Der schöne Opernabend begann mit einer Überraschung: Die „Gesellschaft der Musik- und Theaterfreunde“ verlieh vor Beginn der Aufführung ihre diesjährigen mit 1000 Euro dotierten vier Preise.
http://www.musik-und-theaterfr…eten/preisverleihung.html
Die Preisverleihung hatte dann einen schönen und zugleich schön-traurigen Höhepunkt: Henrike Jacob, welche die Rolle der „Cendrillon“ übernommen hat, erhielt zum Schluss den Preis, der zugleich eine Verabschiedung war. Denn es wurde offenbar brandaktuell bekannt gegeben, was weder auf ihrer Webseite noch sonst im Netz zu lesen ist, dass nach 10 Jahren ihr Vertrag nicht mehr verlängert wird! Ein wirklicher Verlust, denn sie ist eindeutig ein leuchtender Stern des Ensembles mit ihrer darstellerischen Präsenz und sängerischen Kraft. Besonders hat sie mich zuletzt als „Alcina“ beeindruckt! Die Sängerin hielt dann eine kurze, sehr bewegende und sympathische Rede. Sie lobte das gute Klima im Ensemble, was nicht selbstverständlich sei, wies auf die prekäre Beschäftigungslage von Künstlern hin, die meist mit Einjahresverträgen abgespeist werden, sowie das hohe Gut des Ensembletheaters in Deutschland. Ihr gehe es um lebendiges Theater – und sie verteidige deshalb gegen jeden Kritiker ihre falschen Töne! Recht hat sie, Oper soll Spaß am Theater vermitteln und nicht in sterilem Perfektionismus erstarren! Dieser Abend sei ihr letzter als Mitglied des Münsteraner Ensembles.
Die Aufführung wurde dann ein wirklich ganz wunderbarer Opernabend. Dafür sorgte erst einmal die Musik von Jules Massenet. Sie ist wirklich sehr „französisch“, immer eingängig, Klänge, die den Hörer nicht fordern und „beanspruchen“, sondern vornehmlich gefallen wollen. Aber gleichwohl ist diese Musik niemals „seicht“. Da ist diese französische Leichtigkeit des Seins, die etwas vom Duft impressionistischer Maler hat, gepaart aber mit Sinn für Stil und immer mit guten Geschmack. Sicher, von heute aus klingt diese Musik einer die Handlung untermalenden Filmmusik nicht unähnlich. Es ist aber originäre Musik für das Musiktheater, niemals plump, sondern immer fein, wie es dem zur Überfeinerung neigenden Fin de siècle-Stil entspricht. Da ist viel Witz drin, auch Gefühl, musikalischer Ausdruck, der berührt, aber nie „gewaltsam“ zur großen, erschütternden Emotion wird, sondern – wiederum sehr französisch – die lyrische Intimität wahrt. Massenet schreibt immer „angenehme“ Musik für einen schönen Opernabend, im Kontext der belle époque in einer Ästhetik des Genusses und des Traumhaft-Schönen. Alle Sänger-Darsteller (Gregor Dalal als Pandolphe, Suzanne McLeod als Madame de Haltière, Kristi Anna Isene als Noémie, Christina Holzinger als Dorthée, Kathrin Filip als die Fee, Youn-Seong Shim als Märchenprinz, Stefan Klemm als König) vermochten voll zu überzeugen – auch der Chor, der eine wahrlich anspruchsvolle Partie zu bewältigen hatte, war hervorragend. Henrike Jacob, die in Sarlouis geboren in Paris studierte, war die Rolle wie auf den Leib geschneidert. Am Schluss gab es standing ovations für sie und Blumen zum Abschied – sie war sichtlich gerührt.
Die Inszenierung von Roman Hovenbitzer war einfach fantasievoll und schön, mit wunderbar ausdrucksstarken Einzelbildern. Sie erweiterte die Handlung um die des Films und einer Filmvorführung, indem sie vor allem auf die Stummfilmadaptation von Georges Méliès zurückgriff, wodurch die Traumwelt des Opernmärchens als eine Fantasiewelt für den Zuschauer greifbar wird, indem er in die auf Zelluloid fixierten Träume der belle époque entführt und eingeführt wird. Die Bühnenillusion verschachtelt sich so gleichsam in einer Spiegelung ihrer selbst, das fiktive Märchen wird zugleich zum realen Märchen, zur Belle-époque-Träumerei. Diese Identifizierung gelingt, denn bei Cain-Massenet ist die Wirklichkeit der Liebe nur wirklich als die Realisierung eines (Märchens-)Traums. Genau deshalb, weil es sich bei dieser Art von Regietheater-Erweiterung um ein Spiegelbild träumender Reflexion handelt, bleibt die eigentliche Opernhandlung bestehen. Hovenbitzers Inszenierung zeigt deshalb evident, wie unsinnig und überflüssig Regietheater-Debatten sein können: Die Märchenhandlung bleibt die, die sie ist, sie wird lediglich um eine Sinnebene erweitert als ein fascinosum für die Phantasie. Zum Schluss wurde die Verwandlung in eine Fantasiewelt total, der Zuschauerraum in ein Planetarium, einen Sternenhimmel, verwandelt, der Zuschauer damit selbst Teil des Opern-Märchentraums, welcher vorgibt, die prosaische Realität zum Verschwinden bringen zu können und sich an ihre Stelle zu setzen. Und das Konzept der Regie ging voll auf: Der faszinierte Zuschauer hat diese Aufführung als Ganze begeistert aufgenommen.
Schöne Grüße
Holger