Die Inszenierung von Ole Anders Tandberg von der Oper Oslo steht in Berlin selten auf dem Spielplan. Es ist eine aufwendige Koproduktion Oslo-Berlin, was vielleicht der Grund dafür ist, daß man sie nicht oft sieht.
Am 5. Februar 2015 war ich in der vierten Vorstellung, gestern, am 7. April, in der sechsten seit der Premiere am 25. Januar 2015. Es gibt noch zwei weitere Vorstellungen am 14. und 20. April. Die Lady Macbeth sollte man nicht verpassen! Wer weiß, wann man sie wieder an der Deutschen Oper zu Gast hat.
Unter den Freunden, mit denen ich gestern in der Lady Macbeth war, befand sich eine Muttersprachlerin. An sie ging in der Pause die erste Frage: Ist das gesungene Russisch verständlich? Nein, beschied sie uns. Nur Sergej sei gut zu verstehen - kein Wunder: Die Partie wurde von Sergey Polyakov aus Moskau gesungen. Polyakovs Stimme hat eine klare, leuchtende Höhe mit großer Durchschlagskraft, und seine Erscheinung macht einen begehrenswerten Liebhaber aus ihm.
Evelyn Herlitzius' Katerina Lwowna Ismailowna ist leidenschaftlich, hemmungslos, begehrend, verzehrend. Sie nimmt viel von der Unbedingtheit ihrer Elektra in die Lady Macbeth mit. Daß diese nicht mehr junge Katerina auf das Glück nicht länger warten kann, daß sie es ergreifen muß, als sich ein Zipfel davon zeigt, und daß sie alle Hindernisse, die dem Begehren entgegenstehen, aus dem Weg räumt, zeigt Fr. Herlitzius packend und glaubwürdig. Ich habe neben ihrer Stimme gestern abend auch die tänzerische Leichtigkeit, Elastizität und Eleganz ihrer Bewegungen bewundert.
Körperliche Gewalt, harte Arbeit und sexuelle Gewalt sind die prägenden Motive dieser Inszenierung, die die Handlung aus der russischen Provinz Leskows an ein norwegisches Fjord verschiebt. Die riesigen Kabeljaue, mit denen die Arbeiter und Boris Timofejewitsch Ismailow (Wolfgang Bankl), Katerinas brutaler Schwiegervater, ständig auftreten, bieten Gelegenheit zu einigen witzigen inszenatorischen Details. So wird Sinowij (Thomas Blondelle), Katerinas debiler Ehegatte, mit einem besonders großen Exemplar erschlagen und die Fische eignen sich auch für allerlei obszöne Posen, etwa bei der Massenvergewaltigung einer Arbeiterin im ersten Akt.
Der letzte Akt, in dem die Mörder Katerina und Sergej inmitten eines Trecks Gefangener in ein Straflager marschieren, fällt allerdings ab. Die Verurteilten sind in Unterwäsche unterwegs, im Konflikt um die wärmenden Strümpfe, die Sonjetka für ihre Liebe von Sergej verlangt, dienen Damenstrumpfhosen als Tauschobjekt. Das ist eher ungewollt läppisch, denn schrecklich. Tandberg findet hier nicht den richtigen Zugriff, den ich schon im dritten Akt, bei der bügelnden Polizeitruppe, ein wenig vermißt habe. So lustig, wie die hosenlose Polizisten sind, so wenig gelingt es dem Regisseur mit dieser Szene, Brutalität und Bestechlichkeit der Ordnungshüter wirklich zu fassen. Die Adressaten dieses Klamauks darf man im Osloer Publikum vermuten.
Donald Runnicles dirigierte das spätromantisch gestimmte Orchester der Deutschen Oper, das die allgegenwärtige Gewalt mit prägnanten Fortissimi markiert und in den melancholischen Passagen zu einem magnetischen Klang findet.
Für Derek Welton und Burkhard Ulrich aus dem Ensemble der DOB war die Lady Macbeth bereits der zweite Abend in wichtigen Partien. Sie hatten am Freitag in der Heliane gesungen.