Das Streichquartett hat sich im 18. Jahrhundert schnell als das Optimum kammermusikalischer Formation etabliert. Joseph Haydn und Luigi Boccherini sind an der „Entstehungsgeschichte“ und Entwicklung des Streichquartetts zur Kunstform nicht ganz unschuldig.
Die Formation Streichquartett zieht sich nahezu wie ein roter Faden durch Mozarts musikalisches Œuvre: Sein erstes Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello komponierte Mozart 14jährig abends in einem Wirtshaus in Lodi. Die ursprüngliche dreisätzige Gestalt des Werkes [Adagio-Allegro-Menuetto] wurde später [1774] durch das Rondeau ergänzt. Bemerkenswert ist die künstlerische Pause zwischen 1773 und 1782, knapp 10 Jahre also, in dem Mozart diesem Genre offenbar nichts hinzufügen wollte.
Die frühen Streichquartette gliedern sich wie folgt:
Quartett G-Dur KV 80 [73f], es folgen die drei Quartett-Divertimenti, auch „Salzburger Sinfonien“ genannt D-Dur KV 136 [125a], B-Dur KV 137 [125b] und F-Dur KV 138 [125c]. Die Zuordnung dieser Trilogie zu Streichquartetten oder Divertimenti wurde in diesem Thread bereits diskutiert:
Mozart's "Salzburger Sinfonien"
Offenbar fast ebenso unschlüssig war Mozart zunächst bei der Komposition der beiden Quartette D-Dur KV 155 [134a] und G-Dur KV 156 [134b]. In erstgenanntem notiert Mozart zunächst noch „Viole“ [also Plural], ändert dies dann aber bestimmend in „Viola“ ab und nummeriert die beiden Werke mit „Quartetto I.“ und „Quartetto II.“, womit eine eindeutige Intention von Mozart, so sie auch nachträglich ist, erkennbar ist.
Diese „Serie“ erweitert Mozart 1773 um das bekannte Quartett C-Dur KV 157 als „Quartetto III°“ und das Quartett F-Dur KV 158, „Quartetto IV“. Es ist nicht ganz sicher, wo und wann Mozart diese Streichquartette komponierte, aber Leopold Mozart berichtet in einem seiner liebevollen und ausführlichen Berichte nach Hause am 28. Oktober 1772 aus Bozen, dass der Herr Sohn für die lange Weile ein Quatro komponiere [KV 155 bzw. 134a]. Die übrigen drei Quartette sollen angeblich in Mailand, jedenfalls auf der Reise, entstanden sein. Anfang Januar 1773 entsteht zwischendurch die Motette „Exsultate, Jubilate“ in Mailand für den Castraten Rauzzini. Aber danach geht es gleich weiter mit dem „Quartetto V“ in B-Dur KV 159 sowie dem „Quartetto VI“ in Es-Dur KV 160 [159a], dessen letzter Satz [Presto] mehr sinfonisch als kammermusikalisch, in jedem Falle aber italienisch klingt.
Nach ein paar Messen, Sinfonien, Divertimenti und Serenaden folgt im Wiener Sommer 1773 eine weitere Serie von sechs Streichquartetten: Zunächst das Quartett F-Dur KV 168, gefolgt vom Quartett A-Dur KV 169 und C-Dur KV 170. Der Spätsommer bringt dann die Quartette Es-Dur KV 171 - dessen Andante bezeichnender Weise nicht nur dem Mittelsatz der Sinfonia Conertante KV 264 sondern auch dem Mittelsatz des Jeune-homme-Konzertes KV 271 vorgreift – ein Quartett in B-Dur KV 172, sowie zum Abschluß der Reihe ein Quartett in d-moll KV 173. Mozart endigt diese Serie mit einer grandiosen vierstimmigen d-moll-Fuge.
Und nun legt Mozart die oben erwähnte große Pause ein: In den Jahren 1773 [Ende] bis 1782 entstehen zunächst noch das Streichquintett B-Dur KV 174, sein erstes Klavierkonzert D-Dur KV 175, die beliebte A-Dur-Sinfonie KV 201 [186a], die Litaniae Lauretanae KV 195 [186d], die Concertone für 2 Soloviolinen C-Dur KV 190 [186E], das Fagottkonzert KV 191 [186e], Messen, Serenaden, Klaviersonaten, die Sonate für Violoncello und Fagott B-Dur KV 292 [196c], La finta Giardiniera, Il Ré Pastore, alle fünf Violinkonzerte, weitere Klavierkonzerte, darunter das Konzert für zwei [KV 365/316a] drei [KV 242 ] Klaviere, Divertimenti für Bläser, die Haffner- und Posthornserenade, das „Nannerl-Septett“ KV 251, erste Klaviertrios, Arien, Tänze, Märsche, die Flötenquartette und -konzerte, das Jeunehomme-Konzert KV 271, Violinsonaten, das Konzert für Flöte und Harfe KV 299 [297c], die „Pariser“ Sinfonie KV 297 [300a], die „Krönungsmesse“ KV 317, die Concertante für Violine und Viola KV 364 [320d], das Singspiel Zaïde KV 344 [336b], Lieder, Idomeneo KV 366, das Oboenquartett F-Dur KV 370 [368b], Die Entführung aus dem Serail KV 384 die Bläser-Serenaden KV 375 und KV 388 [384a], die „Haffner“-Sinfonie, Studien zu Hornkonzerten, das Hornquintett Es-Dur KV 407 [386c] und erst jetzt, nach all der Flut von Werken vollendet Mozart am 31.12.1782 das erste Streichquartett, welches er später Joseph Haydn widmen wird:
Streichquartett G-Dur KV 387. Diese mühevolle Arbeit von sechs Streichquartetten fordert Mozart sehr, es besteht kein Vergleich zu den frühen kindlichen Werken, an die sich nun vollendeter Mozart reiht. Erster Höhepunkt dieser sechs Joseph Haydn gewidmeten Streichquartette ist das Quartett d-moll KV 421 [417b], komponiert Mitte Juni 1783 in Wien. Vorher oder nachher bemüht sich Mozart, an einem Quartett in e-moll [KV 417d], das leider nach 54 Takten des ersten Satzes liegen bleibt. Einen Monat später ist schon das dritte Quartett in Es-Dur KV 428 [421b], eines der weniger bekannten, fertig gestellt. Der Kopfsatz erinnert ganz wenig an die Motivik im Kopfsatz von KV 171, ebenfalls Es-Dur. Besonders himmlisch ist hier der zweite Satz, ein Andante con moto in As-Dur.
Eines der ersten Werke, das Mozart in sein neu angelegtes „Verzeichnüß aller meiner Werke“, begonnen im Februar 1784, einträgt ist das unter dem Namen „Jagd-Quartett“ bekannte Streichquartett B-Dur KV 458. In der Tat lässt der erste Satz an eine Jagd mit Hunden und Hörnern denken. Nun geht es aber Schlag auf schlag: Das A-Dur-Quartett KV 464 wird am 10. Januar 1785 vollendet und das wohl neben dem Jagd-Quartett berühmteste „Dissonanzen-Quartett“ C-Dur KV 465 bereits vier Tage später. Besonders wertvoll ist das Finale des Quartettes in A-Dur, das durch Chromatik und Lieblichkeit besticht.
Gleich am 14. Februar werden die drei „neuen“ Quartette KV 458, 464 und 465 im privaten Kreise Mozarts unter Zugegensein seines Vaters gespielt. Joseph Haydn ist begeistert:
Ich sage Ihnen vor Gott, als ein Ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack und überdies die größte Compo¬sitionswissenschaft.
Leopold Mozart überliefert uns diese Aussage dankenswerter Weise in einem Bericht über den Quartettabend an seine Tochter. Mozart selbst muss sich so über Haydns Kompliment gefreut haben, dass er nicht weniger die Trommel wirbelt und seine insgesamt sechs neuen Quartette mit folgendem – im Original in Italienisch verfasstem - Text als Widmung versieht und diese Werke bei Artaria & Co. drucken lässt:
An meinen teuren Freund Haydn.
Ein Vater, der sich entschlossen hat, seine Söhne in die große, weite Welt hinauszuschicken, hielt es für seine Pflicht, sie dem Schutz und der Leitung eines zu dieser Zeit sehr gefeierten Mannes anzuvertrauen, der zudem noch sein bester Freund war.
In der gleichen Weise sende ich Ihnen meine sechs Söhne, vielgefeierter und sehr teurer Freund. Sie sind wirklich die Frucht langen, harten Studiums; aber die Hoffnung, die viele meiner Freunde mir gaben, dass diese Mühe in irgendeiner Weise belohnt werden wird, ermutigt mich und legt mir den Gedanken nahe, dass diese Kinder sich eines Tages als eine Quelle des Trostes für mich erweisen werden.
Während Ihres letzten Aufenthalts in dieser Hauptstadt drückten Sie, mein sehr teurer Freund, selbst Ihr Wohlgefallen an diesen Kompositionen aus. Ihre gute Meinung ermutigt mich, Sie Ihnen darzubieten und leitet mich in der Hoffnung, dass Sie sie Ihrer Gunst nicht ganz unwürdig erachten werden. Nehmen Sie sie also freundlich auf und seien Sie ihnen ein Vater, Führer und Freund! Von diesem Augenblick an trete ich alle meine Rechte daran an Sie ab. Ich bitte Sie aber, mit jenen Fehlern, die dem parteiischen Blick des Vaters entgangen sein mögen, Geduld zu haben und, ihnen zum Trotz, Ihre großzügige Freundschaft mit jenem fortzusetzen, der Sie so hoch schätzt. In der Zwischenzeit bin ich von ganzem Herzen, teuerster Freund, Ihr aufrichtigster Freund
W.A. Mozart. / Wien, den 1. September 1785
Ganz einsam steht das Quartett D-Dur KV 499, komponiert in Wien im August 1786 da. Eine alte Legende will wissen, dass das Werk, gleich dem Requiem, ein Auftragswerk für den Grafen Walsegg auf Stuppach war. Dem widerspricht aber, dass Mozart das Werk bereits im September 1786 hat veröffentlichen lassen. Der erste Satz dieses Quartetts liegt mir auch wieder einmal besonders am Herzen.
1789 reist Mozart nach Preußen. Er weiß, dass der Preußische König ein recht guter Cellist ist und denkt während der Arbeite an den daher so genannten „Preußischen Quartetten“ an eine lukrative Entlohnung für seine geplanten Werke. Das erste der sechs geplanten Werke ist das Streichquartett D-Dur KV 575, in dem bereits das Violoncello solistisch hervortritt, besonders rührend zu Beginn des vierten Satzes. Im Mai 1790 vollendet Mozart das zweite Preußische Quartett, diesmal B-Dur [KV 589] und als absolut krönenden Abschluß des Genre Streichquartett aus dem Hause Mozart vollendet er im Juni 1790 das letzte Streichquartett F-Dur KV 590. Ein faszinierendes Werk, das sicherlich mehr noch als das Dissonanzen-Quartett für Aufregung gesorgt haben mag: Meint Mozart das Menuett wirklich ernst? Es ist ein Menuett zum Verrücktwerden, ich kann mich nicht an Mozarts Herumreiten auf dissonierenden Tönen satthören. Dem steht die Durchführung des vierten Satzes um nichts nach: Ein Mozartliebhaber [nicht aber Kenner!] würde niemals glauben können, dass diese „moderne“ Musik von Wolfgang Amadé Mozart stammt…
Meine uneingeschränkte Empfehlung für die späten Quartette:
QUATUOR FESTETICS
KV 499, 575, 589 und 590
István Kertész, Violine [école milanaise, 18. JH]
Erika Petöfi, Violine [Matthias Thier, Vienne 1770]
Péter Ligeti, Viola [Matthias Albanus, Bolzano 1651]
Reszö Pertorini, Violoncello [anonyme francaise, 17. JH]
Es ist, als würden Joseph Haydn, Dittersdorf, Mozart und der König von Preußen spielen...
[@Cara Caro: naja, jetzt ging's doch etwas schneller, als ich dachte]
Vor diesen Werken tief den Hut ziehend
und mit freundlicher Empfehlung
Ulli