Stilblüten der Kritik

  • Es gibt immer wieder Kritiken, die durch Sarkasmus, ungewollte Komik, Unverständnis durch (Fremd-)Wortwahl oder aus sonstigen Gründen nicht nur in Erinnerung bleiben, sondern eigentlich einen besonderen Platz der Aufbewahrung verdienen.


    Somit seid Ihr, liebe Forianer, aufgerufen, diesen 'Aufbewahrungsplatz' mit Euren Stilblüten zu füllen.


    Den Anfang mache ich mit einer Kritk, die im Pesti Hirlap erschien, nachdem Franz Liszt am 13. Mai 1846 zugunsten eines Waisenhauses ein Konzert gab und anschließend erneut nach Wien aufbrach:


    "... Seitdem Liszt wegging, wird seine Loge täglich von drei kräftigen Menschen ausgepumpt, um die Tränengüsse zu entfernen, die an dem Abend hineingeweint worden sind. Angeblich gibt es in diesem Meer immerzu tausende zu Tode applaudierter Handschuhe, zahllose krank gewordene Taschentücher, zahllose durchguckte Guckerstücke, was das Pumpen doch sehr behindert..."

    Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen. [frei nach George Orwell]

  • Da darf natürlich Dr. Eduard Hanslick nicht fehlen - dessen hundertster Todestag übrigens am vergangenen Freitag war -, einer der mächtigsten Musikkritiker des 19. Jahrhunderts, und das, obwohl er den ironischen Beinamen "Meister des Fehlurteils" hatte...


    Eines der schönsten "Klöpse", die der gute alte Eduard von sich gelassen hat: Tschaikowskis Violinkonzert sei Musik, die man stinken hört...


    Entsprechend wenig beliebt war er bei den Komponisten, die von ihm "kritisiert" wurden. Brahms war ihm zu "modern", und Johannes Brahms machte aus seiner Abneigung zu Hanslick ebenfalls keinen Hehl. Brahms soll mal mit der ihm typischen spitzen Zunge auf die Frage nach dem Befinden des Herrn Hanslick geantwortet haben:


    "Hanslick ist vor einigen Wochen leberleidend nach Baden gefahren, aber leider lebend zurückgekommen."


    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo,


    Für die Beantwortung dieses Threads hab ich sogar meinen Übertragung der Threads ins neue Forum für eine Stunde unterbrochen.
    Hier zitiere ich einen meiner "Lieblingskritiker"
    (Manuel Stangorra) der für Klassik.com schreibt:
    Einige Kostproben aus der Rezension einer Haydn CD:


    M.S. schrieb:


    [Zitat]Da musiziert die Formation einfach nicht radikal genug. Denn nur Klangbeauty reicht da einfach nicht mehr, um Aufsehen auf dem deutschen Plattenmarkt zu stiften. [/Zitat]


    ich wusste bisher nicht, daß eine CD dazu gemacht wird um "Aufsehen auf dem Deutschen Plattenmarkt zu stiften". Wohl kaum wen sie aus dem Hause Hyperion stammt. Die haben andere Prioritäten.


    M.S. schrieb:


    [Zitat]Auch die Programmauswahl – ‘nur’ drei Haydn-Sinfonien – hat sich heute totgelaufen. Da können sie noch so wohlklingend musiziert sein, sie reißen heute keinem Esel mehr ein Bein aus. [/Zitat]


    So stelle ich mir die Sprache eines seriösen Musik-kritikers genau nicht vor !!!


    M.S. schrieb:


    [Zitat]Die CD ist daher lediglich für notorische Haydn-Verehrer und solche Leute geeignet,.......[/Zitat]


    in der Tat ist sie das..


    Diese Kritik ist mir deshalb so in Erinnerung, weil ich über sie meinerseits eine solche geschrieben habe. Ich hab darin die Sprache des Kritikers mit dem Niveau von "Big Br*ther"-Kandidaten in Verbindung gebracht und einige zugegebenermaßen nicht sehr freundlichen Empfehlungen abgegeben :wacky:
    Man hat diesen Beitrag kommentarlos zensiert =)




    Gruß


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Neben den von Alfred angeführten Beispielen einer möglichsten "hippen" Unkultur der Kritik, finde ich immer wiederkehrende Formulierungen schön:


    das Werk durchgeistigen (Hui-Buh lässt grüßen)
    lässt die Musik für sich selbst sprechen (in welcher Sprache nur)
    die Anschlagskultur (nur Selbstmordanschläge oder auch die Explosion parkierter Autos?).


    Wie auch immer, ohne Kritiker und Kritiken würde das Sammeln/Hören einen Tick weniger Spaß machen. Außerdem kann man sich ja auf die Tendenzen einzelner, namentlich bekannter Kritiker einstellen.

    Gruß,
    Gerrit

  • Auszug aus der Süddeutschen Zeitung 4.1.2005


    Furtwängler führt ur-auf


    „Unser großer Kollege Joachim Kaiser, Magier und Legende auch er, hielt aus diesem Anlass (Furtwänglers 50. Todestag) in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste einen Vortrag:
    "Im Dezember 1928 führte Furtwängler Schönbergs Variationen opus 31 für Orchester ur-auf", eine Konstruktion, deretwegen uns der Leser H. einen Warnhinweis zukommen ließ.
    Um nicht zu sagen: Er wies uns warn-hin. In der Tat ist die Formulierung, falls sie nicht als Joke eingebaut war, von der schillerndsten Art, weil Kaiser hier das System der festen und unfesten Präfixe von Verben auf die Probe stellt. Bei aufführen ist das Präfix auf- unfest (ich führe auf), aber durch den Zusatz ur- wird es zu einem festen, das allerdings nur im Infinitiv uraufführen vorkommt, das heißt, vielleicht kann man auch ich uraufführe sagen. Indem Kaiser er führte ur-auf sagt, durchtrennt er diesen Gordischen Knoten. Dass er urauf mit einem quasi beschwichtigenden Bindestrich schreibt, zeigt dann freilich, dass ihm zu einem Alexander doch noch -- und gottlob -- einiges fehlt.“
    (H.Unterstöger)


    Gruß
    Karsten

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  • Zitate aus zwei ergiebigen Quellen. ;)


    Erstens Guido Fischer im Rondomagazin, über eine Abbadoeinspielung von Mahlers 3. Sinfonie:


    ...Zumal die Kontrastfähigkeit nirgends entsprechend ausgereizt wird, um an die farbpolyfonen Energieströme zu gelangen, hinter die bruitistischen Gravitationskräfte und damit hinter Mahlers Kosmologie....Die Mezzosopranistin Anna Larsson verschleppt sich in ein gefälliges Lamentoso, statt sich auf das subkutane Glühen einzulassen - bis an den Rand der Larmoyanz, gegen die dieses Mysterium der Zerrissenheit keine Chance hat...


    Zweitens Frau Christiane Lemke-Matwey, die mich fast wöchentlich durch kulturelle Stilblüten bestens im Berliner Tagesspiegel unterhält. Eine Kostprobe Ihres Stils bietet der Spiegel, der aus ihrer Kritik anlässlich eines Berliner Konzertes von Lang Lang zitiert:


    Nicht genug damit, dass sie Lang Lang als "Poet und Pascha, Diva, Klangmaler und Kobaold" besang und generell den Kniefall vor dessen "Jugendlicher Weisheit" pries ; nein, dieser "Wunderknabe" hätte bei seinem Berlin-Debüt im Dezember 2003 "auch im himmlichen Manna rühren oder einen simplen Staubsauger betätigen können, die "Faszination wäre die gleiche gewesen, wie bei Beethovens G-Dur Konzert: Man möchte ihm unverzüglich das eigene Herz zu Füßen legen"


    Trotzdem befürchte ich, die Frau wird uns länger erhalten bleiben als Lang Lang. Die Deutsche Grammophon wird ihn schon bald verfeuert haben. :D


    Gruß
    Anti

  • Aus der „Leipziger Volkszeitung":


    „Die Pauke drischt gekonnt um ihr Leben, das Solo-Horn funkelt, das Blech explodiert, und im fabelhaften Holz spiegelt sich das Licht des Höchsten. Vorne malt Blomstedt mit weisem Lächeln seine Häkchen ins Nichts, durchschneiden markante Auftakte die Luft, ballen sich die Fäuste wie zum Trotz."

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Auch wenn's keine KRITIKER-Stilblüte ist, bringe ich das mal hier (es gäbe noch dutzende Threads, wo es ebensogut hingepasst hätte):


    Ein deutsches Gericht hat eine beklagte Partei aufgefordert, den einbehaltenen Umsatzsteueranteil eines Dirigentenhonorars an den Dirigenten zuzahlen. Die Betrag war einbehalten worden, weil Dirigenten angeblich keine dem Solisten vergleichbare Einzelleistung vollbrächten. Das Zivilgericht führt nun aus:


    Zitat

    "ebenso wie Gesangssolisten vermögen Dirigenten einer Aufführung ein besonderes künstlerisches Gepräge zu verleihen. Daß die Leistung eines Dirigenten nicht unmittelbar hörbar ist, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Vielmehr ist es gerade die Leistung des Dirigenten, die durch das Zusammenwirken zwischen Dirigent und den übrigen Mitwirkenden seine (des Dirigenten) künstlerische Leistung hörbar für das Publikum macht, wobei die ureigenste Interpretation seitens des Dirigenten gerade die künstlerische Leistung ist, aufgrund derer berühmte Dirigenten von den verschiedenen Orchestern engagiert werden".


    Ach was...


    Gruß
    Karsten

  • Salut,


    dem geht schon seit Jahren eine ganze Unmenge voran. Zum Beispiel:


    Zitat

    OFD Frankfurt, 06.09.2004, S 7177 A - 18 - St I 2.30; Umsatzsteuerpflicht auf Leistungen von Solisten:


    Leistungen eines freien Dirigenten sind umsatzsteuerpflichtig. Der Dirigent ist Teil einer kulturellen Gruppe, die das Gesamtwerk zum Erklingen bringt. Dies unterscheidet ihn von Solisten, die in einem Konzert mitwirken und ihre künstlerische Leistung - bei anderer Gelegenheit - auch ohne ein begleitendes Orchester erbringen können.


    Dirigenten sind daher nicht mit den nach § 4 Nr. 20 UStG von der Umsatzsteuer befreiten Einrichtungen vergleichbar. Eventuelle urheberrechtliche Fragen sind für die Beurteilung der Vergleichbarkeit ohne Bedeutung.


    oder:



    Schön auch diese Parallelen:


    Zitat

    OFD Erfurt, 20.10.2004, S 7177 A - 08 - L 243; Umsatzsteuerbefreiung für kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen:


    Im Übrigen weise ich auf die Rundverfügungen vom 4.3.1997, S 7177 A - 03 St 342 (Leistungen der Betreiber von Tropfsteinhöhlen), vom 15.6.1999, S 7177 A - 07 - St 342 (Behandlung der Abgabe von Speisen, Getränken und Süßwaren im Zusammenhang mit Theaterleistungen) und vom 12.10.2004, S 7177 A - 08 - L 243 (keine Anwendung des § 4 Nr. 20a UStG auf die Leistungen von Dirigenten, Regisseuren und Intendanten) hin.


    bien cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Da kann man nur mit dem alten Juristen-Spruch antworten:


    "2 Juristen - 3 Meinungen" :wacky:

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

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  • Salut,


    etwas Hintergrundmusik:


    Die Frage nach der im allgemeinen Sprachgebrauch auch Mehrwertsteuer genannten Umsatzsteuerpflicht bei Dirigenten ist gar nicht so unerheblich - von den poetischen Beschreibungen der Künstler der OFD [Oberfinanzdirektion] einmal abgesehen:


    Im Kern der Frage geht es nämlich darum, dass es dem Dirigenten prinzipiell egal sein kann, ob er USt zahlen muss, oder nicht. Bei einem vereinbarten Honorar von x [netto] müsste er grundsätzlich eine Rechnung von x + 16%, also 1,16x schreiben. Die 16% Steuer führt er an das Finanzamt ab und ihm verbleiben die vereinbarten x. Da aber die zuschussabhängigen Orchester und Ensembles von der Umsatzsteuer befreit sind [vgl. weiter oben] und die Zuschüsse eh knapp bemessen sind, wird hier der Dirigent "geschröpft", denn er bekommt lediglich einen Betrag x [brutto] zugewiesen, der die Umsatzsteuer dann im Zweifelsfalle enthält. Netto hat er dann lediglich 86,2x. Dieser Betrag unterliegt dann noch der Einkommensteuer :wacky:


    bien cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)


  • Hallo,
    das Zitat stammt aber nicht aus dem Munde Brahms, sondern vom KapellmeisterJoseph Hellmesberger.


    Brahms und Hanslick waren enge Freunde.

  • Ja, die Bayern haben's mal wieder voll begriffen:


    Zitat

    Das Münchner Amtsgericht hat entschieden: Ein Dirigent ist in seiner künstlerischen Leistung einem Musiker gleichgestellt. Zumindest was die Umsatz/Mehrwertsteuer angeht. Denn zukünftig müssen die Maestros also genauso wie ihre Kollegen im Orchester entweder 7 Prozent ihrer Honorare ans Finanzamt abführen oder, wenn Befreiungstatbestände gegeben sind, gar nichts.

    Das ist doch schon mal etwas, meint der Verband der Deutschen Konzertdirektionen, der maßgeblich an der Vorantreibung des Verfahrens beteiligt war. Denn nun bestünde wenigstens Planungssicherheit und die Veranstaltung von Konzerten sei erleichtert. Jedenfalls wenn alle Bundesländer sich am Münchner Urteil orientieren.


    :jubel:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Dr. A.B. hat heute wieder in der Frankfurter Neuen Presse folgendes zum Besten gegeben:


    "KLANGMASSIV RAGT AUS DER MUSIKLANDSCHAFT


    von A.B.


    Das Orchestre National de France gastierte unter Kurt Masur mit Sergej Prokofjews 5.Sinfonie in der Alten Oper Frankfurt.


    War es programmatischer Mut oder ein Zwang der Tourneelogistik? Mit Prokofjews sperriger und spröder 5.Sinfonie einen Abend zu beginnen heißt, das Publikum vorbereitungslos mit einem erratischen, schweren Block Musik zu konfrontieren. Das 1944 uraufgeführte Stück bearbeitet ein quälend undurchdringliches Massiv chromatischr, wenig fasslicher Motive und Linien, im zweiten und vierten Satz angeheizt durch aggressive Motorik. Eine Sinfonie wie ein Fußballspiel, das sich nur zehn Meter jenseits der Mittellinie bewegt, aus verbissenen Zweikämpfen besteht und weder einen Steilpass noch eine Torchance zulässt. Klangliche Qualitäten zu demonstrieren, erlaubt das Werk vor allem in den tiefen Regionen. Die vom Orchestre National de France in anderen Tourneeorten gespielte D-moll-Sinfonie Cesar Francks wäre vielen im ausverkauften Saal wohl lieber gewesen! Zumal auch La Mer von Claude Debussy, obwohl sechzig Jahre älter, wesentlich moderner wirkt und ebenfalls äußerst subtiles Hinhören verlangt.
    Der wie stets mit sparsamen Gesten dirigierende Kurt Masur entlockte dem großen Apparat trefflich das differenzierte Spiel der farben und Formen. Besonders füllig und wohltönend wühlten die Blechbläser den Meeresgrund auf; Flöten und Harfen glitzerten als Schaumkronen auf den von Streichern geschmeidig bewegten Wellen. Entspanung fürs Publikum gab es erst am Ende. Ravels Bolero erreichte mit geschärftem Rhythmus und vorwärts drängendem Tempo die gewünschte effektvolle Spannung. Die zugegebene Carmen-Ouvertüre ließ wenigsten kurz das Vermögen des Orchesters aufblitzen, auch Melodien mit samtweichem Atem phrasieren zu können.
    Mit diesen Qualitäten verdient das größere und ältere der beiden französischen Rundfunkorchester einen oberen Platz auf der Unverwechselbarkeitsskala für Orchesterkultur."



    Ich habe dieses Konzert leider nicht gesehen, ist auch egal. Ich möchte mich über Zeitungskonzertrezensionen unterhalten.


    Ich würde Euch bitten, eine Stellungnahme zu dieser Kritik zu verfassen.


    Meine folgt in etwa 35 Stunden.

  • ach, ich meine, jeder brotberuf wird früher oder später zur enervierenden routine. und wenn man 10 kritiken pro woche jahrausjahrein abliefern muss, bastelt man sich halt aus textbausteinen aus seinem archiv nichtssagende allerweltskritiken zusammen oder lässt sich vom teufel der originalität reiten..
    (da kann man wenigstens schmunzeln statt gähnen)


    :hello:

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  • Hallo,
    vom erratischen Block dieser Kritik unter schaumbekrönten Wellen erschlagen dies an Dich, ThomasBernhard:


    normalerweise hätte ich spätestestens bei dem Wort "Fußballspiel" zu lesen aufgehört.


    Da Du ja eine Meinung hören wolltest: ich habe also drei bis viermal gelesen, dann erschloß sich mir, daß es sich hier um eine Rezension mehrerer Werke handelt. Da hat also ein Orchester schlecht oder gut, aber jedenfalls gespielt und Dank sparsamer Gesten seines Dirigenten sogar kurzes Vermögen aufblitzen lassen, und das alles an den Wünschen des Publikums vorbei. *gähn*


    Zu dieser vorgerückten Stunde will ich einfach nichts zu Sinn und Unsinn von Konzertkritiken in Zeitungen sagen. Das wäre einen eigenen Thread wert. Wir sind hier bei Stilblüten: nein, nicht einmal schmunzeln konnte ich über diese Kritik.


    Viele Grüße
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
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  • Salut,


    also ich finden den Text absolut betrachtet unglaublich schön - geschwollen - geschrieben, im zweiten Teil jedenfalls. Für diese Wortmalereien bekam ich im Aufsätzeschreiben immer eine 1.


    Sinn einer Rezension oder Kritik ist allerdings m. E. ein anderer - daher inhaltlich: :kotz:


    So - jetzt gute Nacht
    Ulli

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  • So, dann muß ich halt endlich mal schreiben, was mich an derartigen Kritiken aufregt:

    "Mit Prokofjews sperriger und spröder 5.Sinfonie einen Abend zu beginnen heißt, das Publikum vorbereitungslos mit einem erratischen, schweren Block Musik zu konfrontieren."


    1.) was hat er denn? Prokofiews Fünfte ist doch ein Werk mit sehr lyrischen, zarten Stellen! Warum muß er es als spröden Block aburteilen? (hat er es zum ersten Mal gehört und kennt er den prokoffiew´schen Kontext?)
    2.) erratischer Block! Ich hasse es, wenn ich mehrmals pro Woche was in der Zeitung von erratischen Blöcken lesen muß! Widerliches pseudointellektuelles Gewäsch! Ein erratischer Block ist ein Findling aus der Eiszeit, der einsam auf weiter Flur rumsteht. Wenn uns die Herren Schreiberlinge allerdings jedes Kunstwerk als erratischen Block verkaufen wollen, so sind wir doch von Steinen umzingelt, die dann keine freistehenden, rätselhaften Findlinge mehr sind !!


    " Die vom Orchestre National de France in anderen Tourneeorten gespielte D-moll-Sinfonie Cesar Francks wäre vielen im ausverkauften Saal wohl lieber gewesen!"


    Was soll das? Warum nicht gleich jeden abend Beethovens Fünfte? Francks Sinfonie wird ja wohl im Gegensatz zu Prokofiews Fünfter öfter und regelmässig gespielt!


    "Zumal auch La Mer von Claude Debussy, obwohl sechzig Jahre älter, wesentlich moderner wirkt und ebenfalls äußerst subtiles Hinhören verlangt."


    Ist Debussys La mer moderner? Hat jemand was dagegen, den ganzen abend subtil hinzuhören?


    "Entspanung fürs Publikum gab es erst am Ende. Ravels Bolero erreichte mit geschärftem Rhythmus und vorwärts drängendem Tempo die gewünschte effektvolle Spannung."


    Genau! Entspannung durch effektvolle Spannung, alles klar!
    Ausserdem hatten wir im Bolerothread gesagt, das ein stetiges Tempo viel "spannender" ist, als ein effekthascherisches accelerando.


    "Mit diesen Qualitäten verdient das größere und ältere der beiden französischen Rundfunkorchester einen oberen Platz auf der Unverwechselbarkeitsskala für Orchesterkultur."


    Unverwechselbarkeitsskala für Orchesterkultur? Ich weiß ja nicht, ob er das auch im Blindtest so sagen würde, diese Kritik setzte jedoch Maßstäbe in einer ganz anderen Unverwechselbarkeitsskala.

  • cool


    :beatnik:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
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  • Zitat

    Ob als Solist, mit Orchester oder auf CD: stets besticht in seinem Spiel jene Mischung aus atemberaubender technischer Virtuosität und ebenso tiefsinniger wie ausdrucksvoller Musikalität.[...]


    ?(

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Hallo,


    wie bei Euch wohl G.B. Shaw wegkäme? Er hat unter dem Pseudonym "Corno di Bassetto" Musikkritiken geschrieben. Irgendwann musste er zu einem Konzert in einem Vorort von London, und er beschreibt, wie er sich mit einer Pistole bewaffnet, weil er ja nicht weiß, was (oder wer?) ihm "da draußen" so alles begegnet.


    Man könnte sogar sagen, dass Shaw auch schreibend einen gewissen Cowboy-Stil an den Tag legte. Ein äußerst streitbarer Wagnerianer und zugleich ein "Linker" reinsten Wassers (besuchte grundsätzlich keine Konzerte, in denen Frackzwang herrschte, weil er sich mit der Aristokratie nicht gemein machen wollte...). Immer hübsch polemisch. Sehr lustig. Aber heute würde er als Kritiker wohl nicht ernst genommen.


    Jedenfalls äußerst lesenswert (und derzeit leider zumindest auf Deutsch nur antiquarisch zu kriegen): G.B. Shaw, Musikfeuilletons des Corno di Bassetto, Reclam Leipzig


    Freundliche Grüße


    Heinz



  • Immerhin darf man es als Fortschritt werten, daß seit 2003 auch solistische Leistungen - nicht Dirigent oder Regiesseur - bei Vorliegen der sonstigen Befreiungsvoraussetzungen als nicht mehr umsatzsteuerpflichtig angesehen werden. Grundlage ist insoweit eine Anweisung des BMF. Peinlich ist halt nur, daß der Gesetzgeber es bislang nicht geschafft hat, das UStRecht nach den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH entsprechend zu ändern.

  • Salut,


    das schaffen die ohnehin niemals. Zudem warten noch EG-Richtlinien im fünfstelligen Bereich nur betreffs der Umsatzsteuer darauf, in Deutschland "umgesetzt" zu werden.


    :baeh01:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Gerade bei der Gelegenheitsrecherche zum Thema AN habe ich einen Artikel von Jürgen Kesting gefunden, in dem er einige herrliche Stilblüten beschreibt, die sich Hr. Dolak in seinem AN-Büchlein geleistet hat.


    Dolak gesteht Fr. Netrebko eine Stimme zu, die "von der Tiefe bis in extreme Obertöne reicht".


    Auch von den diversen Registertheorien lässt er sich nicht einschüchtern, sondern konstatiert, dass bei der Sängerin eine "transparent perlende Mittellage . . . das untere und das obere Register zusammenhält"".


    In einem gewissen Sinne sogar ästhetisch ist allerdings die Bemerkung, in der Ära der Klassik werde die Oper "zum moralisch getönten Soundtrack der Aufklärung".


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    von der Tiefe bis in extreme Obertöne reicht".


    Angesichts von Anna Netrebkos Obertönen verblassen natürlich die Untertöne.
    Aber wenn Anna Netrebko tatsächlich unter die Obertonsänger geht, soll mir das recht sein. :hahahaha:
    :hello:

    ...

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  • Zitat

    Original von RealHendrik
    Da darf natürlich Dr. Eduard Hanslick nicht fehlen - [...] Entsprechend wenig beliebt war er bei den Komponisten, die von ihm "kritisiert" wurden. Brahms war ihm zu "modern", und Johannes Brahms machte aus seiner Abneigung zu Hanslick ebenfalls keinen Hehl. Brahms soll mal mit der ihm typischen spitzen Zunge auf die Frage nach dem Befinden des Herrn Hanslick geantwortet haben:


    "Hanslick ist vor einigen Wochen leberleidend nach Baden gefahren, aber leider lebend zurückgekommen."


    Holger_Grintz hat ja weiter oben schon darauf aufmerksam gemacht, daß das Zitat von Hellmesberger stammt, nicht von Hanslick, und daß Brahms und Hanslick enge Freunde waren. Es war sogar ein enger Viererclub, der sich da bei freundlichem Diebels verstand: Brahms, Schumann, Hanslick und Josef Joachim. Kritisch „verfeindet“ war Hanslick mit Wagner, Liszt, Tausig und Umfeld, wobei seine schönsten (= witzigsten) Kritiken in Richtung Wagner gingen. Wagner wurde in diesem und in anderen Kreisen schon allein deswegen mit Argwohn beäugt, weil er am Flügel komponierte ... kam ihnen wahrscheinlich so wenig „musikgerecht“ vor wie Punk mit drei Akkorden. ;)


    Wenn mir eine Hanslick-Kritikensammlung unter die Finger kam, habe ich sie stets in kürzester Zeit verschlungen — sagenhaft, was dieser Mensch für eine Bildung und einen Wortwitz hatte. Leider habe ich nie selbst ein Buch besessen, sonst würde ich jetzt etwas passendes daraus zitieren ... aus dem Stand erinnere ich mich nur an „... gab xxx vor der Pause noch eine etwas übereilte Hornphantasie unseres begabten xxx zum Besten.“


    Hanslick kann ich uneingeschränkt empfehlen als Lektüre — sie ist scharfsinnig, witzig und fördert das musikhistorische Allgemeinwissen ungemein. :) (Wagner-Begeisterte reagieren auf Hanslick allerdings heute noch oft wie auf jemanden, der beim Vorspiel zu Tannhäuser mit Popcorn knistert.)


    ^_^J.