Friedrich Nietzsche als Komponist


  • Für Friedrich Nietzsche war das Komponieren, wie er 1871 an seinen Freund Gustav Klug über seine Komposition „Sylvesternacht“ schreibt, die er zusammen mit Cosima am Klavier keinem Geringeren als Richard Wagner vortrug, ein Akt der Befreiung, in der er sich „durch eine dionysische Weise von dem Bann der Musik freikaufe! Denn so betrachte ich diesen musikalischen Exceß, als einen Freibrief!“ Das erinnert nicht zufällig an Thomas Manns Der Tod in Venedig, wo es auch um die „Bemeisterung“ einer dionysischen Leidenschaft geht durch eine Kunst, die das Ungebändigte, Triebhafte in eine Form zwingt und dann, wenn dies nicht gelingt, in einem Exzess, der Reise nach Venedig, genau dieses Triebhafte auszuleben sucht in einer anderen, dionysischen Kunst. Nietzsche war als Komponist, obwohl Autodidakt, sehr wohl ambitioniert. Denn anders ist nicht zu erklären, dass er seine „Manfred-Medition“ an Hans von Bülow sandte. Die vernichtende Kritik, die alle seine Ambitionen abrupt zerstörte, fiel wohl auch deshalb so schonungslos aus, weil von Bülow offenbar die vermessene Art, wie Nietzsche glaubte Robert Schumann als Komponist abkanzeln zu können, missfiel. Nietzsche schrieb dem Altphilologen Erwin Rhode, dass für ihn dieser „Brief Bülows ... unschätzbar in seiner Ehrlichkeit sei.“ Er habe ihn so erschreckt, dass er seitdem kein Klavier mehr angerührt habe.


    Dass sich Dietrich Fischer-Dieskau vor allem dem Liedkomponisten angenommen hat, ist wirklich verdienstvoll. Denn gerade hier, in der Lyrik des Kunstlieds, zeigt der Komponist Nietzsche seine Qualitäten. Nietzsche als Schriftsteller und Philosoph war ein großer Stilist, der nichts so sehr verachtete wie Sentimentalität und Geschmacklosigkeit, statt dessen auf die Grazie der Form pochte. So sind seine Liedkompositionen höchst kunstvoll, sehr subtil dem Sprachsinn nachhorchend. Wenn Nietzsche später an Wagner und dem Gesangsstil der Wagnerianer das „Expressivo um jeden Preis“ kritisierte, dann versteht man hier warum: Nietzsche vermeidet jegliche Art von expressionistischen Exzessen. So ist das frühe Lied Mein Platz vor der Tür (Klaus Groth) von einem überlegenen, humoristisch-ironischen Tonfall getragen. Nietzsche komponiert schön, geistvoll-flexibel und durchaus originell, so dass man die Zusammenstellung, die Dietrich Fischer-Dieskau und sein Begleiter Aribert Reimann gewählt haben, mit Freude anhört. Das ist Liedkunst von hoher Qualität! Gerade die tragischen Seiten vermag Nietzsche in seinen späteren Liedern mit lyrischer Hintergründigkeit statt vordergründig plakativer Zerrissenheit auszudrücken. In seinen Liedern gelingt ihm das, was er Philosoph proklamiert hatte: die apollinische Bewältigung des Dionysischen. Besonders eindrucksvoll finde ich Ständchen und Verwelkt (Sandor Petofi), sowie die Vertonung seiner eigenen Gedichte Es winkt und neigt sich (mit Fragezeichen der Urheberschaft) und Junge Fischerin von 1865. Zu den Liedkompositionen enthält die CD noch den Nachklang einer Sylvesternacht und die Manfred-Meditation für Klavier zu vier Händen, gespielt von Aribert Reimann und Elmar Budde.


    So manche Liedkomposition Nietzsches verdiente es, in Liedprogramme aufgenommen zu werden. Selbst vor den großen Liedkomponisten braucht er sich wahrlich nicht zu schämen! Mich jedenfalls reizt die wunderbare CD zum Nach- und Wiederhören! :) :) :)


    Schöne Grüße
    Holger