. Irgendwie aber auch blutleer. Man muss P.'s Neigung, die musikalischen Konturen fluffig glatt zu schleifen schon lieben.
    Ich wäre wohl nicht so enttäuscht gewesen, wenn ich nicht so ein Riesenfan von ihm gewesen wäre. Fans neigen zur Idealisierung und provozieren damit förmlich, enttäuscht zu werden. Oder sie bleiben im Rausch der Bewunderung und idealisieren selbst die schwächsten Leistungen ihres Idols.
    Ein liebendes Ohr ist eben kein kritsches Ohr...


    Schöne Grüße!
    Daniel

  • Vielleicht jemand, den man im Englischen mit dem Adjektiv "plain" bezeichnen würde.

    "Noten haben einen zumindest ebenso bestimmten Sinn wie Wörter, wiewohl sie durch diese nicht zu übersetzen sind." (Felix Mendelssohn-Bartholdy)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Daniel Behrendt
    ... einen, der mich enttäuscht hat, hae ich auch noch auf Lager: Murray Perahia!
    Ich hatte zwei Klavierabende mit ihm. 1x Beethoven "Hammerklavier", 1x Bach "Goldberg" - alles von seidenweicher Klangschönheit, von erlauchter Anschlagskultur und technischer Makellosigkeit. Irgendwie aber auch blutleer. Man muss P.'s Neigung, die musikalischen Konturen fluffig glatt zu schleifen schon lieben.
    Ich wäre wohl nicht so enttäuscht gewesen, wenn ich nicht so ein Riesenfan von ihm gewesen wäre. Fans neigen zur Idealisierung und provozieren damit förmlich, enttäuscht zu werden. Oder sie bleiben im Rausch der Bewunderung und idealisieren selbst die schwächsten Leistungen ihres Idols.
    Ein liebendes Ohr ist eben kein kritsches Ohr...


    Wodurch warst Du denn ein Fan geworden? Ich kenne vermutlich die falschen Einspielungen, aber seine vielgelobten Mozart-Konzerte sind m.E. abschreckende Beispiele harmloser Belanglosigkeit. Das hat mir gereicht...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes,


    ich habe Perahia erst in seiner "Nach-Mozart-Phase" kennengelernt. Ich glaube, ich bin eingestiegen, als er seine Fingerlähmung überwunden und Beethoven op. 2 eingespielt hat. Richtig überzeugt hat mich aber erst die Händel/Scarlatti-Scheibe, die ich nach wie vor mag. Dann kam Bach, Bach und nochmals Bach. Und dann wurde mir von Scheibchen zu Scheibchen immer übler - Zuckervergiftung?
    Dass man Perahias pianistischer Eloquenz und dieser schmuseweichen Klangoberfläche zuerst auf den Leim geht, haben auch einige aus meinem Freundeskreis bestätigt. Aber auch sie empfanden sein Spiel nach einer Weile nur noch amüsant und schließlich schlichtweg ermüdend.
    Ein Problem: P. hat für die unterschiedlichsten Komponisten und Stile nur das immergleiche Rezept parat - eigentlich ist das total phantasielos und reichlich denkfaul...
    Schöne Grüße :hello:
    Daniel

  • Zitat

    Original von Daniel Behrendt
    ich habe Perahia erst in seiner "Nach-Mozart-Phase" kennengelernt. Ich glaube, ich bin eingestiegen, als er seine Fingerlähmung überwunden und Beethoven op. 2 eingespielt hat. Richtig überzeugt hat mich aber erst die Händel/Scarlatti-Scheibe, die ich nach wie vor mag.


    Stimmt, diese CD kenne ich sogar auch noch, hatte ich ganz vergessen. Definitiv das Beste, was ich mit ihm kenne (was aber wie angedeutet nicht sehr viel ist...) Es gibt wohl schon ein paar ganz gute Platten von ihm, aber als nicht explizit Pianophiler muß ich das nicht so genau verfolgen...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Daniel Behrendt
    ich habe Perahia erst in seiner "Nach-Mozart-Phase" kennengelernt. Ich glaube, ich bin eingestiegen, als er seine Fingerlähmung überwunden und Beethoven op. 2 eingespielt hat. Richtig überzeugt hat mich aber erst die Händel/Scarlatti-Scheibe, die ich nach wie vor mag. Dann kam Bach, Bach und nochmals Bach. Und dann wurde mir von Scheibchen zu Scheibchen immer übler - Zuckervergiftung?


    Lieber Daniel,


    bin da anderer Meinung. Aber ich denke wir verlagern die Diskussion am besten in den Perahia Thread.


    Guckstu hier:



    Ein Gesichtspunkt der hier noch zu erwähnen wäre, ist die Erwartungshaltung Publikums: Durch die Möglichkeiten der heutigen Technik sind wir Hörer verwöhnt.Wir erwarten vom Pianisten dass er im Konzert das zeigt, was wir von der Platte her kennen, oder noch mehr. Dieses Problem bestand in der Vergangenheit weitaus weniger.


    Andererseits gibt es Pianisten, deren Platten nur ein schwaches Abbild ihrer Auftritte sind. Mir ging es mit Yevgeni Kissin so. Glenn Gould dagegen hat sich gezielt der Technik bedient um seine Vorstellungen von Interpretation umzusetzen. Gould wirkte "nur" durch seine Aufnahmen. Die Gefahr sein Publikum zu enttäuschen existierte für Gould weitaus weniger, da er sich dem Konzertbetrieb verweigerte.



    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Daniel,
    siehst Du, das Wort "Schlaftablette" fehlte in meinem Wortschatz - und das kommt ziemlich genau hin.
    "Graue Maus" verwenden wir eher, wenn's ums Äußere geht. Eine graue Maus kann immer noch eine tolle Pianistin sein. Aber Schlaftablette trifft auf meinen Grimaud-Eindruck ziemlich genau zu.
    Das erklärt mir schlagartig auch, weshalb sie noch nicht von ihren Wölfen angefallen wurde: Bisher dachte ich immer, das hinge mit ihrem Grunzen zusammen, das vielleicht beruhigend wirkt - aber nein! Die Wahrheit ist: In Hélènes Anwesenheit schlafen die Viehcher einfach ein...

    ...

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ich muß gestehen, daß ich selten unter "enttäuschten Erwartungen" leide, weil meine Erwartungshaltung lebenslänglich immer skeptisch- pessimistisch-abwartend war. (und ist)


    Ich habe NIE die Begeisterungsstürme von Leuten nachvollziehen können - das meiste war Menschenwerk, was geboten wurde.
    Vieleicht liegt das aber auch daran, daß ich seit Jahren vorwiegend Konserve höre - Ich will etwas "ewiges" -und ich will es besitzen.


    Flüchtige Ereignisse sind nicht so meine Sache.
    Allerdings gibt es auch für mich Höhe- und Tiefpunkte.


    Ich gehe allerdings davon aus, daß hier persönliche Vorlieben und Abneigungen eine größere Rolle spielen als die tatsächliche "Leistung" eines Pianisten.Zudem kommt noch die Tagesverfassung - ich meine hier meine - nicht jene des Interpreten.


    Sehr gut nachvollziehbar , wenn man ein und dieselbe Cd an verschiedenen tagen abspielt - und sie verscheiden beurteilt -...


    Daher habe ich mir abgewöhnt , allzu streng zu sein


    Ich erinnere mich gut, daß ich in meiner Jugend, jene, die an jeder Interpretation, an jeder Aufnahme etwas auszusetzen hatten, bemitleitete. Sie könnten das Werk überhaupt nicht geniessen. SOO
    wollte ich NIE werden. Die Zeit bringt es aber leider mit sich, daß man mehrere Versionen eines Werkes kennt - infolgedessen wird man kritischer. Aber letztlich spielt auch die Prägung des "Kritikers" eine entscheidende Rolle...


    Ein Thema ohne Ende


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • hallo,


    ich gebe eine kleine uebersicht bzgl. enttaeuschungen oder positiven ueberraschungen in klavierabenden in tabellarischer form:


    enttaeusch. - hough (1x), kissin (1x), buchbinder (1x), thibaudet (1x), pollini (1x), mustonen (1x), weissenberg (1x)


    pos. ueberr. - hough (1x), bloch (1x), osborne (2x), scherbakov (2x), lane (1x), kovacevich (1x), sgouros als 15-jaehriger (1x), gelber (1x), arrau (1x).


    bei allen uebrigen klavierabenden wurden die erwartungen erfuellt. das bedeutet z.b. auch, dass ich mich bei perahia erwartungsgemaess langweilte.


    ivo pogorelich ist ein sonderfall. ich hoerte ihn 1x vor 20 jahren und 2x in den letzten drei jahren. beim ersten mal war ich begeistert. aber meine extrem hohen erwartungen wurden ja erfuellt. die letzten male wurde fuer mich offensichtlich, dass dieser einzigartige kuenstler an einer krankheit leiden muss, welche sein zentrales nervensystem involviert. da gibt es diverse geruechte... jedenfalls sind der klavierliebenden menschheit dadurch weitere sternstunden auf tontraeger vorenthalten worden !


    einen guten rutsch, siamak noch immer aus teheran

    Siamak

  • Lieber Alfred,


    Zitat

    Zitat Alfred: Flüchtige Ereignisse sind nicht so meine Sache.


    Ich gebe zu, dass ich mir, wie du, die Konserve mindestens genau so gerne aufmache, wie ins Konzert zu gehen. Aber: die wirklich phämomenalen Abende, die will ich nicht missen müssen. Das tolle und gleichermaßen riskante an einem Live-Konzert: Es kann saugut werden, es kann aber auch voll in die Hose gehen - man weiss vorher nie, wofür man u.U. viel Geld ausgegeben hat.
    Wenn ein solcher Abend gelingt, dann hatte man schön das Gefühl, Zeuge ienes besonderen Ereignisses zu sein - der Künstler hat, um mal eine modifizierte Redensart von der "blauen Blume" zu bemühen, "den Schmetterling im Flug gefangen"...
    Diese Momente sind wirklich rar - vermutlich ist es nur eines von 20, 30 oder sogar 40 Konzerten, dass derart unter die Haut geht - aber das mit voller Wucht, so dass man ein Leben lang davon zehrt....


    LG :hello:
    Daniel

  • Hallo,


    ich habe meine Probleme mit Cyprien Katsaris. Anfang der 1980er Jahre erstand ich in Paris seine Aufnahme mit virtuosen Zugaben, etwa mit György Cziffras glänzender, aber auch bösartig schwerer Etüde nach Rimsky-Korsakows Hummelflug. Ich war von dieser Aufnahme damals sehr beeindruckt, und als mir wenige Monate später ein relativ bekannter deutscher Pianist der jüngeren Generation sagte "technisch ist Katsaris noch besser als Horowitz", war ich noch mehr beeindruckt.


    Indes, die Eindrücke in Solokonzerten enttäuschten. Ich hörte Katsaris in den 80ern mit den Lyrischen Stücke von Edward Grieg und Liszts Bearbeitung der Eroica an einem Abend, und sein Klavierspiel schien mir weder die Lyrik Griegs noch die beeindruckende Form und den pianistischen Schwung der Eroica-Transkription wiederzugeben.


    2005 hörte ich Katsaris in Montpellier in einem Abschlußkonzert des Musikfestivals von Radio France, und auch da fand ich ihn nicht gut. Er spielte zum Teil völlig unbekannte Stücke von ebenso unbekannten Komponisten, die mich überhaupt nicht interessierten, und teilweise etwas bekanntere Stücke, diese allerdings auch so, dass sie völlig uninteressant wirkten.
    Sein Programm enthielt u.a. die "Bergerette. Les Grandes Douleurs" aus den Alten Niederländischen Tänzen von Julius Röntgen, die "Variations sur un jarabe national" von José Antonio Gómez, einen Tanz aus Linz mit dem Titel "Der deutsche Umgang", den griechischen "Kalamatianos"-Tanz, aber auch den Springtanz aus den Lyrischen Stücken Opus 47 von Edward Grieg. Der einzige Programmpunkt, der etwas von seiner virtuosen Souveränität wiedergeben konnte, war das letzte Stück seines Soloprogrammes, Liszts "Czárdas obstiné" in einer pianistisch getunten eigenen Version.


    Ich habe nichts gegen pianistische Raritäten. Aber es sollten keine Belanglosigkeiten sein. Für die Auswahl unbekannter Stücke scheint mir Marc-André Hamelin ein besseres Geschick zu haben. Es müssen andererseits nicht immer, wie gelegentlich bei Hamelin, die überschweren Bearbeitungen Godowskys nach den Chopin-Etüden oder die monumentalen Sonaten von Sophie-Carmen Eckhardt-Grammatté zu sein. Natürlich gibt es auch wunderbare lyrische und kürzere Stücke unbekannter Komponisten. Aber bei der Auswahl, die Katsaris dem Publikum vorsetzte, war völlig unklar, wofür diese gut sein sollte. Die unbekannten Stücke waren weder virtuos noch lyrisch noch originell oder witzig, auch nicht in ihrer kontrapunktischen Konstruktion besonders gut gearbeitet oder sonst mit irgendwelchen Vorzügen ausgestattet. Sehr seltsam.


    Insgesamt zeigte Katsaris für mich in seinen Auftritten, insbesonders in Montpellier, wo ich sehr konzentriert zuhörte, nur wenig von seinen technischen Fähigkeiten, aber er profilierte sich auch nicht in Richtung einer gestalterischen Überlegenheit oder mit der Fähigkeit, emotional besonders zu beeindrucken. Mir ist unklar, ob das nur an seiner eigenartigen Programmauswahl liegt, oder ob nicht grundsätzliche Probleme vielleicht auch in Richtung, eine bestimmte Erwartung bewusst nicht zu erfüllen, zu diesem Eindruck beitragen.


    Immerhin scheint er Humor zu haben. So bot er zum Schluss des Konzertes gemeinsam mit den drei Pianisten-Kollegen, mit denen er den Abend gestaltet hatte, noch eine Aufführung einer bizarren Bearbeitung der Figaro-Ouvertüre für siebenhändiges Klavierspiel und andere Raritäten für mehrere Spieler.

  • Als positives Beispiel eines unerwartet guten Klavierabends möchte ich hier natürlich keine extrem bekannten Namen nennen, denn bei solchen ist es ja nur wenig überraschend, wenn ein Konzert sehr gut wird. Eine kleine Überraschung bot für mich allerdings vor einigen Jahren der für mich nur wenig bekannte Igor Shukow (auch er ein Schüler des legendären Heinrich Neuhaus) in Hannover. Er spielte Sonaten und kürzere Stücke von Chopin (u.a. Sonate Nr. 3) und von Alexander Skrjabin. Obwohl er anscheinend nicht in Bestform war, bot seine Aufführung gerade der kürzeren Stücke eine sehr befreites, spontan-lebendiges Klavierspiel, das mir einen unmittelbaren Zugang zu diesen Stücken erlaubte.


    Ein anderer gelungener Konzerteindruck: Ivan Sokolov, ein jüngerer russischer Pianist (bitte nicht mit dem Schach-Champion verwechseln) mit dem f-moll Konzert von Chopin in Jena, unter Leitung von Andrey Boreyko. Eine teilweise sehr formstrenge, teilweise spontane Aufführung, die gerade durch die Polarisierung dieser Gegensätze eine konzentrierte Begegnung mit dem f-moll-Konzert ermöglichte. Noch erstaunlicher war dieser Eindruck, weil Sokolov ein Jahr vorher in Jena als Komponist eines höchst originellen Violinkonzertes in Erscheinung getreten war. Er ist also eine echte Doppelbegabung.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Hallo Kulturvermittler,

    Zitat

    vor einigen Jahren der für mich nur wenig bekannte Igor Shukow


    Ob Igor Schukow heute überhaupt noch spielt, ist mir nicht bekannt, aber ich wage es zu bezweifeln.
    Daß er nicht mehr in Bestform war, ist allerdings gut möglich.
    Jedenfalls hast Du da einen der größten und orginellsten russischen Pianisten überhaupt gehört.
    Er gehört schon seit bestimmt 40 Jahren zu den bekanntesten und bewundertsten Pianisten Russlands und ich wundere mich, daß er Dir nur wenig bekannt war.
    Igor Schukow gehörte jedenfalls m.e. in den 70er und 80er Jahren zu den bekanntesten russischen Pianisten und ich finde es schade, wenn ein solcher Gigant mittlerweile unter "ferner liefend" gehandelt wird.


    Na ja , so ist halt anscheinend der Gang der Dinge.


    Besten Gruß,
    Michael