Hallo!
Einen thread zu diesem Werk, das ich sehr mag, hatte ich schon in meinen ersten Forentagen vermißt. Jetzt kam ich endlich dazu, einen zu starten.
Ich habe mich für die Oratorien-Version des Werks entschieden, da ich sie am besten kenne und sie wohl die verbreitetste ist.
Haydn komponierte das Werk allerdings 1786 zunächst als eine reine Orchester-Musik. Zu den Hintergründen nun
Anthony van Hobokens Bericht aus Lissabon:
„Die Sieben Worte wurden durch den Marquès de Valde-Inigo bestellt, einen berühmten Priester (Dr. José Saluz de Santamaria), dessen freigiebige Spenden den Glanz der Kirche Santa Cueva verursachten, die in einer unterirdischen Höhle erbaut wurde unter der Pfarrei des Rosario 1756.
Hier wurden Exercitien abgehalten, die der Passion gewidmet waren, ... um gläubigen Menschen zu dienen, die sich als Gemeinde dort zusammenfanden.
Diese Exercitien bestanden in Szenen der Passion und den ‘Sieben letzten Worten des Herrn’ und außer den Schätzen, die der oben erwähnte priesterliche Marquis der Höhle stiftete, hatte er auch den Wunsch, die Musik des berühmtesten Komponisten jener Zeit dort erklingen zu lassen.
Zu diesem Zwecke wandte er sich an einen Freund: Don Francisco Micon, Marquès Méritos, der seinerseits ein Freund von Haydn war, und dieser war es, ... der persönlich den Auftrag übermittelte und dem Künstler einen eigenartigen Brief schrieb, in dem er die Worte erklärte und die Art und Weise, in der die Gebet-Exercitien ablaufen“.
Aus dem Reclam Konzertführer:
ZitatZu Beginn steht eine pathetische langsame Einleitung; es folgen – eine kaum lösbare kompositorische Aufgabe, der nur ein singulärer Meister wie Haydn in seiner reifsten Phase gewachsen sein konnte – sieben langsame Sonatensätze nacheinander. Auf diese Weise entsteht eine Reihe von dennoch individuellen Sätzen, die den ganzen möglichen emotionalen Radius getragener Musik umschreiten, zwischen Pathos und Idylle, Schmerz und Seligkeit.
Zum Schluß gibt es gleichsam als programmatische und eher äußerlich-naive Zugabe die Schilderung des biblischen Erdbebens.
Zur Entstehung der Oratorium-Fassung:
aus "Joseph Haydn - Leben und Werk" von Hansjürgen Schaefer:
Haydn hat diese Musik selbst sehr geschätzt. Und es ist kein Zufall, daß er sich über die Orchestervariante hinaus mehrfach mit der Komposition auseinandersetzte. So schuf er auch eine Streichquartett-Fassung (Hob. XX:1 B), die mit der Orchesterfassung ziemlich zeitgleich erschien.
Und 1795 bis 1796 wird aus dem Ganzen gar ein Oratorium für Sopran, Alt, Tenor, Baß, vierstimmigen gemischten Chor und Orchester, das im Zwischenspiel um Kontrafagott, weitere Blechbläser und Pauken verstärkt wird. Die Anregung erhielt Haydn, als er auf seinen zweiten Londonreise seine „Sieben Worte“ in einer solchen oratorischen Fassung in Passau hörte. Die hatte der dortige Domkapellmeister Johann Friebert auf der Basis des Haydn-Werkes zusammengestellt. Haydn ließ sich die Noten geben, und, wieder daheim in Wien, schuf er selbst eine solche oratorische Fassung (Hob. XX:2), dabei weitgehend dem Vorbild Frieberts folgend. Frieberts Texte freilich verbesserte er gemeinsam mit dem Freiherrn Gottfried van Swieten. Der zusätzliche Text zum „Erdbeben“ wurde Carl Ramlers „Der Tod Jesu“ entnommen. Die zusätzlichen Gesangstexte für die Solisten geben dem Werk einen empfindsamen Ton.
Dieses Werk behauptete sich im 19. Jahrhundert in allen Fassungen recht erfolgreich. Ein zeitgenössischer Rezensent urteilte: „Aber wer auch nur ein mittelmäßiges Gefühl hat, der wird es beinahe in jeder Note erraten können, was der Tonsetzer damit ausdrücken wollte.“
Interpretationenvergleich:
Mit der Matt-CD habe ich das Werk kennengelernt. Die Harnoncourt-CD habe ich erst einige Wochen.
Harnoncourt wählt im großen und ganzen langsamere Tempi als Matt (Gesamtdauer bei Harnoncourt 62’41, bei Matt 55’29); von den jeweils 10 Minuten für jedes der sieben Wörter, die von der Zeremonie in Cadiz überliefert sind, ist aber auch er weit entfernt. Noch deutlich langsamere Tempi als bei Harnoncourt kann ich mir aber nicht mehr als sinnvoll vorstellen, das Werk wird dann zerdehnt.
Den größten Unterschied gibt es bei No. 5 (Harnoncourt: 7’54 – Matt: 4’22). Beim einleitenden „Jesus rufet: Ach, mich dürstet“ scheint bei Harnoncourt die Zeit stillzustehen, eindringliche Langsamkeit wird zelebriert. Das anschließende „Hemmt nun die Rache“ kommt dann im starken Kontrast dazu mit einer solchen Klangwucht, wie sie Matt mit dem Kurpfälzischen Kammerorchester nicht zu erzeugen vermag. Die Brilliant-Classic-CD ist eine ordentliche Interpretation, aber im Vergleich mit einer Spitzenaufnahme kann sie nicht mithalten.
In den rein instrumentalen Introduzionen hört man deutlich, dass die Harnoncourt-Aufnahme viel transparenter ist: mehr Klangfarben (besonders Bläser), mehr Details. Der Klang ist auch manchmal „hallender“, als sei die Aufnahme in konsequenter HIP-Manier in einer Höhle gemacht worden (ist sie natürlich nicht).
In No. 7 ist allerdings Matt langsamer, und tatsächlich gefällt mir bei ihm das Ende („In deine Händ’, o Herr, empfehl ich meinen Geist“) mehr.
Das Ende? Da gibt es noch dieses Erdbeben, das übrigens bei Matt rein orchestral und bei Harnoncourt mit Text unterlegt ist. Ich lasse das beim Hören aber meist weg, halte es für einen unpassenden Abschluß des Werkes.
Zur Kammermusikversion siehe hier und hier.
Text:
Introduzione I
No. 1:
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Vater im Himmel, o sieh hernieder vom ewigen Thron!
Vater der Liebe, dein Eingeborner, er fleht für Sünder, für deine Kinder, erhöre den Sohn!
Ach, wir sind tief gefallen, wir sündigten schwer;
doch allen zum Heil, uns allen, floss deines Sohnes Blut.
Das Blut des Lamms schreit nicht um Rach’; es tilgt die Sünden.
Vater der Liebe, lass uns Gnade finden, erhöre den Sohn!
No. 2:
Fürwahr, ich sag es dir: Heute wirst du bei mir im Paradiese sein.
Ganz Erbarmen, Gnad` und Liebe, bist du Mittler, Gotteslamm.
Kaum ruft jener reuig auf zu dir: Wenn du kommest in dein Reich, ach, so denke mein!
So versprichst du ihm voll Milde: Heut wirst du bei mir im Paradiese sein.
Herr und Gott! Blick auf uns!
Sieh an deines Kreuzes Fuße unsre wahre Reu` und Buße!
Sieh, o Vater, unsere Reue!
Gib uns auch zur letzten Stunde jenen Tost aus deinem Munde:
Heut wirst du bei mir im Paradiese sein.
No. 3:
Frau, hier siehe deinen Sohn, und du, siehe deine Mutter!
Mutter Jesu, die du trostlos, weinend, seufzend bei dem Kreuze standst
und die Qualen seines Leidens in der Stund` des bittern Scheidens siebenfach in dir empfandst.
Kaum mehr fähig, dich zu fassen, und doch stand¬haft und gelassen,
nimmst als Sohn den treuen Jünger und mit ihm auch uns als Kinder an.
Mutter Jesu, o du Zuflucht aller Sünder, hör das Flehen deiner Kinder.
Steh uns bei im letzten Streit, Mutter voll der Zärtlichkeit. O steh uns allen bei!
Wenn wir mit dem Tode ringen und aus dem beklemmter Herzen unsre Seufzer zu dir dringen,
lass uns, Mutter, lass uns da nicht unterliegen!
Hilf uns dann den Feind besiegen und steh uns bei im letzten Streit!
Wenn wir mit dem Tode ringen, o da zeige dich als Mutter und empfehl uns deinem Sohn, o Mutter!
No. 4:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Warum hast du mich verlassen? Wer sieht hier der Gottheit Spur?
Wer kann fassen dies Geheimnis? O Gott der Kraft, o Gott der Macht und Stärke,
wir sind deiner Hände Werke, und deine Lieb, o Herr, hat uns er¬löst.
O Herr, wir danken dir von Herzen.
Unserwegen littst du Schmer¬zen, Spott, Verlassung, Angst und Pein.
Herr, wer sollte dich nicht lieben dich mit Sünden noch betrüben?
Wer kann deine Huld verkennen?
Nein, nichts soll uns von dir trennen, allhier und dort in Ewigkeit.
Introduzione II
No. 5:
Jesus rufet: Ach, mich dürstet!
Hemmt nun die Rache, stillt eure Wut!
Menschen, lasset Mitleid euch er¬weichen, ruft Erbarmung in das Herz!
Jesus rufet: Ach, mich dürstet!
Ihm reicht man Wein, den man mit Galle mischet. So labt man ihn.
Kann Grausamkeit noch weiter gehn?
Nun kann er nicht mehr fassen den Schmerz, der ihn allmächtig drückt, den Schmerz, der Wohltun war.
Ach, im Durst vor seinem Ende reichet man ihm Galle dar!
No. 6:
Es ist vollbracht.
Es ist vollbracht!
An das Opferholz geheftet, hanget Jesus in der Nacht;
und dann ruft er laut: Es ist vollbracht.
Was uns jenes Holz geschadet, wird durch dieses gut gemacht.
Weh euch Bösen, weh euch Blinden, weh euch allen, die ihr Sünden immer häuft auf Sünden
Menschen, den¬ket nach!
Werdet ihr Erbarmung finden, wenn er kommt in seiner Herrlichkeit und seiner Macht?
Rett uns, Mittler, vom Verderben! Höre, Gott¬mensch, unser Schrein!
Lass dein Leiden und dein Sterben nicht an uns verloren sein.
Lass uns einst den Himmel erben und mit dir uns ewig freun.
No. 7:
Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.
In deine Händ’, o Herr, empfehl ich meinen Geist.
Nun steigt sein Leiden höher nicht, nun triumphiert er laut und spricht: Nimm, Vater, meine Seele.
Dir empfehl ich meinen Geist. Und dann neigt er sein Haupt und stirbt.
Vom ewigen Verderben hat uns sein Blut errettet;
aus Liebe für uns Menschen starb er den Tod der Sünder.
Du gabst uns neues Leben; was können wir dir geben?
Zu deinen Füßen liegen wir, o Jesu, tief gerührt; nimm unser Herz als Opfer an!
In deine Händ’, o Herr, empfehl ich meinen Geist.
Il Terremoto
Er ist nicht mehr.
Der Erde Tiefen schallen wider: Er ist nicht mehr! Erzittre, Golgatha, erzittre!
Er starb auf deinen Höhen. O Sonne, fleuch und leuchte diesem Tage nicht!
Zerreiße, zerreiße, Land, worauf die Mörder stehen!
Ihr Gräber, tut euch auf, ihr Väter, steigt ans Licht!
Das Erdreich, das euch deckt, ist ganz mit Blut befleckt.