Franz Liszt: Dante-Symphonie

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    Domenico di Michelino: La Divina Commedia di Dante (Dante und die drei Reiche: Hölle, Fegefeuer und Paradies) (1465)


    Eine Symphonie zu Dante's Divina Commedia für großes Orchester und Sopran- und Alt-Chor, S. 109, von Franz Liszt wurde in den Jahren 1855 und 1856 komponiert. Sie ist inspiriert durch Dante Alighieris Versepos "Divina Commedia" (Göttliche Komödie) aus dem frühen 14. Jahrhundert. Die Uraufführung erfolgte am 7. November 1857 in Dresden unter der Leitung des Komponisten selbst, die Erstveröffentlichung 1859 bei Breitkopf & Härtel. Das Werk ist Richard Wagner gewidmet und kann aufgrund seines programmatischen Bezuges auch als Sinfonische Dichtung mit Chor (Frauen- und Knabenstimmen) angesehen werden.


    Die Dante-Symphonie besteht aus zwei Sätzen, wobei sich der zweite in zwei Abschnitte untergliedern lässt:


    I. Inferno
    II. Purgatorio – Magnificat


    Es gibt einen effektvolleren zweiten Schluss, der ad libitum gespielt werden kann. Wagner war davon überzeugt, dass der "pomphafte, plagialische Schluß" auf Wunsch von Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein hinzugefügt worden sei und plädierte dafür, "bei dem sanften, edlen Verschweben" zu bleiben. In der Konzertpraxis hat sich jedenfalls der leise Schluss durchsetzen können.


    Hinsichtlich des im Magnificat auftretenden Chores gibt es in der Partitur folgende Anweisung: "Der Frauen- oder Knabenchor soll nicht vor dem Orchester aufgestellt werden, sondern mit dem Harmonium unsichtbar verbleiben, oder, bei amphitheatralischer Einrichtung des Orchesters, ganz oben Platz nehmen. An Orten, wo sich eine Galerie über dem Orchester befindet, würde es geeignet sein, den Chor und das Harmonium dort aufzustellen. Das Harmonium muss jedenfalls in der Nähe des Chors bleiben."


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    Anders als von der bekannteren Faust-Symphonie gibt es von der Dante-Symphonie nur eine recht überschaubare Anzahl an Einspielungen. Gemeinhin werden die Aufnahmen von Daniel Barenboim mit den Berliner Philharmonikern (Teldec, 1992) sowie von Giuseppe Sinopoli mit der Staatskapelle Dresden (DG, 1998) (beide live) als die gelungensten angesehen. In der Aufnahme von Jesús López-Cobos mit dem Orchestre de la Suisse Romande (Decca, 1981) ist der zweite Schluss als zusätzlicher Track am Ende vorhanden.





    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nachdem ich mir mittlerweile sowohl die Aufnahme von Sinopoli als auch die von Barenboim komplett angehört habe, wäre meine Empfehlung letztere. Zum einen spielen die Berliner Philharmoniker noch besser, zum anderen ist der Klang der Teldec-Einspielung gelungener. Live-Geräusche sind praktisch nicht vorhanden. Ob nur eines oder mehrere Konzerte mitgeschnitten wurden, geht aus dem Booklet nicht eindeutig hervor (Aufnahme: Schauspielhaus Berlin, Februar 1992).


    Bei Sinopoli sind Publikumsgeräusche hingegen deutlich vorhanden; da hätte die DG lieber ein wenig mehr Zeit hätte investieren sollen. Es scheint sich um den Mitschnitt eines einzigen Konzertabends vom April 1998 aus der Semperoper zu handeln, deren Akustik bekanntlich ohnehin nicht ideal ist. Hie und da gibt es ein paar Unsauberkeiten der Staatskapelle, die korrigiert werden hätten sollen. Trotz allem ist die Interpretation schon sehr gut, nur erscheint mir Barenboims eben insgesamt noch gelungener.


    Beide Dirigenten entschieden sich übrigens für den leisen Schluss und folgten insofern Wagners Rat.


    Hier noch die Spielzeiten:


    Berliner Philharmoniker/Barenboim: 21:35 - 20:49 - 7:33 = 50:02
    Staatskapelle Dresden/Sinopoli: 21:28 - 23:02 - 7:56 = 52:26

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Josef,


    die Dante-Sinfonie hatte schon immmer bei mir volle Begeisterung ausgelöst ..... weil ich mit der "richtigen" Aufnahme (zuerst auf LP) begonnen hatte = Orchester des Bolshoi Theaters Moskau (und Chor) / Boris Khaikin (Melodiya/Eurodisc-LP) !


    *** Alles was ich danach später auf CD hörte hat bei mir eher den Gedanken an "kalter Kaffe" ausgelöst ...was für ein lascher Kram :no::?:

    Zitat

    Zitat von mir von 2011:
    Die Dante - Sinfonie ist in der Masur-Box (EMI) gut und einwandfrei; aber wenn man die alte aber klanglich ordentiche Stereo-Aufnahme mit dem Orchester des Bolshoi Theaters Moskau / Boris Khaikin (Eurodisc-LP) kennt, dann kann man meinen Kommentar (an anderer Stelle), das Liszt hier Schostakowitsch vorwegnimmt klar nachvollziehen. Leider habe ich diese Aufnahme nur auf einer "gutbehüteten" Eurodisc-LP vorliegen. Aber dafür bediene ich mich auch nochmal (ausnahmsweise) meines Plattenspielers mit einem guten Shure - System !

    Wie spannungsgeladen man dieses Werk interpretieren kann, haben offenbar nur die Russen drauf (mit ihrem typischen für mich traumhaften Orchesterklang) !


    Zitat

    Zitat von 2013:
    Da kann ich nur Danke für die INFO sagen , dass diese Aufnahme jetzt auch auf CD erhältlich ist (und sogar preiswert). Bei keiner Aufnahme wird im Inferno mehr deutlich, wie sehr Liszt in einer Passage bereits Schostakowitsch vorwegnahm (oder Schosty hatte diese Passage in ähnlicher Weise übernommen ?!?).



    Bei jpc ist als Aufnahmedatum das jahr 00 = 2000 angegeben. Das kann schonmal gar nicht stimmen, weil ich meine Eurodisc-LP dieser Aufnahme bereits seit den 80er-Jahren habe - und da war Khaikin bereits "ein alter Knochen", aber er hat´s drauf ! Bei der Eurodisc - LP ist (wie fast immer) kein Aufnahmedatum angegeben. Ich schätze vom Melodiya-Klang her = 70er-Jahre.


    Das ist meine LP, die sich immer noch wohlbehütet in Plattenschrank befindet ( ;) aber nicht mehrt gehört wird):
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    Melodiya/Eurodisc, LP


    Nachdem ich mich jahrelang mit dieser "Kratzware" für diese Sinfonie rumschlagen musste, gab es dann 2013 endlich diese CD - Auflage dieser Hammeraufnahme, die ich dann sogleich bestellt hatte. Ich meine ich hätte auch bei Tamino davon berichtet.


    :thumbsup: die CD ist ein Must-Have =
    - Aufnahmedatum ist weder auf der Eurodisc-LP noch auf der CD angegeben müsste ~ 70er-Jahre sein -


    Der Klang ist aber auf der CD mit SBM bestens remastert, ausgezeichent und lässt "kein Auge trocken":



    Audiophile Classics, P2001, AD ???, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich hätte Hanslicks Verriss, von Alfred im Thread über die Faust-Sinfonie gepostet, nicht lesen sollen. Jetzt habe ich das Problem, dass mich des Scharfzüngigen Argumente überrumpelt haben. Ich muss mich also zwingen, Hanslicks Argumentation beiseite zu schieben, will ich mich auch noch den anderen Werken Liszts widmen.


    Ich stelle fest, dass man die Texte, die der Komponist als Vorlage für seine Sinfonischen Dichtungen benutzte, kennen muss. Konnte ich da beim ‚Faust‘ noch einigermaßen folgen, ist es bei der ‚Dante‘-Sinfonie, die ich aus der nebenstehenden Box hörte, schon wesentlich schwerer, denn der Inhalt der ‚Divina Commedia‘ ist mir unbekannt, nur der Titel geläufig.


    Ich las, dass Liszt ursprünglich drei Sätze geplant hatte (Inferno-Purgatorio-Paradisum), durch Richard Wagner aber von einer Vertonung des letzten Teiles abgehalten wurde. An dessen Stelle setzte er stattdessen das Magnificat für Frauen-(oder Knaben-)Chor. Diesem Magnificat hat er einen ätherisch verklingenden (der zumeist gespielt wird) und einen jubelnd triumphierenden Schluss gegeben. Die von mir aus der nebenstehenden Box gehörte Einspielung ist eine Live-Aufnahme aus dem Concertgebouw Amsterdam im Jahre 1995. Die Interpreten sind das Niederländische Philharmonische Orchester mit seinem (Frauen)Chor, die Leitung hatte Hartmut Haenchen, und er dirigiert den leise verklingenden Schluss.


    Der erste Satz ‚Inferno‘ mit seinem bläsergetränkten (einschließlich der Basstuben) Beginn lässt mich tatsächlich an die Hölle denken, zumal ein stetig wachsender Paukenwirbel und ein Tamtam-Schlag die düstere Stimmung vertieft. Fast barbarisch dann der Einsatz der Hörner und Trompeten - da ist der Gedanke an ‚Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr eintretet‘ durchaus berechtigt. Es gibt aber einen Mittelteil, der mit Harfenklang an das Liebespaar Paolo und Francesca da Rimini erinnern soll, die ihr unseliges Tun mit ewiger Verdammnis büßen müssen. Den Schluss dieses Satzes bildet aber wieder der rasante ‚Höllenritt‘- es ist eine erschütternde Inspiration.


    Der zweite Satz ‚Purgatorio‘ (was angeblich fehlerhaft mit ‚Fegefeuer‘ statt mit ‚Läuterung‘ übersetzt wird) ist, den Sinn des Titels treffend, beruhigend in seiner Wirkung: Leise Streicherstellen, verhaltene Harfenklänge, zarte Holzbläsermotive vom Horn umspielt - Liszt findet beruhigende, fast kirchlich anmutende orchestrale Klänge, die das Entsetzen aus dem Eingangssatz völlig aus dem Kopf schieben.


    Der Lobgesang Mariens (‚Magnificat anima mea‘, Lukas 1) anstelle des (nicht komponierten) ‚Paradieses‘, vom Frauenchor (Männerstimmen sind nicht vorgesehen) vorgetragen, wirkt auf mich wie der Gesang von Engeln, zumal auch das Orchester vollkommen zurücktritt - über dem ganzen Satz liegt jener oben erwähnte ätherische Zauber. Ein beruhigender Schluss. (Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob ich an einer Stelle dieses Lobgesangs ein Harmonium vernommen habe - es kam mir jedoch so vor, mag jedoch auch ein Hör-Irrtum gewesen sein.)


    Der CD ist auch eine Paraphrase über Allegris ‚Miserere‘ und Mozarts ‚Ave verum‘ ( betitelt ‚À la Chapelle Sixtine‘) beigegeben, ein ebenfalls interessantes Stück, das ursprünglich für Orgel komponiert, von Liszt später mit ätherisch-leichten Orchesterfarben gefasst wurde. Nach dem Verklingen der 'Dante'-Sinfonie ist das ein durchaus passender Füller...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • die Leitung hatte Hartmut Haenchen, und er dirigiert den leise verklingenden Schluss


    Soweit ich das überblicke, handhaben das beinahe alle Dirigenten in den relativ wenig verfügbaren Aufnahmen so. Lediglich López-Cobos fügt den effektvolleren zweiten Schluss als Zusatztrack hinzu. So überzeugend der ruhige Schluss auch ist: Es wäre wahrlich kein großes Problem, den etwa einminütigen zweiten Schluss als Bonus anzuhängen. Man könnte sich dann als Hörer ja entscheiden, ob man den hören will oder nicht. Riccardo Muti dirigierte die Dante-Symphonie letztes Jahr in Chicago ebenfalls mit demselben. Ich hoffe, dass die Aufnahme irgendwann mal bei CSO Resound erscheint.


    (Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob ich an einer Stelle dieses Lobgesangs ein Harmonium vernommen habe - es kam mir jedoch so vor, mag jedoch auch ein Hör-Irrtum gewesen sein.)


    Du hast völlig richtig gehört, lieber musikwanderer. Ein Harmonium kommt vor. Siehe dazu auch meinen Eröffnungsbeitrag.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Du hast völlig richtig gehört, lieber musikwanderer. Ein Harmonium kommt vor. Siehe dazu auch meinen Eröffnungsbeitrag.

    Ja, dass Du das schon mitgeteilt hattest, war mir entfallen. Es gibt so Momente, da frage ich mich, ob ich mir wegen meines Gedächtnisses Sorgen machen muss...


    ;(?(:wacko::(

    .


    MUSIKWANDERER

  • Zitat


    Der zweite Satz ‚Purgatorio‘ (was angeblich fehlerhaft mit ‚Fegefeuer‘ statt mit ‚Läuterung‘ übersetzt wird) ist, den Sinn des Titels treffend, beruhigend in seiner Wirkung: Leise Streicherstellen, verhaltene Harfenklänge, zarte Holzbläsermotive vom Horn umspielt - Liszt findet beruhigende, fast kirchlich anmutende orchestrale Klänge, die das Entsetzen aus dem Eingangssatz völlig aus dem Kopf schieben.


    Das Purgatorium ist bei Dante ein Berg der Läuterung, den die Seelen hinaufsteigen müssen, um ihre Sünden zu büßen.
    Außerdem ist es der Abschnitt, der, obwohl es sich um ein "Jenseitsreich" handelt, noch unter dem "normalen" Himmel (nur eben der Südhalbkugel, die in Dantes Vorstellung vom Meer bedeckt ist und als einzige Landmasse den Läuterungsberg enthält) stattfindet. Verglichen mit Hölle und den höheren Sphären hat man hier ungeachtet der Idealisierung ansatzweise den Eindruck einer "Bergwanderung" in der irdischen Natur.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Den leise verklingenden Schluss, den ich vorziehe, wählte auch György Lehel in dieser Einspielung, die mir sehr gut gefällt. Sie ist von großer Klarheit und Schönheit im Magnificat, das mir immer wie die Ankunft im Paradies vorkommt. In diesem Stück tritt Liszt - wie ich es empfinde - in seiner ganzen Einmaligkeit hervor. Deshalb bin ich Joseph dankbar, dass er uns wieder auf die Dante-Symphonie - und nicht nur auf sie - gebracht hat, die ich seit Jahren nicht gehört hatte. Warum nur? Ich habe keine Antwort.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent