Ich bin heute gegen Abend von einem sehr schönen Wochenende aus Heilbronn heimgekehrt, zu dem mich unser lieber Operus (Hans A. Hey) und seine ebenso liebe Frau Ingrid eingeladen hatten.
Am Freitagabend lernte ich bei einem Festmahl bei den Heys Gerhard Oppitz, den Solisten eines Konzertes des gestrigen Abends kennen. Das ausführliche Gespräch, das wir am Freitag führten, konnten wir gestern Abend nach dem Konzert fortsetzen. Ich lernte ihn kennen als sehr netten, herzlichen und natürlichen und, wie ich finde, bescheidenen Menschen kennen, der an jenem Abend
"unter Freunden" war, und ich war sehr froh darüber, dass ich dabei sein konnte.
Als Pianisten lernte ich Gerhard Oppitz vor vielen Jahren kennen, als er an meinem damaligen Wohnort Coesfeld-Lette ein Konzert gab mit Werken von Johannes Brahms und Ludwig van Beethoven, und in den Beethoven-Sonaten-Threads habe ich bisher 17 Sonatenaufnahmen von ihm besprochen und auch schon die Sonate B-dur D.960 von Schubert im entsprechenden Thread.
Gestern nun stand ein Konzert im Konzert- und Kongresszentrum Harmonie in Heilbronn an:
Abbildung von 1960
im Theodor-Heuss-Saal mit 2000 Sitzplätzen. Wie mir Operus heute Morgen mitteilte, waren gestern Abend trotz des zeitgleichen Heilbronner Frühlingsfestes 1850 Zuhörer gekommen.
Sie erlebten ein Konzert mit einem auch in der Struktur nicht alltäglichen Programm:
Wolfgang Amadeus Mozart, Ouvertüre zur Oper "La clemenza di Tito" KV 621, eines der letzten Werke, die Mozart in seinem Todesjahr komponierte (5 min.)
Wolfgang Amadeus Mozart, Klavierkonzert Nr. 24 c-moll KV 491 (ca. 33 min.)
Richard Strauss, Burleske für Klavier und Orchester d-moll AV85 (20 min.)
Ludwig van Beethoven, Sinfonie Nr. 8 F-dur op. 93 (25 min.)
Gerhard Oppitz, Klavier
Heilbronner Sinfonie Orchester
Dirigent: Alois Seidlmeier
Die Ouvertüre zu Titus drückt schon aus, dass bei Mozart beileibe nicht alles so endete, wie es begann, so auch hier: zuerst würdevolle Stimmung mit Pauken und Trompeten, dann nach nicht einmal einer halben Minute die hurtigen Streicher, die uns an den Figaro gemahnten, also nicht mehr Verherrlichung der herrschenden Adelsklasse und dann die wunderbaren Holzbläser, die uns daran erinnerten, dass Mozart auch Freimaurer war, und wie war das noch mit dem Schwesterwerk KV 620: "Die Zauberflöte"?
Welche herrlichen fünf Minuten, die uns mal wieder in das Genie Mozart hineinführten. Dass sie herrlich wurden, lag an dem bestens disponierten Heilbronner Sinfonie Orchester, das klassisch besetzt war. Da ich nicht ganz vorne saß, konnte ich die Musiker nicht genau zählen, und die Aufstellung war eine Mischform der deutschen und der amerikanischen Aufstellung. Die Kontrabässe waren rechts, die Celli aber nicht den ersten Geigen gegenüber, sondern in der Mitte, und vorne rechts vermutlich die zweiten Geigen und dahinter die Bratschen, die Pauken hinten in der Mitte, die Trompeten rechts daneben, das Holz von der Mitte links bis rechts und die Hörner links.
Ich würde schätzen bei den Streichern 12 - 10 - 6 - 5 - 3 also sechsunddreißig Streicher, doppeltes Holz, also 8 Holzbläser, 2. Hörner, 2 Trompeten und die Pauken, also rund 50 Instrumente.
Bei Strauss` Burleske, traten 2 Hörner und 1 Pikkoloflöte hinzu.
Bei Beethovens 8. Sinfonie fielen die zusätzlichen 3 Instrumente wieder weg.
Abweichende vom herkömmlichen Programmschema Ouvertüre-Instrumentalkonzert-Sinfonie war, dass mit Strauss Burleske ein zweites quasi Instrumentalkonzert von rund 20 Minuten hinzutrat.
Das hat Gerhart Oppitz, der in Heilbronn als 11jähriger debütierte, in dieser mit der Überschrift "Welt des Klaviers, Oppitz-Zyklus" so vorgeschlagen, wenn ich das richtig erinnere. Von ihm existiert auch eine vorzügliche Aufnahme der Burleske:
aus dem Anfang dieses Jahrtausends mit den Düsseldorfer Sinfonikern unter ihrem damaligen Chefdirigenten John Fiore.
Mit Mozarts c-moll-Konzert gewann er 1977, mit 24 Jahren, als erster Deutscher den Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel-Aviv, und 4 Jahre später, 1981 wurde er bislang jüngster Professor an der Musikhochschule München, wo er heute noch lehrt.
Das c-moll-Konzert, mein persönliches Lieblingskonzert, das man in etwa auch als andere Seite einer Münze bezeichnen könnte, dessen eine Seite das A-dur-Konzert ist, mag ich so wegen seiner kühnen Gestalt, vor allem im Kopfsatz, der über das, was Mozart schon ein seinem ersten Konzert in moll, der Nr. 20 d-moll KV 466, im Kopfsatz ausgedrückt hat, m. E. noch hinausgeht, noch weiter in die Zukunft weist, mit seinen chromatischen Tonfolgen, seinen ungeheuren dynamischen Steigerungen, der rätselhaften Coda und dem genialen Schluss. Der lyrische Seitensatz kann da nur vorübergehend die Stimmung etwas aufhellen.
Diese gesamte Stimmung des Kopfsatzes traf das engagierte Orchester unter der umsichtigen und sehr gut mit dem Werk vertrauten Alois Seidlmeier, wie ich finde, sehr genau, und Gerhard Oppitz offenbarte schon hier die ganze Skala seines Könnens, den äußerst flexiblen Anschlag, das traumhafte Zusammenspiel mit dem Orchester, den dynamisch-dramatischen Impetus, der vor allem in der virtuosen und langen Kadenz offenbar wird, aber auch, und das finde ich sehr bemerkenswert, seine offenbar ureigene Art, sich nicht in den Vordergrund spielen zu wollen, sondern im geeigneten Augenblick sich auch völlig in das Orchester zu integrieren.
Der erste wirklich große Höhepunkt des Konzertes war jedoch das Larghetto, weshalb ich dieses Konzert noch mehr liebe als wegen des dramatischen Kopfsatzes.
Als Brendel dieses Konzert an Allerheiligen 2008 in seinem Berliner Abschiedskonzert mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern spielte, saß ich im Publikum und habe bei dem Larghetto geweint (und nicht alleine). Gestern Abend habe ich wieder geweint. Spätestens seit gestern Abend gehört Gerhard Oppitz für mich auch zu den großen Lyrikern am Klavier, aber das hatte ich ja bei den langsamen Sätzen in den Beethoven-Sonaten und der B-dur-Sonate von Schubert im Grunde genommen auch schon gedacht. Natürlich gilt das auch für die lyrischen Seitensätze in den Kopfsätzen.
Während ich dies schreibe, höre ich das Larghetto in der Interpretation von Vladimir Ashkenazy, auch einem großen Lyriker. Gerhard Oppitz hat mir gestern Abend noch etwas besser gefallen. Und noch eins: das Larghetto kann nur so hervorragend gelingen, wenn auch das Orchester ein entsprechend hohes Niveau erreicht. Das war gestern Abend der Fall, auch dank des Dirigenten Alois Seidlmeier.
Wieder zum c-moll zurückgekehrt ist Mozart im Finale, einem faszinierenden Variationensatz. Die Variation war Mozart ja offenbar auch nicht fremd, wie wir alle wissen. Und immer, wenn wir ein paar Takte Entspannung wittern, brechen Orchester und Solist mit Vehemenz dazwischen, wie in der Mitte der ersten Satzhälfte, wo dann, dank des Genies Mozart, urplötzlich eine ländlerartige Holzbläservariation dazwischen fährt, die aber letztlich doch nicht zum Stimmungsumschwung führen kann ( und will?). Aber auch in Moll ist natürlich dieser Schlusssatz genial, sind die Steigerungen schon stark auf Beethovenniveau. Auch die zweite Dur-Einstreuung führt nicht zum Wandel, aber Solist und Orchester haben hier wieder Gelegenheit, ihr virtuoses Können unter Beweis zu stellen. Und Oppitz und seine Heilbronner tun es. Schließlich führt die letzte Mollwandlung zum unausweichlichen, unerbittlichen Ende.
Zwar haben die Heilbronner Sinfoniker naturgemäß nicht die Könnensstufe der Berliner Philharmoniker erreichen können, Oppitz m. E. wohl die Brendels, aber im Engagement standen die Heilbronner gestern Abend, wie ich finde, nicht zurück.
Nun ist mein Text jetzt doch schon so lang geworden, dass ich die zweite Hälfte des Konzertes morgen besprechen werde.
Liebe Grüße
Willi