Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen - Rache und Triumph in der Oper

  • Liebe Opernfreunde,


    Angeregt durch eine Frage in einem anderen Thread eröffne ich hier dieses Thema. Es soll sich mit Rache in der Oper befassen, mit der Musik und den Texten die hiefür ersonnen worden, eventuell auch wie das im einzelnen realisiert wurde, so ist beispoielsweise Osmins "Rachearie" einsteils heiter im Text, jedoch emotionell, durch die Musik voll ernst genommen.


    Ich bin gespannt, was uns allen zu diesem Thema so einfällt, und ob da etwas dabei ist, was ich noch nicht kenne.


    Das Thema ist aus meiner Sicht weit gesteckt, also ist die "Verleumdungsarie" des Don Basilio aus dem Barbiere di Siviglia durchaus inkludiert....


    Frerundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da Du die "Verleumdungsarie" schon nanntest, nenne ich dann mal als Lieblingsrachearie die Arie der Donna Elvira (!) "Ah! chi mi dice mai" aus dem Don Giovanni

  • Hallo Alfred,


    Elektra (Rachegelüste an ihrer Mutter)
    Götterdämmerung (Brünnhilde, Rache am Verrat Siegfrieds)
    Rigoletto (Graf von Monterone versus Rigoletto)
    Salome (Rache an Jochanaan)


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Ich beginne zunächst mal da, wo ich im letztne Thread geendet habe:


    Ha!
    Welch ein Augenblick!
    Die Rache werd' ich kühlen!
    dich rufet dein Geschick!
    In seinem Herzen wühlen, o Wonne,
    großes Glück!
    Schon war ich, schon war ich nah',
    im Staube,
    dem lauten Spott zum Raube,
    dahin, dahin, ja,
    dahin gestreckt zu sein!
    Nun ist es mir geworden,
    den Mörder selbst zu morden!
    Ha!
    Welch ein Augenblick!
    In seiner letzten Stunde,
    den Stahl in seiner Wunde,
    ihm noch ins Ohr zu schrei'n.
    Triumph!
    der Sieg, ist mein!


    Hier wird ganz eindeutig die FREUDE an der Rach besungen.
    Es genügt Pizarro nicht, sich zu rächen
    Genugtuung erhält er erst dadurch, daß seinem Feind
    die Niederlage in seiner letzten Stunde vor Augen geführt wird.


    Sehr gut werden hier die Ängste geschildert, die der Hassende
    durchlebt hat, die dann erst diesen übermenschlichen Haß
    erzeugt haben, der dann über alles Oberhand gewonnen
    hat. Man soll sich hier nicht täuschen lassen: Nicht immer geht die
    Sache für den Gehassten so glimpflich aus wie für Florestan. Zudem
    gibt der Satz "Nun ist es mir geworden, den Mörder selbst zu morden"
    zu denken. Wie "unschuldig" war Florestan wirklich ???
    Über solche belanglosen Fragen setzt sich eine Oper natürlich mit Leichtigkeit hinweg......


    Persönlich kenne ich kaum eine zweite Arie, in der alles verzehrende Haß
    so plastisch beschrieben wird wir diese. - Einer der eher spärlichen Glanzpunkte dieser Oper (ich meine jetzt vom Libretto her, musikalisch ist sie sowieso unanfechtbar)


    Hier wird nicht geschönt oder übertrieben: So sind die Menschen wirklich und wahrhaftig.


    Eine der Besonderheiten dieser Arie ist, daß es keine Arie ist, wo ein Hilfloser von Rache träumt, nein der Hassende ist schon (wie er glaubt) am Ziel. Ironischerweiser ist es gerade dieses Auskosten der Freude, welches ihn an der rechtzeitigen Vollstreckung hindert......


    Weitere "Analysen von Rachearien" werden folgen.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ja - Rache ist in der Oper ein beliebtes Thema -
    und die Komponisten haben ebsoviel Herzblut hineingelegt
    wie in die Liebesarien.


    Die von Siegfried nominierte Arie
    hat folgenden Text:



    Schweig, schweig, damit dich niemand warnt!
    Schweige, damit dich niemand warnt!
    Der Hölle Netz hat dich umgarnt!
    Nichts kann vom tiefen Fall dich retten,
    Nichts kann dich retten vom tiefen Fall!
    Umgebt ihn, ihr Geister, mit Dunkel beschwingt!
    Schon trägt er knirschend eure Ketten!
    Triumph, Triumph, Triumph, die Rache gelingt!


    Ich würde sagen, es ist eine VORFREUDE auf die Rache -
    zugleich gepaart mit der eigenen Angst:
    Ein Wort von Max - und alles kann zerstört sein.
    Besser man denkt gar nicht daran.
    Während Kaspar sich im Triumph suhlt -
    einer Rache die noch gar nicht vollzogen -
    und eher ungewiss ist, spricht er sich gewissermaßen
    selbst Mut zu, indem er sich das Endergebnis schon
    jetzt ausmalt - und dabei verdrängt, daß das alles noch
    SEHR in Schwebe ist.
    Allein der Haß - gepaart mit Angst (eine sehe häufige Mischung)
    nimmt ihm die Sicht auf die Realität...


    Beste Grüße
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    nicht vergessen sollten wir das andere "Rache"-Duett am Ende des 2. Aktes von "Rigoletto":


    "RIGOLETTO
    (heftig, zum Porträt gewandt)
    Ja, Rache, fürchterliche Rache,
    ist das einzige, was meine Seele verlangt ...
    schon nähert sich die Stunde deiner Strafe,
    die dir verhängnisvoll schlagen wird.


    Wie der Blitzstrahl Gottes
    wird der Narr dich zu treffen wissen.


    GILDA
    (für sich)
    O mein Vater, welch grimmige Freude
    sehe ich in Euren Augen aufblitzen! ...
    Verzeiht ... auch für uns wird eine Stimme
    der Vergebung vom Himmel kommen.
    (Leise)
    Er hat mich verraten, dennoch liebe ich ihn, grosser Gott,
    für den Undankbaren bitte ich dich um Erbarmen!
    (Beide gehen durch die Mitte ab.)"


    Interessanterweise schwört hier nicht der oder die Verletzte Rache (das wäre in diesem Fall die ihrer Unschuld verlustig gegangene Gilda, die für ihren hochgestellten Verführer sogar um Gnade bittet), sondern der alleinerziehende Vater. Eine Vendetta alter Schule sozusagen.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von Maik
    Auslöser ist der Mordversuch an Sarastro.


    Salut,


    ich bin nicht mehr ganz zurechnungsfähig jetzt - aber:


    Gab es je einen Mordversuch an Sarastro? Soweit ich weiß, beauftragte die Königin ihre Tochter, Sarastro zu töten: "Fühlt nicht durch Dich Sarastro Todesschmerzen, so bist Du meine Tochter nimmer mehr [...]" - zu Neudeutsch: Wirst Du Sarastro nicht töten, kannst Du davon ausgehen, dass ich Dich nicht mehr kenne... - Die Olle ist einfach nur stinksauer, da Pamina ihr ja bereits im Dialog vor der Arie mitgeteilt hat, dass mit einer solchen Tat von ihrer Seite aus nicht zu rechnen ist...


    Zwar "kocht" in der Mutter Brust "der Hölle Rache" - doch, was ist das schon? Wie sollte sie sich an der Tochter rächen, außer sie zu verstoßen? Ach Gott, wie schlimm. Pamina hat sich ihre Mutter eh schon abgeschminkt und ist "zur Gegenseite" übergelaufen. Das weiß die Königin natürlich - weswegen sie kocht und einen Riesenterz macht - was bleibt ihr auch anderes übrig?


    Da ist auch ganz schön viel bissiger Humor Mozarts im Spiel... mit wirklicher RACHE hat das m. E. nichts zu tun.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Alfred


    Zitat

    Über solche belanglosen Fragen setzt sich eine Oper natürlich mit Leichtigkeit hinweg......


    Nein, nicht mit Leichtigkeit, denn solche ungeklärte Fragen werden zwangsläufig angemerkt und bringem einem Libretto Minuspunkte ein. Und wenn es wie beim Fidelio mehrere derartige Minuspunkte im Textbuch gibt, wird schließlich eine Kritik daraus, und zwar eine berechtigte, und es wird dabei nicht mit zweierlei Maß gemessen...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    Alfred hat nicht Unrecht. Wenn Beethoven in seinem Element ist, kann man ihn kaum übertreffen und Pizzarros Rache-Arie ist großartig (besonders in ihrer Bedingungslosigkeit). Aber Mozart hat es ihm auch nicht übel vorgemacht (Königin der Nacht).


    Ich gehe aber etwas weiter in der Operngeschichte. Verdi wurde mit dem Rigoletto bereits einmal angeführt. Verdis Renato, der als einziger Getreuer seinem König den Rücken freigehalten und den Schutzschild gegen verschwörerische Kräfte abgegeben hat, glaubt den schlimmsten Verrat entdeckt zu haben, den dieser König an ihm begehen konnte. Die Rache für seine Hörner wird endgültig sein, aber der Rache-Monolog hat fast nichts heroisches, das "Eri tu" ist eine fast introspektive und wehmütige Schau auf das Geschehene und zeigt erschütternd das Gebrochensein Renatos, der nichtsdestoweniger seine Rache durchziehen wird. Erst mit der Ankunft der Mitverschwörer in unmittelbarer Folge rafft er sich in der Gruppe zum fast Triumphmarsch-artigen Racheschwur auf.


    Erstaunlich, wie Verdi diese Szenen musikalisch gestaltet. Die Orchestereinleitung zum Eri tu lässt eine fast Beethoven-ähnliche Szene erwarten. Tatsächlich setzt Renato dann schon ein wenig verhalten ein und der zweite Teil der Arie wird ein wehmütiger Abgesang an sein Leben. Die eigentliche Stretta der Verschwörer wird umgekehrt aufgebaut. Harfen und gezupfte Bässe begleiten Renato, dann setzen die übrigen Verschwörer mit leichter Blechunterstützung ein, der Schwur wird eigentlich nur von den Stimmen getragen und das Ganze mit einem großen Orchestertusch besiegelt. Einfach und grandios.


    All dies passiert im ersten Bild des dritten Aktes des Maskenballs. Mit der nun folgenden, schaurigen Losentscheidung über den Mörder des Königs eine der ganz großen Szenen der Operngeschichte (für diejenigen, die meinen, der Maskenball sei nur irgendeine Verdi-Oper).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Eine mögliche Lesart des Satzes wäre, dass Florestan natürlich kein Mörder ist, aber offenbar zur Vernichtung Pizarros beitragen könnte, wenn er frei wäre. Pizarro hat ihn ja verschleppt und eingekerkert, weil Florestan schon vorher seinen Verbrechen auf die Spur gekommen war.
    (F: "Pizarro, dessen Verbrechen ich zu entdecken wagte?" der Minister: "Don Florestan, der Totgeglaubte, der Edle, der für Wahrheit stritt...") Man stelle sich einfach Florestan als Enthüllungsjournalist und Pizarro als C*A- Bezirksleiter Nahost vor.
    (Eine andere wäre ein Freudsche "Übertragung": Pizarro besitzt einen Rest Skrupel und bastelt sich daher eine Rechtfertigung für den geplanten Mord: er selbst ist der Bedrohte, Florestan der Schuldige.)



    Einen Geniestreich in dieser Arie finde ich den Einschluß des Chors der Wächter, selbst den hartgesottenen Burschen wird bei diesem Ausbruch ihres Chefs mulmig und ihr Kommentar wirkt stammelnd: bei einm solchen Tyrannen kann keiner sicher sein, ob er nicht auch demnächst in Einzelhaft landet.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Lieber Alfred,


    diese Meinung teile ich mit Dir nicht – jedenfalls sehe ich die „Lösung“ nicht gar so einfach:


    Ich unterstelle einmal der Königin der Nacht eine ganze Menge an giftigem Innenleben und glaube auch nicht, dass sie ihr Versprechen Tamino gegenüber, ihm nach der „Errettung“ ihres werten Frl. Tochter diese ihm zur Frau zu geben, eingelöst hätte, wenn es dazu gekommen wäre: Das wäre ein Paradoxon gewesen! Ihr einziges Ansinnen ist es nun einmal, ihre Tochter zurück zu bekommen – da kann es kaum sein, dass sie diesen „Besitz“ gleich wieder als Dankeschön verschenkt. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, sie hat die giftige Schlange zu Beginn der Oper geschickt, um Tamino als potentiellen Liebhaber ihrer Tochter gleich zu eliminieren! Dann hatte sie den Geistesblitz, Tamino für Ihre gluckenhaften Besitzansprüche zu misbrauchen und entsendet die drei Damen, welche Tamino "erretten". Als Preis für seine "Errettung" verpflichtet er sich, Pamina zu befreien und bekommt in Aussicht gestellt, diese bezaubernde Schönheit zur Braut zu erhalten.


    Dies war die Sicht der Königin der Nacht. In Wirklichkeit sieht es jedoch so aus, dass Pamina bereits gerettet ist: Nämlich dadurch, dass Sarastro sie aus den Klauen der Mutter befreit hat und nun im Weisheitstempel beherbergt. Seine Rache ist eigentlich so wunderbar!


    Wenn man nun noch die Entstehungsgeschichte der Zauberflöte mit berücksichtigt, im Besonderen die Vorgängeroper Der Stein der Weisen bzw. dessen textliche Grundlage Nadir und Nadine aus der Märchensammlung „Dschinnistan“ von Chr. M. Wieland, dann würde ich sogar so weit gehen und behaupten, dass Sarastro Paminas Vater ist. Denn im Stein der Weisen ist Astromonte [Sarastro] der Vater von Nadine [was sie lange nicht weiß] und der Handlungsverlauf ist ja ziemlich ähnlich. Zum Ende des ersten Aktes spricht einzig die Vaterliebe aus Sarastro „Denn ohne erst in Dich zu dringen, weiß ich von deinem Herzen mehr, du liebest einen andern sehr.“ Natürlich liebt Sarastro Pamina, aber eben als Vater.


    Er nämlich bringt Tamino mit Pamina zusammen und das ist seine Rache an der Königin, die gegen jene Art der Rache absolut machtlos ist, denn die Liebe ist stärker als alle Machenschaften: „Triumph, Triumph, Triumph, du edles Paar…“


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Salut Ulli


    Zitat

    Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, sie hat die giftige Schlange zu Beginn der Oper geschickt, um Tamino als potentiellen Liebhaber ihrer Tochter gleich zu eliminieren! Dann hatte sie den Geistesblitz, Tamino für Ihre gluckenhaften Besitzansprüche zu misbrauchen und entsendet die drei Damen, welche Tamino "erretten". Als Preis für seine "Errettung" verpflichtet er sich, Pamina zu befreien und bekommt in Aussicht gestellt, diese bezaubernde Schönheit zur Braut zu erhalten.


    Du schaust in die richtige Richtung, aber ganz passt es noch nicht. Ich meine, die ganze Aktion war von Anfang an von der Königin der Nacht eingefädelt. Tamino war auf vertrautem und einigermaßen sicher geltendem Gebiet unterwegs, sonst wäre er als Prinz nie und nimmer alleine gewesen. Die Königin organisiert also ein Untier, das den Prinzen zu Tode erschreckt. Tamino muss wirklich geglaubt haben, dass seine letzte Stunde geschlagen hat, was ganz automatisch zu außerordentlicher Dankbarkeit den Retterinnen gegenüber führt. Wenn dir gerade jemand das Leben gerettet hat, dann bist du in deiner Erleichterung für so gut wie jede einigermaßen plausible Geschichte von dieser Seite empfänglich, weil ein gewisses Vertrauensverhältnis besteht. Damit hat man Tamino am Haken und spannt ihn für die "Befreiungsaktion" ein.
    (Ich warte noch immer auf die Inszenierung, wo nach der Rekrutierung Taminos eine der Damen in einem unbemerkten Augenblick zum Ungeheur geht, das sich nur totgestellt hat, ihm als Belohnung ein Leckerli verabreicht und es sich zufrieden von dannen trollt!)



    Zitat

    In Wirklichkeit sieht es jedoch so aus, dass Pamina bereits gerettet ist: Nämlich dadurch, dass Sarastro sie aus den Klauen der Mutter befreit hat und nun im Weisheitstempel beherbergt. Seine Rache ist eigentlich so wunderbar!


    ... Zum Ende des ersten Aktes spricht einzig die Vaterliebe aus Sarastro „Denn ohne erst in Dich zu dringen, weiß ich von deinem Herzen mehr, du liebest einen andern sehr.“ Natürlich liebt Sarastro Pamina, aber eben als Vater.


    Ich stimme mit dir überein, dass Pamina von Sarastro bereits "gerettet" wurde. Jedoch nicht mit der Vater-Theorie. Es spricht nicht allzuviel dafür. Man könnte argumentieren, dass die Königin der Nacht ihren ehemaligen Liebhaber nun in dem Maße hasst, wie sie ihn einst geliebt hat. Mir gefällt aber die andere Variante besser, die auch besser auf die bekannten Fakten passt. Die Königin der Nacht ist eine reine Machtpolitikerin, die ihre Stellung zu Lebzeiten ihres Mannes genossen und vielleicht sogar ausgenützt hat. Dieser wusste aber um die eitle Schwäche seiner Gattin und sorgte dafür, dass nach seinem Tod sein Vertrauter Sarastro die eigentliche Macht übertragen bekam und seine Witwe nur ein unbedeutendes Gebiet bekam, wo sie nicht viel Schaden anrichten konnte. Sarastro hat also an Vaters Stelle die Verantwortung für Pamina übernommen und man kann aus dem Libretto der Zauberflöte ohne Hinzunahme zusätzlicher Quellen herauslesen, dass Sarastro zu Beginn der Oper bereits alles in die Wege geleitet hat, damit Tamino und Pamina seine eigenen Nachfolger werden können (seine Ansprache vor dem Priesterrat klingt so, als wäre nichts Überraschendes an Taminos Auftauchen, es geht nur darum, dass notwendige Formalitäten genau nach Vorschrift erfüllt werden).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Salut,


    Zitat

    Tamino war auf vertrautem und einigermaßen sicher geltendem Gebiet unterwegs, ...


    Sicher nicht, denn Tamino hat sich - wie alle zu Beginn von Schikandeders "Dschinnistan-Opern" in Arkadien ankommenden Prinzen resp. Prinzessinnen - verirrt und ist völlig überraschender Weise dort.


    Zitat

    ... sonst wäre er als Prinz nie und nimmer alleine gewesen


    Sein Alleingang zeichnet ihn eben als den mutigen, tapferen Helden aus [was ja auch schon anderweitig angezweifelt wurde].


    TAMINO (erwacht, sieht furchtsam umher)
    Wo bin ich!


    [...]


    Was hör' ich? Wo bin ich? Welch unbekannter Ort! [...]


    [Vogelfängerarie]


    TAMINO
    Nun sag du mir, in welcher Gegend wir sind. -


    PAPAGENO
    In welcher Gegend?
    (sieht sich um)
    Zwischen Tälern und Bergen.


    TAMINO
    Schon recht! aber wie nennt man eigentlich diese Gegend? - wer beherrscht sie? -


    [...]


    Auch mit Sarastros "Vaterrolle" bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, wenn es auch in der Zauberflöte "erster Theil" nicht erwähnt wird. Dennoch wird sich - vielleicht - das damalige Wiener Publikum an den Stein der Weisen erinnert haben: Astromonte, Priester und Zauberer, besaß ebenfalls die Fähigkeit Sarastros, sich "in jede erdenkliche Gestalt" zu verwandeln und raubte die Schönheit Arkadiens. Sarastro wird in der Z nur als Bösewicht und Dämon bezeichnet, nicht als Zauberer, dennoch konnte auch er sich "in jede erdenkliche Gestalt" [5. Auftritt, 3. Dame] verwandeln; also wird indirekt auf diesen Zusammenhang hingewiesen.


    Möglich, daß das Gespann Schikaneder/Mozart tatsächlich einen "zweiten Theil" plante, in dem erst dieses "Geheimnüss" gelüftet werden sollte... ?


    Die Königin der Nacht sehe ich nur als Typus versagerensis perpetuus, ganz analog dem Tarkeleon aus Süßmayrs Spiegel von Arkadien - eigentlich ein Tolpatsch, dem aber auch absolut gar nichts gelingt, obwohl man immer wieder Angst haben muss vor seinen neuen teuflischen Plänen. Die Königin der Nacht wird allerdings - vielleicht Mozart sei Dank! - nicht ganz so deutlich tolpatschig hingestellt, dennoch ist der 30. Auftritt, Akt II, Takt 744 urkomisch - auch in der Musik liegt bereits in der Luft, dass das grausame Vorhaben der Nachtwelt nur misslingen kann. Dieses Thema mit drei Achteln Auftakt ist einfach nur köstlich-zynisch: Bei dieser Szene kann ich immer nur händereibend grinsen... Ah! Da kommen sie wieder :D


    Tja, diesbezüglich bräuchten wir jetzt einen Spezialthread...


    :hello:


    Ulli


    [Sorry, ich hab den Text ein paar mal nachgebessert-erweitert]

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Salut



    Natürlich ist Tamino auf vertrautem Gebiet unterwegs, denn wir werden erfahren, dass er nicht nur mutig sondern auch besonnen und verantwortungsbewusst ist. Als Prinz wird er nie alleine dort unterwegs sein, wo es unbekannte Gefahren geben könnte. Deshalb konnte er vom Plan der Königin überrascht werden. Erst auf der Flucht vor dem Untier kam er in unbekanntes Gebiet, bzw. wurde es strategisch geplant, dass er auf unbekanntes Gebiet kommen musste. Die wundersame Errettung aus höchster Not und die plötzliche "Entwurzelung" aus allen vertrauten Umständen konnten aus diesem tapferen Krieger ein brauchbares Werkzeug der Königin der Nacht machen, was unter normalen Umständen nie hätte gelingen können.


    Deine Vater-Theorie ist mir nach wie vor zu schwach - für mich viel schlechter als meine Variante. Wenn ich aus dem Libretto der Zauberflöte eine auf die dort bekannten Fakten passende Theorie ableiten kann, finde ich es reichlich sophisticated, mit Hilfe von anderen Werken eine völlig andere Theorie zusammenzubasteln, deren einziges Positivum darin besteht, dass sie nicht direkt widerlegbar ist, aber kaum in der Zauberflöte unterstützt wird.


    Tolpatschig ist so ziemlich das letzte Attribut, dass ich Mozarts Musik für die Königin geben würde. Dass ihr in dieser Geschichte nichts gelingen will, passt sehr gut mit meinen Ausführungen oben zusammen (obwohl es ihr gar nicht passen will, ist sie nicht viel mehr als ein Unterläufel, der an den Fäden Sarastros hängt). Ihr Schicksal ist mittlerweile als Don Giovanni-Syndrom bekannt...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Salut,


    zu Deinem ersten Absatz: o.k. - man kann es so sehen, aber die Oper beginnt ja in dem bereits unbekannten Gebiet [Tamino kommt vor der Schlange flüchtender Weise auf die Bühne] und darauf beziehe ich mich. Da würde ich mich auch nicht länger mit aufhalten, da es sicherlich ein von Schikaneder durchdachter Vorgang ist, wie in all seinen "Dschinnistan"-Opern.


    Zu Deinem zweiten Absatz: Ich versuche das lediglich aus der sicht Schikaneders zu betrachten: ER ist in der "Dschinnistan"-Welt daheim, wie auch das damalige Publikum. Daher braucht es keine weitere Definition in der Zauberflöte. Wenn Du die Dschinnistan-Märchen einmal liest, wird sich Dir das vielleicht ebenso eröffnen - die Sache ist ganz klar durchschaubar.


    Zu Deinem dritten Absatz: Ich wollte keineswegs Mozarts Musik als "tolpatschig" bezeichnen, sondern die Szene bzw. die KdN nebst ihren Gehilfinnen. Natürlich ist die Musik als solche darauf abgestimmt. Im weiteren zu diesem Absatz sind wir uns ja einig, wenn wir das auch jeweils auf individuelle Art ausrücken. Als "tolpatschig" bezeichne ich in diesem Fall: das Misslingen eines [bösartigen] Vorhabens, wobei die Initiatorin selbst nicht nur á la "Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein" Schaden erleidet, sondern noch weitaus schlimmer - "zernichtet" wird. Das "Tolpatschig" bezieht sich - zugegeben - sehr viel eher auf Tarkeleon, der nun wirklich von der einen Scheiße in die andere latscht, was sehr witzig ist und worauf man sich nebst ungutem Nebengefühl [oh je, wenn das klappt, was der/die vor hat...] bereits freut. Die Königin der Nacht ist hier eine deutlich abgespeckte Version dieses Übeltäters.


    Wie gesagt, es ist alles meine Sicht der Dinge.


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Salut Ulli


    Zitat

    Zu Deinem zweiten Absatz: Ich versuche das lediglich aus der sicht Schikaneders zu betrachten: ER ist in der "Dschinnistan"-Welt daheim, wie auch das damalige Publikum. Daher braucht es keine weitere Definition in der Zauberflöte. Wenn Du die Dschinnistan-Märchen einmal liest, wird sich Dir das vielleicht ebenso eröffnen - die Sache ist ganz klar durchschaubar.


    Gut das ist immerhin ein brauchbares Argument. Auf Dinge, die sie als bekannt voraussetzen konnten, mussten Mozart und Schikaneder nicht extra hinweisen. So weit so gut, aber mir will nicht recht einleuchten, dass auf eine derart pikante Tatsache nie angespielt wird, weder im Textbuch noch in der Musik. Daraus ließen sich doch herrliche dramaturgische Witze gestalten. So ein Potential lässt man doch nicht brachliegen.
    Genaugenommen sprechen einige Details sogar dagegen: Wenn Sarastro singt "Zur Liebe will ich dich nicht zwingen,...", passen die Worte nicht zu einem Vater, genaugenommen nicht einmal besonders gut auf meine Theorie der vorausschauenden Entführung, sondern eigentlich am besten darauf, dass er sie ursprünglich für sich selbst auserkoren hatte.
    Höre ich auf Pamina ("Bei Männern, welche Liebe fühlen..."), dann höre ich ein Mädchen, das keine schlechten Erfahrungen mit Männern gemacht hat. Entweder ihr Vater ist noch nicht lange tot, dann hat sie ein sehr gutes Verhältnis zu ihm gehabt, und da dieser offensichtlich sehr gut mit Sarastro stand, macht die Kukuksei-Theorie überhaupt keinen Sinn, oder er ist schon so lange tot, dass sie ihn vielleicht gar nicht mehr kannte.... Oder er starb lange vor ihrer Geburt, dann könnte deine Theorie einsetzen, denn nun könnten die Königin und Sarastro ein ganz offizielles "Bündnis" gepflogen haben, mit Pamina als Ergebnis. Dann aber fragt man sich, warum es nicht zementiert wurde, sondern zerbrochen ist und zur Situation geriet, in der die Oper einsetzt.
    Wie ich es auch drehe und wende, die Sarastro-Vater-Theorie wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet und platziert einige weitere große Löcher in das Emmentaler-Libretto der Zauberflöte, so dass ich weiter geneigt bin, der einfachsten Variante den Vorzug zu geben und die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren.


    :hello: aus Schubert-Land

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Salut,


    "Zur Liebe will ich dich nicht zwingen,..." kann genauso aus dem Mund eines Liebhabers wie aus dem eines liebenden Vaters stammen. Immerhin sind wir uns einig, dass Sarastro sich mehr als liebender Vater verhält, denn als Liebhaber. Und auch Väter sind - zumeist - schwer in ihre heranreifenden Abkömmlinge verliebt, oder? Zudem liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, dass Sarastro tatsächlich Pamina für sich auserwählt hat, so war es jedenfalls bei Astromonte und Nadine. Dazu allerdings müsste der 8. Auftritt der Königin der Nacht eine sehr gehässige Lüge sein.


    Dennoch: In den meisten "Dschinnistan"-Gebilden ist es so, dass weder der Abkömmling noch der Erzeuger von der Abstammungs-Geschichte wissen. Sie wird erst am Schluß des Märchens "aufgelöst" und auch bei Schikaneder so umgesetzt. Das wäre dan hier das "große Geiheimnis" der Köning der Nacht, nur sie weiß es. Die einzige Lösung im Fall der "Zauberflöte" wäre hier, dass ein zweiter Theil geplant gewesen ist, doch das lässt sich wohl kaum mehr beweisen.


    Das "zerbrochene Bündnis", welches Du beschreibt, ist in allen Wieland-Märchen aus dem "Dschinnistan" genau so. Es geht hier Wieland gar nicht um das Warum, sondern er benutzt diese Konstellation, um daraus etwas Spannendes zu gestalten- das hat auch Schikaneder erkannt und im wohltätigen Derwisch und im Stein der Weisen wiederverwendet.


    Dennoch kurz zum Warum: Denkbar wäre hier eine "einfache" Auseinandersetzung zwischen dem Elternpaar, daraus entwickelte sich dann - schlüssig - das Böse und das Gute, die Nacht und die Strahlen der Sonne... und noch ein Beispiel für die "Zwangsläufigkeit" in der Zauberflöte: Wird Pamina je als Prinzessin bezeichnet? Nein. Ist sie dies doch zwangsläufig als Tochter der Königin - ich denke, solche "Alltäglichkeiten" werden einfach vorausgesetzt, zudem könnte [in dieser Welt] ein Prinz nur eine Prinzessin heiraten.


    Nachdem Du mir ja zustimmst, dass die Königin der Nacht nicht ganz koscher ist, ist es auch denkbar - wie in anderen Wielandmärchen - dass eines der Haupthobbies der Königin die Lüge bzw. das absichtliche Verdrehen von Tatschen zu ihrem Vorteil ist. Immerhin behauptet sie [8. Auftritt], Paminas Vater sei tot! Damit sei auch ihre Macht "zu Grabe getragen" worden. Sie hat aber unbestritten noch Macht, nur eben jede Menge Pech. Wenn Pamina meint "Sarastro ist nicht weniger tugendhaft - - ", so fehlt hier: "...als mein Vater" oder sogar "...wie mein Vater" und das, obwohl Pamina den Vater niemals gesehen hat, denn die Entzweiung zwischen Mutter und Vater erfolgte erst nach Papaminas "Tod". Er gab der Mutter auf, sich und ihre Tochter der "Führung weiser Männer zu überlassen" und das hat ihr gestunken. Ich glaube nach wie vor, dass Sarastro Paminas Vater ist und er sich lediglich verstellt; er kann sich ja in jedwede Person verwandeln und sicherlich ist in dieser Märchenwelt der Tod nichts, wovor man sich fürchten müsste, denn er ist ganz einfach durch Zauberei auszutricksen...


    Ich will nicht unbedingt an meiner Theorie festhalten, es ist jedoch das [nicht vollständige] Ergebnis meiner 15jährigen Beschäftigung mit dieser Thematik, die ich versuche, von innen heraus zu lösen. Solche Lösungen lassen sich natürlich äußerst schwer "beweisen".



    Trés cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Salut,


    gibt es eigentlich bei Mozart wirkliche „Rachearien“ in den Opern?


    Bereits Osmin aus „Die Entführung aus dem Serail“ scheitert kläglich mit seinem „Ha! Wie will ich triumphieren“ und im Finale der Oper wird bekannt gegeben „Nichts ist so hässlich als die Rache…“. Dr. Bartolo [Le Nozze di Figaro] erklärt in „La vendetta, oh, la vendetta“, dass es sich bei „Rache“ um ein Vergnügen handelt, welches den Weisen vorbehalten ist, so wie es schließlich in der Zauberflöte [zumindest gemäß meiner Ausführungen] durch Sarastro „gelöst“ wird. Rache ist laut Dr. Bartolo „Gemeinheit und Feigheit“ [und als Ergänzung von mir: Dummheit]. Die wirkliche „Lösung“ kann nur durch Schläue und Feinsinn erfolgen. Rache und Triumph liegen bei Mozart stets nah bei einander: Nur triumphiert niemals der oder die Rächer/in, sondern Liebe und Treue, Mut und Tapferkeit.


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Osmin in der "Entführung",Auszug aus Arie Nr.3:


    Drum,beim Barte des Propheten!
    ich studiere Tag und Nacht,
    dich so mit Manier zu töten,
    nimm dich,wie du willst,in Acht!


    und darauf:


    Erst geköpft,dann gehangen,
    dann gespießt auf heiße Stangen,
    dann verbrannt,dann gebunden
    und getaucht,zuletzt geschunden.


    Über die Reihenfolge der "Maßnahmen" kann man ja streiten.Unstrittig ist dagegen,daß Osmin bereit ist,nur ganze Sachen zu machen.
    Ja,die Eifersucht ist eine Plage,doch das wird woanders gesungen. :yes:

    Freundliche Grüße Siegfried