Miles Davis Quintet 1968 - davor und danach

  • 1968 war für den 1926 geborenen Jazztrompeter aus East St. Louis am Mississippi sicher sehr turbulent. Wayne Shorter, Sopran- und Altsaxophon, war zum Quintet gestossen, zu Herbie Hancock, Klavier, Ron Carter Kontra- und E- Bass, und zu Tony Williams an den drums. Im Laufe des Jahres kamen Chick Corea für H. Hancock, Dave Holland für R. Carter und Jack DeJohnette ersetzte T. Williams. Aussermusikalisch hatte Miles erhebliche Ehe- und Gesundheitsprobleme.


    Details liest man hier nach:


    https://www.google.com/search?…oe=utf-8&client=firefox-b


    Miles hatte zuvor schon viele LPs und auch Radiotakes aufgenommen, bereits seit den 1955er Jahren. Mit dem seit 1964 bestehenden Quintet hatte sich die Vielseitigkeit der Formation enorm gesteigert. Alle Musiker hatten Musikstudium, stammten teils aus der schwarzen Mittelschicht und hatten viel musikalische Erfahrung bereits gesammelt. Miles besass, wie es sich herausstellte, neben Führungseigenschaften ein Händchen für das Auffinden begabter Nachwuchsmusiker und war experimentierfreudig, was seine Stücke und Besetzungen anging. Die Plattenfirmen, Konzertveranstalter, Radioleute und Jazzclubbesitzer gewährten ihm viele Freiheiten.Aus der Vielzahl des musikalischen Materials ragen einige Stücke bzw. Alben heraus, von denen in diesem Thread die Rede sein soll. Ich will mal damit anfangen, einige zu nennen und darüber zu berichten. Das soll in loser Folge ohne grosses begriffliches, d.h. theoretisches Beiwerk und ohne Anspruch auf Vollständigkeit geschehen. Ich rechne damit und begrüsse es, wenn andere geneigte Foristen ihre Lieblings- LPs oder -CDs hier einbringen.


    Heute geht es los mit der (titelmässig gg. dem Original von 1969 veränderten) CD


    *** Filles de Kilimanjaro *** (rec. 1968 :P )




    Achtung: dieser Titel ist neben dem Vinyl in diversen CD- Ausführungen am Markt; wieso habe ich nicht erforscht, kann ich mir aber denken.


    Das zentrale Stück hieraus ist Miss Mabry (Mademoiselle Mabry), eine real existierende junge Frau, mit der Miles sogar mehr als ein Jahr verheiratet war.


    Ich habe es (die anderen Stücke sind aber auch toll !) als Beispielstück ausgesucht, um einiges zu demonstrieren:- das musikalische Geschehen, insbesondere das Thema, ist sehr übersichtlich und nachvollziehbar, trotz zeitweise ungerader Taktierung. ---> einfach hinhören, laufen lassen ohne mitzuzählen.
    - die beiden Bläser spielen das Thema parallel, aber eben jazzmässig und nicht im Modus der klassischen Musik von Jahrhunderten (genau eben nicht "präzise", nicht "sauber" !)
    - Schlagzeug und Bass agieren mit hoher integrativer Kraft, d.h. funktional wie ein Instrument, wobei der Bass eben nicht nur als Begleiter agiert, sondern auch kontrapunktisch sich entwickeln darf/ soll. Man beachte Tony Williams` unendlich diffiziles und leises, nie aufdringliches Schlagzeugspiel.


    Bei Mme. Mabry handelt es sich um den wahrscheinlich durch Mikrofon- verstärkten Flügel des Studios. Man benutzte allerdings damals auch Tonabnehmer wie sie bei den Elektrogitarren schon vorher im Gebrauch waren. Im Verlauf der Datei ist auch ein weiteres Piano zu hören. - das elektromechanische, tragbare RHODES- (oder Fender Rhodes Piano) von Herbie Hancock. Es erinnert anfangs an die Töne eines Computerspiels, entwickelt aber nach einiger Zeit einen klanglichen und rytmischen Reiz, den man richtig lieben kann und der durch Reduktion und Auswahl der gespielten Töne verstärkt wird - ist meine Behauptung !). Weit früher schon hat das Piano im Jazz schon kontrapunktisch agiert, besonders in seinen Soli, jedoch wurde es aber durchaus noch zu den Rytmusinstrumenten gerechnet. (Das gilt aber nicht für die Pianotrios, z.B. bei Oscar Peterson, wo das Klavier alles unendlich dominiert).
    Das thematische Material ist von grossem Reiz durch den Gegensatz zwischen kürzerer melodiöser Abfolge einerseits, und Einzel- oder kurzen Gruppentönen, die Ruf- oder Lautcharakter haben (nicht im Ggs. zu "leise" !) und als kurzes rhytmisches Ereignis "mitgeteilt" werden. Es ist nie liedhaft oder gar Ohrwurm- noch nicht mal fanfarenmässig. Mitsingen kann man gut, aber nur in kurzen Phrasen. Für heute war`s das.


    MlG
    D. :pinch:

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  • Hallo!


    Eine sehr schöne Idee. Kennengelernt habe ich seine Musik erstmals in der späten Elektrophase mit Bitches Brew und Agharta. Dann habe ich mich langsam zurück gearbeitet.


    Einer der absoluten Klassiker, der auch Nicht - Kennern in dieser Version bekannt sein dürfte ist natürlich Sketches of Spain mit dem viertelstündigen Concerto de Aranjuez:



    Und hier das Album:



    Gruß
    WK


    PS: Ich habe eben nochmal Deine Überschrift gelesen - möchtest Du den Thread auf Quintett-Aufnahmen einschränken? Wenn ja, dann ist natürlich mein Beitrag hinfällig.

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Gute Frage:


    Nein, natürlich nicht nur auf M.D. Quintet begrenzt ! :D


    Du hast intuitiv genau so angeknüpft, wie mir das vorschwebte, super ! Ausserdem war "Sketches..." die erste CD, die ich meiner Frau geschenkt hatte, nachdem ich sie kennengelernt hatte.



    Apropos sketches:


    1) die "Sketches..." jetzt zu bringen, ist thematisch von grossem Vorteil, da man sofort Gil Evans, den weissen Bandleader und Arrangeur mit in unsere Betrachtungen einbeziehen kann. Er hat massgeblich die Arrangements der Sketchesstücke gemacht, zumindest soweit sie die beteiligte Bigband betreffen.
    2) Miles war ja auch ein erfolgreicher Maler und graphischer Künstler, nicht nur in schwarzen Akademikerkreisen.


    Also, nur zu mit Bitches Brew und Nachfolgern ! Dann mach ich mal nach rückwärts....


    MlG
    D.



    Jazzfreunde ! Hier einmalige Gelegenheit, ein für allemal zwischen Gil Evans und Bill Evans unterscheiden zu lernen.


    Hier ist der Link: https://www.google.com/search?…oe=utf-8&client=firefox-b

  • Hallo und guten Morgen aus Kroatien!


    Zwei Bücher, die mir Miles Davis systematisch näher gebracht haben:




    Weiter machen möchte ich mit einem Album, das leider wenig Beachtung im seinem Schaffen findet:



    Das Cover finde ich schon genial (ich will nicht ausschließen, dass es mit Ursache meiner Aufmerksamkeit als Teenager war :P )


    Das Album geht wahrscheinlich auch deshalb etwas unter, weil Miles Davis selbst sich abfällig geäußert hat, nachdem die Aufnahmen bei Veröffentlichung zum Teil bereits Jahre alt waren.


    Meditative und orientatlische Einflüsse machen vor allem die Stücke "Great Expectations" und "Lonely Fire" sehr hörenswert. Besetzung bei Ersterem u.a. John McLaughlin, Herbie Hancock, Chick Corea, Ron Carter und Billy Cobham sowie Airto Moreira Persuccions. Daneben Khalil Balakrishna (Elektrische Sitar) und Bihari Sharma (Tamboura).


    Im dritten Stück "Go ahead John" - gewidmet John McLaughlin der eine lange Soloeinlage hat - sind ständige elektronische Aussetzer zu hören. Wießmüller schreibt in der o. a. Werkschau, es handele sich um einen technischen Defekt. Im muss gestehen, für mich war es bisher immer bewusster Bestandteil des Stückes. am Schlagzeug kein geringerer als Jack DeJohnette.


    Das vierte Stück ist "Ife" mit der herrlichen Bassklarinette von Bennie Mauphin. Zum Schlagzeuger Al Foster, der hier zum Einsatz kommt, schreibt Miles Davis:


    "Schließlich ersetzte ich Jack DeJohnette am Schlagzeug durch Al Foster. er war mir im Cellar Club ... aufgefallen... Eines Abends hatte Howard eine Band mit dem Bassisten Earl Mays als Leader, der früher bei Dizzy gespielt hatte. Es war eine wahnsinnig gute, kleine Band und Al Foster saß am Schlagzeug. Er war umwerfend mit seinem Groove und seinen messerscharfen Einsätzen. Genau das suchte ich. ... Al Foster war bei den Aufnahmen zu Big Fun zum ersten Mal dabei. Er legte das Fundament, auf dem jeder aufbauen konnte und dann hielt er den Groove bis in alle Ewigkeit durch. "


    Hier zum Schluss ein Link auf "Great Ecpectations":



    Gruß und schönen Sonntag an alle Jazzfreunde


    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • In diesem wichtigen Thread ^^ soll es nun weitergehen. Neben diversen Einspielungen des Carnaval liegt die CD "Miles Davis Quintet, Paraphernalia" vor meinen Fingern Richtung Monitor, welche 1969 in der Salle Pleyel, Paris, aufgenommen worden ist.

  • 1967 Karlsruhe- 1969 Rom - das Miles Davis Quintet in der studentischen Realität

    Damals habe ich Musik nur nach dem Gesichtspunkt des Gefallens gehört. Es war der Übergang Schule- Soulband- Bundeswehr - TH Stuttgart- TH Karlsruhe- Paris, aber auch Korsika und Anatolien per Autostop. Dann Heidelberg als Basis allen Lernens und Fühlens über und wegen Musik.

    Das heutige Post fasst mein damaliges Eintauchen in die Jazzpraxis zusammen, zeigt plastisch meine bzw. die Extreme in den Stilen des M.D. Quintetts auf.


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    Das Konzert in Karlsruhe, bei dem ich nicht dabei war, zeigt die Musiker in traditioneller Abendgarderobe, es ist die alte Rhythmusgruppe mit Miles und der neue Tenorsaxophonist Wayne Shorter. Das erste Stück ist im Bebopstil ("alt"), ist jedoch keine geschlossene Komposition mit festem harmonischen und taktmässigen Aufbau, der alle Musiker folgen, sondern besteht aus einer groben Vorgabe der melodischen Eckpunkte und Vorgabe der Skala, besonders häufig war das anfangs d DORISCH (die Halbtonschritte waren zwischen zweitem und dritten Skalenton, also e und f, und zwischen sechstem und siebten Skalenton h und c). Das Melodieinstrument, meist ein Bläser, aber im Verlauf auch Klavier, improvisierten über diese Skala. Das klang merkwürdigerweise fast immer richtig ! Alle anderen Töne waren Neben-, Verbindungs-, Füll-, Verzierungs- oder Übergangstöne. (die d Skala dorisch, also nicht Dur oder moll, war für Holz und Blechbläser am leichtesten zu spielen und vom Blatt zu lesen). (Bis heute ist die modale Spielweise weltweit verbreitet. Und seitdem auch jeder halbwegs ernsthafte Pop- Musiker akademische Hürden bewältigt hat, hat sie eben auch Eingang in die Pop- und U- Musik gefunden. (Man glaubt es kaum: aber einige Schranken zwischen Jazz-, E-, und U- Musik brechen lautlos und in Zeitlupe nieder...)


    Man möge sich erinnern, noch 1967 dachten nur wenige an die totale Auflösung von Melodie, Harmonie und Rhythmus, oder an deren Gleichberechtigung !!! Kein Free Jazz war in Sicht !


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    Ganz anders nun beim nur kurze Zeit später mitgeschnittenen Live Konzert in Rom 1969. Das ist E- Rock- Jazz pur, dessen berühmtestes Tonträger- Produkt die LP / CD Bitches Brew wurde. Und plötzlich begannen sich Rockmusiker für Jazz zu interessieren, ein echtes Revolutiönchen.



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    Die Kleidung der Musiker sagt schon einiges ! Und das Klangbild ist teilweise elektronisch geworden. Das betraf v.a. KLavier, Orgel und Gitarre (nicht hier im Mitschnitt !) . Aber auch M.D.s Trompete. Neu waren - und haben sich rasend schnell durchgesetzt- "Geräte" wie Wah- Wah- Pedal, Phaser, alle Arten von Tonabnehmern, und natürlich Synthesizer in grosser Vielfalt. Klangmässig dominant ist hier vor allem der Einsatz des Fender Rhodes elektromechanischen Klaviers (wahlweise mit 73 oder 88 Tasten) mit elektronischer Verstärkung. Bei der Pop- und Rockmusik schon etwas länger im Gebrauch, wurden einige der kleinen Kästchen rasend schnell nahezu Pflicht und durften ungehemmt Krach machen (man verzeihe mir meine undifferenzierte Ausdrucksweise)


    Trotzdem ein Parodoxon: die Stücke waren, was die Strukturen, Tonarten, Skalen angeht, eher wieder konventionell.


    Neu in 1969 waren Chick Corea, p, und Dave Holland, b sowie Jack DeJohnette, dr



    Eine Art Zusammenfassung dessen, was das M.D.Quintett 1969 war und wohin sie wollten, gibt die CD "Paraphernalia" wieder.





    Bei JPC ist derzeit nur die obige CD erhältlich, Amazon habe ich so spät nicht mehr überprüft. Einige Stücke aus "Paraphernalia" sind aber hier mit drauf.


    Das wär`s für jetzt. Auf bald.


    MlG

    D.

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  • Besonderheiten im Zusammenhang mit der Musik von Miles Davis:


    Seit M.D. angefangen hatte , in einer eigenen Band seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, gab es dort häufige Besetzungswechsel. Manche Besetzungen währten nurmehr über einige Auftritte hinweg, andere aber dauerten Jahre, bis man wieder voneinanderging. Es musste oder konnte teils sehr kurzfristig geplant werden. Auch wechselten die beteiligten Produzenten. Wenn Miles neue Stücke einbrachte, mussten die häufig auch von neuen Musikern "auf die Rille" gebracht werden, dabei war der Umgang Miles`mit seinen Mitmusikern nicht immer freundlich oder gar das, was man anständig nennen konnte.


    Auch brauchte man, um was Neues, gar Experimentelles aufzunehmen, immer wieder Stücke mit quasi Erfolgsgarantie oder mit kommerziellem Charakter, die z.B. in einer Schallplattenproduktion "untergemischt" wurden Obwohl Miles bei weitem nicht der beste Jazztrompeter seiner Zeit war, setzte er seine dominierende Persönlichkeit mit Neugierde und Risiko ein, um seine Projekte zu verwirklichen. Dabei ergaben sich ausgeprägte Beziehungs- bzw. Eheprobleme, Einflüsse seiner mehr oder weniger evidenten Rauschgiftsucht, chronische Leberentzündung, Arthrose und Knochenbrüche.


    Er wurde schon seit den 50er- Jahren so einflussreich im Tonträgergeschäft, dass von vielen Stücken mehrere Aufnahmen gemacht wurden. die man mehr oder weniger planmässig vermarktet und zusammengekoppelt hat. So existieren von einigen Stücken acht bis zehn oder sogar mehr Versionen. Dies macht die Arbeit für den Verfasser von synoptisch oder biografisch orientierten Essays oder Auf- bzw. Zusammenstellungen nicht gerade leichter.


    Schliesslich wurde Miles von seinem Vater, einem Zahnarzt, während seiner Kinder -, Jugend- und jungen Erwachsenenzeit nach Kräften unterstützt:


    "Mittlerweile (1945) war er Mitglied in Charlie Parkers Quintett und machte im November 1945 seine ersten Plattenaufnahmen gemeinsam mit Charlie Parker (Die „Koko“-Session). Obwohl Davis’ Trompetenstil bereits ausgeprägt war, mangelte es ihm an Selbstvertrauen und an der technischen Virtuosität seiner Vorbilder. Sein Vater hatte Verständnis für seinen Sohn und ermutigte ihn: „Miles, hörst Du den Vogel da draußen? Das ist ’ne Spottdrossel. Sie hat keine eigene Stimme, sie macht nur die Stimmen der anderen nach und das willst du nicht. Wenn du dein eigener Herr sein willst, musst du deine eigene Stimme finden. Darum geht’s. Sei also nur du selbst.“


    Und:
    "Sein großes Comeback hatte Miles Davis im Juli 1955, als er unangekündigt beim Newport Jazz Festival für drei Stücke auf die Bühne kam und zu Monks ’Round Midnight ein legendäres Solo spielte. Dieser Auftritt führte dazu, dass George Avakian ihn bei Columbia unter Vertrag nahm, obwohl er gleichzeitig noch einen Vertrag bei Prestige zu erfüllen hatte. Die Erlaubnis dafür erreichte er bei Prestige, indem er sie überzeugte, dass Prestige bei den noch ausstehenden Aufnahmen von der Werbung der wesentlich größeren Plattenfirma Columbia profitieren werde."


    (Beide Absätze aus Wikipedia)


    Es ist durchaus typisch für Miles Davis, wie er sich mutig und risikobereit, und letztlich erfolgreich vor aller Augen ins Spiel brachte und sich in Szene setzte.




    MlG

    D.











     

  • Noch ein kurzer Bezug zum vorher geschriebenen (nach Durchhören der beiden CDs "Paraphernalia" und "Miles in the sky")


    Wenn man auf Google "Miles Davis, Paraphernalia" eingibt wird einem häufiger der Link auf die CD "Miles in the sky" ausgegeben und nicht auf die Original- CD, welche eine live- Aufnahme aus der Salle Pleyel vom 5. Nov. 1969 ist. Ohne zu mutmassen fällt auf, dass es sich hierbei eindeutig um Free Jazz handelt, den man nicht mehr strukturell und anderweitig verfolgen kann. Durchaus mit einem Klangbild, für das v.a. Chick Corea am klangmässig veränderten FENDER RHODES elektro- mechanischen Piano verantwortlich war, und natürlich auch der Meister himself, welcher die "Sprache" seiner Klangfetzen, besser ist es shouts zu sagen , hierbei verfeinert oder überhaupt erst formuliert hat, für mich als Melodie- Material- Fan von grossem Reiz. Trotzdem schreiben Biografen und Kommentatoren, dass Miles keinesfalls zum Free Jazz gelangen oder in diesen hineingeführt werden wollte.


    Ich spekuliere jetzt mal: bereits vier Jahre vorher war John Coltrane mit seiner Gruppe im Free Jazz angekommen, u.a. mit der LP "Live at the Village Vanguard again" und "Ascension" (wir erinnern uns, J. Coltrane war nur widerstrebend zu bewegen, 1959 die Miles Davis Group, in der er gerade noch mitspielte, eben nach Paris zu begleiten, bevor er mit seiner eigenen Band ziemlich schnell die Jazzwelt begann zu begeistern). Miles wollte keinesfalls "etwas zu spät" im Free Jazz ankommen und hat seine PR entsprechend ausgerichtet. Gleichzeitig hat man vielleicht das Pariser Publikum als am reifsten in Europa für diese sehr freie Musik eingeschätzt (ich konnte auf der CD keine Publikumsäusserungen zuordnen und interpretieren).


    Wenn man sich das dort spezifische Free Jazz Idiom mal interessehalber "geben" möchte, hier also das Original Konzert aus 11/1969 aus der Salle Pleyel in Paris (identisch mit der CD "Paraphernalia"



    (bitte auf das winzige Pünktchen klicken !)


    (ausserdem hat inzwischen jeder hier schon gemerkt, dass meine Affinität zum Free Jazz ziemlich begrenzt ist !)


    Last but not least:

    die andere CD, um die es hier geht,. "Miles in the Sky" (siehe mein Beitrag # 7 oben, mit dem CD Link, ist eine runde Sache, sehr schöner, feiner Jazz Rock, ungefähr gleichzeitig mit der tausend Mal zitierten Doppel- LP "Bitches Brew" aufgenommen, wie immer in mehreren Takes, teils ganz unterschiedlich veröffentlicht. Auf "Miles in the Sky" spielt Herbie Hancock zu Beginn das Fender Rhodes Piano, im zweiten Stück wechselt er zum mikrofonverstärkten Flügel, während auf der live- CD aus Paris "Paraphernalia" Chick Corea an den keyboards (= Tasteninstrumenten) zu hören ist.


    M.E. eine der besten Miles Davis- CD, weil sehr gut zusammengestellt ! Und eben kein Free Jazz !

    Einmal editiert, zuletzt von Damiro ()

  • Die nächsten Textabschnitte befassen sich mit den stilistisch fassbaren Zeiten des Bebop und des Cool Jazz, sollen eine Art Leseeinheit bilden. Um diese zeitliche Progression Swing ---> Bebop ---> Cool Jazz zu illustrieren habe ich zwei Stücke ausgewählt, die mein Jazzerleben nahezu geprägt haben, die ich jedenfalls gut kenne und immer noch liebe.


    Das erste Stück ist "A night in Tunesia", geschrieben vom Bebop Trompeter und Bandleader Dizzy Gillespie, in mehreren Versionen gespielt (Aufnahmen von 1946 und später). Das zweite Stück ist die Ballade "Round (about) Midnight", ein langsames Stück von Thelonius Monk und dem Bandleader Cootie Williams (Aufnahmen ab Anfang der 50er Jahre).


    Das teils gehetzt wirkende erste Stück bringt uns nahe, wie Miles Davis sich vom damals viel bekannteren Dizzy Gillespie unterschieden hat: Miles benutzte einen Dämpfer für seine Trompete und er spielte wesentlich weniger Töne als Gillespie und der spektakuläre kubanische Trompeter Arturo Sandoval, für die Zuhörer leicht zu bemerken und sich zu merken. Es gelingt Miles, sich vom ausdrucksstarken und virtuosen Charlie Parker (am Altsaxophon = as) abzugrenzen, auch vom Tenorsaxophonisten (ts) ohne "ein anderes Stück" zu spielen, sozusagen komplementär zum ersteren zu agieren... In diesem rasenden, lärmenden Stück ist Miles die Ruhe selbst, sogar mit poetischen Unterton. Bandleader war Miles damals noch nicht, das waren jeweils Charlie Parker und Dizzy G.


    Und nun die Hörbeispiele zu "A night in Tunesia", was die ganz einfache Struktur A A`B A C hat.







    (aufgenommen in 3/1946). Der Tenorsaxophonist ist Lucky Thompson. Miles spielt, gedämpft, das Thema und seine Wiederholung, Ch. Parker auf dem as den B- Teil, alle drei Bläser den C- Teil. Bis dann Ch. Parker den atemberaubenden Einstieg in den Improvisationsteil liefert und den ersten Durchgang derselben, später der T.saxofonist und der Gitarrist ihre Soli ausbreiten.


    Typisch und im Ggs. zur folgenden Version mit dem Komponisten D. Gillespie ist das relativ gemächliche Tempo des Stücks. Das "Original" des Stücks ist deutlich schneller aufgenommen.


    Im folgenden eine Version der "tunesischen Nacht" mit deren Komponisten D. Gillespie und Arturo Sandoval, einem sehr virtuosen, auch stark auf Wirkung bedachten kubanischen Trompeter (aufgen. live in Havanna). Sie spielen die A- und B- Teile auch eher gemässigt, in halbem, dann den C- Teil in doppelten Tempo. So geht es mit den Improvisationen weiter.


    Nun Gillespie und Sandoval (der Saxophonist spielt ein Bariton- Saxophon) :






    Und noch ein Beispiel aus den 80er Jahren (aber bei YT eingestellt bzw. dafür freigegeben vor ca. 5 Jahren), wie man dieses Stück nicht spielen sollte, besser gesagt: der Beweis, dass man dieses Stück auch betanzen, beklatschen, bestampfen:baeh01: kann, oder auch: wie behäbig und arbeitsam man sich in seinen eigenen Tönen fühlen kann:




    "Round about Midnight" möchte ich jetzt doch erst im nächsten Beitrag besprechen.



    MlG

    D.

    4 Mal editiert, zuletzt von Damiro ()

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  • Nun geht es weiter mit dem zweiten Stück meiner Betrachtung dieser bekannten und bahnbrechenden Kompositionen. Es folgen verschiedene Interpretationen von "Round About Midnight". Hier geht es darum, zum einen aufzuzeigen (erstes Hörbeispiel), welchen Weg diese Komposition überhaupt genommen hat, um in das Bewusstsein der Zuhörer und Tänzer zu gelangen, zum zweiten den Anteil/ Einfluss des Aussenseiterpianisten Thelonius Monk auf die (schwarze) New Yorker Musikszene, speziell auf die hier besprochene Komposition zu beleuchten (zweites Hörbeispiel), schliesslich herauszufinden, was Miles Davis mit diesem Stück anzufangen wusste (im zweiten und dritten Hörbeispiel).


    Es handelt sich um den Mitschnitt des Auftritts des Thelonius Monk Quartetts beim "Woodstock Jazz Festival" 1955, wo Thelonius Monk am Klavier sich plötzlich mit dem in das Scheinwerferlicht und in den Kreis der Mikrophone tretenden Miles Davis konfrontiert sieht und sie alsbald zusammen musizieren. Bis zu diesem Moment war Miles Davis lediglich ein Jazzmusiker wie jeder andere auch. Dieses Solo zeigte, wozu Miles gestalterisch und auch schon spielerisch fähig war und wie er sich traumwandelnd durch die ziemlich komplexen Harmoniewechsel des Stückes, die ja nun mal festgelegt waren (aber nur die Harmoniefolge !), findet. Auch Monk war so beeindruckt, dass er - ganz und gar im Dienst des gerade eben Erklungenen- ein ziemlich lyrisches Klaviersolo in die Tasten drückt, ganz im Gegensatz zu seinen üblichen klavieristischen Exaltismen.


    Das dritte Hörbeispiel soll verschiedene Grade der Abstraktion des thematischen Materials dieser Komposition "Round About Midnight" vorstellen. (Ich möchte hier noch erwähnen, dass "Round `bout Midnight" im Laufe der Jahre über 200 x durch verschiedene Bands aufgenommen und verkauft worden ist)





    Wir haben jetzt das Cootie Williams Orchestra mit der allerersten Aufnahme von R. a. M. gehört, aufgenommen zwischen 1941 und 44, eine Art historische Interpretation, wobei C. Williams die Trompete stets mit Vibrato spielt, damals der Normalfall. Ich denke, dass man diese Version als Liebes- und/oder Abschiedslied erfühlen konnte, denn in der Welt passierten nach und nach Pearl Harbour, die Invasion der Normandie und andere Schrecklichkeiten, wo die US- Jungs (und all die vielen "anderen" ihre Köpfe hinhalten mussten. Für mich wirkt die Interpretation auch etwas kitschig.



    ABER NUN

    folgt das berühmte Newport Solo von Miles Davis 1955 mit Thel. Monk am Klavier:




    Miles spielt diese Passagen teils mit, teils ohne Vibrato. Monk spielt, wie es sich für einen guten Begleiter gehört, relativ wenige, aber dafür die wesentlichen Töne.



    ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++


    Abschliessend für dieses Post noch zwei spätere Versionen von R.a.M., mit Miles Davis, einmal vom 4.11.1967, aufgen. beim Berliner Jazzfest, und noch einmal 1969, aufgen. im sommerheissen Juan- les- Pins, Südfrankreich.









    Im Anschluss an das langsame Solo von M.D. hören wir sehr schnelle, teils rasende Soli auf dem ts (Wayne Shorter) und p (Rhodes Piano)(Chick Corea) !!!





    Vorschläge und Anregungen willkommen, natürlich auch Hinweise auf Fehler jeglicher Art !!!:rolleyes:


    Bald soll`s weitergehen...




    MlG

    D.

  • Guten Morgen,


    Ich habe von ML nur drei CDs - Kind of Blue ( als SACD ) , Tutu, und Porgy and Bess.....Round about Midnight fehlt mir - wie wäre denn folgende Version ?


    Kaufen ?


    Gruss


    Kalli

  • Ja, warum nicht.

    Es sind einige wirkliche Standards dabei in meist frühen Versionen, also vor 1965. Für 4,95 sehr schön.


    MlG

    D.

  • Danke,


    Ist schon bestellt, und auch noch Sketches of Spain, Autumn Leaves und Miles Ahead - da kann ich mich gut einhören.


    Kalli

    Einmal editiert, zuletzt von kalli ()

  • Gute Wahl finde ich.


    Wenn ich kein Fan des Gil Evans Orchestra wäre, müsste ich sagen, etwas Big- Band- lastig deine Bestellung. ;)


    MlG

    D.

  • Jo,


    Dann ist das nicht schlimm - ich mag Evans und Big Band Sound sowieso.....aber Jazz Trios oder Quartet/ Quintets ebenso....ist eben "intimer" und "purer" .

  • Hallo!


    Jetzt möchte ich es doch wissen:


    Gibt es Damiro noch bei uns?


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Hallo WoKa, @ all,


    ja, doch, Damiro gibt es weiterhin, aus Forumssicht wieder. War und bin auf der Enkelebene erheblich engagiert.


    Ich denke, im Carnaval- Thread werde ich mich bald um Claudio Arrau und Boris Giltburg (u.a.) kümmern, im Miles- Thread möchte ich mir als nächstes die abklingende "Rock- Jazz"- Zeit seit den Bitches Brew- CDs vornehmen. Miles Davis` Vermarkter betreiben ihr business so, dass der Musikfan den Überblick zu verlieren droht, was Aufnahmedaten, Versionen, Takes, Aus- und Einkopplungen angeht.

    Die Eckdaten seines Lebens sind: geb. 1926 in Alton, Illinois, gest. 1991 in Santa Monica, Californien

  • Finde ich schön, dass du "Rock-Jazz" schreibst. Meistens wird das ja umgekehrt verwendet. Aber bei Davis ist es so klar, dass das Wesen der Musik wirklich nur über den Begriff Jazz kategorisiert werden kann - wenn man so etwas nicht grundsätzlich ablehnt.

    Ich hatte in den letzten beiden Monaten viel mit Davis am Hut. "Bitches brew", "In a silent way", "Agharta" - das sind meine großen Lieblinge der elektrischen Phase. Hochinteressant auch die Übergangsphase dahin, z.B. auf dem Album "Filles de Kilimanjaro" eingefangen. Das allerbeste Ensemble aber höre ich weiterhin im "Second great quintet". Die Fünf unternehmen da miteinander die waghalsigsten Höhenflüge in den buntesten Formationen. Höchst faszinierend.

  • Ja natürlich, der Jazzfreund macht sich wohl eher Gedanken über die Zuordnung der gehörten Musik als der Rock`n Roller, der neben Rock vielleicht auch ein bissle Jazzrock mag, In "Bitches Brew" blubbert und gluckst die Musik doch ziemlich, da hätte eine LP oder CD gereicht wie ich finde. Aber der angebotene Doppelpack hatte sich damals (bis heute !) recht gut verkauft, diese Doppel- LP hatten in meiner damaligen Umgebung doch einige sofort angeschafft. Die aber waren aber keine Rockfans !


    Danke für die Erwähnung von "In a Silent Way", die ich in meiner bisherigen Aufzählung vergessen hatte , sehr schöne immer noch jazzige Musik. "Filles de Kilimanjaro" war und ist meine Lieblings- CD aus 1968/ 69.


    Trotz Miles` "schwieriger" Persönlichkeit waren viele junge Musiker bereit, bei ihm zu spielen, denn er sagte stets (sinngemäss): Nun mach mal ! Du sollst spielen, was du für richtig hältst ! Eine grosse Freiheit, aber auch grosse Herausforderung für neue Leute.


    Ja, das sog. second quintet war immer wieder auch ein sextet oder septet, zog also tolle neue Solisten an, stiess diese aber auch mal wieder ab, z.B. Tony Williams, John McLaughlin u.a. Man muss beim amerikanischen Jazz immer daran denken, dass die Bands so spielen mussten, dass auch genügend Publikum in die Clubs kam. ;)

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  • Schade, dass der Woka weg ist. Warum nur???? --- und Leiermann ( ---> haaaalo !)


    -------- - - - -


    Heute möchte ich ein tolles Stück Musik von Miles D. wieder propagieren, bzw. nahebringen:



    Hier sind sich postserielle Musik und Jazz mal sehr, sehr nahe gekommen. Ich bin 20, als die das aufgenommen haben. das geht deshalb weit über eine Erinnerung hinaus.

  • Diese Box mit 70 CDs und 1 DVD steht im Regal und enthält alle Scheiben, die Miles Davis für Columbia aufgenommen hat. Erstaunt hat mich, dass der "Ziegelstein", entsprechendes Gewicht und Grösse hat er, immer noch im Katalog ist.


    Ich hatte mir, als sie erschien, alle Scheiben angehört. Das muss ich wiederholen.



    Von 1949 bis 1985 hat Miles Davis bei Columbia veröffentlicht. Es ist auch unveröffentlichtes Material enthalten. Das Booklet ist ein dickes Buch mit allen diskographischen Angaben. Auf der DVD ist keine Doku über den Jazztrompeter, nein, es ist ein Konzert aus dem Jahr 1967 mit dem Quintettt Wayne Shorter, Herbie Hancock, Ron Carter, Tony Williams. Da wird sichtbar, wie ein Live-Konzert ablief.


    1989 erschien bei der schweizerischen Kulturzeitschrift Du ein Heft, das Miles Davis zum Thema hatte. Es ist vergriffen. Antiquarisch wird man fündig.


    thumb_759_MagazinCover_contentDetail.jpeg

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Diese Box mit 70 CDs und 1 DVD steht im Regal und enthält alle Scheiben, die Miles Davis für Columbia aufgenommen hat. Erstaunt hat mich, dass der "Ziegelstein", entsprechendes Gewicht und Grösse hat er, immer noch im Katalog ist.

    Da ich ja nun mit Reger und Liszt auch im Besitz wertvollen Baumaterials für Babylontürme aus CDs bin, kann ich dem Ganzen eine gewisse Attraktivität nicht absprechen. Sollte man allerdings in die untenliegenden Backsteinschichten müssen, entwickelt sich alles zu einem CD-Mikado :(


    Sicher in moderato s Backstein auch vorhanden, aber bisher noch nicht angesprochen worden, ist das folgende Album



    Ich habe es mir um das Erscheinen herum als Doppelalbum (LPs) gekauft und fand es immer sehr schön. Es hat etwas Bruhigendes (meine Meinung). Es ist gemixt aus "Resten" zwischen 1972 und 1974, anders als Bitches Brew und Agartha, und wurde von der Kritik verrissen. Mir allerdings hat es immer gefallen. Man hört eine Menge später sehr bekannter Schlagzeuger und Pianisten darauf ...:)

  • Dass Ihr mit denen zuhause Türme baut, hätte ich nicht gedacht. Oder alle Scheiben anhört, auch nicht.


    Soviele Aufnahmesitzungen kann einer kaum machen wie Miles LPs und CDs herausgebracht hat. Er war doch auch viiiiel mit Aus- und Einkoppeln von "Versionen" beschäftigt...;)


    MlG

    D.