Sind schon die meisten von Liszts Tondichtungen relativ unbekannt, so trifft dies umso mehr für die Drei Traueroden für großes Orchester zu, die in den Jahren 1860 bis 1866 entstanden. Es handelt sich um folgende:
1. Les morts (Die Toten), S. 112/1 (1860)
2. La notte (Die Nacht), S. 112/2 (1864)
3. Le triomphe funèbre du Tasse (Trauer-Feier Tassos), S. 112/3 (1866)
Daniel Liszt (1839-1859)
Die Trauerode Nr. 1 "Les morts" wurde 1860 in Erinnerung an Liszts verstorbenen einzigen Sohn Daniel komponiert. Dieser entstammte Liszts erster Ehe mit der Französin Marie d'Agoult, wurde am 09.05.1839 in Rom geboren und starb am 13.12.1859 zwanzigjährig in Berlin an der Schwindsucht. Er ist auf dem Alten Domfriedhof St. Hedwig in Berlin-Mitte begraben. Damit endete das Jahr 1859 für den Komponisten höchst unerquicklich, nachdem er noch kurz zuvor als Ritter von Liszt in den österreichischen Adelsstand erhoben worden war (30.10.1859).
Im Untertitel heißt das Werk "Oration für Orchester und Männerchor". Als einzige der drei Traueroden ist sie mit Gesang unterlegt. Ihr liegt ein Text von Félicité Robert de Lamennais zugrunde. Das Gedicht startet wie folgt:
Gleich uns wandelten sie einst auf Erden
und glitten hinab im Strome der Zeit.
An seinen Ufern erklang ihre Stimme,
doch keiner vernimmt sie mehr.
Wo sind sie? Wer sagt es?
Selig sind die Toten, die im Herrn sterben!
Das Werk beginnt mit drei gleich angelegten Strophen, jeweils mit zweimaliger Erklärung der Vergänglichkeit, in einen stockenden Trauermarsch-Rhythmus gesetzt. Die doppelte Frage "Wo sind sie? Wer sagt es?" wird durch ein Hornsolo vorgetragen. Als Antwort erklingt eine Melodie, die an das "Dresdner Amen" erinnert. Vom Männerchor wird sodann angestimmt: "Beati mortui qui in Domino moriuntur". Im mittleren Teil erklingt aus der Tiefe "De profundis clamavi ad te, Domine", um dann in ein triumphales "Te Deum laudamus" überzugehen. Den Höhepunkt stellt das "Pleni sunt coeli et terra gloria tua. Hosanna" dar. Der dritte und letzte Part kehrt zur verhaltenen Stimmung des Anfangs zurück. Die Trauerode klingt in hellem E-Dur aus.
Hier noch der komplette lateinische Chortext inklusive Übersetzung:
Beati mortui qui in Domino moriuntur.
De profundis clamavi ad te, Domine.
Te Deum laudamus, te Dominum confitemur,
Sanctus, Sanctus, Sanctus Dominus Deus Sabaoth!
Pleni sunt coeli et terra gloria tua.
Hosanna.
Selig sind die Toten, die im Herrn sterben.
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.
Herr Gott, dich loben wir, Herr Gott, dir offenbaren
wir uns,
Heilig, heilig, heilig Gott, Herr aller Mächte und
Gewalten.
Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.
Hosanna.
Michelangelo: Statue der "Nacht", Neue Sakristei der Medici-Kapellen, Florenz
Die Trauerode Nr. 2 "La notte" von 1864 greift ein Klavierstück von 1838/39 auf: "Il Penseroso" (aus den "Années de Pélérinage"). Anreger für die Komposition war die Michelangelo-Statue des Florentiner Medici-Grabes. Der Werktitel ist Michelangelos gleichnamigem Gedicht entnommen, das dergestalt beginnt:
Ich lieb' den Schlaf; doch dass ich Stein bin, preise ich höher, da nur Schmach und Leid bestehen. Glück ist mir, nichts hören und nichts sehen, drum wecke mich nicht auf; o sprich leise!
Im Anfang- und Schlussteil des Werkes orientiert sich Liszt am genannten Klavierwerk. Über den neu komponierten Mittelteil ist eine Zeile aus "Äneis" von Vergil gesetzt, wo sich der sterbende Feldherr Antor an seine griechische Heimar Argos erinnert: "Dulces moriens reminisatur Argos". Dazu erklingt eine "ungarische Kadenz". Liszt wollte dieses Werk aufgrund dieses Ungarn-Bezuges auf seiner eigenen Beerdigung gespielt haben; dieser Wunsch wurde indes nicht erfüllt, da die erste und zweite Trauerode erst 1912 uraufgeführt wurden.
Unbekannter Maler: Torquato Tasso (1590er Jahre)
Die Trauerode Nr. 3 "Le triomphe funèbre du Tasse" schließlich entstand im Jahre 1866. Hier widmete sich Liszt abermals dem italienischen Dichter Torquato Tasso, der ihn bereits zu seiner zweiten Tondichtung "Tasso, Lamento e Trionfo" inspiriert hatte und ihm ein ähnliches Vorbild war wie der hl. Franziskus von Assisi. Das Stück ist sozusagen eine Fortsetzung der Tondichtung.
Es wurde gleichsam der Triumphzug für den Leichnam des Tasso in Rom, der von Kardinal Aldobrandino beschrieben wurde, in Musik gesetzt. Zunächst erklingt ein seufzerartiges Motiv, worauf eine verkürzte Variante des "venezianischen" Themas aus der Tondichtung "Tasso" im Blech erklingt. Die Holzbläser und Geigen stimmen hingegen im Gegensatz dazu ein lyrisches Thema an. Im Mittelteil markiert eine prächtig verzierte Melodie das "lorbeerumkränzte Haupt" des Tasso. Der Schlussteil beginnt mit einem Wiederaufgreifen des lyrischen Themas und verklingt schließlich mit dem Hauptthema. Anders als die beiden vorherigen Traueroden wurde die dritte bereits zu Lebzeiten Liszts uraufgeführt, nämlich 1877 durch die New York Symphony Society unter Leopold Damrosch.
Die drei Traueroden sind absolut hörenswert (m. E. insbesondere die erste und die dritte) und stellen eine schöne Ergänzung zu den Symphonischen Dichtungen von Franz Liszt dar. Wer diese mag, wird auch die Traueroden schätzen. Gerade die Trauerode mit Tasso-Bezug ist fast eine Art Tondichtung.
Aufnahmen dieser Werke gibt es bis heute nicht viele. Die Weltersteinspielung der drei Taueroden erfolgte im Jahre 1994 durch Karl Anton Rickenbacher mit dem Runfunk-Sinfonieorchester Berlin (Koch/Schwann). Es handelt sich noch immer um die Referenzaufnahmen. Erst jüngst erfolgten weitere Einspielungen: 2010 legte Ilan Volkov mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra eine weitere Aufnahme vor (Hyperion) und 2011/14 Martin Haselböck mit dem Orchester Wiener Akademie auf historischen Instrumenten (Membran/Alpha).
Spielzeiten:
Les morts: 10:49 (Rickenbacher) - 10:11 (Volkov) - 8:37 (Haselböck)
La notte: 12:47 (Rickenbacher) - 11:56 (Volkov) - 11:20 (Haselböck)
Le triomphe funèbre du Tasse: 11:14 (Rickenbacher) - 12:23 (Volkov) - 11:45 (Haselböck)
(Die Werkinformationen sind dem von K. A. Rickenbacher verfassten Text im Begleitheft seiner Aufnahme sowie jenem von Leslie Howard verfassten Text in der Aufnahme von Volkov entnommen.)